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Haus (20—25 Personen) nicht mehr als zwei Pfund, und auch nur Rog
genmehl. Gut, daß wir einen kleinen Vorrat Weizenmehl noch vom Lande
hatten; wer in die Stadt kam, brachte immer etwas mit; allerdings war
die Ausfuhr aus einem Gouvernement in das andere verboten, man mußte
also schmuggeln, sonst hätte ich mir wirklich nicht zu helfen gewußt,
ich kann doch bei meiner Kränklichkeit kein Schwarzbrot vertragen.
Alle unsere Leute haben sich mehr als einen Monat lang mit Schwarzbrot
begnügen müssen, es gab nicht einmal Tee dazu. Dabei vermuteten wir
und wußten sogar, daß Mehl vorhanden war, es wurde aber von den
Spekulanten zurückgehalten, die die Polizei bestochen hatten. Uns
z. B. wurde mehrmals telephonisch Weizenmehl zu 12 Rubel das Pud
(= 40 Pfund) angeboten. Ich lehnte aber prinzipiell ab, da ich die ge
heime Spekulation nicht unterstützen wollte. Einmal nur ist in unserem
Hause ohne mein Wissen von irgendwoher ein halbes Pud für 6 Rubel
gekauft worden, aber darüber war ich sehr ungehalten. Und nun, seit dem
1. März ist auf einmal Brot genug vorhanden und wird gegen Karten,
ein Pfund für jede Person abgegeben. Selbst Weißbrot kann man genügend
erhalten. Obgleich die Einführung dieser Karten vom (jetzt verhafteten)
früheren Stadthauptmann Schebeko beschlossen worden war, hatte man
sie bis zum 1. März nicht in den Verkehr gebracht. Es ist nicht bekannt,
warum die Geduld der Einwohner auf eine so harte Probe gestellt wurde.
Die neue Stadtverwaltung hat beschlossen, diese Karten, solange der
Eisenbahntransport noch nicht geregelt ist, vorläufig beizubehalten. Überall
wird davon gesprochen, daß viele Waggons Mehl irgendwo auf den Schie
nen stehen ohne abtransportiert zu werden. Auch hat man in Moskau eine
Menge geheimer Mehllager entdeckt, z. B. der Stadthauptmann, dem,
einem ministeriellen Erlaß zufolge, die Verfügung über alles, von den
Eisenbahnen gelieferte Mehl zustand, hatte es allein an die großen Bäckereien
verkauft, und dabei verpflichtete er sie, es ganz zu verbacken.
Ich will noch schnell etwas mehr über die Befreiung unseres lieben
Serjoscha Bulygin aus dem Gefängnis von Tula mitteilen. Er sollte schon
nach Sibirien in das Jenisseiische Gouvernement verschickt werden, aber
er war wegen Erkrankung seiner Zähne zurückbehalten worden und erst
auf den 7. März, also gerade auf heute, zum Abtransport angesetzt. Und
nun auf einmal dieser Umschwung! In der Nacht vom zweiten zum dritten
März ist er entlassen worden. Wo er sich gegenwärtig befindet, weiß ich
noch nicht. Wir sammeln jetzt für ihn, um ihn zu nähren, zu kleiden, zu
pflegen und bei Bekannten unterbringen zu können.