4 der beängstigenden Wirklichkeit, die man eben durch ihre Darstellung bannte, sich zu eigen machte, unterwarf, — ein Spiel, ein Luxus, und damit gewann die Kunst den Charakter eines Klassenvorrechtes; es zeigten sich in ihr seit dem Auf tauchen der Perspektive und des Porträts in der Frührenaissance immer weniger allgemein menschliche Momente und Probleme, dafür aber eine desto grössere Hinneigung zur Belustigung und Bevorrechtung der Gebildeten, der besitzenden Klassen. In unserer Zeit, in der man anfing das Recht auch des Proletariers auf Kultur zu proklamieren, sollte die inzwischen entstandene Kunst dem einfachen Menschen nahegebracht werden. Aber wie sollte dies geschehen, da ja in ihr nichts mehr allgemein verständlich, einfach und klar erfassbar war? Denn mit dem Gerede von der Weltenliebe, vom neuen Geist, vom Kubus und anderen Unklarheiten kam man nicht weit. Man stellte die Werke dieser Art als rein intuitiv entstanden hin, als Eingebungen, die einer Erklärung nicht zugänglich waren und ihrer auch nicht bedürfen sollten. Man sollte vor diesen Werken, die man rein optisch nirgends einordnen konnte, eine Art mystischen oder geistischen Chok verspüren und dadurch für das Kosmische, für das Metaphysische bereit sein. Selbst die Programme der Futuristen halfen zu keinem Verständnis — denn immer wieder fälschten die Kunsthistoriker die ihnen unverständlichen Er scheinungen um, oder riefen seitens der unklaren Künstler noch unklarere Erklärungen hervor — unnütze Deklamationen, auf die sich die schöpferischen Geister nie ein gelassen hatten und haben, weil sie von ihrer Bindung an die Probleme unserer Zeit viel zu stark überzeugt waren — es war ihnen immer klar, dass wohl etwa eine Kunstart abstirbt, so, wie eine Jahrhunderte alte Art der Besitz- und Moralvorstellungen abstirbt — nicht aber um Nichts, sondern um die Realität eines neuen Geistes und einer neuen Gesellschaft und mit ihr eines erneuten Menschen entstehen zu lassen, der sich nicht mehr an die alten, wertlos gewordenen Weltordnungen klammern darf und will. Der Experimentalperiode in der Kunst entspricht die gewaltigere Epoche des revolutionären Umsturzes der Ökonomie und mit ihr der ganzen Rechtsinstrumente und Kulturfaktoren der bisherigen Gesellschaft. Aber nichfo geht zu Ende, ohne dass Neues sich bildet. Wir erleben die Anfänge eines neuen Menschen und seiner neuen Einstellung zur Welt in der Optik. Schon die Tendenz der früheren Weltdarstellung in der Malerei und Plastik, die Dinge ruhend zu schildern, sie zu monumentalisieren, während sie doch lebendig und bewegt sind, barg ihren endlichen Todeskeim in sich: der Futurismus musste notwendig einmal entstehen. Gerade das Denkmalhafte, das Erheben einer individuellen und zeitlich bedingten Form wie sie der Apfel, ein Mensch oder ein Baum ist, zu einer Art Ding an sich mit starrem Ewigkeitswert musste, nachdem im Impressionismus die letzten Folgerungen aus der Newfonischen Optik gezogen waren, einen Drang nach ihrer Überwindung erzeugen, der zunächst die Dinge verzerrte, auflöste und auf diese Weise im Expressionismus, auf eine dynamische Art im Futurismus und in den geomefrisdi-abstrahierenden Formeln der Kubisten und zuletzt in der abstrakten Kunst eine Erweiterungsmöglichkeit suchte, die dem sich ver ändernden Weltbild des Menschen entsprechen sollte. Man verwandte schliesslich statt der Farben oder des Gipses echtes Material, Holz, Glas, Papier, um die Grund beziehungen der künstlerischen Organismen bis zum letzten zu steigern und um der so sehr erstrebten absoluten Malerei oder Plastik nahe zu kommen. Diese Werke, die eigentlich eine gemalte oder modellierte Erkenntniskritik darsfellten, verwandelten die optischen Momente in lauter metaphysisch-geometrische Beziehungswerfe, die mit der Dreidimensionalität brachen und gewissermassen eine geistige oder vierte Dimension darstellen sollten. Picasso, Gleizes, Boccioni, Giannafasio, Freundlich waren die Bahnbrecher und andere folgten nach. Delaunay fasste das Problem viel sensueller im Prinzip der Simulfaneifäf, das schon die Futuristen angewandt hatten, indem sie