122 Ein Gemälde ist die Kunst, vor unseren Augen auf einer Leinwand zwei geometrische als parallel festgestellte Linien in einer Wirklichkeit einander be gegnen zu lassen, die in eine Welt mit anderen Be dingungen und Möglichkeiten versetzt Diese Welt ist im Werk weder spezifisch noch fest Umrissen, ge hört in ihren unzähligen Variationen dem Betrachter. Für ihren Schöpfer ist sie ohne Ursache und ohne Theorie. Ordnung-Unordnung, Ich-Nicht-Ich, Bejahung- Verneinung : höchste Ausstrahlungen absoluter Kunst. Absolut in Reinheit geordnetes Chaos ewig in Sekun denkugel ohne Dauer, ohne Atem, ohne Licht, ohne Kontrolle. — II Ich liebe ein altes Werk um seiner Neuheit willen. Es ist nur der Kontrast, der uns an die Vergangenheit bindet. Die Schriftsteller, die Moral lehren und die psychologische Basis diskutieren und verbessern, haben, ganz abgesehen von einer verhüllten Gier nach Gewinn, eine lächerliche Kenntnis des Lebens, das sie klassifizieren, einteilen, kanalisieren; hart näckig wollen sie die Kategorien nach ihrer Pfeife tanzen sehen. Ihre Leser grinsen und fahren fort: wozu ? Es gibt eine Literatur, die nicht bis zur gefräßi gen Masse vordringt. Schöpferwerk, geboren aus einer wirklichen Notwendigkeit des Verfassers und für ihn selbst. Erkenntnis des höchsten Egoismus, wo die Gesetze verbleichen. Jede Seite muß explodieren durch den tiefen und schweren Ernst, den