140 epigonentums. Wie man im tiefen Mittelalter nur das Latein als Staatssprache gelten ließ, so soll jetzt in der Donaumonarchie nur das Deutsche geduldet wer den, die Vulgär- und Lokalsprachen aber sollen ver schwinden. Einer grammatikalischen Beamtenpolitik sulbstituiert man den Titel Kulturmission. Denn als Beamtenpolitik enthüllt sich dieser auf die bäuerliche Bevölkerung berechnete Suggestionsversuch. Aber 1866 sind die Nichtdeutschen aus der Minder heit in Deutschland die Mehrheit in Oesterreich ge worden infolge der Niederlage von Königgrätz. Der auf die politische Unabhängigkeit (von der Kontrolle der wirklichen Kulturwelt) bedachte magyarische Staatshintergedanke wehrt sich verzweifelt gegen die Wiederholung des pragmatischen Gesamtstaats. Die deutschen „Kulturpioniere“, Beamte, Lehrer, Aerzte, Rechtsanwälte, besonders aber V erwaltungsbeamte auf einträglichen Staatsstellen, begegnen als Missio nare heftigstem Widerstand. Das Jahr 1871 ist die Geburtsstunde des eigent lichen Nationalitätenkampfes in Oesterreich. Den Deutschösterreichern liefert das neudeutsche Prestige die Hoffnung, jetzt oder nie mehr in Oesterreich die Oberhand zu bekommen. Von den alten Zeiten her ist ihnen das „kulturelle Verantwortliohkeitsgefühl“ ge blieben. Den Beruf zur Führerschaft wollen sie sich nicht nehmen lassen. Aber durch die den Magyaren 1868 notwendig zugestahdene Personalunion (in ihrem Ursprung und Verlauf eine Art friedlicher Okku pationsintrige Bismarcks) werden auch die Tschechen in ihren Selbständigkeitbestrebungen bestärkt. Die Ungarn lehnen ein Zentralparlament ab und ihnen zu liebe ist man gezwungen, Zollkriege mit Rumänien und Serbien zu führen. Es beginnt die ungarische Kulturmission, die Entnationalisierungsrazzia als Methode der Ausbeutung. Sie trägt nur dazu bei, die deutschen Aspirationen zu fördern. Die Alldeutschen Iro, Wolf, Schönerer schreien so lange „Nieder mit Habsburg! Hoch Hohenzollern!“, bis der alte Kaiser Franz Joseph, als Eduard VII. ihn 1907 für ein Frie densarrangement zu gewinnen sucht, das Habsburger-