56 AUFRUF DER SOZIALDEMOKRATISCHEN PARTEI SERBIENS ZUR ERRETTUNG DES SERBISCHEN VOLKES VOR VÖLLIGEM UNTERGANGE*) (Nummer 1, Neujahr 1918.) Die Lage im besetzten Serbien. Als im Herbst 1915 die Eroberer die Save, die Donau und den Timok überschritten, war ganz Ser bien in zwei Teile gespalten: der eine Teil bietet das traurige Bild eines Friedhofes, der andere das Bild eines Spitals. Man befand sich nicht mehr einem furchtbaren Gegner gegenüber, dessen Widerstand es zu brechen galt, sondern gegenüber einem schwer an gegriffenen Lande, das auf Grund der einfachsten menschlichen Prinzipien das Hecht hatte, geschont zu werden. Es ist wahr, daß Mackensen in den ersten Tagen seines Einzuges in dieses Land eine feierliche Proklamation veröffentlichte, in der er die ganze bür gerliche Bevölkerung einlud, ruhig in ihr Heim zurück zukehren und ihre gewöhnliche Arbeit aufzunehmen; denn — versicherte der berühmte General — der Krieg würde nicht gegen die friedliche Bevölkerung gerichtet, sondern gegen die bewaffneten und kämpfenden Trup pen. Aber das waren nur leere Worte. Die ganze Besetzungsverwaltung in Serbien ist nichts als ein fortwährender 1 Krieg gegen die friedliche Bevölkerung. Es ist übrigens keineswegs eine Besetzungsverwaltung, sondern eine wahre Strafexpedition seitens Oester reich-Ungarns, in verstärktem Sinne seitens Bulgariens. Dieses Wort definiert in der genauesten, vollständigsten Weise den Charakter der österreichisch-ungarischen und bulgarischen Herrschaft in iSerbien. Die Gegner *) Der Aufruf, in der „Freien Zeitung“ aus Raumgründen nur auszugsweise mitgeteilt, mußte hier leider abermals gekürzt werden. Inzwischen ist jedoch der vollständige Text, mit einem Vorwort von Camille Huysmans, auch als Broschüre, Upsala, 1918, und in der Publikation „Les souffrances d’un peuple“, Librairie Kundig, Geneve, 1918, erschienen.