DER ALMANACH DER
NEUEN JUGEND
AUF DAS JAHR
1917
VERLAG NEUE JUGEND • BERLIN
—
—
Das Wichtigste erwarte ich von Euch!
(Watt Wßitman an die künftigen Dicht er)
Alle Rechte Vorbehalten
Erstes bis fünftes Tausend
INHALT
J
Seite
Martin Buber: Aus einem Rundschreiben von Ostern 1914 ........ u
Anette Kolb: Epilog zu den Briefen an einen Toten............. 13
Johannes R. Becher: An die Soldaten der sozialistischen Armee .. .. 15
Theodor Däubler: Die Glanzperle...............................zz
Theodor Däubler: Hymne an Friedrich Nietzsche................. 23
Theodor Däubler: Orpheus Tod.................................. 30
Theodor Däubler: Orphisdhe Nacht.............................. 34
Jean Arthur Rimbaud: Die Raben................................ 36
Aldo Palazzeschi: Habel ...................................... 37
Jose-Maria de Heredia: Flucht von Kentauern ..................40
Richard Huelsenbedc: Phantasie................................ 41
WaltWhitman: Aus dem Zyklus: Ausgehend von Paumanok .. .. 42
Gustav Landauer: Walt Whitman................................. 43
Mynona: Krieg, sagte der Irrsinnige, Krieg ist unmöglich — ist ewig
unmöglich.............................................. 53
George Grosz: Die Kirche (Zeichnung) ......................... 61
Leonhard Frank: Der Vater..................................... 68
WalterSchücking (Marburg): Deutschland im Haag................ 79
Oskar Kokoschka: Porträt des Prof. Schücking-Breslau (Zeichnung) 81
Albert Ehrenstein: Cafe »Prag«................................82
Paul Adler: An die Herrscher..................................84
George Grosz: Die Fabriken (Zeichnung) ....................... 89
Else Lasker-Schüler: Sieben Gedichte: Ich bin so allein ...... 91
Dem Goldprinzen........................................92
An Tristan ............................................ 93
An den Gralprinzen .....................................94
An den Prinzen Tristan..................................95
An den Ritter aus Gold .. 96
Nachklänge ............................................97
Franz Werfel: XXXX. Spruch a. d. XXXXIIII Sprüchen des Land-
streichers Laurentin....................................98
8
Seite
Fr. W. Förster; Aus »Die Kriegsromantiker hinter der Front*...100
Ludwig Meidner: Nächte des Malers ............................104
Ludwig Meidner: Biblische Gestalt (Zeichnung).................105
S. Friedlaender: Goethes Farbenlehre..........................112
Eduard Bernstein <M. d. R.>: Der nationale Gedanke beim Philo*
sophen Fichte und bei Ferdinand Lasalle................122
Franz Held <t 1908): Menschenopfer............................129
Alfred Lichtenstein Cf): Soldatenlieder.......................131
Alfred Lemm: Brief an Alfred Lichtenstein.....................133
Wieland Herzfelde: Der letzte Mensch ........................... 136
Wieland Herzfelde: Schrei der Nacht...........................14»
Wieland Herzfelde: Zwei Sonette aus der Schulzeit.............142
George Grosz: Beim Durchgehen der Garderobe .............. ..144
George Grosz: Straßenbild <Zeichnung>.........................145
Georg Büchner: Der hessische Landbote.........................146
Heinrich Mann: Der Bruder ....................................160
P. J. Jouve: Les voix d'europe............................... 167
Georg Trakl (’f): Elis........................................169
George Grosz: Kaffeehaus (Zeichnung) .........................171
Franz Kafka: Ein Traum .......................................172
Quellenangabe.................................................175
Werke der Almanach*Mitarbeiter................................176
Anzeigen.................................................... 183
h 9
-------------------------------
I
MARTIN BUBER:
AUS EINEM RUNDSCHREIBEN
VON OSTERN 1914
Springe um neue Bürger,
Springe um Themis die schone,
(Gesang der Kureten an den jungen Zeus)
Die einzige Macht, die einer ridhtungslosen Menschheit gegen«
überzutreten vermag, ist die Macht der Richtung.
In dem Zeitalter herrscht das Fiktive, das heißt: das aus
Meinung und Rechnung Lebende, Es gilt ihm entgegen die
Autorität des Wirklichen als des aus dem Weltsinn Lebenden
aufzurichten.
Die Signatur des Fiktiven ist, daß jeder etwas anderes und
keiner das Eine will. Das Fiktive kann sich nur in der Diaspora
> des Menschentums behaupten. Wenn zehn Menschen das Eine
wollen und sich vereinigen es zu tun, ist die Diaspora zu Ende,
Und jene alle, von denen jeder etwas anderes will, rühren den
Planeten nicht um einen Zoll, aber die Zehn reißen ihn aus
seiner Bahn: in ihre Richtung.
Richtung ist Wahrheit nicht in Formeln, sondern im Willen.
Bei ihr allein ist Entscheidung und Wende.
Es genügt das Eine und nichts als das Eine zu wollen, um
das Fiktive zu erschüttern,- es genügt das Wirkliche in seiner
Autorität aufzurichten, um das Fiktive niederzuwerfen. Aber
das bedeutet nicht, daß »es von selbst komme«,- sondern aus
der Wahrheit im Willen.
Mischet die an »Geist« reichsten Leute des Zeitalters zu«
sammen, lasset sie sich Wochen, Monate lang über die wesent«
liehen Fragen unterreden, und es wird nichts als »Geist« her«
vortreten, »Geist« zur Genüge, »Geist« zur Sättigung und
Übersättigung, doch keine Entscheidung. Aber lasset einige
Menschen Zusammenkommen, die gutenW illens, ganzenW illens
sind, und lasset sie überformelhaft, lebendig erkennen, daß ihr
Wille einer, der eine ist, und sie werden entscheiden. Dieser
Wille ist der wahre Geist, das Pneuma, das treibt.
Das Werk der Aufrichtung aber ist kein Experiment,- man
kann es nicht nach Belieben versuchen, fallen lassen, wieder^
aufnehmen. Sondern was in diesem Zeichen begonnen wurde
und in Nichtigkeit aufgeht, das gefährdet den Wurzelgrund, die
tiefe Fruchtbarkeit der Krisis. Was hier nicht gerät, zerstört.
Der Antichrist ist der mißratene Paraklet.
Es gilt nicht den Versuch: es gilt den Sprung.
ANETTE KOLB: EPILOG
ZU DEN BRIEFEN AN EINEN TOTEN
Es gibt Leute, welche die Worte: »Ich bin nicht gekommen den Frie*
den zu bringen, sondern das Schwert« mit besonderer Vorliebe her*
ausgreifen, andere wieder, welche meinen, Christus könne sich unmög*
lieh so geäußert haben. Ich zweifle keinen Augenblick, daß er so sprach,
so wenig ich glaube, daß er dabei an unsere heutigen Stickgase, Flatter*
minen und Sprengbomben dachte. Aber ich weiß eine Schlacht, zu der
ich noch als ein Schatten jubelnd hinstürmen würde, tagte er endlich,
der große europäische Bruch mit unseren Trollen, unseren Ab* und
Unterarten und dem Troß der Seelenlosen, deren Triumph das heutige
Chaos besiegelt. Denn eines Tages werden wir es vor uns herjagen,
das Heer der böswilligen Toren wie der Unterworfenen, nicht länger
gewillt, ihre Übermacht zu ertragen. Von langer Hand ist der Rache
vorzuarbeiten, von jetzt ab schon und inmitten der unerhörten Nieder*
läge noch, welche die Kinder des Lichts von den Söhnen der Finsternis
erdulden. Ist das, was sich heute ereignet, etwas anderes als das er*
weiterte Bild desjenigen Krieges, der unablässig auf der Erde wütet,
das Glück der Familien untergräbt und die Häuser niederreißt? Haben
die Knechtischen jemals aufgehört, den Besonnenen zu verfolgen? Ist
je ein Waffenstillstand zwischen ihnen gewesen? Ließen sie je ab, den
Edlen zu bedrängen, auf daß er stürze oder sein Wirken wieder ver*
eitelt werde? Kein Gesetz, nichts auf Erden störte sie je, das goldene
Saitenspiel seines Herzens zu zerschlagen. Wir wissen genug. Wer
brennenden Auges in diese Welt hineinsah, dem ist dieser Krieg kein
Rätsel, noch die Worte desjenigen, dessen Kommen der Engelsruf
verkündete: »Friede den Menschen, die guten Willens sind,« und der
doch gesagt hat: »Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen,
sondern das Schwert.« Die weit verstreuten Menscßen sind heute
überall die Unterlegenen, die ihre Einigung noch nicht festlegten, um
als das auserwählte Volk — furchtbar genug — den Fuß auf den
13
Nacken der Schlechten, der Unentwickelten, der Unterarten zu setzen,
nicht mehr willens, mit ihnen, die nichts so sehr scheuen wie ihre
Namen, die Herrschaft über diesen Planeten zu teilen. Durch alle Na*-
tionen, alle ihre Schichten hindurch ist der »Genius« dieses Krieges,
seinem Charakter entsprechend, der Würgengel der Besten gewesen,
der besten Söhne überall, und der ungeborenen Söhne dieser Söhne.
Fragt einen Arbeitgeber, wo immer Ihr wollt: seine besten Leute
sind es, die er beklagt. Rache für sie, für alle Prediger in der Wüste,
für alle jene Staatsmänner auch, die — hier und drüben — mit reinen
Händen in diesen Krieg gerissen wurden, Rache für sie und ihren
Gram. Ihre Erhebung und ißr Zusammenschluß ist die große Not*
wendigkeit. Man sage mir nicht, daß es unmöglich sei. Ein Ruf dringt
schon durch das Getöse. Wie mit Feuerzungen ist schon die Luft von
den Stimmen der Dichter erfüllt. Inmitten welcher Drangsal, welcher
Todesnot, aus ihren Gräben, ihren Gräbern ach! haben sie nach der
Herrschaft des guten Menschen gerufen.
»Sein ist die Kraft, das Regiment der Sterne.«
Und es gilt nicht von Utopien zu reden. Es gißt keine Utopien.
Er wäre denn nur ein Utopist gewesen, der nicht gekommen ist, den
Frieden zu bringen, sondern das Schwert, und der gesagt hat: »Selig
sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.«
14
JOHANNES R. BECHER:
AN DIE SOLDATEN DER SOZIA-
LISTISCHEN ARMEE
\... Soldaten der Sozialistischen Armee! Brüder und Schwestern! Sol»
daten desGeistes! Soldaten der guten Idee! Soldaten ihr vor der entschei»
denden Schlacht! Euer Tag, euere Stunde beginnt! Nachts wieder Füh»
lung mit dem verfolgenden Feind genommen, stehen unsereVortruppen
bereits im Feuer. Man ist auf beiden Seiten voll Energie, Fleiß und
Umsicht bemüht, heftigst sich zu entwickeln.
Soldaten! Kein Zweifel mehr! Die Situation bezeigt: es geht um
die Entscheidung, nein, nicht um die Existenz einer Nation, nicht um
die einer Rasse noch um die einer Dynastie gar, sondern um die der
Menschheit, um die Hegemonie des blanken Rechtes vor der krassen
Gewalt, um das Reich Gottes. Entweder — oder. Bestimmt, — Freund
oder Feind: die Maske herabgezogen — bekennt euch!
Wie ihr es in den drei vorhergegangenen Wochen dieses Kriegs letzt»
hin meisterlich verstandet, durch kluge und kühnste Manöver ver»
schiedenster, meist überraschender Art: unerhörteste phantastische
Episoden leuchtend bis in die fernste Zukunft hinein... den durch die uns
leider einmal äußerst fatalen politischen Umstände bedingten Nachteil in
unserer Mobilisation auszugleichen / den eigenen Aufmarsch aber, so gut
es sich eben überhaupt noch machen ließ, im Angesicht des Feindes so»
Zusagen zu vollführen: und zwar, ich gestehe es gern, weit über meine
damaligen Berechnungen und Absichten hinaus, wie in selbstlosester
Zusammenarbeit unterschiedslos Führer und Mannschaft, nirgends ge»
schlagen, auf die leichten, äußerlichen Erfolg gerne verzichtend, freudig
und gläubigeinem höheren, nur einem wahrhaft inneren Gesicht erkenn»
baren Zweck untergeordnet.... weiteste und so geliebteste Strecken
heimatlichen Bodens, ja die Hauptstadt selbst dem an Zahl und Zeit
sehr überlegenen Feind räumen mußte/Verwirrung und Verzweiflung
der gescheuchten Bevölkerung durch jene zuversichtlichste, opfer»
15
willigste Haltung sofort behebend; in Sorge, daß die noch Unbewaff-
neten dem allgemeinen Rückzug angefügt, später mit den Aus-
rüstungsgegenständen der Gefallenen oder Gefangenen versehen ....
eine bedeutsame Ergänzung unserer oft schwer dezimierten Kontin-
gente ... .Weib, Kind, Vieh in Sicherheit... wie ihr euch also bisher,
Soldaten der Sozialistischen Armee, im Kleinkrieg, in der Aufklärung,
in Verschleierungstaktiken, Scheinangriffen, List und Überfall, Pa-
trouillenbravourstücken .... kurz hauptsächlich im defensiven Cha-
rakter des Kriegs aufs trefflichste bewährtet und — wie der Idee
würdig, für die ihr euch zu leben und zu sterben entschlösset , so
muß heute die Aufgabe der Schlacht euch gestellt werden: ein posi-
tives Element, nicht einer solchen Schlacht als des mehr oder weniger
bestimmenden Faktors in der Anlage eines umfangreichen Feldzugs,
sondern einer letzten, einer endgültigen, der wesentlichen, der ein-
zigen, der verbindlichen .... wahrlich eine exakte Aufgabe, nur durch
eine natürliche Kombination von Temperament, körperlicher Fähig-
keit, Technik und Moralität lösbar: die unbedingte, nie versagende,
sicherste Probe zugleich für das reine, absolute Maß an Freiheit,
Willen, Verantwortung, Religiosität, Gewissen, Geist, Pflicht und
Vernunft. Eines jeden organischen restlosen Einsatzes für den heiligen
Plan, für alle, für die Menschheit, den Triumph ihrer Ur-Idee: den kla-
ren Frieden, die große Liebe, das weite Glück, die paradiesische Freude.
Meine Sätze an euch werden elend zerbrochen vom Gestampf der
Winde, verschwemmt die euere Gestalt, die meine vom Sturz bren-
nender Dämpfe, Die Fahne des Bluts geschwellt, Riesenschleppe über
die ungeheuere Landschaft hinzüngelnd. Mensch tauchend in Mensch.
Tier beißt durch Tier. Kadavertürme schwälen rings. Entquollen der
Augen ozeanische Märchenblume. Wangen Öde überflort ruinenen
Monds. Straßen nach vorn, auf das Schlachtfeld zu, aufgefüllt: ge-
blähte Schläuche. Kolonnen übereinandergestellt. Hügel flatternd Bat»
terieen empor. Bajonett-Hymnen. Maschinengewehr-Choräle. Kaval-
lerie-Regimenter attackenbereit.
16
Hah—■; aller Welt Energie auf diese Stätte hier zusammenge*
drängt/ gepreßt, gepfercht in diese, die euere Stunde da. Sie die erste,
sie die letzte. Stunde des Jahrhunderte lang, o wie! ersehnten Auf*
bruchs! Stunde der Verheissung. Traumlose, Stunde des Siegs!
Soldaten! Euere Kameraden lassen euch rufen. Ihr seid von Nöten,
Man braucht euch,man erwartet euch.Täter ihr! Bravo: IdeeGewordene!
Brüder wie Schwestern!
So laßt euch bewegen, werdet Schicksal, erhebt euch, entäußert
euch, verklärt euch zur Geschichte, Gestaltet, seid schöpferisch! Ein*
beziehen wir uns, und kein Zweifel: ein jeder wisse zitternd um alle
ebenso intensiv wie um sich .... einbeziehen wir uns: jetzt sofort und
endlich: in den allgemeinsten, den allein heute nur gültigen Verlauf!
Vereinheitlidien, verdeutlichen wir ihn: unterstreichen wir ihn, kneten
wir ihn, spitzen wir ihn immer mehr und mehr auf die absolute, die
göttliche Idee zu! Ja, und legen wir mit unseren Namen, mit den
Regimentsnummern auf den Achselstüdcen auch sämtliche Zufällig*
keiten, Hemmungen, Sonderlichkeiten des Persönlichen ab: uns einzig
und allein nur zu dem ungeheueren Verband bekennend, der uns alle
beschließt, der Parole der Freiheit, der strahlendsten Posaune des
Kommandos: der magischen Kokarde: Studenten, Arbeiter, Mädchen
und Mütter, Kaufmann,Ingenieur: Soldaten derSozialistischen Armee!
Ordnen wir uns, ein für allemal: o herrlichste, ruhmreichste der Taten,
als Bewußte, als Gläubige unter: disziplinieren wir uns willentlich,
En masse: welch ein Wort: welch ein Zauber! Welch ein Zauber!
W eich ein Strömen, welch ein W ort: en masse \... Angliedern wir uns!
Und mit einem, wie ja von euch nicht anders zu erwartenden, un*
widerstehlichen einzigartigen ruchhaften Elan=Stoß nach vorwärts und
durchgetrieben! en avant gesaugt! — euere Phalanx ein einzigerStrahl
von Blitz! — und das Resultat, den Plan des Kriegs im Moment von
Minuten gewendet, gedreht: ins Gewisse, ins Eindeutige bestimmt
-------gesiegt! Beneidenswertestes Geschlecht im Strom deines Bluts
wurzelt der Welt Entscheidung.
2
17
Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit —: ihr erst gestaltet sie,
Bravo, Soldaten der Sozialistischen Armee! Als Sieger begrüße ich
euch, ich salutiere euch, euer Sieg veranschauliche plastisch, bestätige
die göttliche, die heilige, die reine, die mystische Macht euerer Idee,-
die eroberische Wucht euerer Gehirne! Welche eine Ergriffenheit,
welch ein Glaube: er kristallisiert, konzentriert, er magnetisiert euch.
Er formuliert euch. Er bildet eueren Körper zu kolossalen, elastischen,
zu geschliffenen Instrumenten. Katapulte: Obeliske: rasende Mano-
meter! Dynamitischer Rhythmen bespannt er sie!
Außergewöhnliche! Ungemeine! Auserwählte! Und ohne Über-
treibung apostrophiere ich euch: himmlische Armee,Heerschar Gottes!!!
Brüder und Schwestern! Freiwillige. Geschult in schier unentwirr-
baren, labyrinthischen Knäueln der Kerkernächte. Erhärtete in Exil-
jahren. Katakomben-Bewohner. Enorm, jenen ekstatischen Zedern des
Libanon vergleichbar, mitten hinein in die brausenden Früh-Himmel
verstreckt, hängender See/ Gebirgs-Schulter-Riesen,- Akrobaten,-
Todestänzer athletische! Exzentrische sachliche! Ekstatische, heilig
nüchterne! durch alle Pfuhle und Fegfeuer der Erde ebenso hindurch
geläutert wie methodisch trainiert in steter unaufhörlicher, nie enden-
der Frontbereitschaft.
Verschlagen an alle Inseln der Verzweiflung, an alle Küsten der
Knechtschaft verspült. Gehungert: verdorrt, Durstende: ungelöscht,-
auf ewigen Eilmärschen,- Serpentinenfluchten,- Gepäcktürme schwan-
kend hochgestaut/ Gebückte,- zwischen Räderspeichen geklemmt,-
Schaukler/ auf den Kniefedern trabend, weiter geschoben. Brüchiger
Erdhaut innigst verwachsen, Falten Rinnsal, Schluchten Sturz,-über-
sponnen vom tauichten Netz der Gräser,- eins und nochmals eins mit
aller Kreatur, tönendste getreuesteStimme derer, Fels wie des Sumpfes
geheimsteVertraute/ o Astbäume Hängematte infernalischen Urwalds:
fliegender Affen, Leopard-Trubel, Heuschrecken-Regimenter buntest
und melodisch beschwirrt/ gebenedeit verflucht der Brücken Granit-
Wiegen-Bett/ zerstäubt die schlichte anbetungswürdige Lilie der
18
I
Mutter, verfallen grunzendem Väter«Gespenst,- Mädchen«Garten
Fremdling/versagt Kindlein zart schimmernde Aprilfrucfit/ Wüsten
härenem Chlamys bewickelt/ doch nicht zu überglänzen: Pyramiden
und Oasen bestirnt,- zerrauft rasselnder Taifun=Gewitter Ölwald des
Haars/zertrümmert bestialischer Granaten«Explosions« Wochen Stirn
basaltenes Fort/ Wangen holdseliges romantisches Süd«Plateau,
Lippen«Orangerieen,Kaskaden«Terrassen —: geschrumpft, Trümmer,-
zerdrahtete Urwildnis. — Ja euer Leib eine berüchtigte Mordstätte,
Morast«Gruft, Schlächter Platz, verfluchte Gegend,- dichtest Schim«
melodems überwuchert/ Geflock zischt bauschigen Winters/ Herbst«
nebel/ Stich und Kralle,- Ätzung, Schnitt.Aprikosene Früh-Flur
o einst unser aller Leib: zerrissen, ausgefranst der Saum deiner Ge-
stade, versiegt zephirener Atem über das Kornmeer deiner offenen
Länder .... Wehe! Wehe! Schmetternde Katarakte phantastischer
afrikanischer Kupfersonnen beschälten euch: jahraus jahrein. Schrapp
nells Triumphbogen: Gruß euch der Dörfer. Städte Giftkelch. Über«
fall. Hinterhalt. Weh dem Befreier! Erstarrt Tränen der Mütter zu
undurchdringlichen Panzern um das Tabernakel, das Sakrament, die
Hostie der Brust euerer Söhne! Schmiedet Tränen, Mütter! Brand«
Silhouetten ihr grausamen Wächter unserer wahnwitzigsten Träume.
Explosionen Wiegenlied. Erstes Gestammel: Bajonett. O Messer
der Messer! Gasdämpfe kringeln. Schnallt vor die Fratzen. Immer
nur das. Nattern der Tretminen. Also euere Zeit! stemmt euch gegen
die Zeit! Päan gegen die Zeit! so euere Straße.
Und heute: die Stunde der Erfüllung. Anfang der neuen Zeit
Was schwätzen wir! Endliche Stunde!
Lebt wohl, Soldaten: auf Wiedersehen! Ich umarme euch: dich, dich,
dich, dich, dich ..... und mit nichten Bruder soll dir der Helm, ja selbst
im quillendsten Gemetzel, vom Haupte herabbrechen, Helm meiner
seltsam ruhig gefalteten Hände: fest, ein schirmendes Gefäß, unter
einem gleichmäßig sanften Drude über einen jeden von euch gestülpt.
O Volk der Völker! Armee! Armee! Nun da die Reihe an euch ist,
2*
19
vorwärts also! Die Hände einander gedrückt: Aug in Aug, Brust
an Brust: keine Musik verhetzt euch: ein hartes rauschloses Vorwärts
gilt es: ein gehaltenes Tempo....ein jeder für sich: voll und ver®
antwortlich: ohne Phrase.
Divisionen aus Abend® und Morgenländern! Japaner, Chinesen,
Deutsche, Franzosen! Schwesternbrigade Abessiniens/ Asiatische,
Kaukasische. Herbei Amerika, o Mississippi! Turkestan! Delta des
Rheins, Dniepr, Stry! Brich los Himalaya, Täler des Ganges marschiert!
Deine Fanfaren Küste des Nord®Meeres nicht zu vergessen! Lawine
des Orders! Fjord und napoletanische Bai! Australien! Italien! Ka®
nada! Versammelt euch Gewässer des Nils! Thrazien! Theben!
Halikarnaß! Tropfsteinhöhlen Tirols! Walachei IHindostans Legionen,
Ägyptens, Brasiliens, Chiles, zögert nicht! Führer im Streit: Europa!
Europa! Indische Kamele segelnd mit Munition, Haubitzen verladen
auf den Schiffen der Elefanten Siams. KrokodiLBarke. Lappländisches
Renntier, Milchbrunnen, tränke uns!
Sozialistische Armee: Menschheit von Pol zu Pol! Strahlende!
Welch Eine!
Und gestellt gegen dich, deren Wappenbilder: Schaffott-Chimären,
Phantome der Galgen, unzählbares Geschlecht der Erdenreiche Bar®
baren / Orkus®Dämonen! vereinigt jener Henker blitzende Beilfäuste/
düsteres Korps der Ungläubigen, der Frevelhaften, der Vergewaltiger
der Ohnmächtigen, der Niederen, der Armen, der Knechtischen, der
Aussätzigen. Tyrannen aller ihrer Länder, geharnischt zum Kampf!
Alter Feind! Erzener Feind! Verzweifelter, bohrender, zäher! Jahr®
hunderte vor euch ausgerüstet, wunderbar rasend geordnet. Welche
Fabriken: Geschütze über Geschütze gestapelt: zahllose Geschwader
der Dreadnoughts: Fluren aus Messern: Milliarden von Bomben!
OrganisierteMordgewitter! nichts ausgelassen,• phänomenaler Mecha®
nismus. Grausam, methodisch, fürchterlich, wahrlich ein schwerer Feind!
Darum keine Illusionen, Soldaten: Mann gegen Mann, Tod um
Tod, Schritt für Schritt. Aufgeschlossen denn euere inneren Gesichter!
20
Erwacht! Wachst empor! Klirrt hinan, Flügel der Armee! Strafft euch!
Giganten! Unwiderstehbar euch! Zementene! Elastische. hinüber-
troffene! Akzente eueres Jahrhunderts! Soldaten der Sozialistischen
Armee: Fort quille das Signal! Hoch reißt euch! Schon blinkt dort ein
wenig über den Horizont heraufgeblüht der Sternbaum euerer Frei-
heit. Mystisches Urzeichen!
Und schleudert ihn, hetzt ihn, zerrt ihn heraus aus dem jähen un-
versiegbaren Quell euerer Muskeln, darin er sich von Beginn an zuk«
kend schon staut, den gloriosen unvergleichlichen Sieg des heutigen
Tages: unbegrenzter,sdvwellender und sdvwellender,hymnischer Ozean,
Bresche du aller der Bösen strotzender Dämme.
Soldaten der Sozialistischen Armee!
Hört es deutlich: heute im Abend wird das paradiesische Land:
das mütterliche, das schluchzende,- das heilige Land unser aller Ge-
burten erlöst sein.
Ich schwöre es hier: ich verkünde es in euerem Namen, denen die
am Leben bleiben, denen die sterben müssen.
Ja, amen und also.
Soldaten der Sozialistischen Armee!
Der Sieg ist schon im voraus euer. Beweist die lebendige Macht
euerer Idee, die tatsächliche Wucht des Glaubens.
Auf Wiedersehn! Schnellt jauchzend los! Vorwärts!«
21
THEODOR DAUBLER:
DIE GLANZPERLE
Im Halbmond, wenn die Sterne sidi verdiditen,
Der Wasseratem langsam dann verzieht,
Enttaucht ein Kahn, so traumhaft wie ein Lied,
Und scheint die letzten Wellen zu beschwichten.
Ein Seelenpaar, das Herz und Blich belichten,
Das bloß die reinste Einheit gibt und sieht,
Vermag nach allem, was in Glück geschieht,
Den Rhythmus seiner trauten Fahrt zu richten.
Es regt sich da kein Hauch am grauen Meere,
Es hat der Kahn statt Segel einen Traum
Und wiegt ganz spurlos seine Schattenlehre.
Die Liebenden sind blaß und zart wie Schaum,
Ihr Antlitz mild, als ob es nichts begehre:
Du wunderst dich ja nur, und wähnst sie kaum.
22
THEODOR DÄUBLER:
HyMNB AN FRIEDRICH NIETZSCHE
Die Fluren singen ihre frischen Sonnenlieder.
Die letzten Nebel legen sich wie müde Kinder
In tiefen Schluchten, ihren kühlen Pfühlen, nieder,
Und die Briese weht stets wonniger und linder!
Auch Orpheus schöpft nun Mut zu neuen Wanderleiden
Und er vernimmt in sich ein eignes Flügelschlagen.
Er weiß, es muß sich etwas Schweres jetzt entscheiden,
Und er beschließt, sein Werdeweh ans Meer zu tragen.
Ist es ein Lied, so mag es dort erst frei ertönen,
Sich, ungesehn, von allem Zwang und Brauch entkleiden,
Die eigene Gestalt durch Uferhuld verschönen
Und beim Entstehn sich schon an eignen Reizen weiden.
Es soll sidi, als ein schlankes Weib, im Schaume baden,
Im Morgengold, am heitern Weilenspiel erfreuen,
Und dessen Übermut und seine Salzkaskaden
An allzu offenen Gestaden niemals scheuen.
Am Strande aber steht bereits ein andrer Sänger,
Der zusieht, wie sich rings die Wellen überhetzen.
Zuerst hält Orpheus ihn für seinen Doppelgänger,
Denn oft schon sah er sich zugleich an vielen Plätzen.
Doch kann er sidi gar bald vom andern unterscheiden,
Denn während jener heiter und alleine schreitet,
Wird er, der Dichter tiefer, unverwundner Leiden,
Von Tauben und von Rehen, wo er geht, begleitet.
23
Doch sieht er jetzt, es kreist auch über jenem Seher
Hin Adler hoch und herrlich, ohne jemals zu erlahmen.
Wie stolz er fliegt! Er kommt der Erde nimmer näher
Und scheint beinah Planetenbahnen nachzuahmen.
Von seiner Seelenhöhe selbst, beim Flug, getragen,
Läßt er uns fast sein tiefes Wesenrätsel deuten,
Doch niemand wird ihn wohl nach Sein und Herkunft fragen,
Denn es genügt, was selbstverständlich ist, den Leuten.
Das Ungefüge will, daß man es sich erkläre,
Und Du erkennst an stummer Ruhe leicht das Tiefe:
Zwar zischelt und verrät sich uns die Wut der Meere,
Doch tuts der Sturm, und nicht die See, die lieber schliefe!
So wird auch Orpheus jetzt vom andern angesprochen.
Wer weiß, ob seinem Wesen stark danach verlangte,
Wahrscheinlich ist, daß ihm in langen Trauerwochen
Nach einem Wort aus fremdem Munde bangte.
Der Fremde spricht: »Allmächtig ist des Menschen Freude,
Und bloß an ihr kannst Du die eigne Höhe messen,
Drum bleibe unbedacht, frohlocke und vergeude
Das innre Glück, das wir ureinzig nie vergessen.
Die Erde ist ein schönes Weib mit vollen Brüsten
Und unerschöpflich reich an Kraft und holden Reizen,
Und ihre Nacktheit kann nur Lüstlinge entrüsten,
Die ihr Vergnügen stets mit Sittsamkeiten beizen.
Das sind die Wächter alter Staaten, die zerfallen,
Die statt des Glückes nur ihr Greisentum beschützen
Und stets von Nächstenliebe und Gesellschaft lallen,
Als müßte jeder sich auf eine Krücke stützen.
24
Es zwingt Euch überhaupt ein häßliches Verhängnis!
So wie Ihr Euch über Gesetzlichkeit belehrtet,
Ward Euch die Welt zu einem gottlosen Gefängnis,
In dem Ihr Euch als Kerkermeister selbst verehrtet.
Ihr trachtet nun in kluggefügte Weltgebäude
Und Zahlenkreise, was sich widerspricht, zu pressen.
Doch sage ich: Gedanken habt ihr Euch zur Freude
Und nicht, um eitle Möglichkeiten zu ermessen.
Ich hasse Euch, als ein Geschlecht voll Weiberweichheit,
Und überdies zeugt Eure Lebensweisheit Schwächung,
Der Heldensinn versinkt allmählich in der Gleichheit,
Und niemand fühlt die Lust am Wort, an Wertzerbrechung.
Ich war von Anfang an der Menschen Kraftverkünder,
Und jetzt bin ich die stärkste Widerspruchsynthese:
Ich liebe Eure nordlichtüberstrahlten Länder
Und hoffe, daß der Mensch durch seine Lust genese!«
Es blickt nun der Fremdling empor zu den Bergen,
Die Wolken, wie Raubvögel, furchtbar umwittern,
Zu Schluchten, wo Dunsteulen scheu sich verbergen
Und schon vor Gewittern des Tages erzittern.
Dann sieht er zum Meere, das riesige Fäuste,
Die Blitze verkrallen, zum Himmel emporballt,
Dann schweigt er und sammelt die tiefste Gewalt
Als früge er sich, ob kein Zauber ihn täuschte.
Nun ruft er, was längst seine Seele vernommen:
»Höre denn Mensch, Pan ist erwacht!«
Dann sagt er, was nach und nach heimlich erglommen
Und was ihm unendliche Freude gemacht.
25
Er spricht zu den Felsen, er ruft in die Fluren,
Er sagt es der Sonne, die rätselhaft lacht,
Er meldet den Fluten, die längst es erfuhren:
»Höre, o Mensch, Pan ist erwacht!
Die Erde verschlang zwar dereinst ihre Wildnis,
Doch steigt deren lebendes, herrliches Bildnis
Stets auf, aus den Tiefen der menschlichen Nacht.
Höre, o Mensch, Pan ist erwacht!
O Dyonis, feurige, schäumende Seele,
Im Stein, unterm Wasser, auf Träumen der Flur,
Verkünde uns nun Deine Freiheitsbefehle:
Es jauchzt und es grünt unsre Frühlingsnatur!
Du herrliches Kind der gesetzlosen Weite,
Zersetze der Mächte gefügige Reih,
Durchschwärme der Welt urgeschlechtliches Ei,
O komme, Du Gott, der uns oft schon befreite!
Erscheine im glühenden Schweif der Kometen,
Dodi tauch nicht empor als Zerbrecher der Form,
Entsteh unerklärlich, nach göttlicher Norm,
Und beuge den Starrsinn von Sonnenpropheten!
Entreiße den Menschen der Ursprungsbestimmung
Und setze das Glück für die Vorsehung ein:
Dich selbst schafft der Zufall stets wieder allein,
Drum freuen Dich Siege und trotz'ge Ergrimmung,
Durch Dich bloß gelangt holder Leichtsinn zur Macht.
O höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Ich glaube an keine verderblidie Einheit,
Ich hasse die ewig sich gleichende Kraft,
Ich weiß, daß die Regel am Ende erschlafft,
26
Ich mag nicht des Wissens umzirkelte Kleinheit,
Ich setze mir Jupiter ganz auf den Thron
Und lebe sein Wesen, der Sitte zum Hohn,
Ich glaube an Rache, an Willkür und Macht,
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Voll Widerspruch herrschen jetzt Götter und Helden,
Da Leben allein durch die Zwietracht entsteht
Und nur durch die Stürme der Nebel verweht!
So komme denn, Hermes, Du sollst es uns melden,
Wenn Jupiter wieder von schneeigen Spitzen
Herabsteigt, wo Nymphen mit tollen Tritonen
In Grotten und heimlichen Schlupfwinkeln wohnen
Und neckisch die mahnende Gottheit bespritzen.
Schon hascht sich dort Jupiter eine der Nymphen!
Schon trägt er die Zappelnde rasch in den Wald,
Doch macht seine Allgewalt urplötzlich halt,
Die Nymphe entwischt ihm, er sucht in den Sümpfen.
Er findet sie nicht, was wird sich erleben?
Er wütet: o hört, wie die Berge erbeben!
Es fühlen die Felsen des Jupiters Wut,
Die Heerden, die lange in Schluchten geruht,
Die Hütten, die ringsum auf Abhängen kleben,
Verschüttet des Weltherrschers plötzliche Laune,
Denn niemand bemerkte die Rufe der Faune,
Die unheimlich tief in der Wildnis geladit:
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Nun rühren sich manche verkrümmte Giganten,
Denn Jupiters Wut hat sie plötzlich geweckt,
Sie rütteln dabei an den Andern mit Kanten,
Doch bleiben die meisten auch weiter verreckt.
2 7
Schon hoffen che Wachen auf Sieg und auf Rache,
Sie rechen sich auf und gewaltiges Gekrache
Verrät die Empörung der lauernden Riesen,
Die Zeus vom Olymp in die Tiefe gewiesen.
Es klimmen so manche aus Grimm und voll Eifer
Die Höhen, wo Zeus sich verschanzte, hinan,-
Sie schnauben beim Anstürme blutigen Geifer,
lind plötzlich verdunkelt sich Helios' Gespann.
Die Erde kann allerhand Mächte entladen:
Im Meer, wo der Zug wilder Riesen verschnob,
Erwachen auf einmal die Kraterzykladen
Und mancher erblindeter Inselzyklop
Erschaut seiner Feinde zerbrödkelnde Macht:
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Von Schäfchen, den winzigsten Wolken gezogen,
Kommt Juno, die eben ihr Gatte betrogen,
Von weitem herbei, ihre Schande zu rächen:
Die Wolken, die sonst gutes Wetter versprechen,
Beginnen sich plötzlich zu Haufen zu sammeln,
Um Zeus den beschneiten Olymp zu verrammeln.
Erschreckt sieht die Göttin das Unheil, das eben
Ihr Gatte, im Zorne, dort unten bereitet,
Sie fühlt noch die Erde entsetzlich erbeben,
Und merkt, wie ein Riese die Täler durchschreitet.
Sie ist schon mit schrecklichen Zweifeln genaht,
Nun sinnt sie auf Rache für Trug und Verrat/
Sie selber verhüllt sich aus Ärger und Scham,
Sie fühlt es, zu lange verhielt sie den Gram!
Die Dünste der sterbenden Riesen verfauchen,
Und Juno beschließt sie, beim Bau einer Mauer
Zum Schutz ihrer Trauer, vor Zeus, zu gebrauchen.
Doch Jupiter hat diesen Anschlag gewittert:
28
Schon sprengt er mit Blitzen den wuchtigen Wall,
Und Wolken, wie Linnen, vom Sturme zerknittert,
Entwuchten dem Luftbau und donnern beim Fall.
Dabei aber werden die Riesen zertreten,
Die Nebel verschwinden, vom Winde zerstreut,
Die Wolken jedoch, die den Oeta umwehten,
Umstarren die Urkraft, die Ruhe gebeut.
Nun haben die letzten Giganten verschnauft,
Die Stürme läßt Jupiter hurtig entwischen,
Sich selbst aber zeigt er als riesiges Haupt,
Das Blitze wie Adern im Zorne, durchzischen.
Die Herrschaft der Stolzen ist wiedergekommen.
Die Macht der Olympier ist herrlich erglommen.
Sie zeigt ihre heitre und sonnige Pracht:
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Es hat unsre Seele die Freiheit errungen,
Sie lebt ohne Zweifel und sucht keinen Zweck,
Es hält uns kein Wahnwitz mehr grausam umschlungen,
Der Spuk hat für uns keinen weiteren Schreck.
Es sind unsere Götter vergnügt und zufrieden
Sie spenden wie Sterne ihr blühendes Sein.
Wir alle entfalten uns frei und verschieden
Und können uns fremdesten Gottheiten weihn.
Die Eigenart schaffe allein die Belebung:
Die Sondergestalt, die sich selber bewacht,
Behauptet ihr Dasein in dumpfer Umgebung:
Höre drum, Mensch, Pan ist erwacht!
Der Wahnwitz der Gleichheit, in der man verschwindet,
Ward einzig von Feinden des Lebens erdacht.
Das Ich ist die Kraft, die den Tod überwindet:
Höre drum, Mensch, Pan ist erwacht!«
29
THEODOR DAUBLER:
ORPHEUS TOD
»Oh Freunde und Feinde!« ertönt es: »Ich bitte,
Vergebt mir die letzten entscheidenden Schritte,
Es hat sich die Glut, die ich eben verschwendet,
Unfaßbar vom Lieben zum Streiten gewendet.
Schon hör ich den Kampfruf im Walde erschallen:
Maenaden gewinnen und Jünglinge fallen.
Ich sehe wie Leiber die Felsen erklettern
Und kühne Gestalten im Tale zerschmettern.
Verzeihung, Verzeihung, Ihr holden Genossen,
Ich habe das Blut Eurer Unschuld vergossen!
Doch seht auch die Flammen der Liebe aus allen,
Als feurigen Samen, der Erde entwallen!
Bestaunt Euern glühenden Gürtel der Zucht,
Er wühlt Euers Innenlichts ruhige Wucht!
Ich fühle die Kraft, mich in allen zu fühlen,
Es können sich Seelen voll Schauer bespülen,
Wir müssen uns freudig das Erdglück versagen,
Und Wahrheit durdi mutige Taten erwägen!
Es schwellen die Fluten. Es strahlt unser Licht.
Es üben die Gluten im Menschen Gericht!
Oh seht die Tragödie, nach der ich mich sehne:
Es bildet sich rings eine riesige Szene.
Die Berge, die starr in das Wolkenmeer wuchten,
Verhüllen nun langsam auch unsere Schluchten:
Das Schicksal beginnt sich bereits zu drapieren:
Es will nicht sein tiefes Geheimnis verlieren.
Die Tragik trägt nie ihre Nacktheit zur Schau,
Ihr Bildnis erscheint uns in marmornem Grau.
Die Berge beherrschen das Drama der Täler.
30
Sie scheinen mir schreckliche Zukunftsverhehler
Und hüllen sich nun in ein Dunstgewand ein.
Um wortlose Schicksalsbetrachter zu sein!«
Jetzt träumt und besinnt sich der sehende Dichter,
Dann sieht er im Dämmerschein innere Lichter:
Das Wesen der Berge, der Menschen und Dinge,
Erscheint ihm, als ob es sich innig verschlinge.
Es fühlt seine Seele, ums All sich erweitern,
Und Schreckliches kann ihn auf einmal erheitern.
Er greift noch vertiefter ins Gold seiner Saiten
Und singt voller Milde: »Verchwindet, Ihr Zeiten
Entwickelter Wünsche und schneller Affekte,
Die einstens die Urgier des Chaos erweckte,-
Ich fürchte Euch nimmer, Ihr Dunstelefanten,
Ihr Rüsselbeschnüffler von Felsrückenkanten.
Ich trotze den Riesen und Nebelgischtbären,
Es wird sie das Licht meiner Leier verzehren!
Ihr Albatroßscharen im blutigen Meere,
Ihr Tauwindflamingos und Schaum-Eiderheere,
So kommt mir doch näher! Ich will Euch belehren
Und allen die Glut meiner Liebe gewähren!
Ihr Tigergespenster aus sumpfigen Auen,
Erscheint, denn ich will Euer Katzenfell krauen.
Delphine, durchschwimmt unsre geistigen Fluten,
In denen Gesänge, wie Sonnen, verbluten!
Vernehmt es, ihr Sperber und Schwäne, ich sterbe.
Ich sterbe, ich sterbe, ich weiß, ich verderbe!
Ihr Windwölfe heult nicht, ich atme»so schwer:
Es werfen sich Panter, zu Paaren, ins Meer.
O Leier, mein Lied, o beschwöre die Löwen.
Zerreißt mich nicht, weibliche Samtleoparden:
Zurück vor dem flammenverheißenden Barden!
3i
Mein Gott, ich vermag nun mein Lied zu gewahren:
Es glimmt und es strähnt sich zu goldenen Haaren,
Es steigt in die Mähnen von Nordlichtgeschlechtern,
Von geistigen Kempen und Wahrheitsverfechtern.
Es bleicht und es weicht schon die nächtliche Bräune:
Der Lenz meines Liedes erweckt alle Zäune.
Die grünenden Bäume beginnen zu blühen,
Und Kühnheit in Jünglingen hold zu erglühen.
Ich kann meine strahlenden Völker verkünden,
Ihr herrliches Werden im Weltschoß ergründen.
Es steigt unsre Glut, die das Weltall vereinigt
Und Seelen von tierischen Nachtlastern reinigt!
Ein nordlichtgestaltetes, sprühendes Leben,
Ein mündiges Volk mit beflügeltem Streben
Verleiblicht mein brünstig empfundenes Lied,
Und seht doch, schon seh ich wie alles geschieht!
Die Erde verbildlicht sich rings in Gestalten,
Die männlich ihr Wahrheitsgut sehn und verwalten;
Sie scheinen im Rahmen des Tages zu ruhn
Und schon durch ihr Dasein die Erbpflicht zu tun.
Ihr Wesen beflügelt unendliche Taten.
Aus allem erhebt sich ein klares Geraten.
Die Umwelt empfängt ihre geistige Nacht:
Durch sie ist Vollendung und Dauer erwacht!«
Es sinkt nun der Dichter ekstatisch zur Erde
Und küßt sie und ruft: »Jede Wesensgebärde,
Der Weg jedes Tieres, das auflauernd geht,
Der Biß einer Schlange, wird hier zum Gebet!
Ich danke Euch Feinden des menschlichen Leibes
Und sorglosen, dämmrigen Urwaldverbleibes,
Ihr habt uns verdoppelt und höher gebracht,
An Euch aber haben wir gar nichts vollbracht!«
32
Nun sucht eine Geierschar Orpheus die Leier,
Voll Gier, zu entreißen. Der Wesensbefreier
Jedoch hat sich wieder vom Boden erhoben,
Um Freunde und Feinde unsäglich zu loben:
Es schmeicheln sich Tiger vertraulich heran,
Und Pfaue umschwärmen den sehenden Mann.
Nun singt er: »Es haben mich tausend Gewalten,
So Feinde, wie Freunde, im Dasein erhalten,
Es lenkten mich Böse auf fruchtbarer Bahn!«
Da tönt es im Umkreise: »Pan!«
Doch Orpheus singt weiter: »Ihr treuen Helennen,
Ihr sollt Euch das orphische Völkervolk nennen!
Doch ändert sich bald der Geschlechter Gehaben.
Mein Lied aber wird keine Zukunft begraben.
Ich sehe ihm allerhand Fremdlinge nahn.
Der orphische Sang ist ein weltweiser Schwan.«
Da tönt es im Abendwald: »Pan!«
Und Orpheus fährt fort: »Alle späteren Rassen
Beginnen von heute an Wurzel zu fassen,
Was kommen wird, stamme vom orphischen Tage,
An dem ich zu sterben und Ich zu sein wage.
Drum müßt Ihr mich jetzt noch dem Martertod weihn,
Sonst wäret Ihr nimmer vom Vatermord rein.
Denn würde, schon morgen, von orphischen Sprossen
Das Blut meines Leibes, auf Erden, vergossen,
So wäre die Menschheit für immer verflucht,
Und ich habe Unschuld zu hegen versucht!«
3
33
THEODOR DÄUBLER:
ORPHISCHE NACHT
O Nacht, o unendliche, herrliche Nacht,
Bald wird Dir die Mensdiheit Genesung verdanken!
Du fügst ja, was stürmisdi vom Lichte entfacht,
Ursprünglich, lebendig, auf Erden erwacht,
Allmächtig, allmählich, in zwingende Schranken!
Du willst alle Stürme des Tages entladen.
Du suchst Deine Ruhe in ewigen Kreisen.
Du singst Deiner Schönheit unendliche Weisen,
Um stumm Deine stille Vollendung zu preisen.
Es diditet der Sänger: »Ihr mögt mich zerreißen.
Es siege die selig erhabene Nacht:
Ich habe den Menschen ein Machtwort gebracht.
Nun sollen es andere rauschend verheißen:
Schmerzstillende Mutter, am Ende der Schlacht,
O Nacht, wiederringsumgestirnte Nacht,
Ich kann Dir allein mein Geheimnis beklagen,
Wer Bacchus ist, Dir, die es ahnen muß, sagen,
Denn Er ist so alt wie Du selber, o Nacht:
Und wo Deine Jugend im Urwalde lacht,
Ist Bacchus in Sternen und Blumen erwacht.
Er ist ja die Schönheit und Reinheit der Dinge,
Der Schmelz alles Frischen, die Würde des Alten,
Der Ewigkeit alles durchdringendes Walten:
O laß, daß ich Bacchus, erbleichend, besinge!
O Dionys, Liebe des Mannes und Weibes,
Gynandrische Sehnsucht der beiden Geschlechter,
Enthüllung der Weiche des weiblichen Leibes,
Geschickeverflechter und Freund von Gelächter,
Erfüllung der Reize erblühter Epheben,
34
Asketenverächter und Traumpalastwächter,
Du Wiedergeburt und Du ewiges Leben.
O, lasse mich jetzt durch Dein Seelenreich schweben
O goldener Gott, große Sonnenerscheinung,
Du endliche Streiter- und Heldenverneinung,
Du männliche Wärme, Du Erdenentsprießen,
Ich konnte Dich lange als Wandrer genießen,
Nun schiebe den Tau, Deinen himmlischen Regen!
Eröffne die Erde. Ich forsche nach Wegen
Zum Reich des Empfangens und Wonneverlangens
Es will sich der Wandrer zu Wartenden legen!«
3*
35
JEAN ARTHUR RIMBAUD:
DIE RABEN
Mein Gott, wenn die Felder ganz kalt sind,
Der Wald sich in Nebel vermummt,
Das Ave=Maria verstummt,
Und die Natur nackt steht im Wind,
Dann laß deine Raben erglänzen,
Damit sie den Acker bekränzen.
Seltsame Schwärme mit eisernem Schrei,
Es greift euch der Eiswind ins Nest.
Oh ihr, an dicke Wolken gepreßt,
An Kreuzbergen, Schlammflüssen vorbei,
Versammelt, zerstreut euch, an Gräben:
Aus Löchern euch rasch zu erheben.
Du, über Frankreich, Tausendgezänk,
Noch modern die Toten im Schacht,
Durchflattre, vertanz dich bei Nacht,
Daß wer da vorbeigeht, dran denk7!
O Vogel, so schwarz wie das Sterben,
Zur Pflicht ruf uns auf, über Scherben.
Auf Eichen, ihr Heikgen im Laub.
Zu Abend verlorener Mast,
So laßt, Frühlingssänger, so laßt
Sie Armen im irdischen Raub,-
Wer kann sie vom Grase erheben,
Sie werden dort immer noch leben.
Deutsch von Theodor Däußfer
36
ALDO PALAZZESCHI:
HABEL
Habel Nassab, du bist scbön mit deinen losen,
Riesigweiten blauen Pluderhosen.
Er ist mein Getreuer, mein Einziger,
Mein lieber Gefährte und Wächter.
Der Einzige, für den alle Türen
Offen stehn.
Er folgt mir, doch höre ich nie seine Schritte.
Wie ein Gedanke schwebt er dahin.
Wie ein freundlicher Gedanke
Hält er überall Umschau.
Ich schlummre, und er
Bewacht mich, zu Füßen des Bettes.
Nur selten schläft er ein Stündchen.
Heiter sieht er mich an:
Kein Wink, keine Silbe ist nötig!
Habel bleibt da.
Im Augenblick sag ich ihm alles.
Sagt er mir alles.
Ich bete.
Ich kniee vor meinem Altar:
Ergriffen sieht er mich an.
Wende ich still meinen Blick hinweg,
So schaudert ein Leuchten des Blitzes
Auf Auge und Antlitz von Habel
Behutsam mit Herztränen sichtbar hervor.
Die Tränen krümmen sich klar,
Beinah zu einer zerblendenden Linse,
In der das gewaltigste Flackern erbrennt:
3 7
Ich schaue verwundert den reichsten Orient.
Mein Habel, mein Habel, dein Auge!
Das goldgrüne Herzklopfen heiliger Wässer,
Ein himmlisches Wunderblau über den Meeren,
Die blonde Verwelktheit der Wüste,
Das gelbe, ergebnislos gelbe
Und schreckliche Flackern von hilflosen Blicken,
Im Bann der geheimen und starren Unendlichkeit
Hie und da schickt er sich feierlich an,
Zum Gotte der Seinen zu beten.
<Ich habe doch auch meinen Eignen.)
Zuweilen! . . . Zuweilen . . .
Erwittert mich Ruhe:
Sie kommt mir vom Herzen,
Zuweilen . . . zuweilen jedoch
Überkommt es mich plötzlich,
Als dürft7 ich mich nimmermehr fassen.
Da brennen die Tränen, beherrschen den Blick:
Was schnürt so gewaltsam die Gurgel?
Da fühle ich Pein. Die Pein überm Herzen.
Die Pein überm Hals.
Dahin ist die Fassung,
Das mächtige Schreien bezwingt mich:
Ich schreie. Ich schreie:
Will fortgehn, will fort in die Ferne,-
Will weg aus dem schrecklichen Leben.
Macht auf: so öffnet das modrige Tor:
Denn ich fliehe!
Hinaus in die Welt. Hinaus in das Leben:
Will Mann sein, Geliebter und Krieger.
Will fort in die Ferne. Die freudige Ferne!
Da blickt er mich an.
38
r
Tränen treten hervor,
Traurig im Auge des Treuen.
Sie krümmen sich klar:
Sind fast eine blendende Linse,
In der das gewaltigste Flackern erbrennt:
Idi schaue verwundert den reichsten Orient.
Nicht weinen, mein Habel,
Die Ruhe kommt wieder.
Du weißt ja, ich bleibe. Ich bleibe!
Da fallen die Arme
Und schlaffen auf einmal
Am Leibe von Habel herab.
Dann treten die Blicke zurück in den Schlummer,
Ich sehe die Tränen im Antlitze Habels:
Jetzt glitzern sie zwischen die Wimpern hinüber.
Ich bleibe, ich bleibe!
Das Antlitz von Habel
Besänftigt die Seele, durchseligt die Seele.
Habel Nassab, du bist schön mit deinen losen,
Riesigweiten blauen Pluderhosen.
Deutsch von Theodor DäuSfer
39
JOSE-MARIA DE HEREDIA:
FLUCHT VON KENTAUERN
I
Sie fliehen, berauscht durch den Aufruhr und Rauh,
Den Schlupfwinkeln zu über ragenden Kamm,
Sie stürzen hinauf vor dem Tod in der Klamm
Und wittern des Löwen Geruch durch den Staub.
Der Stier in der Pfütze, die Hydra im Laub
Entsetzen sie plötzlich: kein Gießbach, kein Damm
Versprengt ihren Zug, sie hetzen im Schlamm
Zum öta, Olymp, immer blinder und taub.
Auf einmal verkriecht sich ein Flüchtling vom Trupp.
Er blicht sich. Vereinsamt rundum! Und im Satz
Erreicht er der Brüder hinflatternden Schwarm.
Es hatte der Mond ihn erspäht im Gekupp.
Da zuckte ein Schrecken hinein in die Hatz:
Der riesige Schatten von Herakles7 Arm.
Deutsch von Theodor Däußfer
\
40
RICHARD HUELSENBECK:
PHANTASIE
Der dicke Kopf blüht auf in Regenbogenfarben ~
von Negern schrillt es wütend durch die Nächte,-
es fahren Wagen schreiend mit den Flammengarben
auf sanften Brücken und zergleiten dampfend.
Das Hochgericht speit seinen Aasduft wilder,
so Trommeln quiken über Land und Stadt.
Aus unseren Ohren johlen die verruchten Bilder
als Schemen tanzend, schöngewellt und matt.
Im Schlafrock gröhlt der alte Oberpriester
und zeigt der Schenkel volle Tostatur.
Aus Menagerien knattern scheugewordene Biester.
Der Zeylonlöwe hebt die Hand zum Schwur.
So hingeschlagen auf den fetten Tischen,
wo Ölstrom läuft, rührt uns der tote Mann.
Sein Hirn ist Glas, sein Bein zischt aus den Nischen —
ein Papagei zieht sich die schönen Hosen an.
Er träumt vom Strand, wo in Mangrovebäumen
der Affe purzellt und die Seekuh bellt.
Ein Stern hat glotzend unsere Nacht erhellt
aus der die Meere wie Champagner schäumen.
Es riß der Strick am Leib der Äquatoren!
Ein Heer von Professoren wankend brach
wie tausend Häuser einem Weibe nach,
der Schweiß steht kichernd auf entseelten Poren.
4i
WALT WITHMAN:
AUS DEM ZYKLUS:
AUSGEHEND VON PAUMANOK
Als ich in Alabama meinen Morgengang machte,
Sah ich, wie das Weibchen des Spötters auf seinem Nest im
Dornstrauch auf seiner Brut saß.
Ich sah auch das Männchen,
Ich blieb stehn, um es ganz nahe zu hören, wie es die Kehle
blähte und fröhlich sang.
Und als ich so stand, kam es mir, daß, warum er wirklich sang,
nicht dort allein zu finden war,
Nicht bloß für sein Weibchen oder für sich und nicht für alles,
was das Echo zurückrief,
Sondern zart, verborgen, weither von drüben,
Ererbtes Gebot und heimliche Schenkung den Neugebornen.
Deutsch von Gustav Landauer
42
GUSTAV LANDAUER:
WALT WHITMAN
Die Gestalt des Dichters Walt Whitman und alles was er geschrieben
hat, mutet an, als ob Amerika, die Vereinigten Staaten, aufdieGoethe*
worte: »Amerika, du hast es besser, Als unser Kontinent, der alte,-
Hast keine verfallenen Schlösser, Und keine Basalte!« ein lautes:
Ja, ja, ja, so ist es! hätten über die See herüberrufen wollen. Hat doch
Whitman selbst oft genug von sämtlichen Dichtern der Veruneinigten
Staaten Europas, übrigens in Worten größten Respektes gesagt, daß
sie derVergangenheit und dem Zeitalter des Feudalismus angehören,
mit Ausnahme des einen Goethe, der seine besondere Stellung da*
durch hat, daß er ein König ohne Land, ein Dichter ohne Nation ist.
Amerika aber ist für Walt Whitman das Reich der Zukunft, der noch
nicht fertigen, sondern erst zusammenwachsenden, anschließenden
Volksgemeinschaft.
Es wäre nüchterne Kleinlichkeit, vielleicht auch so etwas wie poli*
tische Eifersucht, wollte man dem Dichter einwenden, solcher Stand*
punkt zeuge doch von gefährlichem, übertriebenem Hochmut. Denn
um Whitmans Selbstgefühl, das er von sich und seinem Volke hat,
zu verstehen, muß man die Art Politik beiseite lassen/ die wohnt etliche
Stockwerke tiefer als solche Kulturbetrachtung aus der Höhe der
wollenden Dichterphantasie. Whitman hat — wiewohl er es nicht
gerade so ausdrückt — von seinem Volke das Gefühl, daß es ein
neuer Beginn ist/ frische, aus Völkermischung entstandene Barbaren,
die einen Abschnitt in die Geschichte bringen. Man denke daran, wie
die Germanen, schon zu den Zeiten des Arminius, der sogar seinen
Namen von der römischen gens Arminia genommen hat — wie hieß
er in Wahrheit? Gewiß nicht Hermann, aber vielleicht Sigfrid? wie
diese Germanen vielfach vertraut waren mit der großen griechisch*
römischen Kultur, und wie sie doch, zumal als der neue Mythos, das
Christentum, über sie gekommen war, mit einer ganz neuen, primi*
43
tiver scheinenden Kultur anheben mußten. So sind fürWhitman, der
in sich selbst die große, wilde, durch keinerlei Konvention gebrochene
Natur fühlt, die Amerikaner ein eben erst werdendes neues Volk,
Barbaren und Beginnende: und den neuen, großen Glauben, die neue
Kunst, die allem großen Volke vorleuchten muß, will er selbst ihnen
schaffen helfen. Sein Selbstgefühl ist viel mehr ein Gefühl seines Volks
als seiner selbst/ man darf sich durch das mystische »Myself« <Ich>
seiner Verse nicht irre machen lassen/ er hat es ganz klar empfunden
und gesagt, daß er nur ein erster, kleiner Beginn ist, ein früher Vor*
läufer eines amerikanisch=perikleischen Zeitalters. Und er hat überdies
immer gemeint, daß Amerika nur den besonderen Beruf hat, ein paar
Schritte voraus zu sein / daß aber alle Völker der Erde den nämlichen
Weg gehen werden.
Welchen Weg? Er sagt ihn uns in seinen »Trommelschlägen«, die
er während des Krieges ertönen ließ:
Seid nicßt verzagt, Empfindung wird den Weg zur Treifeit euch
Bafmen jetztj
Die sicß fieBen unter einander, soden die UnBesiegficBen werden.
. .. DacBtet iBr, Advokaten scBüfen eucB den Zusammenßait ?
Oder Verträge auf einem Papier? oder die Waffen?
Nein fürwaßr, so ist weder die Weit nocB irgendein feBendes Ding
zusammengewacBsen.
Seine »Demokratie« ist ein freies Volk tätiger Menschen, die alle
Hemmnisse des Kastengeistes hinter sich gelassen, alle Gespinste
überjährterVergangenheit durchbrochen haben/ jeder auf seiner Scholle
oder in seinem Handwerk, an seiner Maschine, ein Mann für sich
selbst. Whitman vereint gleich Proudhon, mit dem er in vielem geistig
verbunden ist, konservativen und revolutionären Geist, Individualist
mus und Sozialismus. Die Liebe aber zwischen den Menschen, die
noch notwendig dazu kommen muß, ist nach seiner Lehre, für sein
Künstlergefühl,keine vage,im allgemeinen verschwimmende Menschen*
liebe/ sie soll vielmehr, wie die Liebe, die die Familie gegründet hat,
vom Geiste der Ausschließlichkeit beseelt sein, sie soll bestimmte
44
Menschen, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen und natürlich
auch Männer mit Frauen zu neuen sozialen Gruppen zusammen-
schließen. Das ist der Zusammenhang, in dem die Kameradschaft, der
Whitmans schönste und innigste Gedichte gelten, mit all seinen
Träumen von neuen Lebens- und Volksgestalten steht. Es ist ver-
gebli Aes Bemühen modischer Pseudowissenschaft, in diesen Kamerad-
schaftsgefühlen irgend etwas Perverses oder Pathologisches oder gar
Degeneriertes finden zu wollen. Wir müssen wieder lernen, daß starke
Männer und starke Zeiten sentimental sind/ und daß schwächliche
Zeiten und Generationen es sind, die sich scheuen, sich rückhaltlos
und inbrünstig ihren Gefühlen, für das geliebteWeib, oder den innig
geliebten Freund, oder das Meer und die Landschaft und das Weltall
hinzugeben. Whitman war diese kosmische Liebe und dieser Über-
schwang des Gefühls zu eigen/ und nur aus diesem Chaos und Ab-
grund der Innigkeit kann, so ist sein Glaube, sein neues Volk erstehen.
Auch hier, ohne daß er je auf Parallelen aus ist oder nur an sie denkt,
deutliche Anklänge an die Geisteswelt des Künstlervolkes, der
Griechen, und an ihre gesellschaftlichen Einrichtungen und Gewöh-
nungen. Eine besondere Richtung des Empfindens hat Whitman
gehabt/ daraus auf eine besondere Veranlagung seiner Natur zu
schließen, sei solchen überlassen, die sich auf einer Zwischenstufe der
WissensAaftliAkeit befinden.
Der besonderen Natur jeder gestaltenden Phantasie entspricht es,
daß in allem Gefühl und in jedem Geformten die Erotik lebt. Hätte
Whitman so wie Faust das Evangelium Johannis zu übersetzen
unternommen, sein erster Satz hätte wohl lauten müssen: »Im Anfang
war das Gefühl.« Er betont das Gefühl und damit die Poesie als den
Anfang alles Lebens und alles Volkes aber auch ganz bewußt, weil
er weiß, von welcher Seite her den Amerikanern die Gefahr droht:
»Was der amerikanischen Bevölkerung am gefährliAsten ist,« sagt
er, »das ist ein Übermaß von Wohlstand, »GesAäft«, WeltliAkeit,
Materialismus/ was am meisten fehlt, . , , das ist ein warmes und
45
glühendes Volksgefühl, das alle Teile zu einem Ganzen vereinigen
würde. Wer anders als eine Schar erhabenster Dichter kann jene
Gefahr in Zukunft abwehren, diesen Mangel ausfüllen?« Nur ein
großes Volk, meint er, kann große Dichter haben/ aber vorher muß
die Poesie es sein, die das große Volk gestaltet, »künstlerischen
Charakter, Geistigkeit und Würde« ihm verleiht.
Der Dichter also, der Walt Whitman in seinem Gefühl von sich
selbst und seiner Aufgabe sein will, ist Priester, Prophet, Schöpfer,
Daß er außerordentliche Gewalt auf sein Volk und die geistige Macht
seines Volkes — und derer, die in fremden Völkern als einzelne zu
seinem Volk gehören —- ausgeübt hat und weiter übt, ist sicher. Wie
die Geschichte weiter geht, ob sein kühnstes Verkünden so Wirklich^
keit wird, wie Phantasie und Wollen sich irgend erfüllen können, indem
sie eine Wirklichkeit, die nicht genau gerade so aussieht, nämlich
schaffen helfen, das kann keiner heute sagen. Aber das ist gewiß, daß
er Amerikas größter Dichter und ein innig starker Lyriker für uns
alle ist/ und daß er der Lyrik eine neue Form und ein ungeheures
neues Stoffgebiet — alle Tatsächlichkeiten der körperlichen und geistigen
Welt — gegeben hat.
Icf)glau Be, ein Gras Bahn istnicBts Geringres, afs das Tag wer6 derSterne.
In diesem Sinne hat er sein erstes Gedichtbuch <1855) »Grashalme«
genannt und hat dann im Lauf von mehr als dreißig Jahren sein ganzes
dichterisches Werk in immer neuen Ausgaben in dieses Buch, sein
Buch, das er selbst ist, eingefügt.
Whitman, geboren am 31. Mai 1819 als Sohn eines Zimmermanns
und Hausbauers im Staate New York, hat einen typisch ameri-
kanischen Lebenslauf gehabt, bis recht spät der Dichter aus ihm heraus^
brach: er besuchte die Volksschule, war eine Art Laufbursche erst
bei einem Rechtsanwalt, dann einem Arzt, wurde Setzerlehrling und,
im Alter von neunzehn Jahren, Dorfschullehrer. Dann gründet er
ein Wochenblatt, reist als Setzer und Journalist vielfach im Lande
hin und her und wird schließlich Zimmermann wie sein Vater in
46
Brooklyn. Vorher hatte er vielerlei Aufsätze, auch kleine und größere
Novellen veröffentlicht. Während er Zimmermann war — aber
nicht gerade durch die körperliche Arbeit, sondern durch die Muße,-
man beklagte sich wohl in der Familie über sein vieles Spazierengehen
und Herumliegen — kam das Neue über ihn: auf einmal und zu»
gleich der neue Geist, die neue Form, und mit dem Unendlichkeits*
gefühl auch der Unendlichkeitsstoff. Später, während des Krieges, ist
er drei Jahre lang freiwilliger Krankenpfleger, wobei er den Kranken
durch sein Geplauder und durch sein teilnahmsvolles schweigendes
Bei*ihnen*Sitzen, durch seine Liebe und die suggestive Kraft seiner
Person — alle seine Bilder zeigen, daß die Innigkeit, die Versunkenheit
und die Mitteilsamkeit seines Wesens sich auch in seiner Leiblichkeit
gestaltet hatte — am meisten Gutes tat. Eine Zeitlang bekleidete er
dann einen untergeordneten Posten in einem Ministerium, wobei er
der Maßreglung um seiner Gedichte willen nicht entging,- 1873 erlitt
er den ersten Schlaganfall, war aber noch lange in starker geistiger
Kraft tätig/ lebte von den Erträgnissen seiner Schriften und Unter*
Stützungen des Kreises, der sich mehr und mehr an ihn schloß/ in
Camden, New Jersey, ist er am 26. März 1892 gestorben.
Im Alter von über dreißig Jahren also ist Whitman zu seiner Dichter*
kraft gekommen,-was er vorher geschrieben, hat kaum eine Beziehung
zu dem Wesen, das nun herauskam. Einer, der langsam reift und über
den es dann noch mit vehementer Plötzlidikeit kommt, ist er. Das
Vorwort, das er 1855 seinem Budie mitgab, vereinigt die Reife des
Manns, der wie eingewachsen auf seinem Platze steht, mit der blut*
jungen Hingerissenheit des Beginnenden. »Der reichste Mann ist der,
der aller Pracht, die er sieht, Gleichartiges aus dem größeren Vorrat
seines eigenen Selbst entgegenstellt.« Das ist seine erste Entdeckung,
zu der erst später Einflüsse von Fichte und Hegel gekommen sind,
während, wie Bertz in einem übrigens ungenießbaren Buch richtig zeigt,
Emerson schon damals eingewirkt hat: daß der Mensch in seinem Ich,
in seiner Geistigkeit die ganzeWelt trägt,- daß die Welt nur eine
47
unendliche Fülle von Mikrokosmen ist, eine Pluralität und Unzählig*
keit von »Identitäten«, von selbstbewußten Kreuzungspunkten der
Weltenströme. Was er also den Amerikanern als Religion des Geist*
und Universalgefühls bringt, ist eine neue Form der ewigen Lehre
der Philosophen und Mystiker von Indien über die christliche Mystik
zu den Magikern der Renaissancezeit und weiter über Berkeley und
Fichte bis in unsere Tage: der heute sogenannte Monismus dagegen
hat nur schwache Ähnlichkeit mit dieser Erkenntnis. Am meisten Ver*
wandtschaft hat Whitmans Lehre noch mit dem nickt entsagungsvollen,
sondern freudig dem vollen Leben zugewandten magischen Pantheis*
mus, wie er sich in der Renaissance von Nicolaus Cusanus her bei
Paracelsus, Agrippa von Nettesheim und ähnlichen Geistern gebildet
hatte. Der viele Aberglaube bei diesen darf unsere Vergleichung nicht
stören,- das war ihre gerade erst von ihnen geschaffene Natur»wissen*
Schaft«, wie Whitman in unserer Naturwissenschaft« und Technik
schwelgt. Ja, sogar in der Form findet man bei jenen Magiern der
Renaissance ~dieWhitman kaum gekannt haben wird-'Verwandtes,-
so hat Agrippa von Nettesheim ein gewaltiges Motto zu seinem Buch
»Von der Eitelkeit der Wissenschaften«1, das nadi Geist und Form
völligwhitmanisch ist. Ich führe es hier an:
Unter Göttern Böeißt deiner ungezaust von.Momus.
Unter Heroen jagt nacß jedweden Ungeßeuern Herdufes,
Unter Dämonen wütet derKönig der Unterweft Pfutongegen affe Sdsatten.
Unter Pßidosopßen fadst üßer ades Demodritus.
Dagegen weint üßer das Ganze Heradfitus.
Nicßts weiß von gar nicßts Pgrrßon.
Und ades zu wissen dündt sicß Aristotefes.
Verädter des Ganzen ist Diogenes.
Von ad dem nicßts feßft Bier Agrippa. (Whitmans Myself, Ich.)
Veracßtet, weiß, weiß nicßt, weint, facßt, wütet, jagt, zaust ades.
Sefßst Pßifosopß, Dämon, Heros, Gott und die ganze Weft.
1 In zwei Bänden bei Georg Müller, München deutsch erschienen, von Fritz
Mauthner neu herausgegeben.
48
Aber auch mit uralten indischen Gedichten berührt sich Whitman
aufs engste, die ja durchaus nicht alle mit dem Gefühl, daß das Ich
eine Weltidentität sei, den Pessimismus oder die Weltflucht verbanden/
wie man denn in Amerika gleich sagte, diese Gedichte Whitmans
seien wie ein Konglomerat aus der »Bhagavad®Gita« und dem »New
York Herald«. Das war sehr witzig, aber sehr falsch, denn die »Bhaga®
vad®Gita« enthält das, was man da den »NewYork Herald« nennt,
nämlich die kataloghafte Aufzählung der konkreten Tatsächlichkeiten
der ganzen Welt, schon völlig selbst in sich, und die Dinge, die das
indische Gedicht aufzählt, um ein Bild von der unendlichen Mannig®
faltigkeit zu geben, -waren einmal ebenso modern, wie die Welt der
Technik, der Natur und Kultur, die Whitman in seine Gedichte auf®
nimmt.
Nichts drängt sich beim Lesen dieser Gedichte so auf, wie das
Gefühl der Unmittelbarkeit, der gänzlichen Abwesenheit der litera®
rischen Reminiszenz oder irgendwelchen Alexandrinismus. Obwohl
Whitman viel gelesen hat, war er doch gar kein Leser und Zusammen®
leser, nahm nur das in sich auf, was schon vorher in ihm war. Darum
ist es so überaus wahr, was er in seinen »Grashalmen« dem Leser
als Abschiedswort sagt:
Camerado, dies ist kein Budo;
Wer dies Berührt Berührt einen Menschen . . .
Wie jeder echte Künstler hat auch Whitman die volle Bewußtheit
seines Schaffens, und das Beste, was ästhetisch®kritisch über ihn zu
sagen ist, sagt er uns selbst. Das Bezeichnende an seiner Poesie ist
ihre »Suggestiveness«,- ihre Suggestivkraft, in der er, wie ein Dirigent
eines Orchesters nicht fürs Ohr, sondern fürs Auge, immer neues
Gestaltengewoge vor uns hinschweben läßt, uns die »Atmosphäre des
Themas oder Gedankens« gibt, in der dann unser eigenes Erleben
weiter dahinfliegt. Es ist ein Dichter von ganz ungemeiner Sinnlich®
keit und Gegenständlichkeit,- er scheint nur mit den Sinnen gedacht
zu haben/ auch seine ganz im inneren Erlebnis versunkenen Abstrak®
4 49
L
tionen bewahren diesen konkreten Charakter. Auch wenn er das
Unsagbare sagen will, und wenn er sagen, fast stammeln will, daß es
unsäglich ist, schreit er wie aus tiefster Besinnung zum Beginn des
Gedichts etwa auf:
Das da ist in mir - ich weiß nicht, was es ist - doch i<d) weiß, es ist in mir
und schafft uns dadurch sofort die Stimmung des leibhaftigen Erlebens.
Daß übrigens die konkrete Aufzählung einzelner Wirklichkeiten,
die zu einem Ganzen gehören, selbst ohne Ausdruck der Empfindung
des Miterlebenden, wenn die angeführten Tatsächlichkeiten nur von
starker Sinnfälligkeit erfüllt sind, wie ein Gedicht wirken kann, möchte
ich an einem Beispiel zeigen, mit dem ich schon ab und zu Freunde
hineingelegt habe. Wie mancher möchte das folgende für ein Gedicht
Whitmans halten, das etwa den Titel »Nacht im Feldlager« führen
könnte:
Werda! der Schifdwache vorm Zeft.
Werda! der Infanterieposten.
Werda ! wenn die Runde kam.
Hin” und Wiedergehen der Schifdwache.
Geklapper des Säbels auf dem Sporn.
Beden der Hunde fern.
Knurren der Hunde nabe.
Kräben der Häbne.
Scharren der Pferde.
Schnauben der Pferde.
Häckerfingscbneiden.
Singen, Diskurrieren und Zanken der Leute.
Kanonendonner.
Brüden des Rindviehs.
Schreien der MauCesef.
So, in scheinbare Verse abgeteilt findet sich das bei Goethe. Sind aber
keine Verse, sondern ein Versuch, bei Gelegenheit der Belagerung
von Mainz, »die mannigfaltigen fern und nah erregten Töne« »genau
zu unterscheiden« und aufzuzeichnen. Ich kenne manches »impres*
sionistische« »Gedicht« manches Modernen, das schlechter ist als
dieser Tönekatalog Goethes.
50
Daher, daß sefn poetisches Empfinden, sein rhythmisches Verklären
und sein Wahrnehmen immer bei einander sind, daher kommt es, daß
es nichts in der Welt gibt, was sich unter Whitmans Hand nicht zu
Dichterischem wandelt, daß er auch ganz und gar nicht auf die lite-
rarisch überlieferte Mustertafel der Gleichnisse angewiesen ist, sondern
ihm in einer wahrhaft homerischen Fülle Neues und Ungewohntes
zum Bilde wird. Ist aber dieses Beisammenwohnen des Sehens und
des Empfindens, des Denkens mit allen Gegenständen derWelt nicht
dasselbe, was er aus den Menschen herauf holen will: Liebe?
Denn wer hundert Meter ohne Ließe wände ft, der wände ft in seinem
Totenhemd mit seinem eignen Begräbnis.
Die Form Whitmans, die so wenig improvisierte Begeisterungsrede
ist, wie ein impressionistisches Bild, das den Eindruck der Augen-
blicklichkeit schafft, mit ein paar Pinselhieben hingeworfen wird, ist
ein streng rhythmisches Gefüge, das aber nur das Gesetz des Tempos
anerkennt, im übrigen sich durch keine Traditionen der Poetik binden
läßt. Das Chaotische und Massenhafte, das nicht objektiv gebändigt
dargestellt werden sollte, sondern in aller Gegenständlichkeit immer
ein Erleben der Empfindung, ein Ausfluß der Subjektivität ist, hat
zu dieser Form geführt, die wie ein gewaltig fortreißendes Heraus-
sprechen und Herausbrechen aus einem Erleben wirkt, das mehr als
ein schmales, isoliertes Menschen-Ich ist, das vielmehr alles, was
draußen vorgefunden wird, aus der eigenen Universalität herausgeholt
zu haben scheint.
Eines Tages, in der Zeit, als er die Kriegsverwundeten pflegte,
schrieb Whitman in sein Tagebuch: »Es ist seltsam: solange ich bei
den entsetzlichsten Szenen zugegen bin, Sterben, Operationen, ekel-
haften Wunden (vielleicht voller Maden) bleibe ich ruhig und fest und
energisch, wenn auch mein Mitgefühl sehr erregt ist/ aber oft, stunden-
lang nachher, vielleicht wenn ich zu Hause bin oder allein spazieren
gehe, wird es mir schlecht und zittere ich tatsächlich, wenn ich mich an
den bestimmten Fall wieder erinnere.« Das hat er nur so aufge-
4*
51
schrieben, um die Tatsache zu verzeichnen/ es ist ihm nichts dabei
eingefallen, was die Tatsache zum Sinnbild gemacht hätte. Aber es
kann einem dabei seine ganze Natur und die ganze und besondere
Größe seines Dichtertums aufgehen. Denn daß die Erlebnisse, wenn
sie schon vorbei sind, auf einmal mit verstärkter Wucht wiederkehren,
daß die Erinnerungen mit der vollen Kraft des Erlebens auf ihn ein«
stürmen, das ist ein Zeichen seiner manchmal bis ins Visionäre gestei«
gerten Phantasie, ebenso wie sein Verhalten in der Mitte des Gescheh«
nisses von seiner unverbrüchlichen Sachlichkeit, seiner geborenen
Tapferkeit, seiner beherrschten Menschenliebe Kunde gibt.
52
MyNONA:
KRIEG, SAGTE DER IRRSINNIGE, KRIEG
IST UNMÖGLICH - IST EWIG UNMÖGLICH
Der silberne Bediente mit der Quatschnase wies mich in den hellen
Korridor, Es war ein so schöner Mann, der dort stand und mir lustig
zuwinkte. Wir gingen in einen mit bunten Bildern reichlich ausge*
schmückten Saal und setzten uns an einen massiven Tisch, Der Herr
war der Direktor der Irrenanstalt Idiotenruh. Ich sah ihn freundlich an
und fragte sofort nach Professor Hastenpiep.
Der, lachte der Direktor, es ist unglaublich! Unheilbar, aber sehr
komisch und harmlos. Der gute Mann, nicht wahr, Verfasser eines
famosen Buches über den Weltkrieg. Er nannte den Krieg heilig, ein
wahres Gottesgericht. Er brachte ihn mit der christlichen Konfession
in Einklang. Sie wissen ja, Hastenpiep wurde dann gemustert, zur
Front ausgebildet, feuerte eine Unmenge weltlicher, in seinem Sinne
heiliger Schüsse ab. Eines Tages trifft ihn eine feindliche Christenkugel
in den Kopf, er fällt lautlos um,- er fällt aber auch geistig um. Etwa
drei Wochen später erwacht er im Lazarett aus der Lethargie und be*
ginnt, ich kann es nicht anders nennen, sinnigen Unsinn zu reden:
Krieg, sagt er, gibt es nicht, kann es niemals geben. Dieses ist seine
fixe Idee, von der er jetzt, ein Jahr später, so toll durchdrungen ist,
daß ich es nach meinen Erfahrungen für ausgeschlossen halte, sie ihm
jemals wieder zu nehmen.
Das ist bitter genug, sagte ich, ein wenig geärgert von der Froh*
lichkeit des Direktors. Ich komme im Aufträge der Angehörigen Hasten*
pieps, bin einer seiner besten Freunde. Ich traue mir einen starken Ein*
fluß auf ihn zu. Im übrigen, sollte man meinen, müßte doch der Anblich
eines Schlachtfeldes, ja schon eines gemalten, losgehender Kanonen, Ver*
wundeter und Gefallener von der heilsamstenWirkung sein ? Daß gerade
Hastenpiep diese fixe Idee fassen konnte, ist allerdings tragikomisch,
lenkte ich ein.Immerhin möchte ich, wenn es irgend anginge, mit ihm reden.
53
Der Direktor drückte auf einen Klingelknopf. Gewiß geht es. Ein
ganz harmloser Idiot, ein Mann des Friedens, des selben Friedens, den
er vorher nicht eher gelten lassen wollte, als bis die Posaunen des
Jüngsten Gerichts erschallten.
Der Diener erschien.
Den Herrn von 2004 hierher/ Wärter soll in der Nähe bleiben.-----
Anfälle hat er keine — im Gegenteil/ friedfertig bis zur Absurdität.
Machen Sie sich gar keine Hoffnung auf ein günstiges Resultat. Ich
glaube ja, der Mann hat an der Front so Fürchterliches erlebt, daß er
ohne die fixe Idee der puren Unmöglichkeit des Krieges gar nicht mehr
leben könnte. Er will der schrecklichen Realität, welche er doch vor*
her, vielleicht nicht mit Unrecht, für ein Gottesgericht hielt, nicht mehr
ins Auge sehen. Kriegsblindheit. Ich bin ein bißchen neugierig, ob er
Sie wiedererkennt.
Die Tür öffnete sich, und durch den langen Saal auf unsern Tisch
zu kam Hastenpiep. Mynona, rief er freudig und streckte mir beide
Hände entgegen. Wie schön! Geht dir's oder bist du immer noch der
alte Idiot? Er setzte sich neben den Direktor, mir gegenüber.
Danke, Hastenpiep. Also Grüße von allen Deinigen. Was machst
du hier?
Die »Meinigen«. Ich glaube, ich muß es endgültig aufgeben, mich
mit Irgendwem, und sei es der sogenannte beste Freund, zu verstän-
digen. Ihr scheint alle leidlich klug, seid aber Narren mit traurigen
Halluzinationen .... nationen.
Hastenpiep, willst du die Deinigen verleugnen?
Im Gegenteil! Hae omnes creaturae in totum ego sum. Dem Her-
zen, wenn es ein Herz ist, steht alles gleich nah.
Der Direktor flüsterte: ein Schuß religiösen Wahnsinns ist dabei.
Hastenpiep horchte auf: Schon wieder dieser faule Zauber —
»Schuß«. Ihr, meine Lieben, ihr könnt der Realität nicht ins herrliche
Auge sehen. Infolgedessen seht ihr Fratzen. Glücklicherweise kann
ich mich, trotzdem ich geheilt bin, in euren Zustand zurückversetzen.
54
Eure Todesangst, welche viel lieber Lebensangst heißen sollte, ist der»
maßen Fleisch und Blut in euch geworden, daß sie euch einen wahren
Albdruck bereitet, so daß ihr eine Irrealität pathologisch vor Augen seht,
Zerrbilder der allein echten Seligkeit, als da sind: Unmeinige, Schüsse,
Oberstleutnants, Irrenhäuser, Kanonen, Wunden und Leichenfelder.
Aber mein lieber Hastenpiep, du hast doch selber das Eiserne! Du
hast ein Buch über den Krieg geschrieben, das der Kultusminister heute
in allen Schulen lesen läßt. Mensch, besinne dich! Der Weltkrieg ist doch
jetzt gerade im allerbesten Gang. Stimm an, stimm an den Sterbe»
gesang, denn schon verbreitet der Serbe Gestank/ und mit den er*
schlagnen Rumänen füttern wir unsre Muränen. Und du allein weigerst
dich, mit offenen Augen hinzusehen, und wirfst uns Augenschließen
vor. Wenn ich deine wahre Gesinnung nicht kännte, würde ich glauben,
du simuliertest.
Hastenpiep sah mich an: Mynona, nicht die Sinne nehmen wahr,
sondern der Geist/ sowie auch nicht der Leib handelt, sondern der
Geist,- der Leib istnur Werkzeug. Aber der Geist ist nicht der »Genius
des Krieges«, wie ihn der Mund des Volkes nennt/ sondern des Frie»
dens, und Sinne und Leib sind gelehrige, aber widerspenstige Schüler
dieses Geistes. Ihr habt so gut wie geistlose Sinne. Daher nehmt ihr
eine Menge Unsinn wahr. Eure Wahrnehmung ist Falschnehmung.
Denke dir nun, daß du plötzlich — Mynona, ich kann Verständnis*
inniger mit dir reden als mit diesem Direktor, der mich von Amts wegen
für einen Idioten hält. Mynona, der Geist, der Geist des Friedens, hat
mich vermittelst eines Knalles <er hat'n Knall, murmelte der Direktor),
eines Schusses so ergriffen, daß meine Wahrnehmung endlich echt ge»
worden ist, und daß ich zugleich die Abweichungen eurer falschen von
meiner echten objektiv konstatiere. Mit euch ist es nicht richtig, weil
ihr eigentlich noch geistlose, trübe Sinne habt, Wolken, durch welche
die Sonne Frieden nicht hindurchdringen und euch die Welt in klarem
Lichte zeigen kann. Ihr seht dort den Weltkrieg, wo ich die Gefilde
der Seligen wahrnehme.
55
Hastenpiep, drohte der Direktor, Sie reden ja mächtig überlegen.
Sind Sie wirklich so verlogen, daß Sie aus sehr begreiflichenWünschen,
die aber bloße Gedanken sind, Wirklidikeit machen?
Ich bin organisch wahr und ridttig, während ihr organisch verlogen
seid, so daß ihr allerdings, wie ich sagte, die Realität selber kriegerisch
verschroben wahrnehmt, mit halluzinierend tastenden Händen greift.
Hat doch sogar einer eurer Häuptlinge, der alte Kant, ein Buch »Zum
ewigen Frieden« geschrieben! Dieser wahnsinnige Hecht! Er glaubte
trottelhaft genug, es könne jemals etwas anderes geben als ewigen
Frieden,- es gibt aber schlimmstenfalls eben nur dessen inkarnierteVer-
kennungen, als welche sich aber sofort gegenseitig selber blutig zu-
nichte machen. Ihr könntet das schöne Wetter in Permanenz erklären,
wenn euer Gemüt nicht wolkig statt sonnig wäre: wenn es die zen-
trale Hauptsache nicht über Milliarden Nebensachen verkennte, ver-
nachlässigte, versäumte, vergäße — wie den Tod,- und nur deshalb
gibt es auch den Anschein des Todes, der verschwinden müßte, wenn
ihr sonnig, also richtig lebtet. Euer Dasein ist gar kein Dasein, es ist
eine Unsumme allzumenschlicher Selbstverkennungen, Verblendungen
und Irrtümer.
Sage mal, Hastenpiep, wie sind denn die möglich? Wenn eseigen t-
lich lauter Frieden und SeJigkeit gibt, wie sind denn dann Verblen-
dungen möglich?
Hastenpieps Augen phosphoreszierten rätselhaft: Es gibt eigentlich
nichts als die selbsteigenste, innerste Göttlichkeit, das ist die Schöpfer-
kraft der Welt. Nun wohl! Ist diese Automat oder freier Wille? Frei-
heit, Freiheit! Aber gerade dieses Wesen, außer dem es nichts gibt als
eben dessen notwendige Äußerung, die Welt,- die artikulierte Wider-
tönung des innersten Einklangs,- den klärlich ausgebreiteten Spiegel
des innersten einfältigen Lichtes,- gerade Freiheit ist auch der allerlieder-
lichsten Selbstverwahrlosung, der lähmendsten Selbstfeßlungen fähig.
Ist es denn leicht, ist es denn automatisch, frei zu sein? Ist es nicht viel-
mehr die Leistung aller Leistungen, der Gipfel der freiwilligen Selbst-
56
anstrengung? »Nur der verdient sich Freiheit und das Lehen, der tag®
lieh sie erobern muß.« Selbsteigne, innerste Freiheit von aller Welt
ist gerade die Äußrerin, die Schöpferin aller Welt. Wenn nun diese ge®
samte Welt nur die automatische Äußerung der gänzlich spontanen,
absoluten Freiheit — wenn sie die unwillkürliche Maschinerie gerade
der innerstenWillkür ist: wie sollte sie nicht zur Fratze verzerrt werden
müssen, sobald Freiheit frei zu sein vergißt,-sobald sie sich selber auto®
matisch nimmt, sich in sich selber gehen läßt, in Schlendrian verfällt,
sich menschlich, allzu menschlich anstatt göttlich®schöpferisch erlebt?
Selbstvergessne Freiheit ist so gut wie gar keine. Welt, ohne diesen
Ursprung aus der Freiheit, ist ein Gefängnis, ein Zucht® und Irren®
haus, eine Strafanstalt, eine Kaserne, ein einziger Krieg zwischen Auf®
sehern und Bewachten, wobei die Aufseher so frei sind wie die Ein®
gesperrten,-ein bloßer Staat ohne innersten Sinn,-ein wohl organisiertes
Werkzeug ohne Meister und Zweck,- ein automatisches Klavier ohne
den den Erfinder inspirierenden Komponisten und ohne Publikum —
wie lange wird es spielen? wie schlecht und schlechter, bis alle Saiten
schlottern. Freiheit bedeutet die Welt als ihre echte, stichhaltige, folg®
lieh friedliche Äußerung, worin die notwendige Unterschiedlichkeit und
Gegenseitigkeit nicht kriegerisch dissoniert, sondein friedevoll harmo®
niert,- sie bedeutet die Musik, die Kunst, nicht aber die Chaotik der
Welt. Wähnt ihr nun, eure Wahrnehmung werde euch unwillkürlich
das Rechte zeigen, wenn ihr ohne jene göttlich eigne Gesinnung seid?
Diese Gesinnung erst nimmt wahr,- eure Wahrnehmung ist nichts
weiter als die Selbstverwahrlosung dieser göttlichen. Der steril auto®
matisdhe Begriff eurer selbsteigenen Göttlichkeit chaotisiert den Kos®
mos. Das eigne Innere ist nicht nur menschlich, als das private Innere
eines einzelnen, sondern göttlich individual als das universale Welt®
Innere zu halten: dieser universale Egoismus erst beflügelt die Räder
des privaten. Auch eureWahrnehmung ist erst »privat« in desWortes
budistäblicher Bedeutung,- ihr seht: gegenseitig noch gar nicht zusam®
menpassende Ausschnitte der Welt, noch keine Welt, kein Universum.
57
Eure astronomischeWahrnehmung ist noch nicht auf Erden angelangt/
und ehe sie nicht auch dort heimisch wird, ist auch die astronomische
nicht eigentlich entwirrbar, Gott, Freiheit,Unsterblichkeit — sollte nicht
euer Ziel, sondern der Zielende selber, der eigne innerste Wille
sein/ aber gerade nur das steht wirklich frei. Wer es nicht erwählt —
also wer sich selber nicht richtig wählt, also das falsche Privat « Ich,
verfälscht die Welt, Der eigne Wille ist göttlich friedfertig oder kein
Wille, sondern höchstens ein Mensch — »und das heißt ein Kämpfer
sein« / jener Wille aber würde bedeuten, Sieger zu sein, und nur der
Sieg ist Frieden. Erst der Selbstüberwinder des Krieges, die fried»
liehe Gesinnung, fühlt alle Sinne und Muskeln in einer unmittelbaren
und unwillküriichenWeise ergriffen, so daß erst dieser Sieger die wirk«
licheWelt, dieWelt wirklich vor sich hinstellen kann. Der Krieger ist
aber nicht etwa die notwendigeVorform des Siegers, sondern im Gegen«
teil: Sieg und Sieger sind ursprünglich,- der Rest ist Entartung, Selbst-
mißverständnis, Gedächtnisschwäche des Siegenden selber, der sich in
seiner Dumpfheit den Albdruck herbeiträumt, welcher ihn daraus er-
wecken soll. Denn man kann die eigne Göttlichkeit nicht vergessen,
ohne daß sie sich blitzend und donnernd meldet, um sich in Erinne-
rung zurückzubringen. Wäre sie aber, wie die Dumpfheit wähnt, un-
vergeßlich, so wäre sie nicht frei, sondern notwendig, während doch
die Notwendigkeit nur ihre Funktion ist.
Papperlapapp, Hastenpiep, lachte der Direktor, woher wissen Sie
denn das alles so unfehlbar? Avez-vous mange du pape?
En meurs, je le sais. In der Tat, würde der Mensch innerlichst
sterben, so brauchte er es nicht äußerlich. Würde er innerlichst nicht
nur zum Papst, sondern göttlich universal, freier Geist, a priori,
Unmensch, entmenscht, weltschöpferische Inbrunst, Idee, Feuer und
Flamme, lebendige Sonne, Kommunion, Liebe, Friede — so würde
der Krieg, der die Welt sonst verzerrt, zum vollendeten Siege ge-
zwungen/ es gäbe nichts als Harmonie: für das echte Selbst gibt es
nichts als Harmonie. Evakuieren Sie den Menschen aus dem Selbst-
58
bewußtsein, und dieWelt ist erst zurWelt erlöst. Woher icfi das weiß?
Schon diese Frage beweist ein abhängiges, allzu menschliches Ver«
halten. Wer nach sich selber fragt, sich selber sucht, ist kein Wer. Das
göttliche Selbst ist nicht beweisbar, sondern beweisend. Das Bedürf«
nis nach Gottesbeweisen, nach Selbstbeweisen verrät bereits Impo«
tenz. Jedes erst erfolgerte Sum, jedes »Ergo sum« gehört in die Allzu«
menschlichkeit. Sum! ... ergo: das muß man unfehlbar von sich selber
wissen,- oder man ist nicht man selber.
Beneidenswerter Hastenpiep, Sie also schwelgen in den Gefilden
der Seligen, während wir Elenden die Hölle des Krieges um, ja in uns
toben sehen.
Ich, Hastenpiep? Hastenpiep ist kein Ich. Der ebenso traurige wie
tote Buddhiste Mach hatte das wohl durchschaut, daß der Mensch kein
Ich ist/ es entging ihm nur die wesentliche Bagatelle, daß das Ich ist
— aber allerdings nicht menschlich, sondern echt göttlich individual,
innerlichst, rein von aller Welt, gerade um alle Welt, rein von Ver«
zerrung, als den klar ausgebreiteten Spiegel seines überinnigen Lichtes
gegenständlich auf sich zurüdcwirken zu lassen. Als Hastenpiep, wel«
chen Sie irrtümlicherweise für ein Ich halten, von der Kugel in den
Kopf getroffen wurde, da erst ergriff ihn das echte Ich«selber, das
eigentliche Innere. Und, meine Herren, es steht schon so, der Geist
zwar ist der Spieler, aber der Leib das Instrument. Wie nun? — Muß
ein Schuß nur immer schaden, zerbrechen, verletzen? Denken Sie über
den berühmten Kerl nach, der durch einen Schlag verrückt, aber durch
einen etwa entgegengesetzten wieder normal wurde. Herrschaften,
mein Kopf, meine Sinne, mein ganzer Leib wurde gesund geschossen
wie die Soldaten in Goethes »Neuem Paris«. Aber mehr noch: ich
kann, ähnlich wie auch gesunde Augen schielen können, den kran«
ken Zustand gleichsam künstlich auf Momente wiedererzeugen und so
den Zusammenhang mit eurer verrenkten Welt, trotzdem ich eigent«
lieh die echte wahrnehme, wirksam erhalten. Dabei verkenne ich keines«
wegs, daß ich die Werte umwerte, indem ich seltsamerweise meine
59
Welt des Friedens für real und die eurige des Krieges für halluziniert
halte. Der Krieg ist nichts als die Friedensmusik, von fern, gedämpft
und entstellt, kakophonisch von schlechten, ja unmusikalischen Ohren
gehört. Euer Gehör ist krank, nicht die Weltmusik/ euer Selbst ist
pathologisch, nicht dieWelt. Krankheiten des Selbstes aber heilt nur
das Selbst, der entmenschte eigne Wille. Und heilt dieser sich selber,
so ist die Welt heil. Es gibt dann im Innersten nichts als Gott, nichts
als die friedlichste Gesinnung, eine Welt voll Frieden aus sich erzeu-
gend. Aber Gott ist kein Zwang, sondern steht frei. Er steht frei.
Schnöde Menschheit! Sie gehorcht allen möglichen subalternen, den
fratzenhaftesten Zwängen, dem Zwang der Natur, dem Zwang des
Herkommens — aber dem allervornehmsten Zwange, dem Zwang,
der von Gott, von der Freiheit, der vollkommen friedfertigen Ge=
sinnung ausgeht, wähnt sie, sich widersetzen zu können. Und diesen
Wahnsinn nennt ihr eure Realität und bringt Hastenpiepen nach
Ideotenruh. Hastenpiep ist der einzige normale Mensch.
Es ist nur bedauerlich, mein Lieber, daß zwar Sie unsre kriegerische,
nicht aber wir Ihre Welt des Friedens wahrnehmen können. All Ihre
noch so delikate dialektische Rabulistik rettet Sie nicht, vor demVer®
dachte mindestens, der fixen Idee, des religiösen Wahns und desHallu®
zinierens. Ein einziger Blich in Ihre, wie Sie meinen, echte Welt ~
und Herr Mynona und sogar ich wären überzeugt.
Natürlich! Man überzeugt solche Kinder, wie die Menschen sind,
nur durch Handgreiflichkeiten. Eure verfluchte sinnlicheWahrnehmung
hat alles Zwingende,- aber Gott, Frieden, Seligkeit, Harmonie stehen
frei, vogelfrei, haben nichts Zwingendes,- sondern hierin kann man sich
bis zur Handgreiflichkeit zwingend verwahrlosen und jenes Göttliche
nicht etwa nur vermensch®, sondern verallzumenschlichen. Aber so
ganz wohlfeilen Kaufs sollt ihr mir nicht davonkommen. Ich will euch
schon zwingen.
<Der Direktor bat den Wärter näher. Ich stellte mich neben den
Wärter.)
6o
4 *
Der Frieden Gottes, fuhr Hastenpiep fort, ist die lebendige Sonne
desWeltafls. Geht nun schon von der astronomischen eine so unge-
heure Energie aus, daß, wenn wir diese Energie unmittelbar gewinnen
könnten, die gesamte Menschenkultur vollendet, alle sozialen Fragen
exakt beantwortet werden müßten/ wieviel unermeßlicher muß die
Wirkung sein, wenn sie nicht nur technisch, sondern lebendig unmittel-
bar von der göttlichen Verhaltung des eignen Innern, vom entmenscht
friedvollen Innern aus erfolgte! Menschen, dann erst steht die Welt
richtig vor euren entwölkten Sinnen / dann erst könnt ihr fruchtbar
handeln. Kriegerische Handlungen sind Handlungen, voll von allen
Fehlern des Überschusses an Kraft,- aber gerade dieses ergibt ein
Manko, ergibt gleichsam Interferenzen der Energie, so daß der Krieg
in seiner letzten Konsequenz sich selber lahmlegen muß. Was ihr Krieg
nennt, das ist mir nichts als ein System von allzu menschlichen Un-
beholfenheiten im Umgänge mit der ureigensten Friedfertigkeit. Denn
est ist eben nicht leicht, es ist auch nicht human, friedfertig zu sein/
sondern schwer, sondern göttlich. Es ist allzu menschlich, sich in dieser
Göttlichkeit kriegerisch gehen zu lassen. Der Krieg ist nur die Ge-
dächtnisschwäche des Friedens selber: man müßtevollendet entmenscht,
göttlich gedächtnisstark sein, um mit ebenderselben Kraft, welche man
kriegerisch vergeudet, friedfertig zu bleiben.----Direktor, lassen Sie
den Saal verfinstern und übergeben Sie mir auf kurze Zeit Ihren kine-
matoskopischen Projektionsapparat mit den Films aus dem Kriege.
Ich will Ihnen Ihre Leichenfelder zeigen, wie ich sie sehe.
Ich vereinte meine Bitten mit denen Hastenpieps/ der Direktor gab
etwas zögernd nach und erteilte die Erlaubnis. Hastenpiep traf mit
aller möglichen Umsicht die Anstalten zur Vorführung. Wir setzten
uns. Hastenpiep verschwand mit demWärter und dem Techniker hinter
dem Apparat. Auf dem Schirm erschien das furchtbarste Gemetzel.
Ganze Reiterregimenter hingemäht. Explodierende Granaten. Zeppe-
lins, aus denen Bomben auf zerberstende Stadtteile fielen. Gasangriffe.
Die ganze schöne Theatralik des Krieges bis auf das Massengrab und
62
das ententefreundliche Neutralien. Krieg auf und unter der Erde, ln
Lüften, auf und in Wassern und in den sogenannten Seelen, wie sie
sich auf gegnerischen Antlitzen so unselig spiegeln.
Hastenpiep rief in den Saal: Auch ich nehme dieses wahr, wenn ich
meine eigentliche Wahrnehmung gleichsam schielen lasse, wenn ich also
ihre Einheitlichkeit in gewisserWeise mit sich selbst entzweie. Folg*
lieh muß es doch möglich sein, euch wenigstens rein optisch meine
Wahrnehmung beizubringen, wenn ich eure Augen in die normale Ver-
fassung der meinigen zwinge. Eu eurem Erstaunen wird euch dann
evident werden, wie kriegerisch verzerrt und verschroben die Wahr-
nehmung einer Welt des Friedens selber werden kann. Eure Augen-
achsen konvergieren krankhaft, und das geht analog durch jeden eurer
Sinne, durch euren Leib hindurch, in dem sich alles disharmonisch über-
kreuzt, überschielt. Bekanntlich stellen sich die Augenachsen Sterbender
parallel ein. Sterbende schauen bis ans Ende der Unendlichkeit, bis
an jenen Horizont, an dem ihr das »Ideal« imaginiert/ während in
Wahrheit dort die Realität befindlich ist, und im Gegenteil eure ver-
meintliche Realität wahnschaffen, verwunschen, ideal, imaginär, mit
einemWorte der schielendeWiderstreit mit sich selber, durch und durch
dis-identisch ist.---Meine verehrten Herren! Tiefes Nachdenken
hat mich ein Mittel finden lassen, jedem beliebigen Mensdien wenigstens
auf Minutendauer den Blick — wie soll ich sagen — einzu......mas-
sieren, den ich permanent am Leibe habe. Das genaue Studium meiner
sonderbaren Gehirnverwundung hat mich entdecken lassen, daß es sich
dabei um gewisse Spannungsalterationen des Gehirns handelt, welche
man sehr einfach durch einen gewissen mit der freien Hand auf die
Schläfen auszuübenden Druck flüchtig herbeiführen kann. Festhalten
allerdings läßt sich die flüchtig gewonnene echte Wahrnehmung nur
von einem göttlich geläuterten Innern, einer absolut friedfertigen Seele/
ich verstehe natürlich unter Frieden keine Trägheit, sondern die sieg-
reiche Selbstüberwindung des Krieges, der also nur durch diese zwin-
gende Bändigung, nicht etwa <nach Art des dummen Pazifismus) über-
63
haupt aus derWelt zu schaffen ist. Eine in meinem Sinne friedfertige
Seele beherrscht im Gegenteil gerade den allerfurchtbarsten Krieg/ auf
diese unverbrüchlich friedvolle Selbstbeherrschung kommt es an — nur
dieser gehorcht alle Welt unwillkürlich. — — Wollen Sie sich mir nun
zur Massierung anvertraun?
Der Wärter stellte sich in Boxpositur, der Direktor erhob ein lautes
Veto. Nur ich selbst ging gemütlich auf Hastenpiep zu.
Ich sagte: Hastenpiep, weißt du was! Du bist ja ein pazifistischer
Prinzipienreiter geworden — konsequent bis zum ... pardon .... Irr-
sinn. Mensch, laß doch jetzt alle Faxen, komm nach Hause. Du hast
'n Piep!!
Mynoneles, elendiger Feigling, gelt, du fürchtest dich wieder ein»
mal, nebbich, massiert zu werden ? Fürchtest für die kostbare Porzellan»
vase deines Schädels, nicht wahr? <Er rollte die Augen.)
Der Direktor winkte dem Wärter und raunte mir zu: prenez garde!
vielleicht doch ein Anfall, akuter Raptus,- entfernen Sie sich!
Der Wärter bemächtigte sich Hastenpieps und wollte ihn abführen.
Ich aber war plötzlich entschlossen: Direktor, lassen Sie Hasten*
piepen gewähren! Ich kenne ihn,- mir tut er nichts. Wir müssen ihn
irgendwie ad absurdum führen.
Der Direktor gab dem Wärter eine leise Instruktion. Hastenpiep
ging mit mir in den Zuschauerraum. Auf dem Schirm erblickte man
immer noch Bajonett»Angriffe, explodierende Granaten und derglei»
dien. Hastenpiep legte mir seine Hände auf den Scheitel und schien
mit den Fingerspitzen auf meine Schläfen zu trommeln. Meine un»
heimliche Empfindung ging rasch in eine seltsam angenehme über,-
plötzlich verspürte ich, während in meinen Ohren eine, wie soll ich
es sagen, tiefe Stille entstand, einen kurzen stechenden Sdimerz oder
Schlag,- mein Augenlicht schwand, kehrte aber langsam mit immer
glänzender und zugleich sanfter werdender Helligkeit zurück. Ich sah —.
Zuerst wollte ich aufschrein. Ich unterließ es aber, weil ich Schönheit
sah,- weil mir einfiel: Sehen ist Schönheit sehen. Ich sah den Saal, aber
64
es war kein Saal mehr, sondern eine schwebende Ätherwolkenhalle,
die uns trug. Der Wärter war unsichtbar, der Direktor ein schönes
fettes Tier mit dummen, glücklichen Augen geworden. Hastenpiep
war am wenigsten verändert, aber statt aller Kleider umgab ihn ein
farbiger Schleier aus bunter Luft,
Ich blickte nun in eine Leere, in welcher bewegliche Bilder wie im
Spiegel an uns vorbeizogen. Diese Bilder schienen zuerst verzerrt,
grotesk verzogen, renkten sich aber dann harmonisch ein und wurden
zuletzt lauter paradiesische Idyllen, Die Bilder begannen kriegerisch
blutig/ bald aber verstand und sah ich, daß sie so nur halb vollendet
waren. Aus explodierenden Granaten wurden zusehends .... Bau«
meister: sie bewirkten nämlich, wo sie auch einschlugen, die wunder«
vollsten Architekturen/ und getroffene oder gar zerplatzende Leiber
waren zwar sekundenlang übel genug anzusehen, reorganisierten sich
aber rasch desto harmonischer.
Hastenpiep kommentierte in einer melodiösen Sprache, welche ich
nie vernommen hatte, die mir aber vernehmlicher als Jede mir bekannte
war / gleichsam die Logik selber, signatura rerum.
Siehst du, Mynona, sagte er, es ist alles, wenn man es nicht ein»
seitig, nicht fragmentarisch, sondern ganz und gar sieht, lauter Er«
bauung und Frieden. Sieh diesen Zeppelin*Angriff — sdiaudervoll,
nicht wahr? Aber warte drei Sekunden — voila!
Über eine bis zur Niedertracht geschändete, verstümmelte Städter*
goß sich ein Blumenregen, und unter niederrieselnden Girlanden blühte
auch die Stadt paradiesisch empor. Der Zeppelin selber wurde zum
Füllhorn Amaltheas. Die Menschen leuchteten unsterblich, um ihre
Stirnen schimmerten Lichtgedanken. Ein Bajonett, tief in eine Brust
eindringend, schien ihr einen Kraftstrom einzuhauchen. Heilkräfte, sonst
eingeschlafen, erwachten, und der Leib siegte in sichtbarster Herrlich«
keit über die Wunde. Tod, nur im Dienste der Unsterblichkeit tätig,
zwang, wo immer er sich zeigen wollte, gerade die frischeste Belebung
herbei. Der Frieden triumphierte und schien, zu desto siegenderem
65
5
Triumphe, der kriegerisdien Kraft zu bedürfen. Am sonderbarsten
war, daß es nur nodi Zivilisten gab: aber das Militär überließ hin-
schwindend seinen Drill den zivilen Leibern, und diese profitierten
davon erzengelhaft.
Glaube <logikte Hastenpiep) nicht, daß du eine Verwandlung siehst,
äh, so, weist du, Evolution, vorher Roheit, jetzt Hoheit. Ne! Son-
dern es gibt, es gibt keine Roheit: sie ist allemal nur falsch wahr-
genommene Hoheit. Euch Menschen birgt sich die ergänzende Hälfte
aller eurer Wahrnehmungen in finstrer, vielleicht poetisch-träumerisch
dämmernder Nacht: unsre Wahrnehmung hingegen ist nicht nur rund,
sondern eure Bewußtseinsnacht verliert hier, im friedfertigen Gemüt,
etwas von ihrer Finsternis, wird farbig aufgehellt, während euer nur
allzu scharfer, die Nacht fast Lügen strafender Tag gemildert wird
und sanfter mit der Nacht verschmilzt, welche tiefer war als er allzu-
menschlich ahnte, indem sich in ihr die echten Ergänzungen jener
schauerlichen Problematik eures rhapsodischen Lebens spurlos vor
jedem verkümmerten Gemüte bergen und nur dem absolut unbe-
kümmerten, welches diese Unbekümmertheit aber nicht kindlich, son-
dern göttlich naiv, mit allwissender Geflissentlichkeit kultiviert, strah-
lend offenbaren. Sieh diese sogenannten Unterseeboote! Was siehst du ?
Ich sah ganze Eisenbahnzüge aus solchen Booten imWasser tanzen;
sie waren mit fröhlichen Menschen angefüllt.
Na, Hastenpiep, gibt es hier keine Katastrophen?
Unmöglich, Mynona, es sind Maschinen, welche von keiner andern
Kraft angetrieben werden als von der Kraft des absolut friedfertigen
Willens/ sie müssen also unwillkürlich glüddich funktionieren. Nimm
dein Selbst zu innerst mit Willen, mit dauerndem Entschluß als »Lilie
auf dem Felde« <der Leib könnte das nur werden, wenn die Seele es
wäre), als göttlich, selig, an und in sich und nicht erst im Gefolge einer
Äußerlichkeit <z. B. vielen Geldes), sondern unabhängig glücklich: so
muß alles Äußerliche glücken. Unglück ist nur Selbstverwahrlosung/
das Selbst in diesem ätherisch weltrein unabhängigen Sinne genommen.
66
Aber von einem solchen Selbste hängt die gesamte äußere Welt ab,
wen n sie glücken soll! Wer sein innerstes Selbst nur menschlich nimmt,
vermanscht die Welt. Nur bei göttlicher Achtsamkeit auf das eigenste
Selbst korrigieren sich alle Druckfehler im Texte der Natur von selber.
Ein Bild der ganzen runden Erde kam jetzt — so schön, daß mir die
Augen übergingen. Meine Ohren begannen zu rauschen, ein Schwindel
befiel mich/ der Glanz meines Augenlichts erblindete. Ich kam mir
wirklich halb blind vor, als ich wieder mit menschlichen Augen sah.
Welche herrliche Zukunft, seufzte ich.
Mynona, Esel, sagte Hastenpiep, du hast keine Zukunft, sondern
zum erstenmal in deinem Leben die sonst so mißglückte Gegenwart
gelungen gesehen.
Wielange hatte meine Vision gedauert? Hastenpiep wurde vom
Wärter abgeführt.
Krieg, sagte der Irrsinnige, ist unmöglich — ist ewig un*
möglich.
Der Direktor fühlte meinen Puls. Der Mann ist doch nicht so harm*
los, wie ich angenommen habe. Donnerwetter, er hat Sie tüchtig ...
»massiert«. Ihnen muß ja ordentlich das Feuer aus den Augen ge*
Sprüngen sein — so einen Fausthieb hat er Ihnen auf den Schädel ge*
geben. Glücklicherweise wurden Sie nur leicht betäubt. — — Also
unheil* .... unheilbar .,. schade!----
5*
67
LEONHARD FRANK:
DER VATER
„Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen,
daß ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?
Es ist schon die Axt an die Wurzelgehegt. Darum
wefcher Baum nicht gute Trucht bringt, wird ah»
gehauen und ins Teuer geworjen. ”
Robert war Servierkellner in einem Hotelrestaurant. Gewöhnlich.
Blond. Und wenn er, in devoter Verbeugung erstarrt, vor dem Gaste
stand und eine Bestellung entgegennahm, kroch der Gedanke durch
sein Gehirn: jeder andere Beruf verträgt sich eher mit der Menschen-
würde. Er war Kellner in einem deutschen Hotelrestaurant.
Auf ihn wirkte das hingeschobene Trinkgeld wie eine Ohrfeige, für
die man sich bedanken mußte. Und wenn das Trinkgeld von einem
Gaste kam, der ärmer als der Empfangende war, stieg aus Roberts
verletzter Menschenwürde sichtbar die Verachtung empor, steigerte
sich manchmal zu Rachsucht und Frechheit. Es kam vor, daß Robert
solch einem Gaste das Trinkgeld zurückschob. Vornehmen Gästen
Kredit zu gewähren, war ihm eine Erlösung.
Im Jahre 1894 bekam seine Frau den lange vergeblich erwarteten
Sohn. Und Roberts Liebe stürzte sich auf dieses Kind. Das bekam
alles: Kinderzimmer, sterilisierte Kindermilch, einen federnden Kinder»
wagen, einen weißlackierten Stall, Hampelmänner. Später Dampf»
maschinellen, Eisenbahnen, Luftballons, Trommeln, Säbel, Schieß»
gewehrchen, Bleisoldaten. Später ein Spazierstöckchen, einen Matrosen»
anzug mit einer Mütze, auf der stand »S.M.S.Hohenzollern«, einen
rindledernen Bücherranzen, eine Rechenmaschine mit roten und weißen
Kugeln, einen polierten Griffelkasten.
Der Sohn bekam Geigenstunden, mußte Klavierspielen lernen.
Und durfte das Gymnasium besuchen. Er sollte studieren. Nicht
Kellner werden. Schon mit zehn Jahren besaß der Sohn ein Fahrrad.
Und gehörte mit zwölf Jahren der patriotischen Jugendvereinigung an.
68
Roberts Leben erschöpfte sich im Dasein des Sohnes. Und der Satz:
jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, war ihm zur Weltanschauung
geworden. Robert flog, die Bestellungen auszuführen, verbeugte sich,
dankte fürs Trinkgeld, verbeugte sich, dankte, sparte, scharrte zu®
sammen, rechnete, strebte, wurde Zimmerkellner, wies heimlichen
Liebespärchen stille Zimmer an für ein paar Stunden, drückte Augen
zu, sank in einen Abgrund der Liebe für seinen Sohn, schickte ihn
auf die Universität, bekam graue Haare, war selig im Dienen, selig
in seinem Sohne, besaß hundert Photographien von ihm, hatte die
Kinderkleidchen aufgehoben, das Spielzeug: die Säbelchen, die Ge®
wehrdhen, die Bleisoldaten. Das Mützchen, auf dem stand »S. M. S.
Hohenzollern«.
Der Sohn war zwanzig Jahre alt. Er bekam die Einberufung an
einem Dienstag, bekam ein halbes Jahr später das Eiserne Kreuz.
Und im Sommer 1916 bekam Robert die Nachricht, daß sein Sohn
gefallen war. Auf dem Felde der Ehre.
Eine Welt war erschlagen.
Der Erschlagene las immer wieder: »Gefallen auf dem Felde der
Ehre.« Den Zettel trug er bei sich in der Brieftasche, zwischen den
Banknoten. Er las ihn, wenn ein Fremder kam und ein Zimmer ver®
langte, wenn er an der Billardecke stand und Bestellungen erwartete,
wenn er, von der Glocke gerufen, den langen Gang hinter lief, las
ihn, bevor er das Zimmer betrat und nachdem er, die bezahlte Rechnung
und das Trinkgeld in der Hand, das Zimmer wieder verlassen hatte.
Er las ihn in der Küche, im Weinkeller, auf dem Klosett. »Gefallen
auf dem Felde der Ehre.« Ehre. Das war ein Wort und bestand aus
vier Buchstaben. Vier Buchstaben, die zusammen eine Lüge bildeten
von solch höllischer Macht, daß ein ganzes Volk an diese vier Buch®
staben angespannt und von sich selbst in ungeheuerlichstes Leid hinein®
gezogen hatte werden können.
Das Feld der Ehre war nicht sichtbar, nicht vorstellbar, war Robert
nicht begreifbar. Das war kein Feld, kein Acker, war keine Fläche,
69
war nicht Nebel und nicht Luft. Es war das absolute Nichts. Und
daran sollte er sich halten. Sein ganzes Leben lang. Hinter ihm lag
nichts und vor ihm lag nichts. Robert stand in der Mitte auf dem Nichts.
Seine Hände servierten, quittierten, empfingen Trinkgelder. Wofür?
Es gab keine Banknoten mehr. Und sein Sparkassenbuch war für ihn
das Feld der Ehre. Und das Feld der Ehre war nicht begreifbar.
Robert gab die besten Zimmer auf Wunsch um die Hälfte des fest«
gesetzten Preises ab, gab noch einen Salon dazu, ein Badezimmer.
Wurde zum Servierkellner degradiert. Gab im Restaurant ohne Wider-
streben die teuren Speisen und Weine billiger ab, wenn den Gästen
die Rechnung zu hoch erschien. Wurde daraufhin nur noch zur Mit-
hilfe heran gezogen, wenn im großen Hotelsaale ein Fest, eine Ver-
sammlung war.
Gab es etwas Gleichgültigeres, als aus der Lebensstellung ver-
drängt worden zu sein? Das alles war nur das Feld der Ehre. War
ein vollkommenes Nichts.
Oft fand er sich in seines Sohnes Zimmer, wo er während des Krieges
die Photographien, Kinderkleidchen, Säbelchen, Trommelchen, Ge-
wehrchen, Bleisoldaten zusammengetragen hatte, und empfand nichts
beim Betrachten dieser vergilbten und verkratzten Überbleibsel, ging,
automatisch wie er eingetreten war, wieder hinaus.
Dieser Zustand, in dem Robert sich nur noch wie eine Maschine
bewegte, dauerte wochenlang, bis eines Tages der Mensch in ihm die
Kraft fand, sich dem Schmerze zu stellen. Seiner Hand entfiel die Photo-
graphie des Söhndhens —- in Infanterieuniform, mit präsentiertem Ge«
wehrchen — und Robert sauste, von einem Dampfhammerschlag ge-
troffen, hinunter in den Abgrund, das Herz bloßgelegt dem Schmerze
und der Liebe. Robert schrie. Nur einmal. Und ganz kurz.
Von etwas Unnennbarem berührt, wich er der Erlösung, die im
Schmerze liegt, aus.
Und als seine Frau ihn trösten wollte mit den Worten, die sie von
dem unter dem gleichen Leide stehenden Kolonialwarenhändler, Bäcker,
70
von der Nachbarin übernommen hatte: jetzt müsse man sich halt damit
abfinden, sdirak sie zurück vor Roberts gefährlich blickenden Augen
und schwieg fernerhin.
Auch Robert schwieg, tat die Arbeit, die man ihm zuwies. Und
da man ihn, der wiederholt Gäste fortlaufen ließ, ohne daß sie bezahlt
hatten, nur noch als Wasserträger im Hotelcafe verwenden wollte,
erklärte er sich auch hierzu bereit.
Robert wußte, daß etwas geschehen werde. Deshalb ertrug er weiter
diese gefährliche Ruhe. Denn wie konnte es möglich sein, daß nichts
geschah durch ihn, der nichts mehr verlieren konnte, da er alles schon
verloren hatte? Der von einer dünnen Kellnerhaut überzogen war,
unter welcher der Mensch schrie, entsetzlich lautlos der Schmerz, die
Liebe schrie? Durch den geringsten Anlaß konnte die Haut zer*
springen. Dann stieg der Schrei.
Die Kindergewehrchen und Säbelchen hatte er sich aus den Augen
hinüber ins Hotel getragen und hinter das Klavier gesteckt. Denn
wenn er dieses Spielzeug nur anblickte, brannte ihn die Schuld. Aber
wenn er einen mit dem Kriegsorden verzierten Leutnant bediente,
zitterten seine Hände nicht. \ '
Und als eines Tages ein patriotischer Jugendverein — halbwüchsige
Jungen unter Gewehr — die Straße herauf und am Hotel vorbei das
Lied trugen »Kann dir die Hand nicht reichen, dieweil ich eben lad...«
fraß sidi das Schuldbewußtsein glühend in Robert hinein. Denn auch
er hatte seinem Sohne solche Lieder gelehrt und lehren lassen und voll
Vaterstolz ihm zugehört.
In wilder Spannung stand er unterm Hotelportal und fühlte, daß
sein Sprung auf die vorbeimarschierenden, schlecht beratenen Jüng-*
linge ein Sprung in die Luft sein würde. Denn hinter den Jünglingen
und hinter dem Kampfliede stand etwas, das nicht zu greifen war: ein
unsichtbarer, unkörperlicher Gegner. Gott hielt ihn zurüdc vor dem
Sprunge. Gott hob ihn auf für die Minute, da der Feind greifbar
werden würde, fühlte Robert.
71
Und eines Tages hatte er den Feind, der im Menschen selbst und
nicht außer ihm ist, so scharf erkannt, daß seine Augen die eines schuld-
bewußten Mörders wurden. Da geschah es, daß Tränen wilden Zornes
ihm hinter die Augen traten, wenn er ein Mädchen sah, das ihren
Bräutigam, eine Frau, die ihren Mann, ein Elternpaar, das seinen
Sohn verloren hatte und doch lächeln und wie immer das Glas Bier
bestellen konnte.
Einer Mutter, der ihre Stütze fürs Alter, ihre Hoffnung, der Zentral-
punkt all ihrer Liebe — ihr einziger Sohn zerstampft worden auf dem
Felde der Ehre und die zu Robert sagte, jetzt muß man sich halt da-
mit abfinden, griff er wild an den Hals. Gott strich über des Kellners
Hände und legte seine plötzlich von Liebe durchbebten Finger der
Mutter sanft auf die Schulter. Denn nicht die Frau war schuld, nicht
sie war der Feind und nicht ihre Worte, sondern das, was hinter den
Worten stand. Und das war etwas, das nicht da war. Es war das
Nichtvorhandensein der Liebe.
Das selbstmörderische Schuldbewußtsein brannte die kleine Vater-
liebe weg, so daß das Urgefühl der großen Liebe aufstehen konnte
in ihm.
In tiefster Demut, in deren Mittelpunkt die unbesiegbare Kraft der
Liebe stand, verrichtete er die Arbeit des Pikkolos, trug den Gästen
Wasser zu, spülte Gläser aus, ging, als die Glocke ihn rief, in den
großen Hotelsaal.
Schlosser, Maurer, Schreiner, Spengler, Tapezierer, Glaser, zer-
arbeitete Männer, die haarigen, abschreckend häßlichen Tieren mit
Menschenaugen glichen, füllten den großen Hotelsaal; die Bauarbeiter-
vereinigung hielt ihre Jahresversammlung ab.
Robert brachte dem Redner, der auf dem Podium stand, eine Flasche
voll Wasser und hörte, ans Klavier gelehnt, hinter dem die Säbelchen
und Schießgewehrchen steckten, dem Redner zu.
Der erklärte, daß Unterstützungsgelder an arbeitslose und kranke
Mitglieder dieses Jahr nicht ausbezahlt werden könnten. Denn es seien
7 2
so gut wie keine Beiträge eingelaufen. Zudem habe man den Mit*
gliedern, die im Felde standen — und die gingen allen andern vor —
fortlaufend Unterstützungsgelder geschickt. »Die Reserven sind auf*
gebraucht. Die Kasse ist leer.« Es frage sich nun, ob die Mitglieder,
die noch gesund seien und Verdienst hätten, über ihren Beitrag hinaus
zusammensteuern wollten für die kranken und arbeitslosen Mitglieder.
Wenn nicht, dann bleibe nur noch übrig, die seit fünfzig Jahren be=
stehende Bauarbeiter Vereinigung samt der Krankenunterstützungs*
kasse aufzulösen. »Sozusagen den Konkurs anzumelden.«
Siebenhundert Augenpaare von siebenhundert dumpf schweigen-
den Menschen blickten ratlos auf den Redner. Die Frauen, deren
Küchentöpfe leer waren, und die Frauen, deren Männer im Felde
standen oder schon gefallen waren, hatten rotgefleckte Wangen be-
kommen. Die Eisenplatte, die seit zwei Jahren über ganz Europa lag,
lag sichtbar auch über diesen siebenhundert in Leid und Not ver-
krampften Lasttieren.
Ein kleiner Junge hatte das Kinderschießgewehr hinterm Klavier,
das auf dem Podium stand, vorgezogen und zielte, den Schaft an der
grauen Badke, hinunter auf die siebenhundert reglosen Männer und
Frauen. Alle blickten auf das Loch des Rohrlaufes aus Weißblech.
Und draußen standen, den Gewehrschaft an der Backe, in Schuld und
Sünde Millionen Menschen gegenüber Millionen Menschen, die in
Schuld und Sünde standen.
Da tat Robert den Sprung. Es war ein ganz langsamer Sprung. Er
ging traumwandlerisch sicher auf den Jungen zu, nahm ihm das Spiel-
zeug von der Backe weg und trat vor, bis an den Rand des Podiums.
Und während der Redner Wasser trank und seine Abrechnungs-
listen zurechtlegte, sagte Robert:
»Das hier ist ein Schießgewehr. Das habe ich ... ich selbst habe das
meinem Jungen gekauft. Damit hat er gespielt. Damit hat er sich un-
merklich die Liebe aus seinem Herzen hinausgespielt. Damit hat er
schießen gelernt. Ich habe ihm das Schießen, habe ihm das Morden
73
gelehrt. Mein Sohn ist gefallen. Er ist tot. Ich bin sein Mörder...
Vaterstolz, Ruhmsucht, Gedankenlosigkeit und Gewohnheit haben
mich zum Mörder werden lassen. Und doch habe ich nur getan, was
auch ihr getan habt. Auch von euch hat mancher seinen Sohn... ver-
loren.«
Robert hieb das Gewehrchen gegen die Knie und legte die zwei
Stüdce ruhig zu seinen Füßen nieder. »Das hätte ich vor fünfzehn
Jahren tun müssen... Habt ihr es getan?... Also seid auch ihr Mörder.«
»Unsere Männer und unsere Söhne erschießen Männer und Söhne.
Und jene Männer und Söhne erschießen unsere Männer und Söhne.
Und jeder Daheimgebliebene hofft: mein Mann, mein Sohn kommt
zurück. Mögen die anderen fallen und sterben.«
»Solches kann nur ein Wahnsinniger wünschen... Ich frage euch/
ist der kein Mörder, der ein unschuldiges Kind so erzieht, daß es erst
zum Mörder werden muß, bevor es selbst ermordet wird? Wird der
so erzogene Unschuldige, wenn er einen gleichfalls schlechtberatenen
Unschuldigen erschießt, nicht zum Mörder? Es gibt heute in Europa
keinen Menschen mehr, der nicht ein Mörder ist!... Wir sind ver-
blendet und Mörder, weil wir den Gegner außer uns suchen und zu
finden glaubten. Nicht der Engländer, Franzose, Russe und für diese
nicht der Deutsche, sondern in uns selbst ist der Feind. Und wir
stempeln deshalb andere Menschen zum Feind, weil der tatsächliche
Feind in uns etwas ist, das nicht da ist. Das Nichtvorhandensein der
Liebe ist der Feind und die Ursache aller Kriege. Ganz Europa weint,
weil ganz Europa nicht mehr lieben kann. Ganz Europa ist wahn-
sinnig, weil es nicht lieben kann.«
»Oder ist es nicht Wahnsinn, wenn ihr euch freut über die Notiz:
zweitausend französische Leichen lagen vor unserer Linie? Ist die
Einwohnerschaft von Paris nicht wahnsinnig, wenn sie sich freut über
die Notiz: zweitausend deutsche Leichen lagen vor unserer Linie?«
»Wir schreien vor Schmerz oder die Augen bleiben trocken vor
Schmerz, wenn unser Sohn fällt. Solange wir nicht ebenso vor Schmerz
74
schreien, wenn ein Franzose fällt, lieben wir nicht. Solange wir nicht
fühlen: ein Mensch, der uns nichts getan hat, fiel und starb, so lange
sind wir Wahnsinnige. Denn dieser Mensch, der fiel und starb, hat
eine Mutter, einen Vater, eine Frau, die vor Schmerz schreien. Ist
ein Mensch. Wollte so gerne leben. Und mußte sterben. Wofür?
Warum? Er mußte sterben, weil er nicht liebte. Und wir, seine Mörder,
ließen ihn sterben, weil wir nicht liebten.«
Robert machte während des Sprechens ganz kleine Bewegungen mit
der Hand, daß die weiße Serviette baumelte. Es war so schwer, auch
den anderen mitzuteilen, was man selbst fühlte und erkannt hatte.
Und dabei war das Ganze doch so einfach, so selbstverständlich.
Aber die Menschen hatten sich von der Selbstverständlichkeit weg*
gestellt. Sie hatten die Liebe einfach vergessen, wie man seinen Schirm
stehen läßt,
»Man braucht ja nur zu lieben, dann fällt kein Schuß mehr. Dann
ist der Friede da. Kinder sind wir dann auf unserer Erde... Der
ganze Erdteil weint. Daran merkt man doch, daß der Erdteil fähig ist
zur Liebe. Ganz hoffnungslos wäre erst dann alles, wenn Europa
lachen würde, weil ganz Europa blutet. Aber es gibt kein Haus in
Europa, in dem nicht die Tränen fließen. Das ist die Liebe, die aus
den Menschenaugen heraus weint, weil sie vertrieben worden ist aus
den Herzen der Menschen.«
»Was tut ihr, wenn jetzt im Augenblick ein euch fremder Mensch
in den Saal hereintritt und einem von euch, den er nie gesehen hat,
das Bajonett in den Leib stößt? Ihr würdet den Wahnsinnigen nicht
begreifen. Genau dasselbe tun eure Männer und Söhne/ auch sie
stoßen Männern und Söhnen, die sie nie gesehen haben, das Bajonett
in den Leib/ daß der Durchstoßene aufschreit, sich krümmt und fällt.
Was hat er eurem Sohne getan?Und was hat euer Sohn dem getan,
der ihm das Bajonett in den Leib stieß?... Habt ihr euch schon einmal
vorgestellt, auf welche Weise euer junger Sohn, der so gerne, ach so
gerne noch hätte leben mögen, sterben mußte?... Mädchen, vergegen*
7 5
wärtige dir den letzten Blidk deines Bräutigams, der verwundet, dür*
stend sedis Stunden lang in der Sommerhitze im Stacheldraht hing.
Stelle dir seinen letzten, furchtbar langen Blich vor.«
»Frau,« sagte Robert zu einer Erbleichenden, leise, daß es alle
Siebenhundert hörten, »was hat dein Mann, den du liebtest, der dir
Brot und Kinder gab, dem getan, der ihm das Bajonett in den Leib
stieß?«
Die Frau wimmerte, ihr Kopf sank dem neben ihr Sitzenden auf
die Schulter.
»Die Menschen sind wahnsinnig, wirklich und wahrhaftig wahn*
sinnig, weil sie die Liebe vergessen haben. Und weil sie die Liebe
vergessen haben, glauben sie, es müsse alles so sein, wie es ist. Unser
Volk, wie wir es sehen, besteht nur noch aus Krüppeln und elend
aussehenden Kindern und Greisen. Wenn man jetzt noch die Arme
und Beine, die losgetrennten Menschenköpfe, die Millionen zerrissenen
Leichen, unter denen auch eure Söhne und Männer sind, von den
Schlachtfeldern holen und auf eure Straßen werfen würde, euch vor
die Augen, würdet ihr auch dann noch sagen, man muß sich halt damit
abfinden? Oder würdet ihr endlich hinknien, bereit zum Lieben, was
auch dabei herauskomme? Würdet ihr dann endlich sagen: ich will
nicht leben, wenn ich nicht lieben darf? Würdet ihr einsehen, daß die*
jenigen, die euch das Lieben verbieten, Feinde sind? Feinde des
Menschen. Volksfeinde! Seht Ihr nicht die Berge von zerrissenen
Menschenleibern? Sie liegen auf euren Straßen, daß kein Wagen mehr
fahren kann und ihr keinen Schritt mehr machen könnt. Eure Söhne!
Eure Söhne! Eure Männer! Väter! Blutig! Zerrissen! Unkenntlich!«
Ein Schrei stieg aus der Saalmitte empor. Hinten beim Saaleingang
erklang ein tierisches Stöhnen. Einem alten Manne fiel die Stirn in die
Hand. Ein Mädchen verließ die Stuhlreihen/ sie hatte große Augen
bekommen und stürzte in die Knie.
»Wir dürfen uns nicht länger belügen und sagen: der Zar, der
Kaiser, der Engländer ist schuld,« Robert legte langsam die Hand mit
76
der Serviette an die Brust: »Ich bin schuld. Und du bist schuld. Und
du und du, nidit mehr und nicht weniger als der Zar, der Engländer,
der Kaiser und der Milliardär. Denn auch die nur hatten, ebenso wie
wir, die Liebe vergessen. Nehmt die Schuld auf euch, damit ihr der
Liebe wieder teilhaftig werden könnt. Denn nur, wer hier sich schuldig
fühlt, kann entsündigt werden und wieder lieben.«
»Und jetzt wisset: die Liebe trägt in sich ein hartes Gebot. Die
Liebe sagt: wer nicht liebt, ist schuldig und böse und soll weichen,
damit der Liebe auf Erden keine Schranken mehr gesetzt werden
können. Wir wollen fallen und sterben dafür, daß der Liebe die
Regierung Europas übergeben werde.«
Die Menschengesichter unten im Saale waren aufgelöst.
Weitersprechend stieg Robert vom Podium herunter. Alle waren
aufgestanden, drängten ihm nach.
»Das Gebot der Liebe ist: wer sich nicht schuldig fühlt, die Schuld
nicht auf sich nimmt, liebt nicht, ist unser Feind und muß weichen.
Das ist Gesetz. Neues Gesetz! Ihr, die ihr nichts mehr verlieren
könnt/ da ihr alles schon verloren habt...«
Roberts Worte gingen unter in den hundertstimmig wiederholten
Worten: »Alles verloren! Wir haben nichts mehr zu verlieren! Wir,
die wir nichts mehr zu verlieren haben... Nichts! Nichts!«
Die Nachricht hatte sich schon verbreitet, als sie durch die Straßen
zogen. Voran der Kellner, ohne Hut/ im schmierigen Smoking, die
Serviette in der Hand, »Die wollen Frieden machen. Die wollen
Frieden machen.«
Verkäuferinnen — verwaiste Bräute — verließen den Ladentisch und
schlossen sich an. Zwei Schaufensterreiniger — alte Männer — ließen
die Leiter stehen und schlossen sich an. Der Wagenführer der Elek-
trischen hörte das Wort »Friede«, erstarrte und sprang vom Wagen
herunter/ schloß sich an. Die Fahrgäste schlossen sich an. In wenigen
Minuten hatte sich die Menge verdreifacht. Und verzehnfachte sich,
als Robert, auf dem Platze angelangt, auf der Brunnenschale stand
77
und spraA. Sein Mund zeiAnete den letzten Satz in meterhohen Buch«
staben an den Himmel: »Es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt.
Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und
ins Feuer geworfen.«
Eine junge Frau stand da und tat nichts als lächeln und »Friede«
sagen. Reisende, die vom Bahnhof kamen, vergaßen alles und schlossen
sich an, als die Menge weiterzog. Flammend. Schnell. Entzündet vom
Glauben. Eine Schar Urlauber, feldmarschmäßig ausgerüstet, das
Gewehr quer über dem Rücken und das Grauen des Schlachtfeldes in
den Augen, schloß sich an. Alte Mütterchen kamen kaum mit. Kinder
bekamen schmale Gesichter vor Staunen und ahnten das Große. Ein
alter Polizeiwachtmeister mit grauem Spitzbart, das Trauerband am
rechten Arm, bekam fanatische Augen und schloß sich an. Menschen,
die dem Zug entgegenkamen, machten kehrt, vom Feuer ergriffen.
Radfahrer sausten durch die Straßen. »Die wollen Friede machen!«
Die Wirtshäuser entleerten sich. Werkstätten, Baustellen entleerten
sich. Transmissionen standen still. Eine Abteilung Soldaten unter
Gewehr wurde mitgerissen. Gesänge der Liebe ertönten im Marsch»
tempo. Kranke stiegen aus den Betten, schleppten sich ans Fenster.
Kilometerlange Linien von Frauen, schräg bewegt, trieben aufeinander
zu, stießen zum Zuge.
Ein Zwanzigjähriger — Fanatismus und Geist auf der Stirn —
sprang aus einer menschengefüllten Seitengasse heraus, auf den Kellner
zu, küßte ihn. Und sein heißer Blick öffnete die Herzen. Die ganze
Stadt war aufgestanden und schrie ein Wort. Friede. Das so ge»
sproAene Wort wurde zu vieltausendstimmigem gewaltigem Gesänge.
Alle KirAengloAen läuteten.
73
WALTER SCHOCKING <MARBURG>:
DEUTSCHLAND IM HAAG
Die deutsche Presse ist nicht müde geworden, die ablehnende)Haltung
des Deutschen Reiches auf dem zweiten Haager Kongreß als einen
großen diplomatischen Erfolg hinzustellen, und unsere Reichstagsboten
sind ihr gefolgt. Wer aber durch Augenzeugen einmal erfahren hat,
wie fast die gesamte deutsche Presse in bezug auf auswärtige Politik
mittags zwischen 11 und 1 Uhr in der Wilhelmstraße gespeist wird,
wird dieser Tatsache kaum irgendwelche Bedeutung beilegen können.
Wohl hat die deutsche Presse, ebenso wie das Weißbuch der Regierung
für den Reichstag, den Lesern alle Gründe vorgetragen, die der deutsche
Delegierte Freiherr v. Marschall gegen das Projekt des obligatorischen
Weltschiedsgerichts vorgebracht hat/ wohlweislich aber hat man den
Lesern verschwiegen, daß diese Gründe juristischer Natur nach dem
ausführlichen Bericht des Belgiers Guillaume für den Kongreß, der einen
ganzen Folioband füllt, in den wichtigsten Punkten völlig widerlegt
sind, ohne daß der deutsche Delegierte deshalb seine Stellung geändert
hätte. Gewiß hatte trotzdem der Weltschiedsgerichtsvertrag einige
Schwächen, aber es handelte sich weniger um die materielle Wertung
des vorgeschlagenen Vertrages, als um die Anerkennung eines Prin-
zips von ungeheurer Kulturbedeutung/ und selbst wenn man mit Recht
den Weltschiedsvertrag wegen seiner Unvollkommenheiten für einen
bloßen Schein halten könnte, so würde von solchem Scheine immer
noch das kluge Wort Zorns zu gelten haben, daß auch darin eine be-
deutungsvolle Wahrheit liegen kann, nämlich »die Verbesserung
der internationalen Luft und des internationalen Lebens«,
die durch solches Nachgeben gegen weit verbreitete und stark sich
geltend machende Strömungen gewonnen werde. Leider sei solchen
Erwägungen wohl der Soldat, aber nicht der Bureaukrat zugänglich.
Vergegenwärtigen wir uns, daß es sich bei der Frage des obligato-
rischen Schiedsgerichts nach den Worten Zorns »um das große
79
zentrale Problem der ganzen Konferenz« handelte, daß diese
Verhandlungen nach Zorns Wort »in einer vollständigen Ver*
wirrung« endeten, daß endlich nach der Darstellung von Zorn und
andern Konferenzteilnehmern dieses negative Resultat auf Deutsch»
lands »unerschütterlich ablehnende Haltung« <Zorn> zurück*
zuführen ist, so erklärt uns nur der Zustand völlig naiver Unschuld,
in dem der Deutsche sich in bezug auf auswärtige Politik zu befinden
pflegt, wie man in dem Verlauf des Kongresses einen großen diplo*
matischen Erfolg für uns sehen will. In Wahrheit hat, wie mir von
einem hochangesehenen wissenschaftlichen Konferenzteilnehmer des
Auslandes erzählt worden ist, wieder einmal allgemeine Entrüstung
über die reaktionäre Haltung Deutschlands in dieser Frage geherrscht.
So können sich hödistens diejenigen, bei uns leider sehr verbreiteten,
nationalistischen Kreise über das Ergebnis freuen, die infolge ihrer
gänzlichen Verständnislosigkeit für die internationalen Probleme in
allem, was die andern Kulturnationen auf internationalem Gebiet
unternehmen wollen, eine Intrige gegen uns sehen, die man durch* -
kreuzen müsse. Das aber ist eine Haltung, vor der Zorn nicht ohne
Grund eindringlich warnt. Die trüben Folgen unserer Haltung auf
der zweiten Haager Konferenz sind denn auch nicht ausgeblieben.
Die Voraussage Frieds unmittelbar nach dem Kongreß, »daß die
offiziellen Verhandlungsprotokolle der Haager Konferenz dem Pu*
blikum den Schlüssel für manche künftige Vorgänge des internationalen
politischen Lebens geben würden, mit denen Deutschland keine Ursache
haben könnte, zufrieden zu sein«, ist prompt in Erfüllung gegangen.
8o
Oskar Kokoschka: Porträt des Prof. Sch {Icking <Breslau>
6
ALBERT EHRENSTEIN:
CAFE »PRAG«
In einer meiner Skizzen passiert der Held, Wodianer geheißen, das Cafe
»Prag«/es fällt der übellaunige Satz: »Ein Achtelliter Raubritterblut em»
pörte sich in ihm gegen die spitzfindige Synagogenluit dieses Zionisten»
beisels, in dessen Ecken immer ein paar jüdische Literaten urchristelten.«
Aus diesen Worten gehe hervor, daß ich Betklubs für ebenso wert»
voll halte wie sonstige Männergesangsvereine <da sich Gott nie der
Menge ergibt, ihn jeder einzeln bestehen muß), — Außerdem ver»
meine ich in allem heutigen Urchristentum jüdischer Konfession — so
sehr auch religionsgeschichtlich die Christenheit eine mosaische Sekte
sein mag — Spuren unnötiger Assimilation entdecken zu können.
Drittens scheint mir ein territorial sehnsüchtiger, durch den Landes»
erwerb, der Landesbehauptung verknüpfte Weltkriegsunzukömmlich»
keiten keineswegs gewitzigter Zionismus nicht bis zu meiner Sentenz:
»Es hat die Seele keinen Bosporus, noch Vogesen« vorgedrungen zu
sein. Ich gestatte jedermann an Stelle der genannten Räumlichkeiten
Palästina oder Rom zu setzen — soweit mit diesen Begriffen reales
Erdreich, Blutreich zu verbinden ist. Überhaupt propagierte ich von
jeher die Doktrin: »Asien den Asiaten«, und bitte seit Jahren instän*
digst, dem Papst, Großrabbiner, dem ebenso orthodoxen Zaren, Scheich
ul Islam, Mikado, Generalkonsistoriumspräsidenten endlich Jerusalem
als gebührenden Wohnsitz anweisen zu wollen — Europa hingegen
allen wahren, nicht großzeitgemäßen Europäern ...
Der Herausgeber einer tapferen Wochenschrift ersuchte mich, den
eingangs erwähnten Satz nicht zu veröffentlichen, glaubte, zu anti»
arischer Gesinnung herausfordernde Nichtköpfe könnten ihn für anti»
semitische Zwecke reklamieren. So lieblich nun sonst die vox recla»
mantis in deserto ertönen kann, ebenso herb möchte ich dennoch be*
funden werden seitens pharisäischer Anachronisten, triefend vom
Gänseschmalz der koscheren Denkungsart.
82
Verbrechen bleibt es, daß die Schule in Österreich den jungen Juden
mit zwei Stunden wöchentlichen Religionsunterrichtes abfindet — statt
allen des biblischen Urtextes eindringlich Beflissenen (belohnend) das
öde Lateinstudium zu ersparen. Ärgernis ist: im Bereich des corpus
iuris grassiert der israelitische Rechtsanwalt, selbst in dieser Kommerz*
Sphäre sind prozenthafte Zitate altdeutscher Mystiker häufiger als die
gemäßere, aber fast unerschwingliche Kenntnis des Talmud und der
Kabbala. Aufgabe wird es, Mauern letzten Ghettos zu zermörsern:
uns von TalmLjuden, Scheinchristen zu befreien. Derartige Simili*
und AssimilLExistenzen dürfte auch Prag kennen, die von bedrängten
Deutsch*Semiten vergeisterte Stadt. Aber gleichwie mir angesichts
der herrlichen Wirklichkeit des Hradschin etwa ein in Ur*Prag spie*
lender prähistorischer Roman gestohlen werden kann, trotzdem mir
der erstklassige Goalschuß eines jüdischen Mitgliedes des Prager deut*
sehen Fußballklubs oder der »Slavia« sympathischer ist als die gewiß
autochthonen Lochen polnischer Dörfer — die Frage apodiktischer
Echtheit steht noch immer zur Diskussion. Die heikle, doch wohl zu
verneinende Frage, ob nicht abermals mimicry sich unterschob, ob
manches, was wir als germanisch*jüdische Poesien Prags lieben und
ehren, nicht etwa auch oder gar: nur Ausfallstor der Tschechen gegen
Deutschland ist, geöffnet von Otokar B rezinas pantheistischer Mensch*
lichkeit ?
Die Dinge so betrachten, hieße: sie zu genau betrachten, zwie*
trächtig zu zertrachten. Lieber, o Freunde, möchten wir ein Unrecht
gutmachen!
Bedauerlich unbekannt ist leider noch einer der begabtesten Prager,
an Rang, konzentrierter Größe den Dichtern Ernst Weiß, Paul
Kornfeld, Brod, Werfel, Kafka sicherlich ebenbürtig. Man lese im
Cafe »Prag«, im Cafe »Wien«, im Cafe »Berlin«, in ganz Deutsch*
land und Danubien die ethisch*phantastischen Dichtungen »Elohim«,
»Nämlich«, »Die Zauberflöte« des theosophisch-metaphysischen Epi*
kers Pauf Acffer (Hellerau)!
6*
83
PAUL ADLER-,
AN DIE HERRSCHER
Hört, ihr Könige, Herrscher der Menschen! ihr Fürsten und die Zaren,
hört ein Wort! Haltet ein, alle Unentwegten, vor dem Wort, das euch
am Mantel faßt!
Seid ihr denn Männer, ans Hören gewohnt? Richter mit dem Ohr
in der Menge, wo immer sie klagt? Seid ihr Arbeiter, die zuvor an-
sehn, was sie anfassen? Oder seid ihr Befehlshaber, Frager ohne Ant-
wort, gewandt in jenen Reden, die feststehn? Und Angeredete, die
zwischen Ernstsalve und Festsalve nur den toten Laut hören, den
feigen und leeren Widerhall?
Ihr Könige, ihr Befehlsträger, ihrVorträger auch im Rate! Ihr Reichs-
tage, und Sprecher, und Dumen, und wie ihr alle heißt: Wortkönige
seid ihr: Solche, die das Wort führen, das nicht geführt werden, son-
dern vom Herzen kommen will. »Wes aber das Herz voll ist« <und
sei's in Röcke gepreßt), »des läuft der Mund über.«
Ihr Thronenredner, lange schon nennt ihr euch die Redner gemeinen
Mannes. Habt ihr in seinem Rate gesessen, habt ihr ihm auf den Mund
gesehn, wie Luther spricht? Seid ihr bei ihm umhergegangen wie
der Märchenkalif, wie der Josef der kaiserlichen Legende? — Immer
nur seid ihr ihnen gegenwärtig in der gleichen Haltung, dem Rahme
immer gleich, der sich von der Milch scheidet. Vertrauen, wann durftet
ihr es erwerben? Vertrauen, wie es Mensch dem Menschen schenkt?
<Ihr kennt die Stimmen ~ Ja — so, wieans Ohr der Wind schlägt: Ge-
räusch ohne Seele, Geräusch, das tags in den Straßen entsteht, so oft
das Wetter umschlägt.) — Nun geht doch, sammelt die Stimmen, be-
fraget nach dem Alphabet! Befragt ohne Henker und Zuchthaus im
Rücken, und, ihr Fürsten, sollet ganz andre Worte hören!
Ist es denn erst seit gestern, daß wir diese Worte kennen? Wir, die
nicht sprechen, aber dafür hören dürfen? Nicht seit gestern, ihrMän-
84
ner, sondern von allem Anfang an kennen wir diese Worte, die frei
anzuhören, ihr euch wie Fahnenflüchtige drücket!
Gewiß, ihr habt Spieglein befragt, Könige, mit der Frage: »Wer
ist der Stärkste im Land?« Ihr Männer des Gehöres, der Audienzen,
Gehör gäbet ihr, wem nur? Wie, oder griffet ihr über allen Köpfen
zu? Der Blitz trifft ungefragt, doch nur an einer Stelle. Euer Blitz aber
ist überall zugleich seit einem fernen Tage/ seit einem Tage viel-
hundertmillionenfältig der Nachdonner eures Alarmschusses! — Und
immer noch, ihr Könige? Immer noch durchgehalten auf euern Olym-
pen? Und von euch ist nicht einer darob wahnsinnig geworden? Wir
wundern uns, daß ihr, mit Gottes Donnern bewaffnet, so erotengleich
die schweren Wolken tragt!
Euch drückt eine kaum erträgliche La.st, euch Genien,- eine uner-
trägliche Last vielleicht für den Menschen, der zu Gott aufblickt.
Fraget, fraget, fraget darum im Kreise, ihr Könige, zu eurer eigenen
Entlastung! Bittet jeden Landsturmmann, der auf euern Weg be-
fohlen ist, daß er euch seine ganze Antwort erteile, seine unbeschö-
nigte, ehrliche Kameraden-Antwort — die Art Antwort, die vor Gott
eure Verantwortung mindern soll.
Die Verantwortung für — Stille! nicht sei es euch schwer gemacht,
Herrscher. DieVerantwortung für — Ruhe! wir wollen euch länger
noch tragen, Könige! DieVerantwortung für zweieinhalb gezählte
Mordjahre. Den Anschlag auf noch weitre ungezählte Mordjahre. Die
Verantwortung für zwei, zum Teil noch lebende Geschlechter. Die
Verantwortung für zwei oder drei nur durch rohe Gewalt zustande-
gekommene Glaubenssätze. Die Verantwortung für alles, woran
unsere Ohren bereits gewöhnt sind, wie die Ohren von feldgrauen
Wölfen der alten Jahrhunderte, und wie die Ohren der geduldig har-
renden Hyänen. DieVerantwortung für alles, was nicht aufgezählt
werden muß, weil es alle wissen. Und die Verantwortung — es ist
85
eben dieselbe — für alles, was nicht aufgezählt werden kann — darum,
weil es nicht die Ohren der Könige hat...
Aber verberget euch nicht, Könige, dahinter, daß dieses Wort
Empörung schalle. Ihr Selbstherrscher, wann jemals war der Be»
herrschte so gefügig? Ihr Zaren, euch donnert niemand seinen Ukas
zu. Lasset uns ehrfürchtig schweigen — vor Gott und derVerant»
wortung zitternd — vor den Kaisern, die sich nun unterreden wollen.
— Nun, ihr Aare: ihr entzweiten, gezweifen Aare, was habt ihr uns
noch zu kreischen? Welches ist das freie Königswort in euern Königs»
kiefern ?!
Wovon reden die Herrscher unter sich, insgeheim? Und die
Herrscherfrauen, reden sie vielleicht: »Laß du das ruhig weiter gehen,
solange noch Mensch da ist.« <Dann wehe hier den noch Übrigen, die
keine Königin trug!) Wie, oder reden die Könige davon, daß nun end»
lieh ein Ende gemacht werden soll? Und halten die Frauen auch in
den Königslogen, den Atem unter den Brüsten fest? — Wenn der
König die Mutter seiner Kinder fragt, was antwortet ihm sie, die den
Leviathan zitiert? Antwortet sie: »Kann he König maken, kann he
ok Kaiser maken.« wie Ihre Majestät, die Ilsebill? Meint sie: »Dat
waehl wy us bedenken und waehlen't beslapen?« Oder antwortet sie
— und ihr Herz zerbricht ihre Stimme —: »Geh von mir, geh von
mir! Wasche du deine Hände mit Pilatus!«
So höret denn, Herrscher, vom Menschen Stammende! Ihr Gatten
der Fürstinnen und Söhne der schwergebärenden Fürstenfrauen!
Ihr Alpen* und ihr Karpathenhäuptersammler, und ihr Sdhiffsertränker
zusammen mit den monströsen Bauchrednern aus fremdem Magen!
Hört, Größesprecher auf die Sprachlosen, auf sie, denen der Mund ihrer
Stummheit offensteht, während ihr euch vertaubet! Taubstummer
Koloß! Soll einer den tauben Ohren predigen?! Die Seele hört es:
86
Gesprochen ist im Innern, und atmet frei — viele milliardenmal, ohne
daß ihr es einziehn konntet — das souveräne Wort:
Genug.
Genug, reichlich genug von euch, Liebhabern der kurzen Befehle!
Männer des Schweigens, gewöhnet euch wieder an derWorte schweig*
samstes, an das Schwert der herrschenden Rede, an den Majestätsbefehl:
Genug!
Genug — nicht übergenug, weil wir Gott ehren — doch genug,
reichlich genugund schon zuviel! Zuviel, ihr Befehlsredner der »Schlacht*
länder«, der »Gebeinhäuser«, von denen eure Worte triefen! Zuviel
der Belegschaften für die Gräben, mit getöteten Schützen gefüllt, der
Sklavenschaften, endlos für die neu*chufuschen Ehrenpyramiden! Zu*
viel der Dogmen mit dem Inhalt geschäftsunheiligen Werketages,
mit dem Inhalte Frankreich oder auch Bulgarien! Zuviel der geraubten
Kinderseelen, der entwendeten heiligen Glaubenskraft! Der Ertüch*
tigung zuviel, und der Schulpauken nach dem Taktstoch, von den dun*
kelsten herrischen Dunkelmännern geschwungen! Zuviel des Erden*
dogmas: »Über allem die Erde Vaterland!« — Zuviel von euch
Ketzerrichtern, Küstern, Kardinälen der Unheiligen Inquisition!
*
Bekämpfet, ihr Obrigkeiten, den Feind zuerst im eigenen Haus:
den Inneren Feind, den Schipper aller angriffsfrechen tobenden Schüt*
zengräben! Führt das Schwert gegen den Guten nicht,- führt es gegen
den Bösen, wie Sankt Paul lehrt — »und ihr werdet Lob erhalten.«
— Munition! Munition! ihr großen Zusammenfasser! Mut und
Panzer der aufrechten Vaterlandsliebe gegen die Zweiundvierzigzenti*
meterverleumdungen, gegen dieDiabolien vom durchschlagenden,auf*
wühlenden Kaliber! Kopfschutzhelme gegen alle völker=unrecht*
liehen Luftvergiftungen vom »militaristischen«, vom »neidgiftigen«,
vom »barbarischen« argen Feind! Ihr Herrscher, Meinungsherrscher
auf eineinhalb Jahrhunderte: wer unter euch seine Geschichte rein weiß
vom Verbrechen, um das er den Feind bekämpft, und seine Zukunft
87
frei von unauflöslichen Haßknoten: der trete vor Ihn hin, der den
Splitter im Auge des Feindes übersieht, doch den Kolben nicht im
Freundesblick. Und dieser unter euch Königen werfe ruhig des Unter«
gangs letztes Ekrasit!
Ihr Zaren, ihr Welt« Vierfürsten, dieser Zerstörer unter euch spreche
furchtlos <und fürchte den großen Zerstörer nicht). Er spreche dem«
nächst auf dem großen Aschenfelde: »Die Welt ist untergegangen.
Meine Gerechtigkeit hat diese Welt gerichtet!«
Euch aber ist Röte, Gesundheit am lieben Leib, was am fremden
euch Schamröte ist. Es ist euer Verlangen vom Nachbarsverlangen so
unterschieden wie die Eier des Doppeladlers von den Eiern, vom Vogel
Rock bebrütet. Darum, ihr Mordvögel, krähet <eh euch nicht Fran«
ziskus verwandelte), von eurem Korne vielmehr, vom umpanzerten
Engerling! Nicht aber singet, Blutfedernumringte, von den seligen
Phönixbildern! Hahn unter den Völkern, schwer-atmenden Leibes
du, nicht locke mit,Freiheit' in das Messer des Hähnemetzgers!
Aar und Löwe: wollt ihr euch ganz umbringen, Freund und
Feind? Wollt ihr niemanden mehr am Leben lassen, blutige Kiefern ?
Ihr Herrscher, wollt ihr in euern Ländern allein sein, unter Frauen
und Kindern, euern zukünftigen Hügelerstürmern? Dann — wir er«
suchen euch: dann redet, dann laßt drucken, dann verlautbaret weiter
wie bisher: »Genaht die Entscheidung! Nur diesmal auf Kniee den
schon müden, den kaiser«harten Feind!«
*
Und darum, ihr Könige, die ihr das lautere Wort nicht liebet,
darum lauscht auf die stillere Stimme, auf die Listen höret der
raunenden Geheimredner! — Wofür kämpfet ihr noch, Anfeuerer?
Wofür diese »Berge Toter vor den gewonnenen Kilometern«? Für den
Sieg? Wort ohne wahrhaften Inhalt, vom Feinde zugleich beansprucht!
Für die Zukunft? Ganz leeres Wort, des Verschwenders Geld und
des verlorenen Sohnes! Für Gut und Wohlfahrt? Im bösesten Ernste?
88
George Grosz: Die Fabriken <II>.
Für die Freiheit? Durch ihre Zerstörung? Für das Recht? Durch des
Rechtes Meuchlerin! Für das Vaterland? Durch seinen Ruin? Geht
geht, Kriegskönige, versammelt euch zu euern Vätern! Geht ein in den
Blutduft Shakespearescher Königsdramen!
Gefallen, verfallen, gesunken, versunken ist ja mehr schon, ihr Herr«
scher, als eure Ohnmacht noch aufrichten kann! Der Schwamm frißt
das alte Fundament. Wankend und vag werden Wirtschaft und Wohl«
fahrt: es zerspringen alle die niedrigsten Götzen, die der Menge wie
den Machthabern in die Mienen lachten. Handel und alle Herstellung
sind in Leiden. Die See versiegelt und ihre Schiffe durchbohrt/ ihr selbst,
Könige, werdet sie nicht wieder sehen. Wer aber hier siegt: wird dieser
gesiegt haben? Der Unterlegene, wann wird er sich neu aufraffen?
Wer einem Feind heute das Schwerste zufügte, wird der nicht sehen
morgen, daß er seinen Helfer ersdilug? Wer aber einen Freund stärkt,
wird er nicht seinen Hasser sich großgezogen haben?!
#
Und hiermit, ihr Herrscher, habe es eine Bewandtnis mit eurer
W eisheit/ ein Ende gewinnt jetzt das erinnerndeW ort. Denn nicht länger
mehr, ihr Zaren, will ich auch an euren Zipfeln halten. Ihr seid frei,
Kaiser, seid frei von uns,- seid frei wie solche, die frei wählen nach
ihrem Gewissen. — Gott mit euch, Herrscher, wissende und gewissen«
hafte: Hütet euern Weg vor dem Mundauftun der sanften Eselinnen
gegen euch, gleich dem Mund von des Moabiters Tiere. Nicht lange
mehr wird ein Mensch mit euch am harten Wege reden.
Friede sei mit euch Herrschern! Friede sei mit euch, Schnur«
träger, die ihr die Weichen der Reittiere drückt! Und Krieg sei und
ein Moabitischer Druck, in der Welt!
<20. November 1916)
90
ELSE LASKER^SCHÜLER:
SIEBEN GEDICHTE
ICH BIN SO ALLEIN.
Fand7 ich den Schatten
Eines süßen Herzens.
— Oder mir jemand
Einen Stern schenkte —
Immer fingen ihn
Die Engel auf
So hin und her.
Ich fürchte mich
Vor der schwarzen Erde.
Wie soll ich fort?
Möchte in den Wolken
Begraben sein,
Überall wo Sonne wächst.
Liebe dich so!
Du mich auch?
Sag es doch------
91
DEM GOLDPRINZEN.
Gar keine Sonne ist mehr,
Aber dein Angesicht scheint.
Und die Nacht ohne Wunder,
Du bist mein Schlummer,
Dein Auge zuckt wie Sternschnuppe
Immer wünsche ich mir etwas.
Lauter Gold ist dein Lachen,
Mein Herz tanzt in den Himmel.
Wenn eine Wolke kommt —
Sterbe ich.
92
AN TRISTAN.
Ich kann nicht schlafen mehr,
Immer schüttelst du Gold über mich.
Und eine Glocke ist mein Ohr,
Wem vertraust du dich?
So hell wie du,
Blühen die Sträucher im Himmel.
Engel pflücken sich dein Lächeln
Und schenken es den Kindern.
Die spielen Sonne damit
Ja...
93
AN DEN GRALPRINZEN.
Wenn wir uns ansehn
Blühn unsere Augen.
Und wie wir staunen
Vor unseren Wundern — nicht?
Und alles wird so süß.
Von Sternen sind wir eingerahmt
Und flüchten aus der Welt.
Ich glaube wir sind Engel.
94
AN DEN PRINZEN TRISTAN.
Auf deiner blauen Seele
Setzen sich die Sterne zur Nacht.
Man muß leise mit dir sein.
O, du mein Tempel,
Meine Gebete erschrecken dich,-
Meine Perlen werden wach
Von meinem heiligen Tanz.
Es ist nicht Tag und nicht Stern,
Ich kenne die Welt nicht mehr,
Nur dich — alles ist Himmel.
95
AN DEN RITTER AUS GOLD.
Du bist alles was aus Gold ist
In der großen Weit.
Idi suche deine Sterne
Und will nicht schlafen.
Wir wollen uns hinter Hecken legen
Uns niemehr aufrichten.
Aus unseren Händen
Süße Träumerei küssen.
Mein Herz holt sich
Von deinem Munde Rosen.
Meine Augen lieben dich an,
Du haschst nach ihren Faltern.
Was soll ich tun,
Wenn du nicht da bist.
Von meinen Lidern
Tropft schwarzer Schnee/
Wenn ich tot bin,
Spiele du mit meiner Seele.
96
NACHKLÄNGE.
Auf den harten Linien
Meiner Siege
Laß ich meine späte Liebe tanzen.
Herzauf, seelehin,
Tanze, tanze meine späte Liebe,
Und ich lächle schwervergessene Lieder.
Und mein Blut beginnt zu wittern
Sich zu sehnen
Und zu flattern.
Schon vor Sternzeiten
Wünschte ich mir diese blaue,
Helle, leuchteblaue Liebe.
Deine Augen singen
Schönheit,
Duftende ....
Auf den harten Linien
Meiner Siege
Laß ich meine späte Liebe tanzen.
Und ich schwinge sie —
»Fangt auf ihr Rosenhimmel,
Auf und nieder!«
Tanze, tanze meine späte Liebe,
Herzab, seelehin —
Arglos über stille Tiefen ....
Über mein bezwungenes Leben.
7
97
FRANZ WERFEL: XXXX. SPRUCH
AUS DEN XXXXHII SPRÜCHEN DES LAND»
STREICHERS LAURENTIN
An die Dichter
O Dichter, alle meiner Zeit,
Vor deren geliebten Namen
Der Knabe oft in hohes Grauen schwand!
O Dichter,
Mitsterbliche, gefährtenhaft,
Verloren wandelnd über die vielen Meridiane:
Ich komme gesenkt,
Ich rühre Euch an,
Mit meinem Saum.
In großer treulicher Lieb.
O Dichter.
Erschallende, tröstende Bojen,
Von Gottes Güte getan
In diesen zynischen Taifun.
<Er hält sich an Euch an
Mit armen Armen, der Schwimmer.)
O Dichter,
Ihr großen, immerschreitenden
Mit aufgedrehtem Antlitz — Blinden!
Und immer immer
In weißem Kleid, mit Schritten,
Immer immer —■ Ihr Blinden straßenhin!
Ich komme, Ihr Heiligen,
In Eueren schallenden Morgen,
Wo geistiger Stern noch weht,
Und nicht toben die hartherzigen Räder,
Und nicht noch gerben Elend und Hohn
98
Der Frauen schlafenden Schein,
Ich komme, Ihr geneigten Häupter,
Ihr mit den starren Lidern des Bildwerks!
Ich nahe Euerer donnernden unhörbaren Küste,
Ich stehe vor Euerem stummen erbrausenden Wald.
Mit gebeugtem Knie,
Ehrfurchtsvoll wecke ich Euch an,
Daß Ihr herüberseufzet zu mir
Von Euerer Schiffahrt!
Ich spreche in Eueren Traum:
— Immer müssen erste Menschen sein
Atmend auf dem erneuerten Arrarat. —
Ich rufe Euch zu heiligem Schicksal,
Ich trage Euch Martyrium her,
Und nur Verlust und nur Verfolgung!
Ich leite Euch,
Wie ein Knabe einen riesigen Blinden leitet.
Ich führe Euch zu untenwachsender Zusammenkunft,
Ich bereite Euch vor zu dem Genuß des weitergereichten Weins.
Ich lade Euch in die Katakomben
Zu großer Verschwörung, zu tiefem Geheimnis.
7*
99
FR. W. FÖRSTER:
AUS »DIE KRIEGSROMANTIKER HINTER
DER FRONT«
Über Krieg, Machtpolitik und Nationalismus haben in den Kriegs«
monaten manche Vertreter des liberalen und nicht selten auch des
positiven Protestantismus Ansichten geäußert, die nach dem Kriege
wohl Anlaß zu sehr ernsten Auseinandersetzungen geben werden.
Für diese Theologen gilt, was eine unabhängige deutsche Zeitung
schon im Jahre 1913 feststellte: »Es ist ein unter dem hypnotischen
Bann der Bismarckischen Erfolgspolitik fast allgemein eingetretener
Zustand der deutschen Christen, daß ihre Augen dick geworden sind,
so daß sie in der Politik die einfache christliche Wahrheit nicht mehr
erkennen.« In gewissen kriegstheologischen Schriften ist Christus über®
haupt nicht mehr das »Licht der Welt«, sondern nur noch das Licht
des Privatlebens/ als das eigentliche Licht der Welt gilt dort Bismarck/
für die großen Weftproßfeme, so meint man, habe er allein die rieh«
tigen Gesichtspunkte aufgestellt/ in der Weltpolitik führe daher jede
Nachfolge Christi zum Bankerott. In diesem Sinne behauptet Baum«
garten (Krieg und Bergpredigt, Berlin 1915), Christus habe nur einen
»Ausschnitt unserer sittlichen Verpflichtungen im Auge, nämlich das
Verhältnis der Einzelseele zur Einzelseele und zu ihrem Herrgott,
an das andere ist schlechterdings nicht gedacht«. So wird die Welt»
Politik radikal vom christlichen Leben und Denken getrennt — hier
soll die Liebe, dort der nackte Machtkampf herrschen. Sogar ein An*
griffsßrieg wird im Interesse der nationalen Machterweiterung als
erlaubt hingestellt. Zwei Grundirrtümer stehen hinter dieser Spaltung
des Gewissenslebens: Erstens wird vergessen, daß ein brutaler und
rücksichtsloser Geist in der äußeren Politik verrohend und zersetzend
auf das gesamte Gewissensleben der Nation zurückwirkt, so daß sich
jene Spaltung in Wirklichkeit gar nicht aufrechterhalten läßt,- zweitens
wird vergessen, daß die realen weltpolitischen Probleme heute so kom»
100
pliziert geworden sind, daß sie mit dem bloßen machtpolitischen Nation
nalegoismus gar nicht mehr gelöst, sondern nur noch grauenvoll ver»
wirrt werden können, Die Völker sind heute durch wirtschaftlidien
und kulturellen Austausch so tausendfältig ineinander verflochten,
daß der Schaden des einen tatsächlich auch stets der Nachteil des andern
ist. Denn jeder ist ja hier zugfeieß Kunde und Lieferant des andern.
Und es ist das letzte Resultat der immer reicher verzweigten inter»
nationalen Arbeitsteilung und Spezialisierung, daß heute schon in
tieferem Sinne kein Volk mehr wirtschaftlich dem andern wirklich im
Wege steht: es ist überreichlicher Raum für das Nebeneinander all
der verschiedenen Begabungen,- eine vorübergehende Konkurrenz ist,
wenn man genau beobachtet, nur ein Mittel, um festzustellen, wessen
Gaben am bestimmten Orte und in bestimmter Branche den realen
Bedürfnissen besser angepaßt sind,- das in einem solchen Erwerbs»
zweige unterlegene Land findet ja dann an Stelle des aufgegebenen
Gebietes stets genug andere und seiner Eigenart besser angepaßte
Produktionszweige, und es kann sich im übrigen über den erfolgreichen
Konkurrenten nur freuen / denn dessen Prosperität kommt ja als er»
Lohte Kaufkraft auf zahlreichen Wegen doch wieder dem Volke zu»
gute, das ihm auf einem bestimmten Felde Platz gemacht hat. Wenn
z. B. unsere Uhrenindustrie die englische selbst innerhalb des briti»
sehen Weltreiches mehr und mehr aus dem Felde schlägt {nachdem
wir vor Jahrzehnten selbst in unserer Kriegsmarine noch englische
Chronometer hatten), so ist diese unsere Ausdehnung kein Schaden
für England, denn wir gewinnen durch diesen Erfolg an Kaufkraft
für eng fische Produkte, und England vermag das freigewordene
Kapital und die freigewordene Arbeitskraft auf Gebiete zu lenken,
auf denen es einen sicheren und nicht einzuholenden Vorsprung
besitzt. Daß diese Verteilung der Produktion auch durch inter»
nationale Abmachungen beschleunigt und organisiert werden kann,
genau so wie innerkafk des nationalen Lebens selber, liegt auf
der Hand und weist deutlich darauf hin, wie sehr die gegenseitige
IOI
Regulierung der nationalen Ausdehnungsbedürfnisse auf vernünftige
Verständigung angewiesen ist, und wie unmöglich es ist, diesen
schwierigen Problemen mit kriegerischen Lösungen irgendwie bei*
zukommen. Darum sind eben auch alle die auf internationale Rechts-
ordnung und Verständigung zielenden Bestrebungen unseres Zeit-
alters keineswegs bloße humane Icfeoßogis, sondern vielmehr Reflexe
der gänzlich veränderten nationalen Lebensbedingungen/ aller-
dings sind alle diese Realitäten der modernen Zivilisation dem in
die »historische Bildung« eingeschlossenen und für die neuen Tat-
sachen der Weltwirtschaft zugeschlossenen Stubengelehrten wohl am
wenigsten von allen Gegenwartsmenschen zum Bewußtsein gekom-
men. Und eben hier liegt auch der tiefste Grund dafür, warum es
Baumgarten gar nicht in den Sinn kommt, ob denn seine krasse Schei-
dung zwischen Privatleben und Völkerleben nicht vielleicht ganz künst-
lich und unnötig sei und ob die von ihm gefeierten realpolitischen
Methoden denn der Natur der in Frage kommenden Probleme über-
haupt noch gewachsen seien? Verlangen diese Probleme nicht viel-
mehr immer dringender nach jenen allerfeinsten organisatorischen und
sittlichen Kräften, die der Theologe auf das Privatleben beschränken
will? Ist es nicht aber wahrhaft tragisch und nur zu bezeichnend für
verhängnisvolle Rückständigkeit so vieler neuerer Vertreter des Chri-
stentums, daß man diese Jünger Christi heute von der Betrachtung
des realen Menschenlebens aus wieder mühsam zum Glauben an die
Weltbedeutung des Christentums bekehren muß? Ist es nicht z. B.
typisch, daß seit Jahren die großen ßircßßicßen Zeitschriften in Eng-
land mit geringen Ansnahmen imperialistisch redeten, während das
leitende IVeftßandeßsßfatt, die »Investors Review«, die reale Bedeu-
tung der christlichen Grundgedanken für Weltpolitik und Weltwirt-
schaft mit ergreifenden Argumentationen verteidigte?
Die »nationale Ausdehnung« ist heute ein enorm komplizierter
Lebensprozeß, der von der willigen Mithilfe der ganzen Welt abhängt,
von einem höchst verwickelten System von Leistung und Gegen-
102
leistung, Kompensation und Verständigung, und der darum durch
einfache Eroberung nie gesichert werden kann. Gewalt vermag hier
bestenfalls Augenß[icftserfofge zu schaffen, die dann infolge der mora-
lischen Erschütterung aller festen Verhältnisse die schwersten Rück-
schläge hervorrufen würden. »Ausdehnung« ist heute »Export«, dieser
aber setzt doch einen fremden Hafen voraus, in dem er zum »Import«
wird. Dieser Import kann aber nicht einfach »erobert« werden, er be-
darf des Entgegenkommens, der Sympathie, der berechenbaren Be-
ziehungen, und er kann wiederum nur durch Export in sein Ursprungs-
land bezahlt werden. Die drohenden Kriegsflotten haben darum der
wirklichen nationalen Ausdehnung aller beteiligten Völker zweifellos
mehr geschadet als genützt. Sie haben uns alle dazu verführt, die
wahren Bedingungen und Sicherungen wirtschaftlicher Ausdehnung
ganz zu übersehen oder verhängnisvoll zu unterschätzen. Schade um
all das Geld, die Technik und die Menschenkraft, die auf alle die
Dreadnoughts verwandt worden ist/ hätte man auch nur ein Viertel
soviel Geld, Gehirn und Organisationskraft auf Verständigungs-
aktionen verwendet, wir wären heute weiter mit der wirklichen Aus-
dehnung, und wir hätten große berechenbare Horizonte für die wirt-
schaftliche Expansion. Wer weiß, wie lange jetzt der Druck der Völker-
entfremdung und alle daraus folgende Unsicherheit der Weltlage läh-
mend auf dem Unternehmungsgeiste lasten wird. Jedenfalls kann nur
die gründlidiste Abkehr von der einseitigen Nationalpolitik jene Weit—
krisis einigermaßen abkürzen.
103
LUDWIG MEIDNER:
NÄCHTE DES MALERS
Gewimmel von Pariserblau auf blanken Kreidegründen/ zynisches,
meckerndes Zinkgelb/ Weiß mit Elfenbeinschwarz: das Kolorit der
alten Bettlägerigen/ Permanentgrün neben Zinnobergeschrei/ Umbra,
helles Kadmium und feurig Ultramarin-----überhaupt muß das Da-
sein von fetten, strotzenden Ölfarbentuben eingeengt sein. Man muß
sich fest einschließen in vier aschengraue Atelierwände, vor großen
Leinewänden herumturnen, einsam schimpfen, wütend sein, sich krat-
zen und eine Donnerwetter-Palette in der Faust haben.
Ich denke mir die großartigsten Dinge aus, apokalyptische Gewim-
mel, hebräische Propheten und Massengrab-Halluzinationen — denn
der Geist ist alles, die Natur kann mir gestohlen bleiben. Aber das
genügt nicht: die ölstrotzenden Tuben sind fast noch wichtiger, weil
die Farben mitmalen, miterfinden, mitfeiern.
Ich stelle mich manchmal blöde und ausgeleert vor die Stalfelei und
grinse in meine unrasierten, sommersprossigen Backen hinein / da hüpft
aus den zähen Chrom-Fladen auf einmal ein Umriß heraus, das Zin-
nober fängt zu schreien an und eine wunderbare Wirrwarr-Welt baut
Sich allmählich unter meinen Borstpinseln auf.
Ja, Farben, Farben ohne Zahl! Ich werde in eine Öl färben fabrik
einheiraten. Meine Frau wird mir je tausend Tuben Umbra, Ocker,
Kobalt, Kremserweiß und Krapplack in die Ehe bringen. Meine Frau
wird eine Eckige, Frenetische, Heiße sein. Sie soll meilenlange Arme
haben, mich fest an sich wickeln. Wir wollen uns in die enge Bettstatt
pferchen, Ida, und von gebrannter Umbra träumen. Deinen Kopf werde
ich dir abbeißen und Fangeball spielen in meinen grellen, zügellosen
Nächten.
Ihr Winternächte! Inbrunst, Wildheit bis früh um sechs. Her mit
dem schneeigen Flockenbogen. Mit zuckenden Fingern grab' ich den
Zimmermannsblei tief in den Sdmee. Ja, ich bin ein strenger Zeichner.
104
X'
/ />
Ich flitze kreuz und quer den Stift. Hinter den Sirius setz' ich einTusche*
Chaos, Ein Kindlein weint darin. KeineTraueresche wirft ihren Schatten.
Her mit dem Rum, ich muß schleckern. Die Staffelei presse ich an
meine haarlose Brust und tanze zotig und wie ein Bezechter. Geld
her, meine Damen. Ich will mir sechs Greise mieten. Mit viel rauhen
Schollen werde ich sie begraben, daß ihre spitzen Knie nur und ihre
entfleischten Hände hervorstechen. So will ich sie malen mit lauter
Gelächter* F arben.
Kürzlich lief ich ohnmächtige Tage lang herum, Schädel verqualmt,
Bauch schwer und Hände vergrämt. Stundenlang auf einen Stuhl hin*
gelümmelt, dumpfes Bohren in Gedichtbänden, stumme Freßbegier,
und diese Hölle umstarrte mich wie ein Geierkäfig. Da lag ich nachts
wie ein Zermalmter hingefletscht, neben Aschenberg und wucherndem
Ofenrohr. Ich wälzte mich in Schwermut und verworrenen Gesichten.
Minutenlang hatte ich schreckliche Freuden und dann umflackerten
mich wieder die schweren Stiere und Maulesel und die bleierne Ramme
des Stumpfsinns.
Heute am Fünfzehnten rasen Sturmsee*Kolorits. Ich mauere Häu*
sertürme in tänzelnde Mondsichellandschaften. Sechs Stunden keuche
ich vor Staffeleien. Es wird wolkengeballter Tag, ehe ich ins Bett
stürze .... Und die Nacht sieht mich wieder in ihren Mauern. Ich
rudere mit breiten Borstpinseln um Hügel und Felszacken herum,
quetsche mit Zeigefinger und Ballen den Himmelbrei. Erdrückte
Schreie im Herzen, so geht es mit der hohen Bahn, die der Mond am
Himmel madit. Ich bin ungebrochen und herrlich stirnzerklüftet. Nenne
Bosch und Breughel meine besten Brüder. Die Umbratuben sind im
Nu geleert. Zinnober raschelt um die Wackelköpfe der Fliehenden
diagonal über das Bild, und die Zinkgelbblitze schlagen kahlen Flächen
die Rippen ein.
Ein Steamer treibt den Strom entlang. Dünn hängt der silberne
Steg über dem Gewoge. Das Menschenschwein trabt drüber her... .
da: rux, es kracht. Gischt,Geheul! Rufe zu Gott.
io 6
Häuserungetüme biegen sich und schütteln manchen Selbstmörder
ab. Kathedrale, purzelt nach links in die Landschaft hinein. Kein Ge*
wimmer! nur Gestank strömt auf aus den Nachtlagern zahlloser
Lüsterner. Warum verdunkeln soviel Zeppeline den Mond? ! ! Da
klatscht einer auf die Dächer hinab. Menschenbrei rinnt auf meinen Hut.
Durch solche Nächte werde ich geschleift! Meine Seele umflattert
meine Farben. Auf der Spitze des Pinsels lächelt die Seele und singt
mit dem Wogenchoral meiner Pastosen Wälder. Hitze umbrandet
mich,- heiße Gesänge wollen aus mir heraus/ eine furchtbare Gewalt
rumort in meiner Brust.
Da kommt mir ein Tag in den Sinn: September-Nachmittag, du
warst mein! Ein Patzenhofer Wagen fuhr die milde Chaussee entlang.
Der Diebe oben johlte mit dem Winde. Eine Sonne ohne Radau schien
auf zaebige Vorstädte, und ich drüebte mich an Drahtzäunen hin, zag
und Schluchzer um Kinn und Nase.
Damals war ich ein junger Maler und arm. Meine Inbrunst zitterte
um denMaggi-Snppentopf, und das kärglichsteMahl machte mich mut-
los, anämisch und dumm. Ich zeichnete Fabrikessen im Sonnenschein.
Saß am Straßenrand und zeichnete auf Sechserpapier melancholischen
Rauch, der aus Fabrikessen floß. Die Abende jahrelang in übelriechen-
den Lesehallen. Da ich mich krumm zersaß und Kunstjournale
hastend zerfaserte, da ich bei idiotischem Lampenschein immer
wieder dieselben Plattheiten las — — hat kein steiles, rauschvolles
Blühen die Nächte geschwellt. Ich war verlassen, zerstoßen, geduckt
und hoffnungslos in Hirn und Gedärm. Das kleine Tagebuch, das
ich behutsam jeden Abend mit meinen winzigen Erlebnissen voll-
schrieb, berichtet von den verborgenen Qualen, die eine Maler-Stube
bergen kann. Nie hatte ich Farben. Die Pfennige reichten nicht dazu.
Mittwoch und Sonnabendnachmittag durchwanderte ich immer Stra-
ßen, die zum Wochenmarkt führten. Da fand ich Karotten, Kartoffeln
und Früchte, die den Hausfrauen-Netzen entglitten waren, und idi
füllte meine Taschen damit. Suchte ich fleißig, so ward mir ein reich*
107
liebes Essen beschert. Mein Topf brodelte über, und ich umtänzelte
ihn wie einer, der die ganze Welt im Sack hat.
Oft saß ich auf einer Bank, ganz erstarrt vor Schmerz, und zählte
mir immer wieder meine verlorenen Jahre, die in Armut und Hunger
hinsiechenden Jahre auf. Ich nährte Wut in mir und Anarchismus. Ich
hatte den Blick für Meinesgleichen.
Ich erkannte euch gleich, Schicksalsbrüder! Obdachlose, verlassene
alte Frauen, Männer ohne Arbeit und Heim, unsidhern Schritts, blick*
losen Auges, so flehentlich dahinwankend. Ging ich nicht manchmal stun*
denlang hinter euch her und wurde nicht mein Unglück geringer dabei?!
Da war in frühen Tagen ein Winter in Paris zu bestehen. Tags*
über saß ich, ein Selbstporträt zeichnend, in meiner muffigen Kammer.
Am Abend schlich ich immer die sdirecklich lange Rue Clignancourt
hinauf, die vor Elend heult. In schmutzigen Buden briet man Pommes
frites, und der Satan versuchte mich jedesmal, meine letzten Zwei*
Sous*Stücke auszugeben.
In jener Zeit, in der der Sonnenschein mir immer ironisch vorkam,
die Wolken taub, die Bäume schauerlich und die Nächte ohne Brennen
— als ob Gott seine Hand von mir gewendet — hat nie ein liebe*
voller Mensch meine Hand gedrückt. Es gab nur Dürftige, oder Geizige,
oder Hochnäsige, oder brutale Narren. Ich sprach nur selten einen
Menschen, und wenn ich dann anhub zu reden, klang meine Stimme
wie zerscherbte Kannen. Ich war immer scheu, verlegen, glanzlos und
in Verworrenheit gehüllt.
Jetzt bin ich zäh, glatzköpfig, stirnzerbeult und wie ein verzückter
Mönch,
Es ist mitten im Winter. Eisfirmamente bedrohen wüste Häuser*
massen. Die Fugen der Nacht krachen lautlos. Ich durchtaumle das
Atelier und sehne mich nach der Geliebten. Ich lisple deinen Namen,
Einzige, Teure, Schenkerin. Du wirst nicht von mir gehen. Immer wirst
du meinen Namen rufen. Rufst du auch jetzt meinen Namen in die
Nacht hinaus, so wie ich rufe, besessen und weinend? ! !
108
In Fieber und Einsamkeit verbringe ich meine Nächte, und am
Tage schlafe ich traumzerrissen und einsam. Der Spät-Nadhmittag
poltert mir in das Ohr. Ich bin unglückzerfetzt und erbost über den
grellen Tag. Meine Geliebte hat mir keinen Brief geschickt. O, wie ich
still in mich hineinschreien und meinen Rumpf verkrampfen muß. Hast
wieder in deiner Neurasthenie gelungert, Mädchen! Warst zu feig
zum Schreiben?! Am liebsten würd' ich dir jetzt lauter Cynismen ins
Gesicht spucken .... Mein Bett ist immer leer/ ich darf mich nicht mit
fremden Leibern beschmieren, weil ich auf dich warte, ferne Quälerin.
Es ist jetzt weißer, siedender Nachmittag mit Geschrill, Gekreisch,
Gelächterfetzen. In der Nacht bin ich magisch oder nahe der jenseitigen
Welt — aber Nachmittags durchrast mich ein Orkan roten Blutes.
Raus aus den wollüstigen Betten und hinein in die erhabenen Räusche
eines Liebesbriefs. Ich schrieb dir sonst vernünftelnde, seichte Briefe.
Damit nun Schluß! Von nun an will ich meine Liebe dir zuschreien,
dich feste rütteln und durch deine Sonntagslangeweile schleifen. Glaube
ja nicht, unsre Liebe wäre ein so banales Täubchengegirr und tempe«
ramentlose Beischläfrigkeit wie all das Erlebte deiner letzten sieben
Jahre. Ins Bett hüpfen mit Idioten ohne Verpflichtung und Angst. Der
reine Betthase warst du und prahltest noch mit deiner Immoralität.
Du wirst es nicht leicht haben mit mir, und das Lotterleben einer Bo«
hemienne wird wie eine reine Kleinbürgerei sein neben unseren fana*
tischen Zinnober-Nächten und Ultramarinblau-Tagen. Habe ich dir
nicht Woche für Woche seitenlange Lyrismen geschickt, Schwindel«
bauten des Herzens, das von Blut überläuft? ! ! Nun will ich kanni-
balisch mit dir reden und wie ein Malersmann ....
Wieder ist die Nacht. Wieder umfängt mich Palettengestank. Die
geliebten Malbesen in den Fäusten. Hitzige Gebärden vor Leine-
wänden — so geht es Stunde um Stunde. O du aschengraues Mal-
atelier, einsames Felsgestade mit den Skeletten verspeister Bücklinge
in den Winkeln und Gerassel der Mäusescharen! Ich trage Nacht für
Nacht meine Inbrünste in dein Geklüfte, und du sagst nicht »Nein«
109
dazu. Septembermatten locken mich nicht. Septemberblumen welken
umsonst. Meine Schreie zerstieben leise an den Wänden. Und ein
heftiges Freitag« Abend «Gebet klatscht mich zuweilen hoch auf die
Decke. Ich fliege im Saus zum Fenster in die Morgenröte hinein.
Dann wieder fegt mich Zerknirschung in die Ecke. Aber wenn ich
mich an dich erinnere, Süß«Geliebte, falle ich in einen Schacht, und ich
bin lange verschollen.
Die Mondsichel blinkert zum Fenster rein. Ich stehe mit dem Gummi«
knüppel auf der Wacht und verscheuche die Mörder. Dezemberschnee
näßt meine heißen Stirnmale. Nodi ist der Tod weit weg von mir ....
Man muß saufen können. Immer eine Rumflasche auf dem Nacht«
tisch. Ein Maler muß viel fressen. Dabei hat er breughelische Einfälle.
Tollheiten steigen aus dem prallen Bauch. Man muß Gelächter brüllen
wie ein Prolet, dröhnend sich schneuzen, gemeine Flüche zum besten
geben. Dann auch ist es gut, sich weit aus dem Fenster zu beugen,
die Sterne anzuulken und den Mond mit Zoten zu beglücken. Nach«
her sollst du feste schuften, Maler. Schiebe dich mit gewaltigem Ruck
vor die Staffelei. Kümmere dich nicht um Schulen und vorgefaßte
Meinungen, noch um das Gerede der Cafehäuser. Mal7 deinen eignen
Gram, deine ganze Verruchtheit und Heiligkeit dir vom Leibe.
Wie umarme ich meine Nächte in unaussprechlicher Liebe. Eine
einzige Stunde tilgt die Schande der verdorbenen Jugendjahre. Ich lalle
manchmal wie ein Biertrinker, wenn pathetische Baumgerippe gierig
hinkritzele. Ich durchwate den Schiefer und Morast schwefelgelber
Städte. Die Dächer öffnen sich im Nachtwinde. Mäuler und Zungen
brechen aus den Mauerschlünden. Im Talkessel brodeln Geschreie der
lagernden Vertriebenen. Ihre Gebete bohren sich wie Maulwürfe in
den hoffnungsleeren Lehm. Viel Kadmium strauchelt um verwirrte,
rote Antlitze. Im Himmel schrillt Kremserweiß«Gefetz und ganz
vorne sind zerlumpte Bettler in kalten Flächen hingemauert.
Meine Staffelei knurrt und bäumt sich gegen meinen Bierbauch. Ich
wüte mit dem Krapplack. Klebrige Pinsel mahnen mich an die Er«
I JO
bärmlichkeit des Daseins. Chromgrün läßt midi kalt. Und Kobalt er-
innert midi an meine Kleine-Jungen-Tage, wenn ich Molchen die
Schwänze abbiß. Ich bin ein Pinselfex, rührig, schlau, schamlos und
unverbesserlich. Ich hege böse Gedanken, und mein Malfanatismus
geifert und hurra't. Manchmal lächle ich vor Glück. Ich bestaune meine
Leinewände. In Zukunft werde ich nur noch extatische Szenen malen.
Ich fürchte mich nicht. Nur manchmal klaftert Jäh Grabes Finsternis
vor mir auf.
Es ist Nachts halb zwei.
In meiner Brust schreien die noch ungemalten Pestkranken, Leichen-
schänder und hungernden Ammen. Mich bedrohen verkrampfte Fäuste
und wiehernde Grimassen an den Wänden. Ich schreie wie in gewalt-
tätigen Träumen umfangen. Ich habe schreckliche Angst. Die Nacht
ist schweigend und dröhnt.
Dies ist die Sehnsucht des wahren Malers: Umbra mit Zinkgelb
und Pariserblau! Eine Rumflasche! Die Donnerwetter-Palette! Die
zügellose Geliebte und die Hand ausgestreckt nach den Sternen!
S. FRIEDLAENDER:
GOETHES FARBENLEHRE
»Error veritate simplicior«
Vor allen andern Dingen, im Himmel und auf Erden, gibt es die Frei-
heit von ihnen, den absolut freien Geist, den man, eben deswegen,
nicht einmal nennen dürfte, weil er natürlich auch frei von Worten
ist. Aber diese hyperätherische Beschaffen- oder vielmehr Unbesdiaf-
fenheit der wesentlichen Voraussetzung alles irgendwie Beschaffenen
setzt sie der Gefahr aus, vergessen oder verkannt zu werden. Wer,
vor irgendeiner Bestrebung, »nichts«, dieses absolut freie Verhalten,
voraussetzt, bleibe besonnen genug, deutlich einzusehen und zu erleben,
daß dieses Nichts zweideutiger ist als alles Zweideutige: Alpha und
Omega der Welt. Es enthält also konzentriert nicht nur alle Unmög-
lichkeit, sondern eben auch alle Möglichkeit der Welt — es regt in
dem, der es nicht steril erlebt, alle göttliche Schöpferkraft auf.
Deswegen ist es wohl richtig, daß wir, vor der Bekanntschaft mit
irgend etwas (z. B. mit der Fa r b e), absolut »gar nichts« von ihm wissen
können,- es ist aber falsch, dieses Gar nichts, diese Unwissenheit, simpel
witzlos und steril zu verstehen,- vielmehr ist sie die konzentrierte All-
wissenheit, die nur um das Besonderte unwissend ist. Schöpfung
aus dem »Nichts« entbehrt also nicht der Voraussetzung, sondern ist
Schöpfung aus der weltgewaltigen Indifferenz in die Welt der
Differenzen,- und das Nichts, die Indifferenz, ist gerade das notwendig
vorauszusetzendeAllgemeine aller Möglichkeit von Vereinzelungen.
Wer nun dieses Nichts aller Vereinzelung, dieses vorangängige
Auf-ein-Mal der Welt vergißt, oder verkennt, hat bereits den reinen
Blick zur Auffassung des Sinns dieser Vereinzelungen eingebüßt/ ihm
entgeht das Geheimnis, die allgemeine Bedeutung seiner eigenen Vor-
urteilslosigkeit, die Schöpferkraft seiner selbst, als einerlabula rasa,
die für alles, was einzeln sich auf ihr zeigen kann, längst prädesti-
niert war.
112
So läßt sich, bevor man die Welt der Unterschiede kennt, über ihre
Möglichkeit dieses unverbrüchliche Gesetz aussprechen, daß sie, um
nur sein zu können, ihr eigenes Widerspiel wird sein müssen: denn
gegen jede Vereinzelung, die nicht ihren Widerpart bei sich führt, er*
hebt das Nichts, als der Sachwalter des unverletzlich Allgemeinen,
seinen unwiderstehlichen Einspruch. Soll dieses eigentlich untrennbar
innig Allgemeine, aus eigenem schöpferischen Überdrang, sich trennen,
vereinzeln, besonders erscheinen,- so muß das Gegenteil dieser Er»
scheinung ebenso energisch miterscheinen, damit das eigentliche Nichts
<d. h. das ungeteilt Allgemeine) der Erscheinung, mindestens symbo»
lisch, unversehrt bleibe. Die Erscheinung, die Differenzierung des un*
versehrbar, obgleich differenzierbar Allgemeinen, des indifferenten, aber
schöpferischen Nichts ist, als solche, wesentlich gegenseitig/ gegen
jede einseitige Erscheinung, z. B. einer Reihe, einer Skala, eines
Spektrums protestirt die Voraussetzung aller Vereinzelungen, die
keiner einzigen Besonderheit ihren Vorzug anders als gegenseitig, als
in sich selber schon irgendwie korrelativisch, geben kann.
Eine solche Besonderung nun ist, wie der Tastende, Hörende,
Riechende, Schmeckende und Denkende, so auch der Sehende, auf
dessen Beispiel wir hier näher eingehen. Hat man, von aller Empirie
auf deren Vorgängerin — auf alle Freiheit von ihr, im innersten
Grunde also aufsichselbst, als den Schöpfer, zurück* und an-
gewiesen, es versucht, es erprobt, daß man, aus dieser seiner Urfrei-
heit, seinen frischen Ausfall, zur Eroberung sämtlicher Empirie, nicht
anders als Wechsel* und gegenseitig, nicht anders als diametral und
rund machen könne: so wird auch erst alles, das man bis dahin unfrei
untersuchte und kannte, sich diesem befreiten Auge rund und harmo-
nisch ganz und gar zu erkennen geben. Der Sehende also/ das empirische
Organ des Auges sich erschaffend, erhält dieses nicht bloß zum Er*
öffnen, sondern auch zum Zuschließen des Gesichts, d. h. aber, zu
einergegenseitigenEröffnung/ denn auch das Licht selber, diese
Objektivation des schöpferisch Sehenden, ist ersichtlich kein Licht,
113
8
sondern ein sich selbst gegenseitig Widerstand leistendes Licht, mehr
und mehr Erleuchtung, mehr und mehr Verfinsterung, Die Schöpfer-
fülle des Sehenden erschafft sich automatisch ein unendlich aufgehen-
des Gesicht gegen ein unendlich zugehendes, und sie regiert
unparteiisch diese oppositive Parteiung, Da nun zwar die eine dieser
Parteien, diejenige des weit und weiter geöffneten Auges, sich scharf
und schärfer bemerkbar macht/ hingegen die andere gerade das Gegen-
teil tut, also gegen das blendende Licht mehr und mehr abnimmt,
ja verschwindet / so wird der Sehende Gefahr laufen, leichter Newton
zu werden, der die Partei des Lichts nahm, als Goethe, der ebensosehr
die Finsternis wie das Licht ins Auge faßt. So wurde man auch auf
die abstoßende Kraft des Magneten viel später aufmerksam als auf
seine anziehende, welche früher in die Sinne fiel.
Wenn man eine Kammer verfinstert, so bereitet man dem etwa in
sie eindringenden Licht einen schroffen Kontrast vor. Sorgt man
nun obendrein für Bedingungen, unter denen dieser Kontrast sich deut-
lich aussprechen muß, in förmlich abgemessenen Silben,- so darf man
alsdann diese Silben, die Farben, keineswegs für den Monolog des
Lichtshalten, sondern erkenne sie als dasZ wiegespräch desLichts
mit der Finsternis, Ein Grau sich vorzustellen, das, ohne Mitwir-
kung des Finstern, aus dem reinen Li chte herrührt, wird jeder unbefangen
Sehende sich weigern. Ist aber Farbe was andres als buntes
Grau? Aber beachte man wohl, daß selbst dieses scheinbar so einfache
Grau entweder eine Trübung des Lichts durch die Finsternis, oder
das Gegenteil, also eine Aufhellung der Finsternis durch das Licht
bedeuten kann,- den Sehenden, der hier einseitig und nicht gegenseitig
urteilt, wird eine flache Augentäuschung des Verständnisses der Rund-
heit des gesamten Phänomens berauben,- eine vulgäre Plausibilität
findet sich an Stelle der ungemeinen ein: und rechnet er hier, statt
mit entgegengesetzten, mit gleichartigen Größen, so wird seine
Lehre sehr bald das optische Einmaleins des gelehrten wie des
ungelehrten Vulgus werden,- die Arithmetik ä la Goethe wäre
zwar ebenso präzis, aber natürlich beträchtlich weniger »einfach« als
die Newtonische.
Eine Skala, eine Skala des Grauen oder der Farbe, täuscht eine
Einsinnigkeit der Richtung und eine Gleichartigkeit ihrer Stufen vor,
die nur allzuleicht über den Gegensatz verblendet, der sie wirklich
beherrscht/ so wie ein falsch geführtes Kontokorrent den gegensätz*
liehen Unterschied zwischen Aktiven und Passiven gern v e r s ch w i m*
men lassen möchte, während es doch sogar noch den Nullstand der
Schulden deutlich zu erkennen geben sollte. Wenn ich die selbe Skala,
die selbe Farben* oder Zahlenreihe, in einem gänzlich entgegengesetzten
Verstände nehme/ das Minus nicht etwa bloß als ein minderes Plus,
sondern alsGegenplus: so kann nur ein fast an Betrug erinnernder
Irrtum sich immer noch derselben, einsinnig gerichteten Skala weiter*
bedienen. Diesen irrtümlichen Unterschleif nicht für ein Verbrechen
zu halten, wird immer schwerer, je länger die Goethesche Evidenz
gegen die Newtonische, nach der Analogie dieses Beispiels, spricht,
ja schreit. Zwei ist freilich weniger als vier/ wenn aber zwei mein
Vermögen bedeutet, vier dagegen meine Schulden, so steht die Rech*
nung nicht ganz so einfach. Violett ist »weniger« hell als Gelb— hier
verbirgt aber das »weniger« eine Zweideutigkeit, wenn Finsternis das
Minus an Licht nur im Sinne des Kontra=Plus ist, wie Goethe es sieht,-
während Newton sie nur simpel als das Manko an Licht, nicht
als dasGegen*Licht nimmt/ imGoetheschen Sinne wäre Violett
ein Gegen*Gelb, genau so »hell« wie dieses im . . . kontra*hellen
Verstände.
Was ist nun evident? Was täuscht? Evident, antworten wir, ist
beides,- aber die Evidenz Newtons täuscht, und die Goe*
thesche Evidenz besei tigt und berichtigt diese Täuschung.
Sobald man den Verkehr des Lichts mit der Finsternis so streng über*
wacht, daß das Bereich, worin Finsternis ins Licht dringt, von demjenigen
getrennt wird, worin umgekehrt Licht ins Finstre wirkt, erklärt
sich allererst die echte Evidenz, die sich sofort in die schlechte, die
115
8*
ein sinn ig gerichtete um wandelt, wenn man die beiden gegensätz-
1 i di e n Bereiche ineinander laufen, mit einander verschwimmen läßt ,•
wo alsdann das eine, ohne allen Gegensatz, in das andre üb er zu gehen
scheint. Solch einen täuschenden Anschein erhalte ich, wenn ich
die Sonne, durch ein Prisma, betrachte oderaufeinen Schirm projiziere.
Das Prisma schiebt hier das Finstrere dermaßen in das Hellere
hinein, oder umgekehrt, daß dort die beiden Bereiche in Rot, hier in
Grün, verschwimmen, und man einen sanften Übergang zu
sehen glaubt, wo bloß eine Brücke über die Kluft zwischen
Hell und Dunkel sich hin und her schwingt. Der Anblick hier
quetscht Gelb mit Blau, resp. Orange mit Violett, dermaßen zu-
sammen, daß Grün, resp. Rot den Gegensatz vertuschen, der nunmehr,
schneidender als je, zwischen Grün und Rot entbrennt — so sehr, daß
diese eben nicht mehr zusammen erscheinen.
Man muß sich über Schopenhauer wundern, der von Goethe gelernt
hatte, diese Ne wtonische Illusion zu durchschauen, und der es trotzdem
fertig brachte, diesen Kontrast der Farben-Erscheinung aus dem
Licht <aus der Teilung der vollen Tätigkeit der Retina) entspringen
zu lassen/ anstatt sich darüber klar zu werden, daß er weder aus dem
Licht, noch aus der Finsternis, sondern aus dem Sehenden ganz
allein entspringt,- aus der schöpferischen Überfülle des Gesichts, die
nicht einseitig, sondern gegenseitig überströmen will. Entdecken wir
ein solches Mißverständnis bei dem enragiertesten Goetheaner —- wie
sollten wir nicht auf das allerschlimmste bei den Fachgelehrten, den
erklärten Vor-Goetheanern gefaßt sein. Sie suchen uns sofort und
auf der Stelle mit ihrem erstaunlich exakt aufgebauten Lehrgebäude
zu verblüffen, um uns mund- und augentot zu machen: als ob man
nicht, auf einer total falsch aufgefaßten Basis, präzis rechnen könnte!
Sie operieren immerfort mit dem Bild der »Welle«, ohne daß sie es
fertig brächten, die Schwingungen dieser Welle echt gegensätzlich, gegen-
seitig anzusetzen und zu sehen. Sie sehen die wesentliche Hauptsache
gar nicht mehr mit eignen Augen, sondern setzen sie, entstellt gesehen,
it6
voraus und begeben sieb an ein unbändiges Errechnen und Ermessen
ihrer einseitigen Gesichte,- jeden Ruhestörer aus Goethes Lager fertigen
sie mit dem Titel des dilettantischen Laien ab. — Diewahre Aufklärung
wird hier nur durch einen mathematisch gebildeten Goe-
theaner geschehen können/ und Goethesche Mathematik ist weniger
ein hölzernes Eisen als vielmehr das hölzerne Pferd, mit dessen Hilfe
Goethes Griechen endlich das barbarische Troja der Optik erobern
und die ihnen geraubte Helena der Farbenschönheit wiedergewinnen
werden. Das ist aber unvergleichlich wichtiger als es scheint: weil diese
optische Irrnis nur das anzeigende Symptom der gewaltigen mensch«
liehen Verirrung auf allen Sinnes», jaDenkungs* und Gesinnungsge»
bieten ist.
Allenthalben wird ein ursprünglich aus der persönlichen Überfülle
der eigenen Schöpferkraft entspringender Gegensatz entweder durch
Vertuschung kompromittirt, oder mitten entzwei gerissen / aus all diesem
Gebahrenresultirt ein absurder Anblick nicht nur des Lebens, sondern
schließlich und erstlich schon das zerquetschteste oder verzerrteste
Leben selber. Gerade das Allerwesentlichste, auf das es überall zu«
erst und zuletzt ankommt, das persönlich Schöpferische, wird in der
Welt, in der Differenz seiner selbst, verkannt, indem man diese Welt«
Differenz, diese Polarisation seines immens Identischen, seine eigene
Selbstentzweiungaus Überschwang entweder kraß verzerrt und
zerreißt oder plump zusammenquetscht und uniformiert. Man läßt sich
den Gedanken gar nicht beikommen, daß nur das persönliche Nichts
aller Differenz allein geeignet sei, sie zu lösen und zu binden — weil
man ungeheuer viel zu sinnlich auch noch im Geistigen ist, um
sich auch nur träumen zu lassen, daß gerade das bare und pure Dif*
ferenz»Nichts der Schöpfer aller Welt»Differenz sein sollte,- und
man erkennt daher nicht einmal diesen Differenzcharakter der
Welt, diesen ihren Zank um ihrer eigenen überreichen Identität wil«
len an, sondern treibt, in flach einseitiger, einsinniger Prozeßrichtung,
etwa Entwicklungs»Monismen und dergleichen.
Der, der ein Gewicht, und sei es von der Schwere des Gestirns,
spielend regieren will, kann es nicht eher, als bis er Gegengewichte
daraus gebildet hat, welche er, vermittelst des Balancierpunktes, äqui»
libriert. Analog steht es um die gleiche Gültigkeit, die <mit der Gering»
fügigkeit nicht zu verwechselnde) Gleichgültigkeit entgegengesetzter
Geltungen. Ohne den Gegensatzcharakter der Welt wird man
die Welt nicht erschaffen, nicht spielend bewältigen, nicht rund her»
ausbringen, nicht willkürlich rollen und lenken können. Der Schöp»
fer derWelt ist nichts alsdasNichtsdesWelt»Kontrastes:
aber, um es sein, um zu sein, muß er diesen erst schaffen, deutlich
unterscheiden, klar anerkennen. Der Sehende, der Schöpfer aller
Gesichte, kann nicht mehr sein als das Nichts ihrer Unterscheid
düng. Dann zwinge er sich aber auch, diese Unterschiedenheit des
Gesichts vom Gesicht, dieses optische Duell, dieses discors seiner
eignen concordia voll, diametral, oppositiv und kompositiv anzu»
strengen/ er bringe den Unterschiedkontrastierend heraus und nicht
bloß nüancierend/ berechne ihn mit entgegengesetzten, nicht
bloß mit gleichartigen Größen / er lerne die Natur, die seine eigene
Natur ist, besser kennen, weldie ihm die Schwäche seines Gesichts
als eine andere Stärke offenbart: und vor allem erlebe er sich,
den Sehenden, als das willkürlich herausgegriffene Beispiel des
Ersinnenden, Erdenkenden, Erfindenden, Erschaffenden über»
haupt, als den absolutenNullpunkt au f der Skala der Welt»
Unterscheidung, gegen den diesenidit simpel, sondern eben pola»
risch kontrastiert. Wenn dieses Nichts der absoluten Freiheit, wenn
Allmacht schöpferisch wird, gerade dann offenbart sich ihr, daß sie
dieses nicht schlechthin, direkt, vorwärts und simpel könne,- sondern
sich, wie sie sich auch entscheide und entschließe, in einem Pro und
Contra, einem Ja und Nein, einem Antagonismus und einer Korre»
spondenz ihrer Sichtbarwerdung inBrscheinung undTat selber Wider»
stand leiste,- und schließlich diesen Zwist und Krieg ihres Geschöpfs,
ihrer Welt, gar nicht anders schlichten und zum Frieden bringen
118
könne als durch die Geltendmachung ihrer Exemtion davon als
wie einer von diesem ganzen Zwist reinen Mitte, Konzentration,
Balance dieses Zwistes. Wie nun der bloße Mangel an Ja noch lange
kein Nein ist, analog ist der bloße Mangel an hellem Licht noch lange
keine Finsternis, denn es gibt in dieser Finsternis noch genug dunkles,
abendgraues, violettes, blaues und grünes Licht,-und das völligeNichts
dieser diametralen Untersdieidung alles Lichts wäre ja eben nicht etwa
finster, sondern gerade derSehende in eignerPerson, von welchem
demnach alles Licht nicht einfach, sondern polar absticht.
In ihm, im Schöpfer, aber haben wir die einzige Stelle gefunden,
w o d e r W i 11 e den Tatbestand, wo das Sollen das Müssen regiert und
zwar polar regiert. Eben deswegen gibt es keinen andernZwang
als den Selbstzwang, um diese Stelle zu urgieren. Deswegen
kann man sie zwar, als immer vakant, jedem Geschöpf an«
bieten: dieses aber kann von niemand anderm als von sich
selber gezwungen werden, sich präzis auf dieseStelle, den
Thron der Welt, zu begeben. Daraus erklärt sich die ungeheuer*
liehe Paradoxie, daß dieser nicht bloß leer steht, sondern von Kari*
katuren des Schaffenden eingenommen wird, von Scheinkönigen nach
einer Verfassung, in der jeder von jedem abhängt, und worin nur der
echt unabhängige Oberherr fehlt, von dem alle Abhängigkeit
erst ihren Sinn bekommt. Soll der rund Sehende, soll »Goethe« über
den einseitig Sehenden, über »Newton« siegen, so müßte »Newton«
über sich selber siegen,- und das kann er bisher sowenig, weil er
mehr den Ehrgeiz des Geschöpfs hat, passiv Tatsachen hinzunehmen
und zu konstatieren,- als die Selbstherrlichkeit des Schöpfers, verant*
wörtlich alle Tatsachen auf sich zu nehmen, sie erfinderisch von sich
abhängen zu lassen — denn dann erst wäre er von selbst gezwungen,
zu polarisieren oder abzudanken. Aber nirgends gerade so buchstäblich
evident wie in der Farbenlehre Goethes triumphiert diese un»
abhängige Selbstherrlidikeit über das Halbgesicht, über die persön*
liehe Halbheit, welche nur der Tag, nicht aber ebenso sehr der
Nachtseite der Dinge gewachsen ist und mit flachem Instinkt diese
Nachtseite in dieTagseitemithineinrechnet, um sich das Resultat
leichter zu machen/ und hinterdrein diese Feig» und Faulheit des
Sehenden, diesen Unterschleif im Ansatz durch die fleißige
Faulheit in Mitteln und Nebensachen zu verdecken sucht.
Wenn das gesamte Unterscheidungsvermögen vomUn®
terscheidendenalsvoneinempersönlichlebendigenPunkte
aus* und zu ihm zurückstrahlt, der diese Unterscheidung
nicht mitmacht, um der Regent ihrer Unterschiede zu blei-
ben, so folgt zwingend prinzipiell die Gegenseitigkeit aller
Unterscheidung/ und der Unterscheidende sieht sich nicht, wie es
den flachen Anschein hat, bloß darauf angewiesen, die Abweichung
des Unterschieds vom Nichts des Unterschiedes, sondern diese Ab-
weichung vom Nichts, das er selber einnimmt, auch in Form der
Gegenseitigkeit zu konstatieren und dies in jedem Sinn, jedem
Geschehen, jedemHandeln undDenken zu beobachten. Ein
Beobachter, der sich selbst als das konzentrierte, stringent bis zum
Nichts indilferenzirteUniversum alles dessen wissentlich und willentlich
voraussetzt, das er überhaupt beobachten kann,- ein solches schöpferisch
lebendiges, persönliches, ob auch rein »vernichtetes« Apriori aller
Möglichkeit von Welt äußert diese eben nur in der wesentlichen Form
aller Äußerung, nämlich in der Form der Entzweiung, Gegenseitig-
keit und endlich Rundheit. Es ist richtig, daß er diese Äußerung vor-
her nicht kennt ,• es ist falsch, daß er sie vorher in keinem Sinne kennte,
wenn man eben dieses »keinem« nicht witzig und weise im Sinne jener
schöpferischen Indifferenz versteht und erlebt.
Nachdem, so lange Zeiten hindurch, von fragmentarischer Person
fragmentarische Empirie getrieben worden ist, beginnt Person
vollkommen undzusammen alles dasganz und gar zusein,
obgleich ungeteilt, indifferent, was die Welt geteilt, ent-
zwei, auseinander ist,- hierdurch aber die sonstgeteilte Welt der
Empirie in restlose Totalität, obgleich in der Form sich auf
120
einander reimender Gegenseitigkeit, harmonisch einzugehen.
Bloß der von aller Differenz reinen, die ganze Welt indifferent
in sich zusammenzwingenden Person antwortet eine gereimte: jeder
minder reinen eine nurein, ja gar nicht gereimte Welt. Jedem Goe®
theschen Seher reimt sich die Welt des Lichts und der Farben,-jedem
Newtonischen Sehenden mißglückt das Gedicht des Lichts. Und
wie es der Einklang ist,
»der aus dem Herzen dringt
und in sein Herz die Welt zurück eschlingt«,
so muß Der, der die ganze Welt für sich gewinnen will, die ganze
Innigkeit seines Wesens ungeteilt für sie einsetzen, damit die Welt
sich ihm nicht nur teile, sondern so harmonisch korrespondierend
teile, daß ihm, trotz aller ihrer Entfernungen und Verteiltheiten, die
ungeheure Polyphonie dieses Orchesters der Dinge symphonisch
widertöne.
12 I
EDUARD BERNSTEIN <M. D. R.>:
DER NATIONALE GEDANKE BEIM
PHILOSOPHEN FICHTE UND BEI FERDI-
NAND LASSALLE.
Aus einem Vortrag »Lassalle und die nationalen Fragen seiner Zeit«,
gehalten in der Arbeiterbildungsschule zu Berlin am 31. August 1916.
Im Jahre 1886, also ein Jahr nach Erscheinen seiner Schrift über den
italienischen Krieg, veröffentlichte Lassalle eine Abhandlung, der er
den Titel gab »Fichtes politisches Vermächtnis«. Es ist das eine Ar-
beit, in der er in Fichtes Hinterlassenschaft niedergelegte Entwürfe
zu einer Arbeit über die Zukunft der Deutschen bekannt gibt, die der
Philosoph Fichte amVorabcnd seinesTodeszu schreiben unternommen.
Die Entwürfe finden sich in der Gesamtausgabe von Fichtes Werken,
die Fichtes Sohn herausgegeben hat. Keiner hatte die Entwürfe ge-
lesen, alle möglichen aber über Fichtes Politik geschrieben. Lassalle
nun zog sie in jener Abhandlung ans Licht und bemerkt in einem Brief
an Marx darüber, die Arbeit müsse »wie ein Trompetenstoß« wirken,
der zeige, daß in Deutschland »eine republikanische Partei noch lebt«.
Er war, wie man weiß, ein sehr großer Verehrer des Philosophen
Fichte. Aber dies nicht so sehr wegen dessen Erkenntnistheorie, als
wegen seiner angewandten oder praktischen Philosophie und ins-
besondere seiner Pofitifi. Fichte ist neuerdings wieder sehr gefeiert
worden, man hat aber ihn ebenso wie Lassalle grundfalsch als einen
besonders nationalistisch gesinnten Denker hingestellt. In Wirklichkeit
war grade Fichte durch und durch kosmopofitiscß gesinnt, er erkennt
das nationale Wesen nur afs Teif des großen kosmopolitischen
Wesens an. Hatte er doch im Jahre 1793, als ganz Deutsddand über
die Französische Revolution, die es erst begrüßt hatte, nach der Hin-
richtung Ludwigs XVI. entsetzt war, eine Verteidigung dieser Revo-
lution geschrieben. Aber, wird man sagen, hat Fichte denn nicht 1807
und 1808 in den Reden an die deutsche Nation zum Kampfe gegen
122
die Fremdherrschaft aufgefordert? Ich glaube, von denen, die jene
Reden Fichtes heute rühmen, hat noch nicht einer unter hundert sie
gelesen und nicht einer unter tausend sie verstanden. Gewiß, es sind
patriotische Reden, sie sind patriotisch sogar im höchsten Sinne dieses
Wortes-- sie sind nämlich durch und durch erfüllt vom soziafistischen
Geiste.
In dieser Verbindung sei mir die Zwischenbemerkung gestattet,
daß ich es sehr bedaure, daß und wie bei den gegenwärtigenMeinungs«
kämpfen in unserer Partei das Wort »Sozialpatrioten« in Gebrauch
gekommen ist. Es ist das ein ganz begriffsloses Wort, da man mit
dem Ausdruck Patriot niemals eine bestimmte Richtung in dem Streit
um die Rolle der Nation bezeichnen kann. Will man eine Übertreibung
oder falsche Anwendung des nationalen Gedankens durch Sozialisten
kennzeichnen, so sage man Nationalsozialisten oder Sozialnationa«
listen oder auch Sozialimperalisten, da jede solche Wortverbindung
einen Gegensatz zur Internationalität anzeigt, wie wir diese bisher
verstanden haben. Das tut das Wort Sozialpatriot aber nicht, denn
im Begriff des Wortes Patriotismus liegt keine Übertreibung des
nationalen Gedankens, kein Gegensatz gegen den Kosmopolitismus
oder die Internationalität,
Johann Gottlieb ‘Fichte war Patriot im höchsten Sinne des Wortes,
sage ich, weil er Soziafist war, so gut man dies in Deutschland zu
Anfang des 19. Jahrhunderts sein konnte. Seine Reden an die Deutschen
waren ihrer Tendenz nach sozialistisch und nicht nationalistisch. Denn
nach ihnen sollten die Deutschen sich aus der Bedrückung, unter der
sie damals litten, emporheben durch eine „ganz neue Ordnung der
Dinge”, wie wir heute sagen würden, eine soziafe Neuordnung,- und
sie beschäftigten sich zum grössten Teil mit pädagogischen Fragen, da
der Sozialismus, um überhaupt denkmöglich zu sein, zu einer Zeit,
wo die ökonomischen Voraussetzungen der Sozialisierung der Pro-
duktion fehlten, vorwiegend Erziehungssoziaf;smus sein mußte.
Anknüpfend an die Gedanken Pestalozzis verkündet Fichte die Grün»
123
düng eines neuen Reichs der Zukunft, das die Menschen aus sich
selbst, d. h. auf Grund vernünftigen Denkens errichten sollten und
wodurch allein sie frei würden. Neue Menschen sollten die Deutschen
werden, um zur 'Freiheit zu gelangen. Also etwas ganz anderes, als
was der heutige Nationalismus will. Aber nichts, was dem Begriff
Patriot widerspricht. Denn als Patrioten bezeichneten sich in der Fran»
zösischen Revolution, deren Schüler Fichte war, grade deren radikale
und demokratische Parteigänger.
So sehr Fichte durch die Zeitverhältnisse genötigt war, seine Ge»
danken etwas zu umkleiden, so zeigen seine Reden doch deutlich den De»
mokraten und Sozialisten an, der nur im Sinne dieser Gedanken auch
national war. Und in seinen Entwürfen von 1813 kommt das noch viel
deutlicher zum Ausdruck. Darum eben zog Lassalle sie an das Licht
und zeigte in jener Abhandlung, was Fichte als politischer Denker
im letzten Grunde wirklich gewollt habe. Um nur eines herauszugreifen,
so geht Fichte in jenem Entwurf so weit zu schreiben:
»Wenn wir daher nicht im Auge hehieften, was Deutschland zu werden
hat, so läge an sich nicht so viel daran, ob ein französischer Marschaff wie
Bernadotte, an dem wenigstens früher Begeisternde Bifder der Freiheit
vorüßergegangen sind, oder ein deutscher aufgehfasener Edefmann ohne
Sitten und mit Roheit und frechem Übermut, über einen Teil von Deutsch»
land gehöre.«
Was aber hat Deutschland nach Fichte zu werden? Am Schluß
des Entwurfes sagt er es: »Ein wahrhaftes Reich des Rechtes«, wie
es noch niemals in der Welt erschienen sei, getragen von der »Be»
geisterung für Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was
Menschenantlitz trägt«. »In ihnen«, schreibt er von den Deutschen, und
dazu wollte er sie erziehen, »soll das Reich ausgehen von der aus»
gebildeten persönfichen Freiheit, nicht umgekehrt— man beachte das
„nicht umgekehrt“—es birgt einen äußerst kühnen Gedanken — »von
der Persönfichkeit, gebildet fürs Erste vor allem Staate vorher, ge»
bildet sodann in den einzelnen Staaten, in der sie dermalen zerfallen
124
sind, und welche afs Stoßes Mittef zum SöSeren ZwecSe sodann
wegfallen müssen.«
Hier haben wir in voller Klarheit ein Bild davon, wie Fichte und
mit ihm Lassalle den nationalen Gedanken aufgefaßt wissen wollten.
Die Mation afs ein Höchstes für MenscßheitszwecSe, das war Fichtes
nationale Idee, wie sie die Idee jedes echten Sozialisten ist, die er
niemals und unter keinen Umständen aus dem Auge verlieren soll.
Von ihr erfüllt, nimmt Lassalle damals Stellung zum Kampf um
Deutschlands Einheit, der neue Kraft erhalten hatte im Jahre 1859
durch die Bildung des allerdings kleindeutschen Nationalvereins, der
idealer aufgeflammt war in der Schillerfeier jenes Jahres. Das deutsche
Volk wollte dieKleinstaaterei los werden, dafür kämpfte auch Lassalle
und sucht den nationalen Kampf in revolutionäre Bahn zu leiten. Er
reist im Jahre 1861 nach Italien, sucht Garibaldi auf und feuert ihn
an, vom Südosten her einen Einbruch in Österreich ins Werk zu setzen,
ähnlich wie es der Zug der Tausend in Italien getan. Aus ganzltalien
sollen Freischaren von der Adria her in Österreich einbrechen und die
Revolution entfachen. Ein Vorschlag, der an das Unternehmen eines
in unserer Zeit bekannt gewordenen Irländers erinnert, denn öster*
reich gehörte, wie schon bemerkt, damals noch zum Deutschen Bund.
Auch sollte durch den neuen Zug Garibaldis nach Lassalles Absicht
weiterzeugend die Revolution in Deutschland entzündet werden.
Lassalles Familienbriefe beweisen, daß er stark an die Verwirk*
lichung des Plans glaubte/ er spricht darin von einem großen Ereignis,
das sich im Frühjahr 186z abspielen werde. Und als sich in Deutsch*
land die Gegensätze zuspitzten, als überall außerhalb Preußens in
Deutschland in Hinblick auf eine mögliche Revolution nationale Wehr-
vereine entstanden, schickt Lassalle einen Mann mit Empfehlungen
an Marx, der nach England reist, um Geld für den Ankauf von
Waffen zu sammeln.
Aus dem Plan mit Garibaldi wurde nichts, aber in Preußen bricht
der Verfassungskonflikt aus, und Lassalle hält jene beiden glänzenden
125
Vorträge »Über Verfassungswesen« und »Was nun?«, In deren
zweitem er den parlamentarischen Streik empfiehlt als revolutionär
wirkendes Mittel die preußische Regierung zum Nachgeben zu zwingen.
Er führt aus, daß sein Mittel, wenn die Regierung nicht nachgäbe,
unter Umständen Preußen in eine außerordentlich prekäre Lage
bringen und es in seiner ganzen Politik nach außen hin außerordentlich
schwächen würde.
Sehr bezeichnend ist folgende Stelle aus »Was tun?«, wo er diesen
Gedanken entwickelt:
»Sagen Sie sich hiernach, wie unmöglich es wäre, daß grade Preußen,
grade Preußen allein in dem ganzen Europa, Preußen grade bei seinem
kräftigen ßürgerstand, ohne konstitutionelle Form existierte! Bedenken Sie
ferner, wie schwach die preußische Regierung nach außen, wie unmöglich
und unhaltbar ihre auswärtige diplomatische Stellung wäre, wie sie sich bei
jeder Verwicklung die übermütigsten und unerträglichsten Fußtritte von
seiten der andern Regierungen gefallen lassen müßte, wenn sie in diesem
offen erklärten und permanenten Widerspruch mit ihrem eigenen Volke stände
und also ihre Schwäche vor niemandem mehr verbergen könnte.
Daß keiner von Ihnen, meine Herren, glaube, dies sei ein unpatriotisches
Räsonnement. Einmal hat der Politiker, wie der Naturforscher alles zu be~
trachten, was ist, und also alle wirkenden Kräfte in Erwägung zu ziehen.
Der Antagonismus der Staaten untereinander, der Gegensatz, die Eifersucht,
der Konflikt in den diplomatischen Beziehungen ist einmal eine wirkende
Kraft und gleichviel, ob gut oder schlimm, müßte sie hiernach schon unbedingt
in Rechnung gezogen werden. Überdies aber, meine Herren, wie oft habe
ich Gelegenheit gehabt, in der Stille meines Zimmers bei historischen Studien
mir die große Wahrheit auf das genaueste zu vergegenwärtigen, daß fast
gar nicht abzusehen wäre, auf welcher Stufe der Barbarei wir, und die Welt
im allgemeinen, noch stehen würden, wenn nicht seit je die Eifersucht und
der Gegensatz der Regierungen untereinander ein wirksames Mittel gewesen
wäre, die Regierung zu Fortschritten im Innern zu zwingen! Endlich aber,
meine Herren, ist die Existenz der Deutschen nicht von so prekärer Natur,
daß bei ihnen eine Niederlage ihrer Regierungen eine wirkliche Gefahr für
die Existenz der Nation in sich schlösse. Wenn Sie, meine Herren, die Ge=
sdiichte genau und mit innerem Verständnis betrachten, so werden Sie sehen,
daß die Kulturarbeiten, die unser Volk vollbracht hat, so riesenhafte und
126
gewaltige, so bahnbrechende und dem übrigen Europa vorleuditende sind,
daß an der Notwendigkeit und Unverwüstlichkeit unserer nationalen Existenz
gar nicht gezweifelt werden kann. Geraten wir also in einen großen äußeren
Krieg, so können in demselben wohl unsre einzelnen Regierungen, die säch»
sische, preußische, bayerische, zusammenbrechen, aber wie ein Phönix würde
sich aus der Asche derselben unzerstörbar erheben das, worauf es uns allein
ankommen kann — das deutsche Volk!«
Selbstverständlich läßt sich auch dieser Gedankengang nicht un*
besehen auf alle Zeiten und Zustände übertragen. Es wäre immer
erst sorgfältig zu prüfen, in wie weit jedesmal seine Anwendung nadi
Lage der Dinge und Gestaltung der Volksinteressen zulässig wäre.
Es handelt sich jedoch auch hier nur darum, die prinzipieffe Auf*
fassung Lassalles in bezug auf nationale Fragen zu kennzeichnen.
In dieser Hinsicht aber läßt der zitierte Satz keinen Zweifel, daß für
Lassalle die Solidarität der Klassen im Kriege — und eine Klasse ist
je nachdem auch die Dynastie mit ihren Stützen — kein unbedingt
geltendes Dogma war,- er macht sie von der gegenseitigen Beziehung
der Klassen abhängig und von der jeweiligen Natur des Krieges.
Greifbar zeigt sich das in seiner Stellungnahme beim Schleswig*hol*
steinischen Krieg von 1863/64 und zur polnischen Revolution von
1863. Sein Gedanke, daß dem deutschen Volke selbst durch eine
Niederlage seiner Regierungen im Kriege die Existenz gar nicht ge*
nommen werden könne, ermöglicht es ihm, zwischen nationaf und
patriotisch zu unterscheiden.
Der Streit, der augenblicklich in der deutschen Sozialdemokratie sich
abspielt, ist in diesen Vorträgen nicht zu berühren. Das eine aber
glaube ich bemerken zu dürfen: für midi ist bei meiner Haltung in
diesem Streit der Gedanke maßgebend, von dem auch Lassalle aus*
ging, nämlich das unßegrenzte Vertrauen in die Leßenskraft des
deutschen Vofkes.
Dieses Volk von über 60 Millionen mit seiner großen geistigen
und körperlidien Leistungskraft, seinem hohen Wissen und technischen
Können wird keine auswärtige Macht als Nation aus der Welt schaffen
127
und keine seiner Unverwüstlichkeit berauben können. Nur wenn man
dieses Vertrauen in sein Volk hat, wird man unabhängig von den
Schlagworten des Tages in geistiger Freiheit zu den Kriegsfragen
unserer Zeit eine Haltung einnehmen können, die dem sozialistischen
und proletarischen Standpunkt geredit wird.
FRANZ HELD <t 1908):
MENSCHENOPFER
(Zur Zeit der Unabhängigkeitskämpfe der Tiroler gegen Napoleon I.)
Für den Kaiser ich geboren wurde
Hier vom Tode ich erkoren wurde,
(Inschrift eines Gr aß Steins vor Mittemvaid,
datiert 18 o9)
Zum Soldaten ward ich dem Kaiser geboren,
Hab" mein junges Leben für ihn verloren.
Rauh die fremden Berge und trüb die Sonne —
O wie breit und glänzend daheim die Garonne!
Mit den Bayern ging ich ins tirolische Land.
Huh, da ward lebendig die Felsenwand!
Blödce spie die zornige Alpenfirn —
Und aus meinem Schädel verspritzte das Hirn.
Floß mein rotes Blut übern sanften Rain,-
trat mit weißer Pfote ein Lamm hinein —
spülte fort die Flecken im muntern Quell,
hüpfte weg. Ich starb. Und der Morgen war hell.
Weißes Lamm, du armes, wie bist du gescheit!
Springst und grasest fröhlich, solangs noch Zeit.
Zeterst bald umsonst in des Fleischers Ohren,
bist ja auch, wie ich, für das Schlachten geboren.
Stiller Mond, du über der starrenden Wand,
schaust auf manches Grab in gar manchem Land.
Zu mir Düstrem dreh deine düstre Seit7,
mit der lichten leucht7 in die Lande so weit!
9
129
Schau du milde über den blutigen Rhein,
grüß7 am Heimatsstrome mein Mütterlein:
Wenn ihr altes Auge vor Jammer bricht,
schließ7 es du — denn ich, ach, ich kann's ja nicht
Zum Soldaten ward ich dem Kaiser geboren.
Doch ein Mutterherz hat den Sohn verloren!
Eins?! Millionen Söhne sind hingemodert, —
Doch des Kaisers gräßliche Sonne, sie lodert!
130
ALFRED LICHTENSTEIN <f>:
SOLDATENLIEDER
I.
Gut ist und schön, ein Jahr Soldat zu sein.
Man lebt so länger. Und man freut sich doch
Mit jedem Funken Zeit, den man dem Tod entreißt,
Dies arme Hirn, zerfetzt von Städtersehnsucht,
Blutig von Büchern, Leibern, Abenden,
Trostlos betrübt und aller Sünden voll,
Dreiviertel schon zerstört — kann nun
Beim Stillestehn und beim Aufmarschieren,
Beim Armerollen und beim ßeineschwingen
In einer Ecke des Schädels sanft verrosten.
O, der Gestank in einer Marschkolonne.
O, Laufschritt über helles Frühlingsland.
II.
Ich muß eine Stunde vor den anderen kommen
Weil ich schlecht geschossen habe.
Ich werde wohl nicht befördert werden.
Und Nachexerzieren muß ich zur Strafe,
Weil ich, während die anderen vorschriftsmäßig
Starr auf die Mütze des Vorderen blickten,
Als wir vor der roten Sonne
Über die leuchtenden Felder marschierten,
Vorsichtig zu dem kleinen Fliegen schielte,
Der über mir in dem großen, glühenden
Abendhimmel wie eine Biene summte.
III.
Ich weiß, ich weiß: dies Leben ist gesund,
Zwar hörte man meine Griffe kaum,
Doch hau ich mir die Hände wund.
Statt auf dem verfluchten Kasernenhof
Könnte ich jetzt in einer Weise sein.
Vor versammelter Mannschaft fängt ein Mann
Bitterlich zu weinen an.
IV.
Ich habe manchmal Angst: ein Jahr ist lang,
Unendlich lang. Und ewig Beineschwingen . . .
Den ganzen lieben Tag beim Körperkneten
Und beim Parademarsch, beim Platzpatronenschießen
Die Welt vergessen müssen ... daß man noch am Abend
Beim Bier ganz dumpf ist, noch beim Schlafengehen
Den schweren Helm auf seiner Stirne spürt —
Und in der Nacht von den Sergeanten träumt----------
V.
Schon kommen Sonntage und Abende,
In denen ich ganz leer und lustlos schreite,
Ganz gläsern bin, zum Spaß mit Hunden spiele,
Aach, oder kleine Steine, die ich fand,
Mühsam und sinnlos durch die Straßen schleife.
Oft steh ich auch an meinen Fenstern faul herum,
Unschlüssig: soll ich nun in Bierlokalen
Mit Kameraden runden Stumpfsinn pflegen,
In flinken Kinos meine müden
Elenden Stunden töten und zum Zeitvertreib
Gutwilflge Mädchen suchen: oder soll ich nur
In meiner Stube endlos auf und ab gehn.
Ich, der die Nächte wie ein Narr durchlief,
Zum Himmel schreiend tausend Wunder suchte.
132
ALFRED LEMM:
BRIEF AN ALFRED LICHTENSTEIN
Ich schreibe Ihnen, lieber Lichtenstein, ganz der so glückbringenden
Täuschung hingegeben, der Adressat wäre noch der Empfänger. Man
muß doch irgendwie mit Ihnen abschließen. So viel Macht haben die
Wirklichkeit und ihr schamlosester Komplize, von dem Sie einmal
sagten, er wäre kein Erlebnis, auch in unserem Königreiche, daß wir
sie offiziell anzuerkennen genötigt sind.
Lieber Freund, man sieht Sie hier unten nicht richtig. Man hält Ihre
Dichtungen von Art der »Dämmerung« für Ihre wesentliche Kund*
gebung, obwohl es doch nur Ihre genialste war. Dort ritten Sie eine
Hälfte des Lebens nur, den Geist — bis an das bald erreichte Welt*
ende. Dort waren Sie ein Seiltänzer auf einer Seite des Seins und
konnten sich schnell die letzte Spannung leisten. Schließlich ein beque*
mes non plus ultra. »Es gibt keinen Körper,« behaupten Sie, »es gibt
nur Geist.«Die »Dämmerung« istein früher Schluß, weil Sie wegließen.
Und zwar gerade das, womit Sie Ihre Behauptung bewiesen: am Sinn*
liehen. Am Rande radikalsterVerneinung desGestaltlichen durchschießt
die Freude am Gestalten Ihre Gedichte und wird Ursache ihrer erstaun*
liehen Vollkommenheit und, gar nicht selten, verlockender Spielerei.
In Ihren der Welt geöffneten Schöpfungen aber ist kein Widerspruch.
Wo Ihr ganzes Ich auf der Erde erschien, waren Sie nicht einseitig,
sondern allempfindlich. Hier waren Sie von allen Dingen berührt,
wenngleich Sie für sich die dunklen wählten. — In Ihrer Prosa ändert
sich die Handlung nur, damit Sie dasselbe anders ausdrüdeen können,-
es geht nicht aufwärts. Ihre Erzählungen sind Variationen über das*
selbe Thema. Wurden nur aus »technischen Schwierigkeiten« keine
Gedichte. Vielleicht war dieses ewige Fördern aus dem »Nein« Ihre
Beschränkung. Ein Gedächtnisfehler. Doch niemand kann sagen, wie
Ihnen, dem Fünfundzwanzigjährigen, sich die Schranken noch gewei*
tet hätten.
133
Manchmal wurde Ihr Ich nicht zur Welt. Dann wurde Ihre An«
gelegenheit nicht unsere. Aber wo Ihr fest Hingestelltes und Ihr
fließendes Ich sich in der Durchdringung die Wage hielten — bislang
nur in wenigen Dichtungen — lag Ihre wertvolle unausgeschöpfte
Ferne.
Ich weiß nidit, ob Sie ein Großer geworden wären, lieber Lichten»
stein, aber ein Heiliger waren Sie bestimmt. Und ein Besessener —
wer kann das auseinanderhalten?
Heilig und besessen waren Ihre überhellen Augen, die zu viel sahen,
weil sie immer auf dieselbe Stelle bohrten, die wütend brannten vom
Sehensschmerz und sich dennoch immer wieder stahlhart und glaszer»
brechlich der mit Bajonetten anstürmenden Welt stellten, eher brachen,
als daß sie sich verschleiert hätten.
Ein Besessener, hörten Sie bei dem leisesten Wind das ganze Welt»
gebäude knacken. Seine Proportionslosigkeit schrieen Sie heraus mit
Perversionen, Irrenhäusern, Anatomien. Seine Schiefheit und Zweck»
losigkeit konnten Sie nicht breit genug malen am grauesten, gelbsten
Alltag, an Familienszenen und Sonntagnachmittagen. Sie räditen Ihre
Leiden, indem Sie sie zu Worte ballten, die Sie den leidenlosen Bür»
gern an den Kopf warfen, daß sie aufwachten. Das war keine ethische
Absicht/ nur der soziale Wille jeder Kunst, dieses: »Die anderen
sollen mitmachen, was ich fühle«. Wenn Ihr Schmerz zur Wut schwoll,
daß Sie einhadcten rechts und links, dann saß jeder Hieb noch in Ihrer
eigenen Seele. Sie wurden Schmerz los, indem Sie ihn noch einmal
empfanden. Vor Wut schmissen Sie mit Kot. Ihnen glitten die Verse
nidit goethisch ineinander, sie krachten zusammen. Wie in dieser Zeit
der Gottabwesenheit, in der die Grenzen zwischen den Dingen fielen,
in wahlloser Unzucht das Weiße neben dem Schwarzen liegt.
Sie waren ein Heiliger, weil Sie nodi im Dreck beteten. Sie schmun»
zelten sich nicht ins Zynische hinüber, wie jene witzeboxenden und
doch schwächlichen Hirnathleten, mit denen man Sie »desselben Stiles«
halber zusammenstellt. Kein Wertvoller hat sein Lüstchen am Hinter»
134
teil der Welt. Sie waren ethisch, weil Sie weltlidi empfanden. Sie
hatten die gioße Ergebenheit.
Die wurde Ihnen auch zum Thema. Dann löste sich das Steinerne
Ihrer Verse, das Schlagende wie das Starre. Die Welt wurde Ihnen
sanft. Ihre weitgeöffneten Augen füllten sich mit der Dämmerung, die
weich wie Sterben und Zerbrechen ist. Ihre Sehnsucht macht immer
ein paar Schritte nach dem Himmel zu. Ihre Verse der Selbstauflösung
sind Gelübde der Frommheit. Sie waren nicht gläubig in Unterord-
nung. Sie hatten die Gläubigkeit derer, die sich selbst wie Weihwasser
an die Welt versprengen.
In zwei Worte konnten Sie ein melancholisches Gesicht hämmern.
Ergreifend nackt stehen Sie vor mir, wenn Sie das »brave Abendrot«
wie einen Sanitätsrat behandeln.
Ich sehe Sie, den grauen Felsenkopf blutig geritzt vom Gesehenen,
ungeheuer fremd und hilflos wie ein Kind, sterbend zwischen Soldaten-
geschlachte und Körperelend, Sie, der Dichter der Sinnlosigkeit, er-
schlagen von dem Weltunsinn selbst. Ihr Tod ist eine groteske Ge-
bärde auf dem Hintergrund des gigantischsten Körpertriumphes im
Knäuel eines Kampfes, der doch ums Fressen geht, Ihr Tod, irgend-
wie groß, widerspruchsvoll und zum Davonlaufen schmerzlich — wie
ein Lichtensteinsches Gedicht. Ihr Tod wie Ihre Verse: zum Lachen,
zum Brüllen, zum Weinen.
Empfangen Sie meinen letzten Brief.
Immer
Ihr A L.
135
WIELAND HERZFELDE:
DER LETZTE MENSCH
Nur Knäblein kamen noch zur Welt, so schäumend ward das Blut
der Mütter. Im Springbrunnen seiner offenen Adern versank das
letzte Weib.
Auf Erden wieder Paradies: Stahlkühl die Tage, braun die Nächte,
Morgen und Abend gab es nicht mehr. Die Lust vergessen, auch der
Tod. Wer starb, wurde verbrannt/ der Älteste hielt eine Leichenrede.
Man hörte sie an. Seine Anordnungen gingen widerspruchslos von
Mund zu Munde. Man wohnte beisammen, nicht zu eng. Gleich*
gültig, was ein jeder arbeitete: es mangelte an nichts. Geschrieben
wurde wenig: die Inschrift der Urnen, Kalender, Wetterbericht/ zu*
weilen eine historische, eine astronomische Denkschrift, die im Archiv
Verwahrung fand.
Der Besitz mancher: Träume und Erinnerungen, wurden keinem
zur Sehnsucht, zu Leide/ doch schweigsam schuf das Lauschen die
Menschen. So wenige geworden, daß alle einander kannten, verschloß
sie das Du noch mehr/ zu ruhig gesprochen/ vermochte es nicht der An*
gesichter Grenzen zu lösen.
Keimlos auf Erden das Paradies: Wolken und Lieder gab es nicht
mehr —
Und es versammelte <nur im Archiv war Bericht über solches Ge*
schehn noch zu finden) die Bürger der Erde um sich der Älteste.
Älter wohl war er als seine Vorgänger meist,- und sprach:
Leßencfige!
»Wir waren noch Knaben, noch Kinder, als das Weib, der Erden*
wille, versank. Versank bis in unser Bewußtsein. Tot auch werde
sein, bald, der Erde Sinn, das Geschlecht der Menschen: wir,- uns
überdaure die Kählnis des geistverlassenen Seins —, sagt der Vernunft
eiserner Blick!
Aber ein andres in uns <wir ereifern uns nicht mehr, ihm Namen
136
zu geben), ein Unvernünftiges, Überlebendiges leugnet die Vergäng-
lichkeit. Wir können nicht richten, nicht lösen die unendlichen Wider-
sprüche begrenzter Erkenntnis. Unsre Kraft ist: Diener zu sein unsrem
Willen, Kämpfer zu sein dem Geist gegen die todverkündende Leib-
lichkeit.
Ihr letzten der Menschheit, die Menschheit will sterben, nicht ver-
enden.
Darum fordere ich, der Älteste, euch auf: ein jeder zeichne mit
seinem Namen und eigner Hand diese Denkschrift:
Wir, letzte Sprossen des Menschengeschlechts, fassen nicht, ob
mit unserm Leben der Sinn der Erde erlöschen wird. Unser Ewig-
keitswille heißt uns leben und sterben, das Nichts verneinend. Ihm
gerecht zu werden, verpflichten wir uns durch Namensunterschrift.
Wir wollen unsre Lebensweise nicht beeinflussen lassen durch das
Wissen von der Nähe des Zeitpunkts, da die Menschheit aussterben
wird. Der jeweils Älteste bleibt das Haupt unsrer Gemeinschaft. Jede
menschliche Leiche, außer der letzten, wird in bisheriger Weise ver-
brannt und bestattet.
Der letzte Mensch wird sich selbst eine Urne setzen um sein ab-
geschnittenes Haupthaar darin zu bergen, und wird, solange seine Kräfte
es zulassen, den Kalender und ein auf Pergament zu schreibendes
Tagebuch führen, die dem Archiv einzuverleiben sind. Endlich soll er
Sorge tragen, daß er in geschlossenem Raume stirbt, geschützt vor
Einflüssen der Witterung und Tierwelt.«
Die Denkschrift wurde von allen Menschen ohne Einwand unter-
zeichnet,- ihr Leben lief weiter, reibungslos wie bisher.
Der letzte Mensch trat zur Leiche, die er verbrennen sollte, mit
gesträubten Blidcen, wie zu etwas Neugeborenem. In den dünnsten
Verästelungen der geronnenen Adern des Toten stieß er auf sich,
fing an zu bauen, fand aber nirgends Grund. Auf- und abschreitend
verlor ersieh wieder. Wieso er nachher auf der Straße ging, bemühte er
137
sich nichtzu erklären,- denn unterwegs war er gehorsam. Aber angelangt
im Archiv lachte er automatisch. Lachend warf er die Denkschriften
zum Fenster hinaus. Und staunte: als stürzten Äroplane ab! Ereifert,
gewissenhaft, immer rascher ließ er die Pergamente flattern, alle. Mit
vielerlei Schwerem füllte er dann die Taschen. Als die Kleider an den
Schultern zogen, rutschte er am Treppengeländer herab bis zum
Überdruß —
Eine Pfote voll Nüssen prasselte ihm ins Gesicht. Ein Affe! Rot
vorschnellend verfolgte er das Vieh, bis er zwischen stummen Bäumen
lag und Tränen spie. Speerwerfen nach den Stämmen versöhnte ihn.
Am Flusse kauernd aß er Nüsse, zerbrach sie leise und zerbiß sie
murmelnd. Seine Augen schaukelten auf den Schalen, bis die letzten
weggewandert waren. Dann warf er kleine Äste auf das Wasser und
Sachen aus den Taschen. Einzelnes verschwand gleich boshaft. Es
schmolzen ihm die Fäuste, er sank in sich, ward verlassen im Spiel.
Schmerzend schwamm es, schwamm es fort. Und seine Arme mußten
den Wellen geben, herrenlos vor Abend. Dumpf lastend quoll die
Sonne dicht vor ihm. Die Mundharmonika benagte die Dämme seiner
Tränen. Iltisgleich drangen ihre Töne in den wollüstig harrenden Wald.
Steuerlos schwankten die Schläfen im Schilf, er blieb zurück: Ge-
rippe, daran in hündischer Armut Abendrot leckte. Als die Mund-
harmonika stockte, wurde die Sonne glasig und sank rasch. Ihm aber
lösten Tränen das Harz seiner Qual von den Wangen, bis heimlich
der Traum ihn streifte, ein violetter Schmetterling:
... Der Älteste gähnt jedesmal, wenn er zu reden beginnen will, gleich-
zeitig die um ihn gescharten Bürger. Vor Blasen staut sich die Luft.
Da nießt es: Musik und Maskenball! Nilpferde mit offnem Rachen
tanzen lachende Männer mit blumenfarbigen Frauen. Im surrenden
Saal verliert er jede und sieht sie dann hinter jeder der blinzeln-
den Masken. Ringsum die Spiegel höhnen ihn mit seiner Masse
schwankendem Bild. Da zittert er so, daß die Luft klar wird, kalt,
und er haltsuchend packt nach der Larve eines der kichernden Weiber.
138
Das glitscht zurück, im Griff bleibt hängen die Korallenkette, reißt!
Kreisebend fliehen die roten Kugeln! Und nun sucht er Erdbeeren,
Knabe auf lichtgrünem Schlage, pflückt um dieWette mit einemMädchen,
dessen Zopf sich zuweilen einhaltend über die Büsche hebt. Es zirpt
alle Augenblicke eine höhere Zahl gefundener Beeren durchs Laub,
als verstünde sich das von selbst/ er aber möchte aufhören zu pflücken
und vor Heulen platzen. Doch fuchtelnd sucht er weiter, stößt um das
Glas und fallend ins Blaue sieht er fern über sich schon, winzig und
deutlich, leuchtende Insel, den grünen Schlag. Nicht mehr kann er das
Mädchen erspähen, uferlos stoßen ins Leere die Blicke. Richtungslos
stürzt er in sausendem Schweben. Da, als sei es ein Sprung nur ge-
wesen, hängt er im Unsichtbaren, das würzig duftet und wehend---
Den Affen schluckten die Stämme. Verrat! Der Traum, der Spion,
war weg. Noch lähmte das Gift die Augenhöhlen. Er erhob sich
frierend, stand da, Clown im Tempel, wagte keinen Schritt. Auf
starrem Körper drehte sich, unschlüssige Wetterfahne vorm Sturm-
gewölk, sein argwöhnendes Haupt. Jäh sank sein Gewicht in die Erde,
als saugte sie ihn an. Mit Ketten und Gewichten war er an den Boden
gefesselt. Jetzt knirschten die Zähne wie Kieselsteine: die Muskeln
Fäuste, Motor die Brust, stieß er <Hund, seinem Schatten fleuchend)
sich ab vom Alp. Eine Explosion —: geschlossenen Lides, mit ge-
spreiteten Schultern vornübergebeugt, hob er sich in die ölige Luft und
glitt, ein Lächeln, in Flusses Schlummer.
Liebkosende Ufer. Auf nächtlichem Wasser, das ihm den Rücken
bettete und seine Glieder glättete, erschloß er sich den scheulos am
Fels der Dunkelheit lehnenden Sternen. Er atmete das Salz der Nacht,
des Neumonds Honig, die Algen der flüsternden Fahrt/ er hörte das
Blöken der Wälder, des Flusses Trommeln, und belauschte seines Her-
zens Oboe. Er sah seines weißen Leibes Insel, ihrer Marmorhügel rosigei
Leuchten, des UfersaumdickichtsEulenaugen, stumm ragender Stämme
schlafloses Haupt. Sein Blick betastete die samtne Haut des Himmels
und hing in seinen mütterlichen Wimpern. Er ahnte sich versetzt in
c
139
ungeheure Kreise fremdester Kometen und gab im Nachen dieser
Urgeborgenheit sich arglos an die unbekannte Strömung.
Die Sonne züngelte am Firmament verwandelnd es zu dunkler
Sonnenblume. Der letzte Mensch erkannte nicht den Morgen, denn wie
ein Füllhorn öffneten sicfi des Stromes flache Ufer, an deren einem er auf*
gerichtet stand und zwischen hüftenhohen, vom Schlaf noch blaß ver*
schlossenen Blumen die jungen Blicke nach dem Meere sandte. Das regte
sich schon, böse Bora, unter dunkelblauer Ruhe seidenem Gewand.
Er spähte wie der Sonne Riesenleib sich trag entblößte in morgenroter
Wallung, bis nackt und brünstig sie sich rückhaltslos ihm bot. Da flaggte
er der Pulse Willkommwimpeln, ihr strahlten seine Augen weit ent*
gegen. Ums Kinn die linke Hand, die rechte an das Hinterhaupt ge*
preßt, bradi er mit einem unfehlbaren Ruck sich dasGenick.Er lächelte be*
freit, als er den Kopf mit eines toten Häsleins Anmut zu Schulter
baumeln sah, die lässig in die Blumen niedersank.
140
WIELAND HERZFELDE:
SCHREI DER NACHT
Allenthalben gellt es durch die Nadht
Wie das Schreien eines fremden Tieres,
Das geknechtet wird von einer Macht,
Unter der es sich verzweifelt windet.
Es sind schrille, klagevolle Pfiffe
Der empfindungslosen Dampfsirenen,
Die das Nahen lautlos dunkler Schiffe,
Ruheloser Züge weithin stöhnen.
Ihren blutigen Ruf gebiert das Dunkel
Irgendwo, in unheilvoller Nähe
Doch wie letztes Feuerwerksgefunkel
In die Nacht zurücksinkt, stirbt er jählings.
WIELAND HERZFELDE:
ZWEI SONETTE AUS DER SCHULZEIT
1913
I.
Efegie der Jugend
Wir wadisen auf wie die Sdiatten im Walde
So zag betastend und körperlos,
Wir kleben an modernder Erde Schoß
Und streben nach lodernder Halde.
Mit Faserhänden saugen wir Licht,
Umklammern cs in Verzückung. Doch
In uns lasten Wirrnis und Dunkel noch
Wie erst,- die Sonne kennt uns nicht.
Kreaturen unsrer Erzeuger erbeben
Vor ihnen wir. Und verfluchen sie.
Ihre Starrheit stiehlt uns das Leben
In gleichen Gründen verankert wie sie
Sind andern Göttern wir ergeben
Und lauschen andrer Melodie.
142
II.
Der Gefießten
Weißt du, daß in meinem Blut Begeistrung gärt?
Daß in meiner Brust die Wahrheit zittert,
Und mein Auge dort Ruinen wittert,
Wo der Mensch dem Wissen freie Macht gewährt?
Siehst du midi den Vater niederzwingen,
Meine Gottesglut die Dummheit küssen?
Fühlst auch du, wie wund mein Herz gerissen
Wenn die Lippen tote Lieder singen?
Ahnst du alle Niederungen meines Glücks
Und die Anmut eines Mörderblicks?
Ward dir je bewußt, daß es Gestirne gibt
Außer unsren, die mein Pulsschlag haßt und liebt!
Oder brandet deiner Sinne süßes Weinen
Nur an Küsten, die mit mir dich einen?
M3
GEORGE GROSZ:
BEIM DURCHGEHEN DER GARDEROBE
Eine didce Dame stemmt fünfzig Pfund ,•
Ein Kind weint----------------------------
Der Clown schminkt seine Augen rot im Spiegel.
Einer nimmt heimlich einen.
Der Theaterdiener schläft im Stehen
Zwei spielen Karten-------(Gaslicht fladcert
indiskret offen)-------
Ein dritter, mit einer Narbe, verhandelt
intim mit Miß Orelli------------
Perezoff, der mit den zehn Löwen,
ladet Patronen in seinen Revolver,
Er sieht aus, wie ein Pußtahusar,---------
Und die Weiber, die mit den Onkels kommen,
Schreiben Briefe an ihn /
Er hat feste Schenkel, wie die Raubtiere,
Die er liebt,-------Sein Haar ist rot! /
M4
10
GEORG BÜCHNER:
DER HESSISCHE LANDBOTE
Erste Botschaft
Darmstadt, im Juli 1834.
Vorbericht
Dieses Blatt soll dem hessisdien Lande die Wahrheit melden, aber wer die
Wahrheit sagt, wird gehenkt,-ja sogar der, welcher die Wahrheit liest, wird
durch meineidige Richter vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies
Blatt zukommt, folgendes zu beobachten:
1. Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses vor der Polizei
verwahren,-
2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen,-
3. denen, welchen sie nicht trauen, wie sich selbst, dürfen sie es nur heim®
lieh hinlegen/
4. würde das Blatt dennoch bei einem gefunden, der es gelesen hat, so muß
er gestehen, daß er es eben dem Kreisrat habe bringen wollen/
5. wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet, der ist
natürlich ohne Schuld.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es
sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage
und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte
der Herr zu diesen gesagt: »Herrschet über alles Getier, das auf
Erden kriecht«, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm ge®
zählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen
in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Ge®
siebter und reden eine eigne Sprache,- das Volk aber liegt vor ihnen
wie Dünger auf dem Adcer. Der Bauer geht hinter dem Pflug, der
Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit dem
Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das
Leben des Bauern ist ein langer Werktag,- Fremde verzehren seine
Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß
ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
146
Im Großherzogtum Hessen sind 718373 Einwohner, die geben an
den Staat jährlich an 6363436 Gulden, als
1. Direkte Steuern . . 2 128 131 Fl.
2. Indirekte Steuern . . 2478264 »
3. Domänen .... 1547394 »
4. Regalien . . . . 46938 »
5. Geldstrafen . . . 98511 *
6. Verschiedene Quellen 64 198 »
6363436 Fl.
Dies Geld ist der Blutzehnte, der von dem Leib des Volkes ge«
nommen wird. An 700000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern
dafür. Im Namen des Staates wird es erpreßt, die Presser berufen sich
auf die Regierung, und die Regierung sagt, das sei nötig, die Ordnung
im Staat zu erhalten. Was ist denn nun das für gewaltiges Ding: der
Staat? Wohnt eine Anzahl Menschen in einem Land und es sind
Verordnungen oder Gesetze vorhanden, nach denen jeder sich richten
muß, so sagt man, sie bilden einen Staat. Der Staat also sind alle,-
die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch welche das Wohl aller
gesichert wird, und die aus dem Wohl aller hervorgehen sollen. —
Seht nun, was man in dem Großherzogtum aus dem Staat gemacht
hat / seht, was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten! 700 000 Men«
sehen bezahlen dafür 6 Millionen, d, h. sie werden zu Ackergäulen
und Pflugstieren gemacht, damit sie in Ordnung leben. In Ordnung
leben heißt hungern und geschunden werden.
Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben, und die
wachen, diese Ordnung zu erhalten? Das ist die Großherzogliche Re«
gierung. Die Regierung wird gebildet von dem Großherzog und seinen
obersten Beamten, die andern Beamten sind Männer, die von der Re«
gierung berufen werden, um jene Ordnung in Kraft zu erhalten. Ihre
Anzahl ist Legion: Staatsräte und Regierungeräte, Landräte und
Kreisräte, geistliche Räte und Schulräte, Finanzräte und Forsträte
usw. mit allem ihrem Heer von Sekretären usw. Das Volk ist ihre
10*
147
Herde, sie sind seine Hirten, Melker und Schinder/ sie haben die
Häute der Bauern an, der Raub der Armen ist in ihrem Hause/ die
Tränen der Witwen und Waisen sind das Schmalz auf ihren Gesich-
tern/ sie herrschen frei und ermahnen das Volk zur Knechtschaft.
Ihnen gebt ihr 6000000 Fl. Abgaben/ sie haben dafür die Mühe,
euch zu regieren / d. h. sich von euch füttern zu lassen und euch eure
Menschen* und Bürgerrechte zu rauben. Sehet, was die Ernte eures
Schweißes ist!
Für das Ministerium des Innern und der Gerechtigkeitspflege wer*
den bezahlt 1110607 Gulden. Dafür habt ihr einen Wust von Ge-
setzen, zusammengehäuft aus willkürlichen Verordnungen aller Jahr-
hunderte, meist geschrieben in einer fremden Sprache. Der Unsinn
aller vorigen Geschlechter hat sich darin auf euch vererbt, der Druck,
unter dem sie erlagen, sich auf euch fortgewälzt. Das Gesetz ist das
Eigentum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen und Gelehr-
ten, die sich durch ihr eignes Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese
Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten, damit
man euch bequemer schinde,- sie spricht nach Gesetzen, die ihr nicht
versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts wißt, Urteile, von
denen ihr nichts begreift. Unbestechlich ist sie, weil sie sich gerade
teuer genug bezahlen läßt, um keine Bestechung zu brauchen. Aber
die meisten ihrer Diener sind der Regierung mit Haut und Haar ver-
kauft. Ihre Ruhestühle stehen auf einem Geldhaufen von 461373 Gul-
den <so viel betragen die Ausgaben für die Gerichtshöfe und die Kri-
minalkosten). Die Fräcke, »Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener
sind mit dem Silber von 197502 Gulden beschlagen <so viel kostet die
Polizei überhaupt, die Gendarmerie usw.>. Die Justiz ist in Deutsch-
land seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten. Jeden Schritt
zu ihr müßt ihr mit Silber pflastern, und mit Armut und Erniedrigung
erkauft ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an euer
Bücken in den Amtsstuben und euer Wachestehen vor denselben.
Denkt an die Sporteln für Schreiber und Gerichtsdiener. Ihr dürft
148
euern Nachbarn verklagen, der euch eine Kartoffel stiehlt, aber klagt
einmal über den Diebstahl, der von Staats wegen unter dem Namen
von Abgabe und Steuern jeden Tag an eurem Eigentum begangen
wird, damit eine Legion unnützer Beamten sich von eurem Schweiße
mästen/ klagt einmal, daß ihr der Willkür einiger Fettwänste über-
lassen seid und daß diese Willkür Gesetz heißt, klagt, daß ihr die
Ackergäule des Staates seid, klagt über eure verlorene Menschen-
rechte: wo sind die Gerichtshöfe, die eure Klage annehmen, wo die
Richter, die Recht sprächen? — Die Ketten eurer Vogelsberger Mit-
bürger, die man nach Rochenburg schleppte, werden euch Antwort
geben.
Und will endlich ein Richter oder ein andrer Beamter von den we-
nigen, welchen das Recht und das gemeine Wohl lieber ist als ihr
Bauch und der Mammon, ein Volksrat und kein Volksschinder sein,
so wird er von den obersten Räten des Fürsten selber geschunden.
Für das Ministerium der Finanzen 1551502 FI.
Damit werden die Finanzräte, Obereinnehmer, Steuerboten, die
Untererheber besoldet. Dafür wird der Ertrag eurer Ächer berechnet
und eure Köpfe gezählt. Der Boden unter euren Füßen, der Bissen
zwischen euren Zähnen ist besteuert. Dafür sitzen die Herren in
Fräcken beisammen, und das Volk steht nackt und gebückt vor ihnen,
sie legen die Hände an seine Lenden und Schultern und rechnen aus,
wieviel es noch tragen kann, und wenn sie barmherzig sind, so ge-
schieht es nur, wie man ein Vieh schont, das man nicht so sehr an-
greifen will.
Für das Militär wird bezahlt 914820 Gulden.
Dafür kriegen eure Söhne einen bunten Rock auf den Leib, ein
Gewehr oder eine Trommel auf die Schulter und dürfen jeden Herbst
einmal blind schießen und erzählen, wie die Herren vom Hof und die
ungeratenen Buben vom Adel allen Kindern ehrlicher Leute vorgehen
und mit ihnen in den breiten Straßen der Städte herumziehen mit
Trommlen und Trompeten. Für jene 900000 Gulden müssen eure
149
Söhne den Tyrannen schwören und Wache halten an ihren Palästen.
Mit ihren Trommeln übertäuben sie eure Seufzer, mit ihren Kolben
zerschmettern sie euch den Schädel, wenn ihr zu denken wagt, daß ihr
freie Menschen seid. Sie sind die gesetzlichen Mörder, welche die ge*
setzlichen Räuber schützen / denkt an Södel! Eure Brüder, eure Kin-
der waren dort Brüder* und Vatermörder.
Für die Pensionen 480000 Gulden.
Dafür werden die Beamten aufs Polster gelegt, wenn sie eine ge-
wisse Zeit dem Staate treu gedient haben, d. h. wenn sie eifrige Hand-
langer bei der regelmäßig eingerichteten Schinderei gewesen, die man
Ordnung und Gesetz heißt.
Für das Staatsministerium und den Staatsrat 174600 Gulden.
Die größten Schurken stehen wohl jetzt allerwärts in Deutschland
den Fürsten am nächsten, wenigstens im Großherzogtum. Kommt ja
ein ehrlicher Mann in einen Staatsrat, so wird er ausgestoßen. Könnte
aber auch ein ehrlicher Mann jetzo Minister sein oder bleiben, so wäre
er, wie die Sachen stehn in Deutschland, nur eine Drahtpuppe, an der
die fürstliche Puppe zieht,* und an dem fürstlichen Popanz zieht wie-
der ein Kammerdiener oder ein Kutscher oder seine Frau und ihr
Günstling oder sein Halbbruder — oder alle zusammen. In Deutsch-
land stehet es jetzt, wie der Prophet Micha schreibt, Kap. 7, V. 3
und 4: »Die Gewaltigen raten nach ihrem Mutwillen, Schaden zu tun,
und drehen es, wie sie es wollen. Der Beste ist unter ihnen wie ein
Dorn, und der Redlidiste wie eine Hedke.« Ihr müßt die Dörner und
Hecken teuer bezahlen / denn ihr müßt ferner für das großherzogliche
Haus und den Hofstaat 8Z7 77z Gulden bezahlen.
Die Anstalten, die Leute, von denen ich bis jetzt gesprochen, sind
nur Werkzeuge, sind nur Diener. Sie tun nichts in ihrem Namen,
unter der Ernennung zu ihrem Amt steht ein L., das bedeutet Lud-
wig von Gottes Gnaden, und sie sprechen mit Ehrfurcht: »Im Na-
men des Großherzogs.« Dies ist ihr Feldgeschrei, wenn sie euer Gerät
versteigern, euer Vieh wegtreiben, euch in den Kerker werfen. Im
150
Namen des Großherzogs sagen sie, und der Mensch, den sie so nen*
nen, heißt: unverletzlich, heilig, souverän, königliche Hoheit. Aber
tretet zu dem Menschenkinde und blickt durch seinen Fürstenmantel.
Es ißt, wenn es hungert, und schläft, wenn sein Auge dunkel wird.
Sehet, es kroch so nackt und weich in die Welt wie ihr und wird so
hart und steif hinausgetragen wie ihr, und doch hat es seinen Fuß auf
eurem Nacken, hat 700000 Menschen an seinem Pflug, hat Minister,
die verantwortlich sind für das, was es tut, hat Gewalt über euer
Eigentum durch die Steuern, die es ausschreibt, über euer Leben durch
die Gesetze, die es macht, es hat adlige Herrn und Damen um sich,
die man Hofstaat heißt, und seine göttliche Gewalt vererbt sich auf
seine Kinder mit Weibern, welche aus ebenso übermenschlichen Ge»
schlechtem sind.
Wehe über euch Götzendiener! — Ihr seid wie die Heiden, die
das Krokodil anbeten, von dem sie zerrissen werden. Ihr setzt ihm
eine Krone auf, aber es ist eine Dornenkrone, die ihr euch selbst in
den Kopf drückt/ ihr gebt ihm ein Zepter in die Hand, aber es ist
eine Rute, womit ihr gezüchtigt werdet / ihr setzt ihn auf euern Thron,
aber es ist ein Marterstuhl für euch und eure Kinder; Der Fürst ist
der Kopf des Blutigels, der über euch hinkriecht, die Minister sind
seine Zähne und die Beamten sein Schwanz. Die hungrigen Mägen
aller vornehmen Herren, denen er die hohen Stellen verteilt, sind
Schröpfköpfe, die er dem Lande setzt. Das L„ was unter seinen Ver-
ordnungen steht, ist das Malzeidten des Tieres, das die Götzendiener
unserer Zeit anbeten. Der Fürstenmantel ist der Teppich, auf dem
sich die Herren und Damen vom Adel und Hofe in ihrer Geilheit
übereinander wälzen — mit Orden und Bändern decken sie ihre Ge-
schwüre, und mit kostbaren Gewändern bekleiden sie ihre aussätzigen
Leiber. Die Töchter des Volks sind ihre Mägde und Huren, die Söhne
des Volks ihre Lakaien und Soldaten. Geht einmal nach Darmstadt
und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen, und
erzählt dann euern hungernden Weibern und Kindern, daß ihr Brot
an fremden Bäudien herrlich angeschlagen sei, erzählt ihnen von den
schönen Kleidern, die in ihrem Schweiß gefärbt, und von den zier*
liehen Bändern, die aus den Schwielen ihrer Hände geschnitten sind,
erzählt von den stattlichen Häusern, die aus den Knochen des Volks
gebaut sind/ und dann kriecht in eure rauchigen Hütten und büdet euch
auf euren steinigten Äckern, damit eure Kinder auch einmal hingehen
können/ wenn ein Erbprinz mit einer Erbprinzessin für einen andern
Erbprinzen Rat schaffen will, und durch die geöffneten Glastüren das
Tischtuch sehen, wovon die Herren speisen, und die Lampen riechen,
aus denen man mit dem Fett der Bauern illuminiert. Das alles duldet
ihr, weil euch Schurken sagen: »diese Regierung sei von Gott«. Diese
Regierung ist nicht von Gott, sondern vom Vater der Lügen. Diese
deutschen Fürsten sind keine rechtmäßige Obrigkeit, sondern die recht*
mäßige Obrigkeit, den deutschen Kaiser, der vormals vom Volke frei
gewählt wurde, haben sie seit Jahrhunderten verachtet und endlich
gar verraten. Aus Verrat und Meineid, und nicht aus der Wahl des
Volkes, ist die Gewalt der deutschen Fürsten hervorgegangen, und
darum ist ihr Wesen und Tun von Gott verflucht/ ihre Weisheit ist
Trug, ihre Gerechtigkeit ist Schinderei. Sie zertreten das Land und
zerschlagen die Person des Elenden. Ihr lästert Gott, wenn ihr einen
dieser Fürsten einen Gesalbten des Herrn nennt, das heißt: Gott habe
die Teufel gesalbt und zu Fürsten über die deutsche Erde gesetzt.
Deutschland, unser liebes Vaterland, haben die Fürsten zerrissen, den
Kaiser, den unsere freien Voreltern wählten, haben diese Fürsten ver*
raten, und nun fordern diese Verräter und Menschenquäler Treue von
euch! — Doch das Reich der Finsternis neiget sich zum Ende. Über
ein kleines und Deutschland, das jetzt die Fürsten schinden, wird als
ein Freistaat mit einer vom Volk gewählten Obrigkeit wieder auf*
erstehn. Die Heilige Schrift sagt: »Gebet dem Kaiser, was des Kai*
sers ist.« Was ist aber dieser Fürsten, der Verräter? — Das Teil von
Judas!
Für die Landstände 16000 Gulden.
152
Im Jahre 1789 war das Volk in Frankreich müde, länger die Schind*
mähre seines Königs zu sein. Es erhob sich und berief Männer, denen
es vertraute, und die Männer traten zusammen und sagten, ein König
sei ein Mensch wie ein anderer auch, er sei nur der erste Diener im
Staat, er müsse sich vor dem Volk verantworten, und wenn er sein
Amt schlecht verwalte, könne er zur Strafe gezogen werden. Dann
erklärten sie die Rechte des Menschen: »Keiner erbt vor dem andern
mit der Geburt ein Recht oder einen Titel, keiner erwirbt mit dem
Eigentum ein Recht vor dem andern. Die höchste Gewalt ist in dem
Willen aller oder der Mehrzahl. Dieser Wille ist das Gesetz, er tut
sich kund durch die Landstände oder die Vertreter des Volks, sie
werden von allen gewählt, und jeder kann gewählt werden/ diese
Gewählten sprechen den Willen ihrer Wähler aus, und so entspricht
der Wille der Mehrzahl unter ihnen dem Willen der Mehrzahl unter
dem Volke/ der König hat nur für die Ausübung der von ihnen er-
lassenen Gesetze zu sorgen.« Der König schwur, dieser Verfassung
treu zu sein, er wurde aber meineidig an dem Volke, und das Volk
richtete ihn, wie es einem Verräter geziemt. Dann schafften die Fran-
zosen die erbliche Königswürde ab und wählten frei eine neue Obrig-
keit, wozu jedes Volk nach der Vernunft und der Heiligen Schrift das
Recht hat. Die Männer, die über die Vollziehung der Gesetze wachen
sollten, wurden von der Versammlung der Volksvertreter ernannt,
sie bildeten die neue Obrigkeit. So waren Regierung und Gesetzgeber
vom Volk gewählt, und Frankreich war ein Freistaat.
Die übrigen Könige aber entsetzten sich vor der Gewalt des fran-
zösisdien Volkes, sie dachten, sie könnten alle über der ersten Königs-
leiche den Hals brechen, und ihre mißhandelten Untertanen möchten
bei dem Freiheitsruf der Franken erwachen. Mit gewaltigem Kriegs-
gerät und reisigem Zeug stürzten sie von allen Seiten auf Frankreich,
und ein großer Teil der Adligen und Vornehmen im Lande stand auf
und schlug sich zu dem Feind. Da ergrimmte das Volk und erhob sich
in seiner Kraft. Es erdrückte die Verräter und zerschmetterte die Söld-
153
ner der Könige. Die junge Freiheit wuchs im Blut der Tyrannen, und
vor ihrer Stimme bebten die Throne und jauchzten die Völker. Aber
die Franzosen verkauften selbst ihre junge Freiheit für den Ruhm,
den ihnen Napoleon darbot, und erhoben ihn auf den Kaiserthron. —
Da ließ der Allmächtige das Heer des Kaisers in Rußland erfrieren
und züchtigte Frankreich durch die Knute der Kosaken und gab den
Franzosen die dickwanstigen Bourbonen wieder zu Königen, damit
Frankreich sieb bekehre vom Götzendienst der erblichen Königsherr*
schaft und dem Gotte diene, der die Menschen frei und gleich ge*
schaffen. Aber als die Zeit seiner Strafe verflossen war und tapfere
Männer im Julius 1830 den meineidigen König Karl den Zehnten aus
dem Lande jagten, da wendete dennoch das befreite Frankreich sich
abermals zur halberblichen Königsherrschaft und band sich in dem
Heuchler Louis Philipp eine neue Zuchtrute auf. In Deutschland und
ganz Europa aber war große Freude, als der zehnte Karl vom Thron
gestürzt ward, und die unterdrückten deutschen Länder richteten sich
zum Kampf für die Freiheit, Da ratschlagten die Fürsten, wie sie dem
Grimm des Volkes entgehen sollten, und die listigen unter ihnen
sagten: Laßt uns einen Teil unserer Gewalt abgeben, daß wir das
übrige behalten. Und sie traten vor das Volk und sprachen: Wir
wollen euch die Freiheit schenken, um die ihr kämpfen wollt. — Und
zitternd vor Furcht warfen sie einige Brocken hin und sprachen von
ihrer Gnade. Das Volk traute ihnen leider und legte sich zur Ruhe.
— Und so ward Deutschland betrogen wie Frankreich.
Denn was sind diese Verfassungen in Deutschland? Nichts als
leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft
haben. Was sind unsere Landtage? Nichts als langsame Fuhrwerke,
die man einmal oder zweimal wohl der Raubgier der Fürsten und
ihrer Minister in den Weg schieben, woraus man aber nimmermehr
eine feste Burg für deutsche Freiheit bauen kann. Was sind unsere
Wahlgesetze? Nichts als Verletzungen der Bürger* und Menschen*
rechte der meisten Deutschen. Denkt an das Wahlgesetz im Groß*
154
herzogtum, wornach keiner gewählt werden kann, der nicht hoch*-
begütert ist, wie rechtschaffen und gutgesinnt er auch sei, wohl aber
der Grolmann, der euch um die zwei Millionen bestehlen wollte.
Denkt an die Verfassung des Großherzogtums. — Nach den Artikeln
derselben ist der Großherzog unverletzlich, heilig und unverantwort-
lieh. Seine Würde ist erblich in seiner Familie, er hat das Redit, Krieg
zu führen, und ausschließliche Verfügung über das Militär. Er beruft
die Landstände, vertagt sie oder löst sie auf. Die Stände dürfen keinen
Gesetzes Vorschlag machen, sondern sie müssen um das Gesetz bitten,
und dem Gutdünken des Fürsten bleibt es unbedingt überlassen, es
zu geben oder zu verweigern. Er bleibt im Besitz einer fast un«
umschränkten Gewalt, nur darf er keine neuen Gesetze machen und
keine neuen Steuern ausschreiben ohne Zustimmung der Stände. Aber
teils kehrt er sich nicht an diese Zustimmung, teils genügen ihm die
alten Gesetze, die das Werk der Fürstengewalt sind, und er bedarf
darum keiner neuen Gesetze. Eine solche Verfassung ist ein elend
jämmerlich Ding. Was ist von Ständen zu erwarten, die an eine solche
Verfassung gebunden sind? Wenn unter den Gewählten auch keine
Volksverräter und feige Memmen wären, wenn sie aus lauter ent-
schlossenen Volksfreunden bestünden?! Was ist von Ständen zu er®
warten, die kaum die elenden Fetzen einer armseligen Verfassung zu
verteidigen vermögen! — Der einzige Widerstand, den sie zu leisten
vermochten, war die Verweigerung der zwei Millionen Gulden, die
sich der Großherzog von dem überschuldeten Volke wollte schenken
lassen zur Bezahlung seiner Schulden. —■ Hätten aber auch die Land-
stände des Großherzogtums genügende Rechte, und hätte das Groß«
herzogtum, aber nur das Großherzogtum allein, eine wahrhafte Ver»
fassung, so würde die Herrlichkeit doch bald zu Ende sein. Die Raub-
geier in Wien und Berlin würden ihre Henkerskrallen ausstrecken und
die kleine Freiheit mit Rumpf und Stumpf ausrotten. Das ganze
deutsche Volk muß sich die Freiheit erringen. Und diese Zeit, ge-
liebte Mitbürger, ist nicht ferne. — Der Herr hat das schöne deutsdie
J55
Land, das viele Jahrhunderte das herrlichste Reich der Erde war, in
die Hände der fremden und einheimischen Schinder gegeben, weil das
Herz des deutschen Volkes von der Freiheit und Gleichheit seiner
Voreltern und von der Furcht des Herrn abgefallen war, weil ihr dem
Götzendienste der vielen Herrlein, Kleinherzöge und Däumlings*
Könige euch ergeben hattet.
Der Herr, der den Stedken des fremden Treibers Napoleon zer-
brochen hat, wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen Ty-
rannen zerbrechen durch die Hände des Volks. Wohl glänzen diese
Götzenbilder von Gold und Edelsteinen, von Orden und Ehren-
zeichen, aber in ihrem Innern stirbt der Wurm nicht, und ihre Füße
sind von Lehm. — Gott wird euch Kraft geben, ihre Füße zu zer-
schmeißen, sobald ihr euch bekehret von dem Irrtum eures Wandels
und die Wahrheit erkennet: »daß nur ein Gott ist und keine Götter
neben ihm, die sich Hoheiten und Allerhöchste, heilig und unverant-
wortlich nennen lassen, daß Gott alle Menschen frei und gleich in
ihren Rechten schuf, und daß keine Obrigkeit von Gott zum Segen
verordnet ist als die, welche auf das Vertrauen des Volkes sich grün-
det und vom Volke ausdrücklich oder stillschweigend erwählt ist/daß
dagegen die Obrigkeit, die Gewalt, aber kein Recht über ein Volk
hat, nur also von Gott ist, wie der Teufel auch von Gott ist, und
daß der Gehorsam gegen eine solche Teufelsobrigkeit nur so lange
gilt, bis ihre Teufelsgewalt gebrochen werden kann/ — daß der Gott,
der ein Volk durch eine Sprache zu einem Leibe vereinigte, die Ge-
waltigen, die es zerfleischen und verteilen oder gar in dreißig Stücke
zerreißen, als Volksmörder und Tyrannen hier zeitlich und dort ewig-
lich strafen wird, denn die Schrift sagt: was Gott vereinigt hat, soll
der Mensch nicht trennen/ und daß der Allmächtige, der aus der Ein-
öde ein Paradies schaffen kann, auch ein Land des Jammers und des
Elends wieder in ein Paradies umschaffen kann, wie unser teuerwertes
Deutsdiland war, bis seine Fürsten es zerfleischten und schunden.«
Weil das Deutsche Reich morsch und faul war und die Deutschen
156
von Gott und von der Freiheit abgefallen waren, hat Gott das Reich
zu Trümmern gehen lassen, um es zu einem Freistaat zu verjüngen.
Er hat eine Zeitlang »den Satansengeln Gewalt gegeben, daß sie
Deutschland mit Fäusten schlügen, er hat den Gewaltigen und Für«
sten, die in der Finsternis herrschen, den bösen Geistern unter dem
Himmel <Ephes. 6) Gewalt gegeben, daß sie Bürger und Bauern pei-
nigten und ihr Blut aussaugten und ihren Mutwillen trieben mit allen,
die Recht und Freiheit mehr lieben als Unrecht und Knechtschaft.«—
Aber ihr Maß ist voll!
Sehet an das von Gott gezeichnete Scheusal, den König Ludwig von
Bayern, den Gotteslästerer, der redliche Männer vor seinem Bilde
niederzuknien zwingt und die, welche die Wahrheit bezeugen, durch
meineidige Richter zum Kerker verurteilen läßt/ das Schwein, das sich
in allen Lasterpfützen von Italien wälzte, den Wolf, der sich für seinen
Baals«Hofstaat für immer jährlich fünf Millionen durch meineidige
Landstände verwiegen läßt, und fragt dann: »Ist das eine Obrigkeit
von Gott zum Segen verordnet?«
Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus,-
Du raubst, du schindest, kerkerst ein,
Du nicht von Gott, Tyrann!
Ich sage euch: sein und seiner Mitfürsten Maß ist voll. Gott, der
Deutschland um seiner Sünden willen geschlagen hat durch diese Für«
sten, wird es wieder heilen. »Er wird die Hecken und Dörner nieder«
reißen und auf einem Haufen verbrennen.«
Jesaias 27,4. So wenig der Höcker noch wüchset, womit Gott diesen
König Ludwig gezeichnet hat, so wenig werden die Schandtaten dieser
Fürsten noch wachsen können. Ihr Maß ist voll. Der Herr wird ihre
Körper zerschmeißen, und in Deutschland wird dann Leben und Kraft
als Segen der Freiheit wieder erblühen. Zu einem großen Leichenfelde
haben die Fürsten die deutsche Erde gemacht, wie Ezechiel im 37. Ka«
pitel beschreibt: »Der Herr führte mich auf ein weites Feld, das voller
157
/
Gebeine lag, und siehe, sie waren sehr verdorrt.« Aber wie lautet
des Herrn Wort zu den verdorrten Gebeinen: »Siehe, ich will euch
Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen, und euch mit
Haut überziehen, und will euch Odem geben, daß ihr wieder lebendig
werdet, und sollt erfahren, daß Ich der Herr bin.« Und des Herrn
Wort wird auch an Deutschland sich wahrhaftig beweisen, wie der
Prophet spricht: »Siehe, es rauschte und regte sich, und die Gebeine
kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. — Da kam
Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf
ihre Füße, und ihrer war ein sehr groß Heer.«
Wie der Prophet schreibet, also stand es bisher in Deutschland:
eure Gebeine sind verdorrt, denn die Ordnung, in der ihr lebt, ist eitel
Schinderei. Sechs Millionen bezahlt ihr im Großherzogtum einer Hand»
voll Leute, deren Willkür euer Leben und Eigentum überlassen ist,
und die anderen in dem zerrissenen Deutschland gleich also. Ihr seid
nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos. Ihr müsset geben, was eure
unersättlichen Presser fordern, und tragen, was sie euch aufbürden.
So weit ein Tyrann blichet — und Deutschland hat deren wohl dreißig
— verdorret Land und Volk. Aber wie der Prophet schreibet, so wird
es bald stehen in Deutschland: der Tag der Auferstehung wird nicht
säumen. In dem Leichenfelde wird sich's regen und wird rauschen,
und der Neubelebten wird ein großes Heer sein.
Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser, die nur
stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen, und durch eure
Arme, die ihr ihnen willenlos leihet. Ihrer sind vielleicht 10000 im
Großherzogtum und eurer sind es 700000, und also verhält sich die
Zahl des Volkes zu seinen Pressern auch im übrigen Deutsddand.
Wohl drohen sie mit dem Rüstzeug und den Reisigen der Könige,
aber ich sage euch: Wer das Schwert erhebt gegen das Volk, der wird
durch das Schwert des Volkes umkommen. Deutschland ist jetzt ein
Leichenfeld, bald wird es ein Paradies sein. Das deutsche Volk ist ein
Leib, ihr seid ein Glied dieses Leibes. Es ist einerlei, wo die Schein*
158
leiche zu zucken anfängt. Wann der Herr euch seine Zeichen gibt durch
die Männer, durch welche er die Völker aus der Dienstbarkeit zur
Freiheit führt, dann erhebet euch, und der ganze Leib wird mit euch
aufstehen.
Ihr bücktet euch lange Jahre in den Dornäckern der Knechtschaft,
dann schwitzt ihr einen Sommer im Weinberge der Freiheit und werdet
frei sein bis ins tausendste Glied.
Ihr wühltet ein langes Leben die Erde auf, dann wühlt ihr euren
Tyrannen ein Grab. Ihr bautet die Zwingburgen, dann stürzt ihr sie
und bauet der Freiheit Haus. Dann könnt ihr eure Kinder frei taufen
mit dem Wasser des Lebens. Und bis der Herr euch ruft durch seine
Boten und Zeichen, wachet und rüstet euch im Geiste und betet ihr
selbst und lehrt eure Kinder beten: »Herr, zerbrich den Stecken unserer
Treiber und laß dein Reich zu uns kommen — das Reich der Gerech*
tigkeit. Amen.«
159
HEINRICH MANN :
DER BRUDER
Peter Scheibel blieb nach dem Tod seiner Eltern zurück als ganz ver®
armter Siebenzehnjähriger und mit einer kleinen Schwester, die nie®
mand hatte als nur ihn. Er sagte sich, daß er auf der Schule und später
auf der Hochschule wohl sich selbst noch würde durchbringen können,
unmöglich aber ein heranwachsendes Mädchen / und ohne Säumen ging
er auf die Suche nach einer bezahlten Arbeit. Er fand sie bei Fülle
'S) Sohn, Häute, zuerst als Ausgeher/ aber bald ließen sie ihn Briefe
schreiben. Nadi acht Jahren war er Buchhalter und hatte ein Zimmer®
chen für sich allein, auf einen Hof hinaus, der nicht hell war/ außer
im Hochsommer mußte man immer das Gas brennen. Luft und Licht
fand er zu Hause, ihm dünkte es oft, kein Mensch könne zu Hause,
die kurzen Stunden, in denen dies erlaubt ist, so viel Sonne und frohes
Herz finden. Sie wohnten hoch über einem weiten Platz, mit elektri®
sehen Bahnen, Obstkarren, Soldaten. Ihr kleiner Balkon trug Blumen,
und Anne drinnen sang. Andere hörten sie nicht von draußen, ihre
Stimme war nicht stark/ der Bruder aber blieb auf der Treppe stehen
und hörte sie.
Sie war erwachsen in den acht Jahren, unter seiner Pflege, seinem
steten Gedenken, als Lohn für alle seine Mühen/ aber noch blieb sie
zart und unsicher, nicht nur von Gesundheit, auch in ihren Formen,
Farben und in ihrer Art, das Leben zu nehmen oder es vorauszuahnen.
Bei ihren wenigen Bekannten galt sie für langweilig oder hochmütig,
manchmal argwöhnten sie Bosheit, Nur ihr Bruder kannte sie wirk®
lieh, er war stolz darauf, wie auf eine treu erworbene Vertrauens®
Stellung. Ihr ward es nur leicht bei ihm. Nur bei ihr war er glücklich.
Am Abend mitunter und dann wenn sie ihm Gute Nacht wünschte,
sah er auf zu ihr, staunte eine Weile, und nannte sie Beatrix. So hatte
eine Prinzessin geheißen, in einem Buch mit bunten Bildern, das sie
zusammen lasen, als er zwölf und sie fünf Jahre alt war. Damals
160
schnitt er ihr aus Papier den goldenen Gürtel, wie er von den Hüften
der Prinzessin fiel. Wenn sie über ihrem langen Hemddien den Gürtel
hatte, hieß sie Beatrix. Ob sie ihn überzeugte? Ob er es entdeckte?
Ihr eigentlidher Name und ihr Wesen, das nur er sah, waren Beatrix.
f
Ihm blieb nichts übrig, als ihr die Rechte zu erobern, die ihr natürlich
waren.
Aber noch wollte sie nichts/ sie lächelte schwach und wegwerfend
zu seinen Versprechungen von Kleidern und Schmuck, für künftig,
wenn sie reicht sein würden, wenn seine Ersparnisse den Nutzen ge*
tragen haben würden, auf den er sann. Es kam unbemerkt, sie war
damals zwanzig, — und als er es dann doch sah, wie gern sie jetzt
ihren bescheidenen Tand trug, begriff er noch immer nicht, daß etwas
vorging. Ihre Kopfhaltung machte ihn aufmerksam, das freiere Auf*
treten, die erwachte Anmut, und dann dies Lädieln, das stolz einlud:
Sieh doch! Was er aber sah, ward dem Bruder nicht früher klar, als
bis er Fremde es nennen hörte. Sie sagten: »Die Anne Scheibel ist
aber schön geworden.« Er hörte es und ward von einer solchen Freude
erfaßt, daß er in der winterlichen Straße plötzlich eine laue Luft spürte
und Rosen roch. Beim Betreten des Hauses fand er endlich Worte.
»Jetzt haben sie es heraus!« sagte er. Jetzt sahen alle ihre wahre
Natur, und nicht mehr nur für ihn war sie eine Prinzessin. Freilich
verlor er dadurch einen Vorzug und einen großen geheimen Stolz.
Ihr aber tat die Bestätigung so wohl! Unter den Blicken, die sie be*
wunderten, entfaltete ihre Schönheit sich, ihm schien, ins Ungemes*
sene. Ihn blendete sie nur noch. Hiervon hatte er trotz allem keinen
Begriff gehabt: ein Gesicht, so klar, als sei es Fleisch gewordener
Edelstein! Und aufgeblüht das Gold der Haare, in den herangereiften
Gliedern irgendein ungeahnter Saft, — die Hand aber, man konnte
sie unmöglich noch nehmen ohne Demut, sie konnte sie unmöglich
anders geben, als mit Herablassung. Sie spürte es selbst, denn sie
lachte manchmal auf dabei, übermütig und wie zum Spott auf ihn und
sich, weil alles sich nun auf diese theatralische Art gewendet hatte.
11
161
Er zahlte ihre Kleider, die teurer wurden, aber nicht sie hatte jetzt
zu danken, sondern er. Dazwischen zeigte sie ihm unversehens ein
ernstes, vertrauliches Auge, das sagte: »Du verstehst natürlich, es
ist meine Rolle, Im Grund bist du alles, was wäre ich. Glücklich bin
ich, weil du nun belohnt bist.«
Aber sie hatte durchaus den Willen zu ihrer neuen Rolle. Sie ging
aus, trat auf, und trug Siege heim. Sie besuchte eine Schauspielschule,
kannte Kavaliere, schlug Heiraten aus, die ihr nicht angemessen waren.
Er mußte häufig warten auf sie am Abend, und kam sie heim, brachte
sie Unbekanntes mit, Erlebnisse, Möglichkeiten und Fragen an das
Schicksal, in die er nicht immer wagte hineinzuhorchen. Sie aß reich-
lich, wie ihre Schönheit es erforderte,- es geschah aber, daß sie den
Teller fortschob, die Arme weiß auf den Tisch stellte, und zwischen
ihnen kurz den Kopf rückend über das zu geringe Zimmer hinsah,
die dürre Hängelampe, und auch über ihn — gereizt hinsah, auch über
ihn, und doch, als sei sie abwesend. Da erschrak er so tief wie noch
nie. Sein alter Rock brannte ihm plötzlich auf dem Rücken, und leise,
aber angestrengt schob er sich mitsamt seinem Stuhl vom Tisch fort,
damit sie ihn nicht mehr rieche. Denn ein wenig, trotz aller Vorsicht,
roch er wohl nach Häuten. Daß er es nicht bedacht hatte, kürzlich, als
ihre Freunde sie besuchten! In einer entsetzten Scham ward es ihm
fühlbar, daß er zu viel da sei, und daß er Ansprüche mache, unberech-
tigte Ansprüche, indem er da sei. So begann er ins Cafe zu gehen,
saß einsam und grübelte, weil in diesem Augenblick die Damen und die
Herren, die mit ihr einen heiteren Abend verbrachten, sie in dem miß*
verständlichen Rahmen des zu geringen Zimmers sahen. Konnte da*
durch nicht ihre Ehrfurcht leiden? Ach es war klar, daß dies nicht
mehr weiterführte, und daß er selbst, nur er die Schuld daran trug.
Er hatte eine Prinzessin bei sich aufgezogen und zeigte sich nun un*
fähig, die Mittel zu beschaffen für ihre Hofhaltung. Seine Ersparnisse,
die bisher ihre Toiletten bezahlt hatten, waren schon dahin, was nun?
Sie wartete, und die Jahre vergingen, die ihre Jugend waren. Er stahl
162
I
sie ihr, er war ihr Feind! Einst bekam er im Geschäft eine unerhört
große Summe in die Hand und behielt sie eine Nacht lang, obwohl
sie schon abends wäre abzuliefern gewesen. Es war die Nacht, in
der er mehrmals starb und mehrmals lebte wie noch nie. Als es Mor-
gen ward, war er dem Abgrund entronnen, und was er fühlte, war
Erbitterung gegen sie, die Gläubigerin, die ihn so schwer bedrängte.
Er wolle sie einem braven Mann geben, beschloß er hart, —aber wie
flehentlich bat sein Herz es ihr ab, als sie am Abend vor der Tür
seines Geschäftes stand und ihn abholte. Schön und vornehm wie
keine, ging sie dennoch an seiner Seite durch die glänzendsten Straßen,
Hinter der erleuditeten Glastür eines Friseurladens sah man eingeseifte
Herren sitzen, streng würdig, aber doch abgerüstet. Im Vorbeigehen
beugte die Schwester sich vor das Gesicht des Bruders. »Da sitzen
sie,« sagte sie, und hatte um ihren karminroten Mund zwei Züge von
Haß und Hohn. Noch beim Abendessen dachte sie wohl daran, denn
unvermittelt lachte sie auf, und wie er hinsah, war es wieder dies Ge-
sicht. Da sie merkte, er sah hin, verwandelte es sich, und ihre Augen
tauchten in seine, mit einer solchen Kraft von Mitleid, Dankbarkeit
und Wissen, daß er fühlte: »Geschehe was immer—,« »Wir wollen
doch noch unsere Partie spielen,« sagte sie, da ward ihm schon wieder
bang, denn es klang wie ein letztes Mal. Dann gab sie die Karten,
mit ihren Händen, von denen Duft wehte. »Du schwindelst wohl?«
sagte sie heiter, da er gewann,- und langsam, mit verlorener Miene
in die Lampe starrend: »Ach nein. Am schwersten wird man die
Anständigkeit los.«
Künftig zeigte er sich noch seltener, er durfte nicht länger sich da-
zwischendrängen in den Lebenskampf, dem er sie nicht hatte entheben
können. Was sie fortan erlebte, gehörte nur ihr — und wohl noch
einem, aber nicht ihm. Sein waren die Angst, die Sehnsucht und der
Zorn, dies gehetzte Herz, das anbetete und verwünschte in einem.
Er wußte gleichwohl immer, was vorging,- ihm schrien es Dinge zu,
die kaum waren, ein Hauch in der Luft, ein Schatten in zwei Augen.
163
11*
Er kannte den Mann — hatte ihn nie mit ihr gesehen, war ihm un«
bekannt, und stand doch unter einem Haustor, um ihm entgegenzu«
blicken, der Gestalt des Schicksals, um ihm nachzublicken, dem Gang
des Schicksals, unerbittlich wie es ging, und ganz fremd. Einmal aber
verließ er das Geschäft zu einer ungewohnten Zeit, ein hohes Fieber
nötigte ihn/ und zu Haus nahm er wahr, sie waren da. Er stand,
atmete nicht und hörte. Ein entzückter Klang drang hervor, und ja,
dieser Klang: Beatrix. Da ging er fort, fiebernd, aber seine schnellen
Pulse klopften wie ein Glück — ein Glück, sei es wie immer. Sie hatte
von dem, den sie liebte, genannt werden wollen wie von ihm! Wenn
sie sich von Liebe verklärt fühlte, ging sie in das Märchenwesen ein,
das sein, sein war. Er fühlte; Meine Schwester!
Tage zogen vorbei, da sie ihn wohl ganz vergessen hatte, und
Tage, an denen sie ihn nicht fortlassen wollte,- aber er wußte, wann
es aus Güte und ruhigem Sinn kam, und wann er sie retten sollte.
Er rettete sie nie,- sie mußte allein an sich tragen, er konnte ihr nur,
stumm und treu wie ein Hund, bedeuten, daß er Bescheid wisse um
ihre gekrampften Mienen, die Trennung hießen, bevorstehender Zu*>
sammenbruch, Angst des Endes, um ihr Umherirren und Seufzen,
worin schon neue Hoffnungen sich meldeten, ein anderer Mann, und
wieder Leichtsinn und wieder Schmerz, Ihm schien die Zeit stillzu^
stehen, in allem Hin und Her, das nur ablief und zu nichts führte,
und dem er beiwohnte in immer gleicher Demut und Ergriffenheit.
Dennoch erschien ein Abend — sie hatte ihn nicht fortgehen lassen
und war selbst nicht vorbereitet zum Ausgehen, setzte sich hin bei
ihm, fand keine Ruhe, hatte schon ihr Zimmer aufgesucht und kam
noch zurück. Er sah auf, erstaunt wie von jeher, wenn die Gunst
des Augenblicks ihm ihren Anblick schenkte. In ihrem Gesicht aber
entstand nichts von der kleinen Freude, die sein Staunen sonst ihr
schenkte. Seltsam, sie hatte ein Gesicht, als sähe sie, nun sie zu ihm
sprach, nicht sich, sondern wie vor Zeiten, wirklich ihn. Sie sagte;
»Hast du denn eigentlich nie daran gedacht, zu heiraten?« Er be*
164
dachte, was ihr denn einfiele. Um Zeit zu gewinnen, sah er an sich
nieder und er murmelte: »Jetzt doch wohl nicht mehr.« Dies war es
aber nicht, in ihm stammelte es anders. »Wer wie ich — « Und:
»Beatrix!« Ihr Blich zog sich schon zurück, sie sah nicht weg, und sah
schon nicht mehr ihn. »Hättest du geheiratet,« sagte sie, »vielleicht
würde ich dann ein Asyl gehabt haben, wenn es mit mir aus ist.«
Er schrak auf, fassungslos: »Mit dir!« Da schwieg sie zuerst gram*
voll und sagte dann, mit einer Stimme wie eine Kranke: »Sieh' mich
doch an! Sieh' mich doch nur wirklich an!« Und weil sie es wollte,
sah er sie, sah mit einem Schlag alles. Sie hatte die Lippen heute nicht
gefärbt, die Haut des Gesichtes gelassen wie sie war, dem Blich nicht
nachgeholfen, das Kleid umgehängt wie um irgendeine Nebenperson,
und stand auf einmal da, als sei sie entblößt von einem goldenen
Nebel und in den Alltag versetzt. Die Augen erkaltet von Enttäu-
schungen und geschwächt von Verlusten, der Zug des Hohnes ein-
gewurzelt um den Mund, umgewühlt die Stirn wie ein Feld mit
Leichen, und müde dies menschliche Wesen nach getragenen Lasten,
entstellt das Antlitz und der Leib durch Kampf, den täglidien Kampf
um das Brot der Seele und um ihr Dasein, den nie entschiedenen
Kampf: so stand sie vor dem Bruder, der die Hände erhob, langsam
aufhob und sie faltete. Da sie sah, er habe begriffen, sagte sie: »Diese
acht Jahre waren eine lange, lange Zeit.« Und während ihre Stimme,
kranke Kinderstimme, noch nachklang, strich sie tastend über ihre
Hüften, als seien sie wund, oder als suchte sie nach ihrer verlorenen
Form. Da riß er sie an sich, und hinsinkend weinten sie.
Das Gesicht noch trocknend, eilte sie schon fort. Unter der Tür,
zurückgewendet, sagte sie: »Morgen gehe ich auf eine Reise. Du
kannst unbesorgt sein,« — sagte es inständig, als setzte sie hinzu:
»Glaub mir, oder doch, laß mich es glauben!« Morgen kam, und sie
war fort, und er in seinem Hofzimmer beim Gaslicht erdrückte mit
beiden Händen in seinem Herzen, was er wußte, sein ungeheures
Wissen. Zwei Tage, da rief man ihn in die Frauenklinik: tot sei sie,
tot sei seine Schwester. Er ging und beugte noch einmal seinen grauen
Kopf vor ihrer unvergänglichen Schönheit.
Der Sarg schwankte hinaus, da war ein Mensch da und hielt dem
Bruder die Hand hin. Es war ihr erster Geliebter, jener, der an Ge-
stalt und Gang dem Schicksal geglichen hatte. Armes Schicksal, ver-
stört und bleich. Trotz der trüben Frühe standen draußen Leute, um
den Sarg zu sehen. Der Bruder hörte sagen: »Sie war nur eine —
Er sah sich nicht um nach dem Wort, er dachte: »Wißt ihr denn gar
nichts?« und er fühlte Verachtung und Mitleid.
I66
P.4 JOUVE:
LES VOIX D'EUROPE
Tue! Tue!
Ecoutez, ce sont par millions les voix d'Europe,
Les cris par millions de l'Atlantique ä la Pologne,
Toutes nos voix entre l'Ocean et les montagnes.
Tue! Tue!
Ce sont les voix les plus sages, les plus vraies d'Europe,
Les voix unanimes comme la terre.
Les voix formidables comme le sang!
Tue! Tue!
Ce sont les voix sacrees et savantes d'Europe,
Les voix ä jamais enivrees de Raison,
Les voix jadis endiafnees a la chair faible et brülante,
Qui depuis des milliers d'annees approdiaient de ladelivrance.
Tue! Tue!
Ce sont les voix pres de la jeunesse et sur le bord de la mort,
Celles du travail devant les creusets,
Du plaisir et de la foi, de la plaine et de la foret,
Les voix de la tendresse et aussi celles de la joie!
Tue! Tue!
Sans pitie, sans scrupule et sans Souvenir,
Sache tuer, d7 un coup puissant, avec patience,
Non pas une seule fois, mais des milliers de fois,-
De TAtlantique ä l'Asie, les saintes voix
T'ordonnent de bien tuer.
Tue! Tue!
167
Mon Dieu! Pere! Immense, bon! Ta lumiere!
Toi, — point de nom pour toi, substantiel
Verite la plus vraie des verites!
Immense, bon! Qui fait vivre vraiment,
Qui ne connait pas l'esclavage, 6 libre!
Et qui ne meurt pas dans l'homme enchafne!
Mon Dieu, Pere! O revelation du soir.
Ame anxieuse de la Paix! Passion, eternite,
Que feras — tu pour celiu qui souffre en attendantton Regne?
168
GEORG TRAKL <T>: ELIS
1.
Vollkommen ist die Stille dieses goldenen Tags.
Unter alten Eidien
Erscheinst du, Elis, ein Ruhender mit runden Augen.
Ihre Bläue spiegelt den Schlummer der Liebenden.
An deinem Mund
Verstummten ihre rosigen Seufzer.
Am Abend zog der Fischer die schweren Netze ein.
Ein guter Hirt
Führt seine Herde am Waldsaum hin.
O! wie gerecht sind, Elis, alle deine Tage.
Leise sinkt
An kahlen Mauern des Ölbaums blaue Stille,
Erstirbt eines Greisen dunkler Gesang.
Ein goldener Kahn
Schaukelt, Elis, dein Herz am einsamen Himmel.
Q
169
2.
Ein sanftes Glockenspiel tönt in Elis' Brust
Am Abend,
Da sein Haupt in schwarze Kissen sinkt.
Ein blaues Wild
Blutet leise im Dornengestrüpp.
Ein brauner Baum steht abgeschieden da,-
Seine blauen Früchte fielen von ihm.
Zeichen und Sterne
Versinken leise im Abendweiher.
Hinter dem Hügel ist es Winter geworden.
Blaue Tauben
Trinken nachts den eisigen Schweiß,
Der von Elis' kristallener Stirne rinnt.
Immer tönt
An schwarzen Mauern Gottes einsamer Wind.
170
George Grosz: Kaffeehaus <1 V>.
FRANZ KAFKA:
EIN TRAUM
Josef K. träumte:
Es war ein schöner Tag und K. wollte spazieren gehn. Kaum aber
hatte er zwei Schritte gemacht, war er schon auf dem Friedhof. Es
waren dort sehr künstliche, unpraktisch gewundene Wege, aber er glitt
über einen solchen Weg wie auf einem reißenden Wasser in uner*
schütterlich schwebender Haltung. Schon von der Ferne faßte er einen
frisch aufgeworfenen Grabhügel ins Auge, bei dem er halt machen
wollte. Dieser Grabhügel übte faßt eine Verlockung auf ihn aus und
er glaubte gar nicht eilig genug hinkommen zu können. Manchmal
aber sah er den Grabhügel kaum, er wurde ihm verdeckt durch Fahnen,
deren Tücher sich wanden und mit großer Kraft ancinandersdhlugen,-
man sah die Fahnenträger nicht, aber es war, als herrsche dort viel Jubel.
Während er den Blick noch in die Ferne gerichtet hatte, sah er plötz*
lieh den gleichen Grabhügel neben sich am Weg, ja fast schon hinter
sich. Er sprang eilig ins Gras. Da der Weg unter seinem abspringen*
den Fuß weiter raste, schwankte er und fiel gerade vor dem Grab*
hügel ins Knie. Zwei Männer standen hinter dem Grab und hielten
zwischen sich einen Grabstein in der Luft/ kaum war K. erschienen,
stießen sie den Stein in die Erde und er stand wie festgemauert. So*
fort trat aus einem Gebüsch ein dritter Mann hervor, den K. gleich
als einen Künstler erkannte. Er war nur mit Hosen und einem schlecht
zugeknöpften Hemd bekleidet/ auf dem Kopf hatte er eine Samt*
kappe/ in der Hand hielt er einen gewöhnlichen Bleistift, mit dem er
schon beim Näherkommen Figuren in der Luft beschrieb.
Mit diesem Bleistift setzte er nun oben auf dem Stein an/ der Stein
war sehr hoch, er mußte sich gar nicht bücken, wohl aber mußte er
sich Vorbeugen, denn der Grabhügel, auf den er nicht treten wollte,
trennte ihn von dem Stein. Er stand also auf den Fußspitzen und
stützte sich mit der linken Hand auf die Fläche des Steines. Durch
172
eine besonders geschickte Hantierung gelang es ihm, mit dem gewöhn«
liehen Bleistift Goldbuchstaben zu erzielen/ er schrieb: »Hier ruht.«
Jeder Buchstabe erschien rein und schön, tief geritzt und in vollkom«
menem Gold. Als er die zwei Worte geschrieben hatte, sah er nach
K. zurück/ K., der sehr begierig auf das Fortschreiten der Inschrift
war, kümmerte sich kaum um den Mann, sondern blickte nur auf den
Stein. Tatsächlich setzte der Mann wieder zum Weiterschreiben an,
aber er konnte nicht, es bestand irgendein Hindernis, er ließ den Bleistift
sinken und drehte sich wieder nach K. um. Nun sah auch K. den
Künstler an und merkte, daß dieser in großer Verlegenheit war, aber
die Ursache dessen nicht sagen konnte. Alle seine frühere Lebhaftig-
keit war verschwunden. Auch K. geriet dadurch in Verlegenheit / sie
wechselten hilflose Blicke/ es lag ein häßliches Mißverständnis vor,
das keiner auflösen konnte. Zur Unzeit begann nun auch eine kleine
Glocke von der Grabkapelle zu läuten, aber der Künstler fuchtelte mit
der erhobenen Hand und sie hörte auf. Nach einem Weilchen begann sie
wieder/ diesmal ganz leise und, ohne besondere Aufforderung, gleich
abbrechend/ es war, als wolle sie nur ihren Klang prüfen. K. war
untröstlich über die Lage des Künstlers, er begann zu weinen und
schluchzte lange in die vorgehaltenen Hände. Der Künstler wartete,
bis sich K. beruhigt hatte, und entschloß sich dann, da er keinen andern
Ausweg fand, dennoch zum Weiterschreiben. Der erste kleine Strich,
den er machte, war für K. eine Erlösung, der Künstler brachte ihn
aber offenbar nur mit dem äußersten Widerstreben zustande/ die
Schrift war auch nicht mehr so schön, vor allem schien es an Gold zu
fehlen, blaß und unsicher zog sich der Strich hin, nur sehr groß wurde
der Buchstabe. Es war ein J, fast war es schon beendet, da stampfte
der Künstler wütend mit einem Fuß in den Grabhügel hinein, daß die
Erde ringsum in die Höhe flog. Endlich verstand ihn K./ ihn abzu-
bitten, war keine Zeit mehr/ mit allen Fingern grub er in Erde, die
fast keinen Widerstand leistete,-alles schien vorbereitet/nur zum Schein
war eine dünne Erdkruste aufgerichtet/ gleich hinter ihr öffnete sich
173
» *
mit abschüssigen Wänden ein großes Loch, in das K„ von einer sanften
Strömung auf den Rücken gedreht, versank. Während er aber unten,
den Kopf im Genick nodi aufgerichtet, schon von der undurchdring*
liehen Tiefe aufgenommen wurde, jagte oben sein Name mit mäch*
tigen Zieraten über den Stein.
Entzückt von diesem Anblick erwachte er.
%
174
QUELLENANGABE
Theodor Däuhfers Hymne an Friedrich Nietzsche ist dem orphischen
Intermezzo »Pan« aus dem »Nordlicht« entnommen, desgleichen die
Dichtung »Orpheus Tod«.
Leonhard Tranks Erzählung »Der Vater« erschien mit dem Titel
»Der Kellner« in den »Weißen Blättern«.
Heinrich Manns Novelle »Der Bruder« ist einer früheren Nummer
der »Weißen Blätter« entnommen.
Anette Kofhs Aufsatz stand zuerst in den »Weißen Blättern«.
Professor Schückings Beitrag entstammt seinem Buche »Die Or*
ganisation der Welt«.
Professor Toersters Arbeit wurde aus dem Buch »Die deutsche
Jugend und der Weltkrieg« abgedruckt.
Georg Trakfs Gedicht entnommen seinem Buch » Sebastian imTraum «.
Georg Büchner, »Der hessische Landbote« findet sich in seinen ge=
sammelten Werken.
J.°P.Jouve’s Gedicht ist dem Gedichtband »Vous etes des hommes«
entnommen.
Gustav Landauer, »Walt Whitman« erschien zuerst in einer Num-
mer der Halbmonatsschrift »Der Sozialist«.
175
WERKE DER ALM AN ACH=MIT ARBEITER
PAUL ADLER
Elohim. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Nämlich. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Die Zauberflöte. Roman. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
JOHANNES R. BECHER
Verfall und Triumph. I. Teil: Gedichte <I>
II. Teil: Versuche in Prosa. Insel-Verlag, Leipzig
An Europa. Neue Gedichte <II>
Verbrüderung. Gedichte <1II). Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Demnächst erscheinen:
Die Schlacht. Gedichte <IV>. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Päan gegen die Zeit. <Auswahl.) Verlag Neue Jugend, Berlin
Das Neue Gedicht. Auswahl aus I, II, III, IV. Insel-Verlag, Leipzig
EDUARD BERNSTEIN
Zur Geschichte und Theorie des Sozialismus. Akademischer Verlag für so-
ziale Wissenschaft
Zur Frage: Sozialliberalismus oder Kollektivismus? Verlag der Soziali-
stischen Monatshefte, Berlin
Wie ist wissenschaftlicher Sozialismus möglich. Verlag der Sozialistischen
Monatshefte, Berlin
Der Revisionismus in der Sozialdemokratie. Verlagsgesellschaft M. G. Cohen,
Amsterdam
Die verschiedenen Formen des Wirtschaftslebens. Verlag der Buchhandlung
Vorwärts, Berlin
Ferdinand Lasalle und seine Bedeutung für die Arbeiterklasse. Verlag der
Buchhandlung Vorwärts, Berlin
Die heutige Sozialdemokratie in Theorie und Praxis. Birk 'S) Co., Verlag,
München
Die Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung. 3 Teile. Verlag der Buch-
handlung Vorwärts, Berlin
In wenigen Tagen erscheint:
Die Frage Europa und die Sozialdemokratie. Verlag »Naturwissenschaften«,
Leipzig.
MARTIN BUBER
Daniel. Gespräche von der Verwirklichung. Insel-Verlag, Leipzig
Reden und Gleichnisse des Tschuarj-Tse. Insel-Verlag, Leipzig
Ekstatische Konfessionen. Eugen Diederidhs Verlag, Jena
176
Die Geschichten des Rabbi Nachmann. Rütten 'S) Loening, Frankfurt a, M.
Die Legende des Baalschem. Rütten 'S) Loening, Frankfurt a. M,
Drei Reden über das Judentum. Rütten 'S) Loening, Frankfurt a. M.
Vom Geist des Judentums. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Die jüdische Bewegung. Jüdischer Verlag, Berlin
Völker, Staaten und Zion. R. Löwit Verlag, Wien
Demnächst erscheinen:
Ereignisse und Begegnungen. Insel-Verlag, Leipzig
Die Welt des Chassidem, Ein Geschichtenbuch. Rütten 'S) Loening, Frank-
furt a. M.
GEORG BÜCHNER
Sein Leben und seine Werke. Insel-Verlag, Leipzig
Dantons Tod. Insel-Verlag, Leipzig
Dantons Tod, Luxusausgabe. Hans von Weber Verlag, München
Wozzek. Insel-Verlag, Leipzig
Lenz. Insel-Verlag, Leipzig
THEODOR DÄUBLER
Das Nordlicht. 3 Bände. Georg Müller Verlag, München
Hesperien. Georg Müller Verlag, München
Der sternhelle Weg. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Mit silberner Sichel. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Lucidarum in arte musicae. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Hymne an Italien. Georg Müller Verlag, München
Wir wollen nicht verweilen. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Der neue Standpunkt. Hellerauer Verlag, Dresden-Hellerau
Das Sternenkind. Insel-Verlag, Leipzig
Hymne an Venedig. Verlag Neue Jugend, Berlin
ALBERT EHRENSTEIN
Der Selbstmord eines Katers. Georg Müller Verlag, München
Die weiße Zeit. Georg Müller Verlag, München
Der Mensch sdireit. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Nicht da, nicht dort. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
FRIEDRICH WILHELM FOERSTER
Christentum und Klassenkampf. Verlag von Schultheß 'S) Co,, Zürich
Lebensführung. Georg Reimer Verlag, Berlin
Schule und Charakter. Verlag von Schultheß 'S) Co., Zürich
Schuld und Sühne. C. H. Beck, Verlag, München
Die deutsche Jugend und der Weltkrieg. Verlag »Naturwissenschaften«,
Leipzig
12
177
LEONHARD FRANK
Die Räuberbande. Georg Müller Verlag, München
Die Ursache. Georg Müller Verlag, München
S. FRIEDLAENDER
Logik. Hermann Hillger, Verlag, Berlin
GEORGE GROSZ
Erste George Grosz^Mappe. Verlag Neue Jugend, Berlin
FRANZ HELD
Ausgewählte Werke. Eberhard Frowein Verlag Berlin
JOSE MARIA DE HEREDIA
Veredique de la conquete de la Nouvelle=Espagne. 3 Bände. Lemerre, Paris
Les trophees. Lemerre, Paris
La Nonne Alferez. Lemerre, Paris
Salut ä l'empereuer. Lemerre, Paris
Discours de reception. Lemerre, Paris
WIELAND HERZFELDE
Sulamith. Gedichte. Verlag Neue Jugend, Berlin
J.4>. JOUVE
Vous etes des hommes. Verlag der »Nouvelle Revue Franchise«, Paris
Poeme contre le grand crime. Verlag der Monatsschrift »Demain«, Genf
FRANZ KAFKA
Der Heizer. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Die Verwandlung. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Das Urteil. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
OSKAR KOKOSCHKA
Dramen und Bilder. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
ANETTE KOLB
Das Exemplar. Roman. S. Fischer Verlag, Berlin
Wege und Umwege. Verlag der Weißen Bücher, Leipzig
Briefe einer Deutsch^Französin, Erich Reiß Verlag, Berlin
I/S
GUSTAV LANDAUER
Die Revolution. Verlag Rütten 'SD Loening, Frankfurt a. M.
Ein Weg deutschen Geistes. Forum-Verlag Wilhelm Herzog, München
Aufruf zum Sozialismus. Verlag des Sozialistischen Bundes, Berlin SO. 33
Der Sozialist, Halbmonatsschrift im VII. Jahrgang. Ebenda. Pausiert jetzt
und erscheint nach dem Krieg sofort wieder.
ALFRED LICHTEN STEIN
Die Dämmerung. Alfred Richard Meyer, Verlag, Berlin-Wilmersdorf
HEINRICH MANN
Gesammelte Romane und Novellen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
1. Band: Im Schlaraffenland
2. Band: Diana
3. Band: Minerva
4. Band: Venus
5. Band: Die Jagd nach Liebe
6. Band: Professor Unrat
7. Band: Zwischen den Rassen
8. Band: Die kleine Stadt
9. Band: Novellen I
10. Band: Novellen II
<Alle Bände erscheinen auch in Einzelausgaben)
LUDWIG MEIDNER
Krieg. Eine Mappe. Alfred Richard Meyer Verlag, Berlin-Wilmersdorf
Acht Köpfe. Eine Mappe. Verlag Neue Jugend, Berlin
Straßen und Cafes. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
MyNONA
Rosa, die schöne Schutzmannsfrau. Verlag der weißen Bücher. Leipzig
Schwarz-Weiß-Rot. Grotesken. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
ALDO PALAZZESCHI
I cavalli biandbi. Spinelli, Florenz
Lanterna: versi. Buchdruckerei Aldino, Florenz
L'incendario: versi. Mailand, Verlagsanstalt »Poesia«
Poemi, a cura di ces. Blanc. Buchdruckerei Aldino, Florenz
JEAN ARTHUR RIMBAUD
Saison en Enfer. Br. Poot et Cie, Bruxelles
Illumination. La Vogue, Paris
12*
179
Y
Le Rellquaire. Genonceaux, Paris
Oeuvres. Mercure de France, Paris
Lettres. Mercure de France, Paris
Poesies compl&tes. Vanier, Paris
In deutscher Sprache:
Jean Arthur Rimbaud. Sein Leben und seine Werke. Insel-Verlag, Leipzig
WALTHER SCHÜCKING
Das Nationalitätenproblem. Zahn 'S) Jaensch Verlag, Dresden
Die Organisation der Welt. Alfred Kröner Verlag, Leipzig
Das Werk vom Haag I. Band: »Der Staatenverband der Haager Konfe-
renzen«. Duncker 'S) Humblot Verlag, München und Leipzig
Neue Ziele der staatlichen Entwicklung. 2. und 3. Auflage. Eiwert Verlag,
Marburg
Die wichtigste Aufgabe des Völkerrechts. Kohlhammer Verlag, Stuttgart
Kultur und Krieg. Kohlhammer Verlag, Stuttgart
Demnächst erscheinen:
Der Dauerfriede, Kriegsaufsätze eines Pazifisten. Verlag »Naturwissen-
schaften«, Leipzig
Die Renaissance des Völkerrechts. Verlag »Naturwissenschaften«, Leipzig
Die heilige Allianz der Völker. Reden und Studien zum organisatorischen
Pazifismus. Verlag »Naturwissensdiaften«, Leipzig
ELSE LASKER=SCHÜLER
Styx. Axel Juncker Verlag, Charlottenburg
Das Peter Hille Buch. Axel Juncker Verlag, Charlottenburg
Die Nächte Tino von Bagdads. Axel Juncker Verlag, Charlottenburg
Die Wupper, österheld 'S) Co., Berlin
Meine Wunder. Dreililienverlag, Karlsruhe
Mein Herz. Heinrich Franz Bachmair Verlag, München
Hebräische Balladen. Alfred Richard Meyer Verlag, Berlin-Wilmersdorf
Der Prinz von Theben. Verlag der Weißen Bücher, Leipzig
Gesichte. Verlag der Weißen Bücher, Leipzig
Meine Wunder, Gedichte. Verlag der Weißen Bücher, Leipzig
Demnächst erscheinen:
Gesammelte Gedichte. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
GEORG TRAKL
Sebastian im Traum, Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Gedichte. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
180
FRANZ WERFEL
Der Weltfreund. Kurt Wolff Verlag, Leigzig
Wir sind. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Einander. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
Die Troerinnen des Euripides. Kurt Wolff Verlag, Leipzig
WALT WHITMAN
Grashalme. Deutsch von Joh. Schlaf. Verlag Philipp Reclam, Leipzig
Hymnen für die Erde. Deutsch von Franz Blei. Insel-Verlag, Leipzig
Prosaschriften. Verlag von Piper 'S) Co., München
181
)
_
iiiimmiiimmiiiiiiiimiiimiimiimiiiinnmiiinnnn'
a
DIE
»NEUE JUGEND«
MONATSSCHRIFT
HERAUSGEBER: HEINZ BARGER
SCHRIFTLEITUNG: WIELAND HERZFELDE
*
Die »Neue Jugend« brachte in der letzten Zeit
Beiträge von Johannes R. Becher/Hans Blüher/
Marc Chagall / Theodor Däubler / Heinrich
Maria Davringhausen / Kasimir Edschmid /AK
bert Rhrenstein/James Ensor/S.Friedlaender /
George Grosz / E. Gumbel / Franz Held /
W ieland Herzfelde / Richard Huelsenbeck / Ernst
Joel / Gustav Landauer / Else Lasker^Sdhüler /
Carlo Mense / Mynona / Henri Rousseau /
GeorgeSeurat/GeorgT rakl/W altWhitman u.a.
*
Abonnement:
Halbjährlich <sedis Hefte)......................... 2.50 Mark
Jährlich <zwölf Hefte.............................. 5-~ Mark
Einzelheit 50 Pfg. — Prospekte kostenfrei — Probeheft 50 Pfg.
Januar 1917 beginnt der II. Jahrgang
VERLAG NEUE JUGEND/BERLIN-LEIPZIG
iiiimiirnmmmiiiimmiiimiiiiiii
iniimiimiiiiiiim
n»fm»TnniimiimimiiiTimnniminir»imiimiminminniiii»mimimmiiiiHTiniui
.......«1
■ ..in...1.1
1 URTEILE ÜBER DIE »NEUE JUGEND« f
Kölner Tageßfatt:Xö\*. von Wieland Herzfelde geleitete Monatsschrift
faßt das wirklich Belangvolle aus der Fülle der neuen Geistesbetätigung
in knapper, eindrucksvoller Form zusammen. Es ist ihr unbedingt
zum Lobe anzurechnen, das sie im Gegensatz zu manchen anderen
jungkünstlerischen Revuen, in denen oft <nadi guten Anfängen) billi-
ges Epigonentum überhand nahm, durchweg Bedeutsames bringt. In
der freien, unbekümmerten Art, mit der die Expressionisten, die
Mitgliederder Jugendbewegungusw. zu Wort kommen läßt, liefert sie
den Beweis, daß sie für die neuen Kunst- und Kulturziele wirksam
zu kämpfen versteht.
Die weißen BCätter CRene Scßicßeie):... die ausgezeichnete kleine
Zeitschrift , . .
Vossiscße Zeitung: . . . Natürlich ist der Wille bei dieser ganzen
Bewegung noch weitaus die Hauptsache, ein tastender, sehnender, viel-
fach überspannter Wille zur Kunst und zur Zukunft... Und so wird
schon etwas werden.
Osßar BCumentßaCin der „Neuen Dreien Presse”: Neue Jugend!.,.
Alle Stimmen des Frühlings singen aus diesen Worten. Es klingt
darin etwas wie das Rauschen von Quellen, die jungfräulich ...
Die „TägCicße Rundschau” (Ludwig Sternau): ... ich glaube,
wir schreiben 1916. Ich glaube, wir haben Krieg. Die Blüte unseres
Volkes stirbt. Hier macht der Aussatz der Großstadt sich breit und
höhnt sich selbst »neue Jugend«.
Vorwärts: ... Verrückt — vielleicht/ Talent — ohne Zweifel,- Cha-
rakter — die Zukunft wird Antwort geben.
Berfiner Börsen» Courier: .,. die »Neue Jugend«, die mutige kleine
: Monatsschrift...
iiiiimimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinniiiHiiiiimnninriniiiiiiiiiiii
iiiiimiiMfiiirin'imiimiiwuinimmimitminiiiiTiimiii
iimifnimriTmi'irmTmiimuiiimnriTTiTnui'jiiinnimiiiiiumniiimiiniimmimmnimiimimHmi
DIE ZEITSCHRIFT »NEUE JUGEND«
veranstaltet in jedem Wintersemester
AUTOREN-ABENDE
Im Herbst 1916 fanden bis zum 1. Dezember folgende
Abende statt:
Erster Autorenaßend der „Neuen Jugend“', Berßin, 13. Septemßer
1916, im Grapßiscßen Kaßinett Neumann, Kurfürstendamm 232
Es lasen: Johannes R. Becher, Theodor Däubler, Albert Ehrenstein,
George Grosz, Wieland Herzfelde. Ado von Bernt las Dichtungen
des verstorbenen Franz Held.
ZweiterAutorenaßendder „Neuenjugend”, Berßin, 22.Septemßer
1916, im Grapßiscßen Kaßinett Neumann, Kurfürstendamm 232
Es lasen: Johannes R. Becher, Else Lasker-Schüler, Theodor Däubler,
Wieland Herzfelde, George Grosz,
Dritter Autorenaßend der „Neuen Jugend”, Berßin, 27. Oßtoßer
1916, im Grapßiscßen Kaßinett Neumann, Kurfürstendamm 232
Es las: Johannes R. Becher aus eigenen Werken.
Vierter Autorenaßend der „Neuen Jugend”, Dresden, 7- Novem*
ßer 1916, im HoteßBristoß, Bismarcßpßatz
Es lasen: Dr.Heinrich Stadelmann, Johannes R. Becher,George Grosz,
Albert Ehrenstein, Theodor Däubler <durch Ado von Bernt), Wie»
land Herzfelde <durch Helmut Herzfelde).
Tünfier Autorenaßend der „Neuen Jugend”, Münden, 17. No*
vemßer 1916, im Prinzensaaß, Briennerstraße
Es lasen: Theodor Däubler, Johannes R. Becher, Else Lasker»Schüler,
George Grosz, Wieland Herzfelde <durch Ado von Bernt), Franz
Held (durch Ado von Bernt).
Weitere Vortragsabende in anderen Städten in Vorbereitung! Neue
Autoren! Freunde der »Neuen Jugend« erhalten auf Wunsch Mit»
teilung vor Veranstaltung eines jeden Abends. Das Stattfinden wird
durch Plakate und durch die Tagespresse in der betreffenden Stadt
bekannt gegeben.
DIE VORTRAGSLEITUNG DER»NEUEN JUGEND«
BERLIN-CHARLOTTENBURG 4.
iiirimimrmnniiiinmmniiiiiimimmiiimnniininmTTiiinirrii.r!
iinininmimrfTiHnmiinimHiimiiuiimiiiimiinnMniiiimimmiiHMmimimniimumiiinr.
........................................................................................IHIIII
.......................m..mm.....in..■....»«m.inmnm.mm. m«.inti
»DIE PUBLIKATIONEN UM DIE
NEUE JUGEND«
Unter diesem Titel veranstaltet die »Neuen Jugend« Sonderdrucke.
Bisher erschienen:
Nr. i. George Grosz, Deutsches Straßenbild
Vom Verfasser signiert, Nr. 1 — 20 <handnumeriert)M. 10.—,
Nr. 20—200 <mit Stempel numeriert) M. 5.—
Nr. 2. George Grosz, Die Goldgräber
Zahl und Preis wie Nr. 1.
Nr. 3. Carlo Mense, Madonna
Da Verfasser im Felde, nicht signiert. Nr. 1 —20 M. 8.—,
numeriert M. 5.—.
Nr. 4. George Grosz, Aktzeichnung
Vom Verfasser signiert, Nr. 1 — 20 <handnumeriert> M. 20.—,
Nr. 20—200 <mit Stempel numeriert) M. 8.—.
Nr. 5. George Grosz, Friedvolle Rheinlandschalt
Zahl und Preise wie Nr. 1.
Demnächst erscheinen:
Nr. 6. Johannes R. Becher, Päan gegen die Zeit
Gedichte, 100 numerierte Luxusdrucke vom Verfasser sig~
niert und mit einem handschriftlichen Widmungsgedicht ver=
sehen, ä M. 50.—.
Nr. 7. Wieland Herzfelde, Sulamith
Gedichte, 100 numerierte Luxusdrucke vom Verfasser sig~
niert. ä 20.— M.
Nr. 8. Theodor Däubler, Ode an Venedig
Der Preis der 100 vom Verfasser signierten Luxusdrucke
wird noch festgesetzt.
Nr. 9. HeinrichMariaDavringhausen,DerverloreneSohn
Zahl und Preise wie Nr. 4.
Nr. 10. Heinrich Maria Davringhausen, Vision des ver=
lorenen Sohnes
Zahl und Preise wie Nr. 4.
Nr. 11 Georges Seurat,Zeichnung zu»LaGrandeChatte«
Preis und Zahl noch nicht festgesetzt.
Weitere Sonderdrucke in Vorbereitung! Alle Abzüge sind auf feinstem
Kaiserlich Japan hergestellt und werden in festen Pappen geliefert.
VERLAG NEUE JUGEND/BERLIN-CH/LEIPZIG
imniimiinmniiiiiiimmrminimfTminniinrmniiiiiiiiimiii
Summmmimm'iiimimiimimimiimmniiiiminimniiniiHH'iimimmmnmimurnin
mmmninnmiini.
Demnächst erscheint:
ERSTE GEORGE GROSZ-MAPPE
ACHT LITHOGRAPHIEN
(Format 40x50)
*
INHALT:
ERINNERUNG AN NEW-yORK
TEXASBILD FÜR MEINEN
FREUND CHINGACHGOOK
AM KANAL
STRASSE IN DER STADT
VORSTADT
AUS STRALAU-RUMMELSBURG
KASCHEMME
MONDNACHT
Einmalige Auflage in 190 numerierten und signierten Exemplaren zu
10.- MARK
und zehn Vorzugs^Exemplaren auf Kaiserlich Japan zu
20.- MARK
Am 1. Januar 1917 erlischt der Subskriptionspreis und erhöht sich auf
20,— MARK
resp. auf
30.- MARK
; Berliner Tageblatt: »... Unter allen Erscheinungen der »Neuen
j Jugend« ist George Grosz der echteste Moderne.Voll gesunderSkepsis
■ hat er hinter die Kulissen des Lebens geschaut und ist jede Illusion
j losgeworden,- aber das hat ihn nicht mürbe und schlapp gemacht...«
nmiiiinmruirmniifnmi'iiimiiiiiiiiiiiiiHiniHininniinmmiiiiE
4
ACHT KÖPFE
EINE MAPPE MIT LICHTDRUCKEN
NACH ORIGINALZEICHNUNGEN VON
LUDWIG MEIDNER
INHALT:
MADCHENKOPF
VAN HODDIS
EHRENSTEIN
MyNONA
HASENCLEVER
PHILIPP KELLER
RENE SCHICKELE
SELBSTBILDNIS
Einmalige Auflage von 90 numerierten Exemplaren, herge«
stellt in der Kunstanstalt von Robert Claus in Dresden. Nr.
1 — 10, mit eigenhändiger Unterschrift des Künstlers, kostet
80.- MARK
für die Vorzugsausgabe, resp.
40.- MARK
Der Subskriptionspreis ist erloschen!
ÜBER DIE MAPPE L. MEIDNER, ACHT KÖPFE:
»In ganz freien, graphisch sehr sickeren und intensiv im
Raume schwebenden Bildniszeichnungen hat der Maler viel
von dem Wesen der Dichter aufgeschrieben. Die Blätter sind
summarisch, aber innig den Einzelheiten nachgehend/ nervös«
beschwingt und spirituell ohne neu «modische Zerhacktheit.«
Die erste Auflage des Almanadis der Neuen Jugend auf
das Jahr 1917, herausgegeben von Heinz Barger, wurde
im Aufträge des Verlages Neue Jugend, Berlin, in der
Hof-Buch- und -Steindruckerei Dietsdi 'SD Brückner in
Weimar hergestellt. Zwanzig numerierte Exemplare wur-
den auf stärkerem Papier abgezogen, in Ganzmaroquin
gebunden und vom Herausgeber signiert. Diese Vor-
zugsausgabe war bereits schon vor Erscheinen vergriffen.
Ij
I