8 rend. Dabei gehören zu ihren spezifischen Zügen ein echter Humor und eine immer heitere Lebensauffassung, die es machen, daß sie über sich selbst scherzt (z. B. in ihren Briefen aus dem Gefängnis); und das alles ohne einen Schatten von Heuchelei oder Selbstgefälligkeit, die mir immer widerwärtig ist . . . Es genügte, daß einer der Unsrigen, der sich in der das Zuchthaus Butyrka umringenden Menge befand, dem „Kommissär“ der neuen Regierung einige Worte über unsere „politische“ Olga Wassiljewna zuflüsterte, — und man ließ sie frei. Unsere Freunde brachten sie zuerst in das vegetarische Speisehaus (das war am 1. März um zwölf Uhr nachts), und am nächsten Morgen kam sie zu uns: wir wohnen ja sehr weit vom Zentrum entfernt, und in diesen Tagen fuhren weder Trams noch Droschken, alles ging zu Fuß, — eine Millionenmenge war während der Tage und Nächte fast bis zum Morgen auf den Straßen und Plätzen, — und überall vollste Ordnung, obwohl die Polizei fehlte; die hatte man verhaftet. Es gab allerdings einige Versuche von seiten verkleideter Gen darmen und Polizisten, die Menge zu provozieren: sie schossen aus Ma schinengewehren von Häuserdächern usw. . . Nun damit schließe ich vor läufig, — bis auf morgen, um die Militärzensur (die während der Kriegs dauer noch weiter funktioniert) nicht zu sehr zu belasten. Sonst könnte mein Brief an Euch zu lange liegen bleiben. Es erscheint einem immer noch unglaublich, daß man über alles schreiben darf. 7. März. Liebe Freunde, ich setze meine Erzählung über die Ereignisse fort, und ich schreibe Euch meine persönlichen Eindrücke, nicht das, was in den Zeitungen steht. Übrigens zunächst ein paar Worte über allgemeine Angelegenheiten: gestern las ich eine Korrespondenz aus Kopenhagen (diese ganze Zeit hindurch erhielten wir keine Nachrichten aus dem Ausland, wußten vor allem nichts über Deutschland). In dieser Korrespondenz heißt es, daß der Hunger in Rußland die Unzufriedenheit hervorgerufen habe. Das ist nicht wahr. Es herrschte kein Hunger, wohl aber eine furchtbare Teuerung und ein völliger Wirrwar im Transportwesen. Einige Städte, wie z. B. Petersburg, waren ein paar Tage lang ohne Brot. In Moskau ging es nicht so hart zu, obgleich alles sehr schwer zu erhalten und sehr teuer war. Der Preis für Roggenbrot z. B. war von zwei bis drei Kopeken für das Pfund auf zwölf bis vierzehn gestiegen, der für Weizenmehl von fünf auf zwanzig Kopeken. Noch schlimmer war: Wir erhielten für unser ganzes