84 schlichthin genialisch beschworen war ohne Pose und Verrenkung, feierte in den gepriesenen Büchern der Zeit umso geschminkter und mit desto falscheren Brillanten behängen des Gruseins Gaukelfechterei einträglich Orgien. In diesem Hexensabbath der günstigen Konjunktur bildeten Gustav Meyrinks Erstlinge, Skizzen des Haarsträubens, sympathische Boten besserer Absicht, trotz der Saloppheit im Ethos, der Gelecktheit des motorischen Apparates und etlicher selbstgefälliger Spiegelpromenaden, weil sie Wert legten auf peinlichste Akkuratesse ihrer Form, (die sie sich mit vollem Bewusstsein nicht sehr hoch wählten, aber dann adäquat inne hielten), und nicht aus der Berechnung und aus der Hand kamen, sondern aus dem Willen und aus dem Hirn. Wieviel von diesen Verheissungen zur Bestätigung reifte, soll jetzt Meyrinks Buch offenbaren. Das stellt sich das Problem dort, wo der Zuschneider der Gattung bei fast gleicher Stoffwahl kaum ein Agens vermutet, geschweige denn auch nur den ersten Ruck des Antriebes gestal ten könnte. Das Niveau ist betont genug : nicht schreckhaftes Gepolter mani pulierender Puppen im handfesten Raume, sondern atemlastende Vorgänge auf jener Tiefenbühne, die hinter unsern geschlossenen Lidern lauert. Aus Hinüberdämmern in traumumtrümmertes Prag, aus dem ohnehin ängstenden der Wirklichkeit steigt die Leiter der blanken Schwerter hinan, von Ekligem umwimmelt, kleinem eckigschlürfendem Alpgekicher benagt, bis der jähe Sturz kopfüber in den unergründlichen Strudel und ein schales, wie betäubt flaues Wiederauftauchen am alten, doch so veränderten Ufer mit einem annehmbaren Akkorde das Karussell zum Stehen bringt. Dabei gibt es oft unvermittelten Tempowechsel, und die Länge der Tour stumpft die Reibflä chen merklich ab. Man wird in jenen anhaltenden, dem Unbewusstsein nahen, alles zu einem Grau vermischenden Schwindel gekurbelt, aus dem sich erst nach geraumem Hinschwanken auf dem Heimweg zum solider fundamentierten Vaterhause als bleibend so ein paar hohe Bilder lösen: der gierige Taubstumme, tappend um den rothaarig aufreizenden Judenbalg, die Stimme einer durch wundersames Verhängnis Geliebten aufklingend zum Echo eines Lustmörders Martyrleib, das übermenschliche Fanal eines Hasses durch alle Sphären, und die ganze Grundstimmung eines vielhäutigen Kosmos der Wesensvertauschung, Ichspaltung, Panik, logischen Teufelei. Aber am En de behalten die Mathematiker sozusagen Recht, die Welt wird nicht „kaputt gedacht“ und zugunsten lotrechter Komposition wird aus Hölle und Himmel ein Kompromiss und ein unverbindliches Tableau. Auch stellt ein sozusa gen „Pschütt“-naher Beisel-Witz immer wieder Jovialität her, und die Er schütterung bleibt aus, die ein Humor erregt hätte, der bis dorthin sich wagt, wo der grösste Schreck und die grösste Geborgenheit eins ist. Max Herr mann (Neisse) Im Hellerauer-Verlag in Dresden-Hellerau sind erschienen : Paul Claudel: Der Ruhetag. Paul Adler: Nämlich. Paul Adler: Elohim. Inhalt der vorigen Nummer: Walter Serner: Kultur; Graphik; Peter Altenberg: Fischfang; Alfred Wolfenstein: Zank zwischen Freunden; Max Herrmann (Neisse): Kreuzweg; Leo Sternberg: Nebel; Aphorismen von Blaise Pascal und Georg Christoph Lichtenberg; Bücherbespre chungen; mit einem Originalholzschnitt (Vor dem Ballett) von Christian Schad.