43 GUSTAV LANDAUER: WALT WHITMAN Die Gestalt des Dichters Walt Whitman und alles was er geschrieben hat, mutet an, als ob Amerika, die Vereinigten Staaten, aufdieGoethe* worte: »Amerika, du hast es besser, Als unser Kontinent, der alte,- Hast keine verfallenen Schlösser, Und keine Basalte!« ein lautes: Ja, ja, ja, so ist es! hätten über die See herüberrufen wollen. Hat doch Whitman selbst oft genug von sämtlichen Dichtern der Veruneinigten Staaten Europas, übrigens in Worten größten Respektes gesagt, daß sie derVergangenheit und dem Zeitalter des Feudalismus angehören, mit Ausnahme des einen Goethe, der seine besondere Stellung da* durch hat, daß er ein König ohne Land, ein Dichter ohne Nation ist. Amerika aber ist für Walt Whitman das Reich der Zukunft, der noch nicht fertigen, sondern erst zusammenwachsenden, anschließenden Volksgemeinschaft. Es wäre nüchterne Kleinlichkeit, vielleicht auch so etwas wie poli* tische Eifersucht, wollte man dem Dichter einwenden, solcher Stand* punkt zeuge doch von gefährlichem, übertriebenem Hochmut. Denn um Whitmans Selbstgefühl, das er von sich und seinem Volke hat, zu verstehen, muß man die Art Politik beiseite lassen/ die wohnt etliche Stockwerke tiefer als solche Kulturbetrachtung aus der Höhe der wollenden Dichterphantasie. Whitman hat — wiewohl er es nicht gerade so ausdrückt — von seinem Volke das Gefühl, daß es ein neuer Beginn ist/ frische, aus Völkermischung entstandene Barbaren, die einen Abschnitt in die Geschichte bringen. Man denke daran, wie die Germanen, schon zu den Zeiten des Arminius, der sogar seinen Namen von der römischen gens Arminia genommen hat — wie hieß er in Wahrheit? Gewiß nicht Hermann, aber vielleicht Sigfrid? wie diese Germanen vielfach vertraut waren mit der großen griechisch* römischen Kultur, und wie sie doch, zumal als der neue Mythos, das Christentum, über sie gekommen war, mit einer ganz neuen, primi*