40 Na, da hätten Sie aber was erleben können. Die ganzen Wände des Unterstandes wurden lebendig, sie waren bedeckt mit Tieren, Bäumen, Menschen, Bergen, Tälern, Flüssen und den unmöglichsten Dingen. Alles war ein Uniengewirr. Kriselig schlängelten sich die Linien. Dicke Konturen hielten sie dann fest, schwarze Abgründe kämpften mit silbernen Höhen. Blendendes Licht schlug immer wieder auf unheimliche Abgründe der Erde. Oh es war ein Wunder. Ich freue mich jetzt jedesmal, wenn ich in den Unterstand gehe. Dann stecke ich mir eine Zigarre an und alle Bilder, die ich so gern malen möchte, erschoinen in den Ritzen, Löchern und Winkeln der Lehm wände meines Unterstandes. Serbien, 6. 9. 16. Ich gondle in Serbien umher so richtig nach Herzens lust, wie sich das geziemt für solch einen Vagabunden. Oh was ist das hier schön, die Sonne brennt manchmal, dass die Erde und die Steine knacken, dann fühle ich mich so richtig wohl. Gezeichnet und gemalt habe ich schon sehr viel. Nein, es ist hier doch schöner, wie ich je gedacht habe. Die türkischen Städte ganz besonders. Manchmal bin ich wie besoffen und stürze mich wie ein hungriges Tier auf alle diese Dinge. Erleben, erleben und in sich aufnehmen. Leben wegen des Lebens und malen wegen des Malens. Den ganzen Tag malen und den Traum vielleicht endlich sichtbar werden lassen. • • • — • • • Nichts will ich werden, nichts erreichen, keine Rolle auf Ausstellungen spielen. Nur diesen Trieb zum Gestalten befriedigen. Oh, ich fühle mich unter dieser schönen Sonne so glücklich. Ich vergesse den ganzen Unsinn des Lebens. Ohne Sinn eine Welt erträumen, in der die unerhörten Missklänge der Welt, der fürchterliche Riss ausgestaltet ist zu einer grenzenlosen, wundervollen Farbensymphonie. Ich träume von unglaublichen Farbwundern. Aber hier im Orient hole ich mir die Gestaltari, die mir diese Symphonie tragen müssen. Als ich neulich Nachts in einem Schafstall schlief, ist mir wieder der alte Rembrandt erschienen, und hinter sich hatte er den alten Dürer stehen und eine lange, lange Reihe von noch mehr Leuten. Der alte Rembrandt hat mir da eine lange Rede gehalten. Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich glaube jetzt werde ich den wirklichen Stein der Weisheit finden. Wie ein Blitzstrahl erhellte eine Flamme die dunklen Abgründe, und da war das Wunder land. Grenzenlos wundervoll. Aber vorläufig fresse ich förmlich alles auf, was mir entgegentritt. Ich fresse wie eine gierige Bestie die Menschen, Tiere, Bäume und überhaupt alle Dinge. Aber glücklich fühle ich mich bei diesem Geschäft. Auffressen, auffressen. Ich Ungeheuer. — GEORG TAPPERT / HOLZSCHNITT ZU TH. DÄUBLER: DER NACHTWANDLER