39 jemandem zeige. Dann freue ich mich immer, dass die Menschen den Begriff Zeit gebildet haben, und dass ich mich noch entwickeln kann. Ich meine, dass ich weiss, dass noch Gegenwartsmomente vor mir stehen, in denen ich etwas Vernünftiges leisten kann. — Soest, 26. 4. 12. Man hört jetzt soviel von den Futuristen. Ich habe mal über die Kerls nachgedacht. Ich glaube, dass das alles verkappte Impressionisten sind. Ob man nun solche tolle Impressionen hat oder ob man zahmere hat, das ist doch eigentlich Temperamentssache jedes einzelnen. Darum gehen die Leute aber doch nicht über den Im pressionismus hinaus. Im Prinzip kennen diese Maler Materie und Seele. Millet und Segantini stellten nun Materie und Seele der objektiven Welt dar, nur dass Segantini dann noch eine subjektive Farbensyntetik hin zusetzte. Die reinen Farbensyntetiker Hessen das Leben in der Natur Leben sein und gestalteten mit ihrer eigenen Seele die Materie persönlich. — Ich denke jetzt an Maler, deren letzte Art Seurat und Signac waren. Man spricht so viel von den Kubisten. Aber ob man nun schliesslich die Natur in Würfel stylisiert oder in Punkten wie die Pointilisten — ist doch im Grunde egal, es ist doch nur , Impressionismus, nur dass er anders angewandt ist. Ebenso ist es meiner Ansicht nach mit der Fläche im 3 StfäL 8| . » Sinne Pechsteins usw. Rembrandt kannte auch Seele und Materie, nur dass er die Materie nicht mit Farbe belebte, sondern dass er sich der schwingenden Materie des Lichts bediente — um die scheinbar festgefügten Körper zu beleben. Wir müssen nicht insofern über den Impressionismus hinausgehen, dass wir nur die Aus drucksmittel ändern, ich meine jetzt eiwas wie Kubismus, Futurismus oder Pointilismus, sondern wir müssen über den Impressionismus als Weltanschauung hinausgehen. — Soest, 7. VI. 12. Dann habe ich noch einige Bilder gemalt von der Natur und habe die Natur in Farbenflammen aufgehen lassen. Auf den Bildern ist ein Gezüngel und Geflamme. Ich versuche und versuche. Mir fehlt irgend etwas was ich noch nötig habe. Das Gefühl verlässt mich einfach nicht. Ich habe es schon immer gehabt. Ich habe schon nachgedacht, was das wohl sein könnte und bin dabei auf die drolligsten und verrücktesten Ideen gekommen. Manchmal möchte ich überhaupt so einfach mit dem Spazier stock in die Welt wandern um auszusuchen. Sie hatten mir geschrieben meine Sachen wären starr geworden und das käme daher, dass ich zu rasch vorwärts wollte. Sie haben da ganz recht gesehen. Ich wollte zu rasch mit zuviel Gewalt vorwärts, dadurch ist in mir eine Lücke entstanden. Ich habe den Faden verloren. Die Materie und überhaupt die ganze Natur ist nun aber mal 9 in meinen Leib zusammengefasst. Und diese Natur muss ich langsam wegräumen. Langsam Schritt für Schritt muss ich den Gott, der an meinen Leib gefesselt ist, lösen. — Ich will Schritt für Schritt meinen Leib auflösen um den lebendigen Geist zu gebären. Ich frage den Willen, geht es garnicht anders. Da sehe ich nur ein Nein. Ich kann nur Künstler werden, wenn ich mich selbst zertrümmere. Tue ich das nicht, dann gelingt es mir nie, die Unend lichkeit zu erleben, noch viel weniger mitzuteilen. Ich habe mich mit der Tatsache der Opferung abgefunden und lächle darüber, dass der Wahnsinn mich erwartet. In Köln *) habe ich auch ein Bild von Kokoschka gesehen. Wenn man den Sturm gelesen und sich was überK. erzählen lassen hat, erwartet man etwas Besseres. — Etwas enttäuscht war ich von Munch, den Kerl muss ich mir mal näher ansehen. Jetzt habe ich auch einmal van Gogh gesehen. Was ist das ein Mensch! Einen sonder baren habe ich noch nicht gesehen, den ich nicht kannte, » f ^ wohl dem Namen nach, aber nicht Bilder: Picasso. — Der hatte einige Bilder da, die waren aus lauter Formen zusammengesetzt. Leider waren die Sachen etwas starr, sie wirkten wie Eisengerüste. Dieser Gefahr scheinen überhaupt alle Leute ausgesetzt zu sein, die reine Kom position wollen, also nehme ich mich davor in acht. Eine Möglichkeit ist das schon, ich meine Picasso, nur glaube ich, dass das auch nur ein früher Versuch ist, diese Dinge werden einmal ganz anders erfüllt werden. Russland, 29. 5. 15. Am liebsten haute ich ab und strolchte so in der Welt herum. Ich habe überhaupt meinen eigentlichen Beruf jetzt entdeckt. Ich habe nämlich keinen Beruf. Ich fühle mich zu nichts eigentlich berufen, als wie so nichts tun, die Welt ansehen, herum vagieren usw., manchmal denke ich denn so, sch- der Hund druf oder so was Ähnliches. Wenn ich mir dann so recht meiner Taugenichtigkeit bewusst geworden bin, dann setze ich mich hin und fange an zu geigen. Natürlich ist dies auch zu nichts nutze. Es lebe die Nichtsnutzigkeit und ganz Polen mitsamt allen seinen Juden, Russen, Sibiriern und weiss Gott mit was für Völker noch! Wie ich schon schrieb, vagierte ich am liebsten los. Ich habe keine Ruhe mehr. Eine dunkle Macht, der Geist der Erde treibt mich einem fernen Ziel zu. Dazu kommt dann noch der Kontur. Alle Bilder, die ich so malen wollte, die ich aber leider nie gemalt habe, gehen mir durch den Kopf. Manchmal weiss ich tatsächlich nicht, wie ich mir helfen soll. Meistens mache ich es so, dass ich und meine Gruppe ein höllisches Feuer auf die Russen loslasse. Neulich habe ich mal 6 Handgranaten in den russischen Schützengraben geschmissen. Da hat es aber geprasselt. Am anderen Morgen lagen da die Brüder. Solche Handbomben wünsche ich mir so für später zum Hausbedarf. Das sind famose Aster, bei denen wackelt die Wand. Na um auf die Bilder zurückzukommen. Ich glaube, dass ich bald daran gehen kann, sie zu malen. Nur dieser Simson und der Holzarbeiter machen mir viel Sorge. Ich versuche und versuche, die Konturen sausen in die Wolken hinauf und um die Erde herum. Aber keine Erlösung, keine Erlösung. O weh, o weh. — Neulich ist mir mal der alte Rembrandt erschienen. Er sagte mir, ich will Dir helfen, achte genau auf alles, dann verschwand er grinsend und mit dem Kopfe wackelnd. *) Sonderbundausstellung; dort sah auch Morgner die ersten van Gogh, während die Bilder Morgners, in denen man ihm den Einfluss von van Gogh zum Vorwurf macht» 1911 entstanden sind.