119 Luft so leicht. Niedrige Leidenschaften, wie Hass und Sinnen lust, däuchten mich fern wie die Wolken, welche tief unter mir dahinzogen. Und meine Seele fühlte sich so weit und rein wie die Wölbung des Himmels hoch über mir. Die Erinnerung an Irdisches war nur schwach und unbestimmt in mir wie das Glockengeläut unsichtbarer Rinder, die fern, ganz fern auf den Hängen eines andern Berges zogen. Den kleinen unbeweglichen See liess seine unermessliche Tiefe schwarz erscheinen. Hie und da trieb über ihn der Schatten einer Wolke hin gleich dem des Mantels eines Luftries.en, der durch den Himmel fliegt. Diese feierliche und seltsame Stimmung hatte ihren Grund in einer ganz grossen, ganz geräuschlosen Bewegung, dessen er innere ich mich, und erfüllte mich mit einer Freude, die nicht frei vor Furcht war. Die mich überwältigende Herrlichkeit, welche um mich ausgebreitet war, bewirkte in mir einen voll kommenen Frieden mit mir selbst und mit der Welt. Ich glaube sogar, dass ich in meinem restlosen Wohlbehagen und im gänz lichen Vergessen aller irdischen Niederträchtigkeit dahin gelangt war, die Behauptung, der Mensch sei von Geburt gut, nicht mehr lächerlich zu finden. Doch da tat der Körper seine unab wendbare Forderung, die der lange Aufstieg beschleunigt hatte, und ich musste der Ruhe pflegen und den Hunger stillen. Ich zog ein grosses Stück Brot aus der Tasche, einen Lederbecher und ein kleines Elixier, wie es zu jener Zeit die Apotheker an Wanderer verkauften. Die mischten es bei Gelegenheit mit Schneewasser. Still zerschnitt ich mein Brot, als ein leises Geräusch mich veranlasste aufzublicken. Vor mir stand ein zerlumptes, zer zaustes, kleines schwarzes Wesen, dessen tiefliegende Augen, die ängstlich und wie flehend blickten, das Stück Brot ver schlangen. Mit tiefer und heiserer Stimme hörte ich es das Wort „Kuchen" seufzen. Ich musste über die Bezeichnung, mit der es mein fast weisses Brot beehrte, lachen, schnitt ein grosses Stück ab und hielt es ihm hin. Langsam näherte es sich, ohne den Gegenstand seiner Begehrlichkeit aus den Augen zu lassen. Dann ergriff es das Stück und wich schnell zurück, als fürchtete es, meine Gabe könnte nicht aufrichtig sein oder ich könnte sie schon bereuen. In diesem Augenblick aber rannte es ein anderer kleiner Wilder zu Boden, der irgendwoher gekommen war und ihm so vollständig glich, dass ich ihn für den Zwillings bruder hätte halten können. Die beiden wälzten sich mitsamm auf den Boden, um die kostbare Beute raufend. Keiner wollte dem andern die Hälfte überlassen. Empört packte der erste den zweiten bei den Haaren. Dieser biss jenen ins Ohr und spie mit einem Fluch ein blutiges Stückchen von sich. Der recht mässige Eigentümer des Kuchens versuchte seine kleinen Krallen