KRIEGSMORAL IN DEUTSCHLAND von Wolfgang Breithaupt. (Nummer 65, 21. November 1917.) In keinem Land hat sieh die Masscnpsyche so schnell den Formen des Krieges angepaßt, wie in Deutschland, und man ist fast geneigt, den Alldeut schen darin recht zu geben, daß der Krieg als Um gangsform den Deutschen vertrauter ist als der Friede. Hätte das deutsche Volk von den Energien, die es zur Durchhaltung des Krieges aufgebracht, nur die Hälfte auf die Erhaltung des Friedens verwandt, so wäre wohl dieser und jeder andere Krieg vermieden worden. Politische Individualität kennt man nicht in Deutschland, und der Intellektualismus der Massen erklärte dank des unzulänglich begriffenen Darwinis mus den Krieg für eine Notwendigkeit. Der Krieg war das Konstituens der deutschen Kabinettspolitik, und selbst Naumann *) muß gestehen, daß im Deutschen Reich die beiden Gedanken, „daß doch irgendeinmal eine Auseinandersetzung mit dem russischen Zaris mus kommen, daß einmal mit England um die See gewalt gefochten werden müsse, in Regierung und Volk schon immer vorbereitet waren“. Der Krieg war also für das deutsche Volk eine der politischen Voraussetzungen seiner Weltbehaup tung, und überdies war man vielerorts und vielerseits der Meinung, daß ein Krieg jenem friedlichen „Kul turzustand“ ein Ende bereiten werde, in dem das Volk degenerierte.**) Man' fabulierte, daß aus den bluttriefen den Trümmerwüsten des Krieges das Volk an Leib und Seele verjüngt und geläutert zu neuem Leben er wachen werde. Diese Voraussage ist durch den Krieg Lügen gestraft worden. Wenngleich in der Ideologie *) Prof. Friedrich Naumann, der bekannte Nationalökonom, Autor des nach Regierungsintentionen verfaßten Buches „Mittel europa“, und Mitbegründer des im Sinne der Regierung errichteten und dekretierenden „Bundes für Freiheit und Vaterland“. **) Einer der Hauptvertreter dieser Theorie ist der Katheder- sozialist Prof. Werner Sombart in seinem Buche „Händler und Helden“. 271