107
Junkerinteressfen Vorschub leistende Minister, hatte
zum ersten Male in der innerpolitischen preußischen
Geschichte eine klare Spaltung unid Gruppierlang zur
Folge: Hie Bürgertum, hie Junkertum! Das preu
ßische Bürgertum hatte sich unter dem Druck der Ver
hältnisse in Stadt und Land zu einer geschlossenen
Phalanx für den Schutz und Ausbau der verfassungs
gemäßen Freiheit zusammengetan. Aber seine Führer,
die von jeher die leidige Gewohnheit hatten, einander
wegen Kleinigkeiten schärfer zu bekämpfen als den
gemeinsamen Feind, waren uneinig, furchtsam und
ohne historische Tradition. Aus diesen Gebrechen, die
idem preußisch - deutschen Liberalismus bis auf den
heutigen Tag angehaftet haben, zogen die Junker
immer wieder Nutzen.
Das neue, politisch reif gewordene Bürgertum
Preußens wurde den Junkern so unbequem, daß nach
der Auflösung der Kammer im Herbst 1863 die Preu
ßenzeitung ganz unverhohlen die gänzliche Aufhebung
der Verfassung forderte. Sie entsprach damit den
geheimen Wünschen Bismarcks. Es ist wohl wahr,
daß Bismarck in seiner berühmten Bede im Nord
deutschen Bundesreichstag am 28. März 1867 vom all
gemeinen geheimen Wahlrecht sagte: „Ich kenne
wenigstens kein besseres Wahlgesetz“ und daß er hin
zufügte: „Was wollen denn die Herren, die das an
fechten, und zwar mit der Beschleunigung, deren wir
bedürfen, an dessen Stelle setzen? Etwa das preußische
Dreiklassensystem? Ja, meine Herren, wer dessen
Wirkung und die Konstellationen, die es im Lande
schafft, etwas in der Nähe betrachtet hat, muß sagen,
ein widersinnigeres, elenderes Wahlgesetz ist nicht in
irgend einem Staate ausgedacht worden.“ (Unruhe und
Bravo). — Aber wie weit war Bismarck in diesem
Lob des Ailg-emeinen und Tadel des Dreiklassenwahl
rechts aufrichtig?
Man kann -nicht oft genug wiederholen, daß Preu
ßen jenes Land ist, wo in Zeiten der Not Könige und
Minister äußerst liberal sind, um nachher alle ihre
Versprechen als nicht gegeben zu betrachten. (1813,
1848, 1867, 1871, 1908 = liberale Beformversprechen,