23 THEODOR DÄUBLER: HyMNB AN FRIEDRICH NIETZSCHE Die Fluren singen ihre frischen Sonnenlieder. Die letzten Nebel legen sich wie müde Kinder In tiefen Schluchten, ihren kühlen Pfühlen, nieder, Und die Briese weht stets wonniger und linder! Auch Orpheus schöpft nun Mut zu neuen Wanderleiden Und er vernimmt in sich ein eignes Flügelschlagen. Er weiß, es muß sich etwas Schweres jetzt entscheiden, Und er beschließt, sein Werdeweh ans Meer zu tragen. Ist es ein Lied, so mag es dort erst frei ertönen, Sich, ungesehn, von allem Zwang und Brauch entkleiden, Die eigene Gestalt durch Uferhuld verschönen Und beim Entstehn sich schon an eignen Reizen weiden. Es soll sidi, als ein schlankes Weib, im Schaume baden, Im Morgengold, am heitern Weilenspiel erfreuen, Und dessen Übermut und seine Salzkaskaden An allzu offenen Gestaden niemals scheuen. Am Strande aber steht bereits ein andrer Sänger, Der zusieht, wie sich rings die Wellen überhetzen. Zuerst hält Orpheus ihn für seinen Doppelgänger, Denn oft schon sah er sich zugleich an vielen Plätzen. Doch kann er sidi gar bald vom andern unterscheiden, Denn während jener heiter und alleine schreitet, Wird er, der Dichter tiefer, unverwundner Leiden, Von Tauben und von Rehen, wo er geht, begleitet.