103 leben des Zuhörers ist, durch das Spiel, das dieses Erleben überdies fälschlich vorwegnimmt, aufgehoben wird, dass er nur wirken könnte, wenn dem Zuhörer alles überlassen bliebe, und dass das Theater ein schlechter Ersatz für das Buch ist. Denn die, welche zu lesen wissen, haben dort nichts zu vollenden, und die, welche ins Theater gehen, um überhaupt etwas zu er leben, vollenden etwas ganz anderes. Nicht mehr das Bedürfnis, zu sich zu kommen, treibt sie ins Theater, sondern das, sich zu fliehen. Und wie da, wo es um Inneres geht, Ursache und Wirkung oft verwechselt werden, so war auch hier der Schauspieler nicht die Ursache seines Publikums, sondern dessen Wirkung. Nachdem es sein Schicksal geworden war, seinen Kampf nicht mehr zu kennen, liess es ihn sich Vorspielen. Mit diesem Fall von jenem Gipfel, auf dem es vergeblich in sich zurückgewiesen ward, hielt es jedoch seine Höhe. Denn liier kam es noch vor das Drama, welches dem, der es schrieb, Erlebnis gewesen war und zu keiner Vollendung hätte werden können, auch wenn es nicht gespielt worden wäre. Das Erlebnis solchen Spiels war lediglich die Schauspielerei, die von der Bühne mitgenommen wurde und einige Tage hindurch den fehlenden Kampf erfolgreich bekämpfte. Dieser Kampf wurde einem zum Drama und er nannte ihn Komödie. Sie war das Drama der Schauspielerei. Da es aber wieder gespielt wurde, wurde alles Schauspielerei und Schauspielerei alles. In diesem Zustand der Entwicklung, die immer den Niedergang bedeutet, war man auf der Flucht vor sich selbst am Ziel. Während aber an jenem andern nur keine Unruhe zu finden ist, gewährt dieses niemals diese Ruhe. Und so begann ein aber witziges Kreisrennen, in dessen Mitte der grosse Götze stand: das Schau-Spiel. Zirkus und Variete, Kabarett und Tingel-Tangel waren seine Altäre und obenan das Theater. Alles, was jemals aus dem Geist geboren ward, wurde dem Schau-Spiel geopfert und der Schauspieler, der bis dahin doch wenigstens ein Idol gewesen war, abgesetzt. An seine Stelle trat die Komparserie, die Massenszene, die Technik und was ehedem immerhin mensch licher Selbstbetrug war, wurde nun schändlicher Frevel. Shakes peare wurde zum Ballett unter echten Bäumen und das,, Mirakel", das ein konjunkturkundiger Salonjobber verfertigte, in die Manege ge schleppt, um mit einer heiligen Handlung, einem neuartigen Spielort, Battaillonen von Statisten, Glockenläuten, Zirkusgeruch, rauschen den Draperien, Doppelreflektoren und Weihrauch ein Schau-Spiel zu bieten, das niemals noch seinesgleichen hatte. Von hier aus war nur noch ein Schritt zum Verzicht auf das Wort, auf das man längst verzichtet hatte. Aber auch er war schon getan. Der Kino, dieser Triumph des Schau-Spiels, war bereits in den Varietes und in den Vorstädten und wurde nun ein Kammer