28 Der Mann bringt sich wegen seiner Frau um. Und die Frauen bringen sich um, weil die Männer gefallen sind. So löscht kreuzweise Eines das Andere aus.“ Er deutete auf das Mädchen, das neben dem Philosophen lag: „Das ist eine Ladnerin; bei ihr war’s der Bräutigam.“ „Das haben Sie mir schon gesagt.“ . . . ,Und jetzt liegt der Philo soph neben der Ladnerin. Der Knabe neben der alten Dame. Die Wasser leiche neben der Giftleiche. Und am häufigsten sind die Gasleichen. Und an der Front liegen Millionen Leichen. Und in Berlin lebt, siegt und verdient man weiter. Die Elektrischen fahren. Und in den Theatern wird gespielt. Und darauf ist man stolz. Denn das ist ein Zeichen von Kultur.* „Haben Sie von der revolutionären Friedensdemonstration gehört?“ Der Leichenwärter gab keine Antwort; er wischte wieder das Wasser auf, das von der Leiche heruntergetropft war auf den Steinplattenboden. Plötzlich zerbrach ein letzter Widerstand, eine letzte Vorsicht im Anwalt: er entschloß sich, sofort den Hotelkellner aufzusuchen. Unwillkürlich drehte er beim Abschiednehmen das Licht aus. Die Leichen schwammen wieder zu einer dunklen Masse zusammen. Die Rechnung des Leichenwärters war einfach: ,Da sich in Berlin, das drei Millionen Einwohner hat, in den drei Jahren achttausendfünf hundert Menschen wegen des Krieges umgebracht haben, werden sich in ganz Deutschland, das siebzig Millionen Einwohner hat, wohl hundert neunzigtausend Menschen wegen des Krieges das Leben genommen haben ... Und wieviele sind aus Gram über den Heldentod ihrer Angehörigen allmählich eingegangen? Und wieviele sind wahnsinnig geworden? Und wieviele Protestler sitzen im Zuchthause? Wieviel Schwache, Wider standsunfähige sind krank geworden und eingegangen, bei denen der Be fund des Arztes nur hätte lauten können: eigentlich sind sie verhungert?* Der Wärter war ein vorsichtiger Mann; er stand in seinem Privat zimmer vor dem Tische und wog seine Tagesbrotration pedantisch genau ab; er wollte nicht verhungern; er wollte den Krieg überleben; er war interessiert, zu erfahren, welches positive Resultat das Leid und der Tod so vieler Menschen nun eigentlich haben werde. ,Das sind die Hinterlandkriegstoten: bis jetzt, vorsichtig gerechnet, hundertneunzigtausend Kriegsselbstmörder in Deutschland. Macht min destens eine Million Selbstmörder in allen kriegführenden Nationen zu sammen. Kommen hinzu die zehn Millionen Heldentote. Total: elf Mil lionen Tote . . . Kommen hinzu die zehn Millionen lebens- und arbeits unfähig gewordenen Krüppel. Und fünfhundert . . . nein achthundert,