276 dem deutschen Revolutionär von 1848. Und was war die Antwort? „Moral? Ja, mit der Moral ist in der auswärtigen Politik gar nichts anzufangen.“ Wie ein Donnerschlag traf dieser Bescheid den unglücklichen Frager. Hatte doch Immanuel Kant in seinem Traktat über den ewigen Frieden ihn gelehrt, daß „die wahre Politik keinen Schritt tun kann, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben“. Hatte Kant doch die Ver wirklichung einer moralischen Politik gerade allen auf Freiheit un'd Gleichheit begründeten Staatswesen zugeschrieben. Und nun versagte ein demokratischer Staatsmann par excellence derartig! Heute steht die ganze Menschheit klopfenden Her zens vor dieser Verhängnis'vollen Frage, von deren Beantwortung das Schicksal Europas, ja der Welt ab hängt. Führt uns dieser schauerliche Weltbrand nicht heraus aus der moralischen Anarchie der Staaten, so ist dieser furchtbare Kampf umsonst gekämpft wor den. Es gab in Europa einmal eine Zeit, wo ein poli tisches Ideal den Machtwillen der Herrscher beauf sichtigte un!d beschränkte. Die Fürsten des frühen Mittelalters fühlten sich als Mitglieder der Christen heit gebunden an die allgemein anerkannten Regeln und Grundsätze der religiösen Autorität. Ein Gemein schaftsgefühl verband die christlichen Staaten gegen über den Heiden oder Baribaren. Jedes Zuwiderhandeln gegen die moralische Macht der Päpste zog unweiger lich den Ausschluß des Schuldigen aus der Gemein schaft nach sich. Der frevelnde Fürst wurde in Acht und Bann erklärt. In späteren Zeiten verfiel diese politische Auf fassung mit dem Sinken der moralischen Stellung der Päpste in Europa. Keine überstaatlich gültigen Nor men zügelten hinfort die Machtgier der Hohen dieser Erde. Eine moralische Anarchie drang in die Bezie hungen der Staaten ein und verseuchte allmählich mit ihren schädlichen Wirkungen das ganze Gebiet der hohen Politik. Aus diesem Hexenkessel politischen Gebarens ward im Zeitalter der Renaissance die Souveränitäts