10 Wie lange wollen wir uns noch zurückdrängen lassen von den eitlen, brutalen Mimen der Gewalt? Wo bleibt unsere Revolution? Wann werden wir die ersten Fenster der Tyrannei einwerfen mit den steinernen Worten der Selbstbefreiung und Menschwerdung? Wir, die wir mit unsicherer Mär tyrerinnenpose uns selber in der Welt, die wir aus uns aufgebaut haben, unseren Söhnen, zerstören ließen! Der Begriff vom Wert des Einzelnen, von uns selbst, ist uns noch gar nicht gekommen. Jede Einzelne darf nicht länger die Geliebte des Mannes, sie muß die Geliebte der Menschheit, der Welt sein. Nicht die Mutter einiger Menschen, die Mutter aller Menschen. Der Begriff: Mutter ist noch niemals wirklich erlebt worden. Die Liebe, die uns immer zur Hemmung wurde, und der Geist, den man in uns unterdrückte, sind noch niemals wirklich frei geworden. Wir müssen uns eine ganz neue Stellung der Welt und dem Mann gegenüber erwerben. Wir müssen uns unsrer Kraft bewußt werden. Der Mann kennt uns noch nicht. Er sieht die Frau, wie er sie seit Jahrhunderten festgestellt hat und behandelt sie so. Und vielleicht sieht er in vielem recht. Weil unsere Entwicklung nicht von innen, sondern von außen kam, sind wir nur das Resultat und nicht der Weg. Wir haben im Verhältnis zu ihm gar keine eigene Natur, sondern die, die er uns gibt. (Er verlangt, daß wir: er werden.) Wir haben uns selbst aufgegeben für jene Andere, die er von uns verlangte. So sind wir immer allein geblieben mit unserem Gefühl, das er aussetzte in die Welt und das nach Erhörung schrie hinweg über die Jahrhunderte. Wir irrten umher in uns selbst und in unsrer Liebe. So konnte es kommen, daß wir uns nebeneinander, von einander fortzuentwiekeln begannen in eine gewisse Feindschaft und Ver ständnislosigkeit hinein, daß jeder seinen eigenen Weg ging. Die Zukunft darf nur mehr einen gemeinsamen kennen. Wir müssen uns erkennen und finden vor dem großen Menschheitsgedanken. Arbeiten wir an der Befreiung von diesem untermenschlichen Zustand, in dem wir Frauen uns noch be finden. Werden wir Liebende und Geliebte zugleich. Nicht mehr dem Staat, der Begrenzung dürfen wir gebären, sondern der Welt, der Liebe, dem Geist. Nicht mehr der Mann, sondern die Liebe ist uns Erlebnis. Tolstoj lebte unsren Glauben. Das Heer der Liebe gegen das Heer des Hasses! j- ? Wir, die wir uns unserer Verantwortung schon bewußt geworden sind, wir müssen uns zusammenschließen und in Mansarden, Keller, Hinterhäuser, Fabriken jeder einzelnen kleinen Schwester die Forderung des Lichtes bringen. Denn was nützt die große, öffentliche Geste der Liebe, die nur da ist, um gesehen zu werden, wenn die kleine, die irgendwo unbemerkt geschehen könnte, unterbleibt?