19 Opportunisten Ihr sagt, der Opportunist nahe euch mit den Worten eurer eigenen Gesinnung, und erst, wenn er Macht über euer Vertrauen gewonnen habe, in der Stunde der letzten Entscheidung, verrate er euch. Ihr klagt, man könne die Dinge nicht voraussehen. Aber das wäre auch die billigste Erfolgsrechnung und enthöbe euch aller Mühe. Eure Sache ist nicht, zu prophezeien, sondern in der Verteidigung des Geistes auszuharren. Ihr fragt, woran man den Opportunisten erkenne? Krapotkin spricht in den „Memoiren eines Revolutionärs“ von den Spitzeln: „Wer einigermaßen Lebens- und Menschenkenntnis besitzt, der entdeckt bald, daß diese Geschöpfe etwas an sich haben, das ihn mahnt, vor ihnen auf der Hut zu sein. Wer auf den sittlichen Gehalt der ihm begegnenden Menschen achtet, der legt sich dann selbst die Frage vor: „Was hat diesen Menschen zu mir geführt? Was in aller Welt kann der mit uns gemein haben?“ — Ein Spitzel kann Bekanntschaften nennen, er kann die beste, manchmal zutreffende Auskunft über seine Vergangenheit geben, er kann sich revolutionäre Ausdrucksweisen und Ansichten vollendet angelernt haben, aber niemals vermag er sich in die besondere, sittliche Anschauungs weise des Revolutionärs hineinzuleben — und schon dies genügt, ihn in ge wisser Entfernung zu halten. Alles können Spione nachahmen, nur nicht diese sittliche Anschauung.“ — Setzt für „Spitzel“ überall Opportunist ein, so habt ihr ihn. Ihr könnt aber auch Konjunkturschieber, Meinungsausbeuter und Partei-Machtmensch lesen. * \Die Weißen c Bfätter (Verlag Rascher <£ Cie., Zürich und Leipzig.) In der Juninummer spricht der Herausgeber, Ren6 Schickele, ganz personen- haft, doch menschlich selbstverständlich, von Friedrich Adler. Die Bemerkung — sie kleidet sich bunter ein als sie wohl gemeint ist — heisst: ‘Die Zauberflöte „Die grösste sittliche Erhebung seit Kriegsausbruch durch Gesprochenes oder Gedrucktes verdanke ich der Rede, die Fritz Adler vor seinen Richtern in Wien gehalten hat. Dieser schlichte Mensch, der den Mut fand, sein eigener Held zu sein, steht am Anfang der neuen Zeit. Er sprach an seinem offenen Grab stark und gerade und wie übergossen von innerster Heiterkeit. Er war liebenswürdig zu seinen Richtern, er salutierte den Gegner. Er zeigte in jedem das Merkmal großer Naturen: den fanatischen Willen zur ganzen Gerechtig keit — die einzige Art Fanatismus, die weder dumm, noch hysterisch ist. Auf solcher Höhe steht seine Gestalt, in gebeugter Haltung, ein wenig linkisch, mit einem gütigen Lächeln, wie ein Denkmal. In der Wiener „Zeit“ las ich: „Unmittelbar vor der Urteilsverkündung spielte sich eine kleine, aber bemerkenswerte Episode ab. Der Gerichtshof hatte eben seine Beratung be endet und schickte sich an, wieder den Verhandlungssaal zu betreten, um das Urteil zu verkünden. In diesem Augenblick erhebt sich der Angeklagte