VIVE LA FRANCE
Fragment aus „Paris brennt“
Unfall
Rumoren
Sekundenfilm
Ein Kopf
Ein Hut
Ein Kopf von fünfzigtausend Köpfen
Scheitel gut bürgerlich
Ein Kopf
Fällt
Rollt
0 unerbittlich Autorad
Blut
Sterne
o !
0 Kopf mit väterlichem Bart
Vielleicht war es Jochanaan
Soeben aus der Untergrundbahn aufgestiegen
Irgend ein Kopf
Mein Kopf vielleicht . . .
IWAN GOLL-PARIS.
KASERNEDIENST
Opanken küssen Russenstiefel
Unser Schmerz wird alle Europakompasse verschlucken
Unser Kompas zeigt nicht auf Nordkraftlinien
Schwarzer Trommler
Höre:
Zum Osten, zum Osten
Weisses weisses Russland!
EVGENIjE DUNDEK-ZAGREB
SPRUNG AUS DEM FENSTER
Isabel, ich liebe dich! Du heisst zwar Anna, bist aus
Kötzschenbroda deiner Herrschaft entlaufen. Ich finde
dich am ersten Tage auf der Friedrichstrasse und wir
steigen in ein Hotel. Wir lesen dort den Gesang
„Astral“ von Ivan Goll. Zehn Seiten mit Blut und
Himmel, Sehnsucht und Kraft zum Platzen gefüllt. Zehn
Seiten Taylor des Herzens. Vom schwersten Wort alles
Erdenklichen: Wozu? Es klopft hart an die Tür.
Isabel, je t’aime. Schon hat das einzige Genie in der
Finsternis ungezählter Jugend Frankreich, Jean Epstein
in seinen blühgrünen „promenoir“ den Parisern Astral
übersetzt. Die Isolation der Grenzpfähle ist schreck
lich, und wir wollen doch die Verbrüderung des deutsch
französischen Volkes. Lateiner ist Form, Stil, Plastik.
Epstein ist dazu absolutes Denken bis ans Ende, geht
den Dingen auf den Grund und schreibt: La Poesie
d’aujourd’hui. Un nouvel état d’inteligence. Du kniest
vor der Schönheit dieser gläsernen Wahrheit, der Rein
kristallisation unserer Epoche. Es Jdopt heftiger an
unsere Zimmertür. Da wird die Tür gesprengt.
Vor mir der Herr lässt Blechmarke aus seinem Mantel
springen: Kriminalbeamter: Wer ist die Dame? Da
springst du aus dem Fenster und bist sofort tot.
Isabel, dein Name erwies sich als unrichtig. Im Schau
haus bist du unbekannt.
„Zenit“ No. 14/1922.
FRANZ RICHARD BEHRENS-BERLIN
UNSER BARSÂRENGÛTT Fragment
Wir Barbaren haben unseren Fleck
und seine große Aufgabe vor Augen:
Kosmos schlagen
den das heutige glitschige Europa sieht
auch jetzige Dichter empfinden
Erfinden neuen !
Ja unser Gott ist der Fleck
(Gold mit Schnee gemischt
auf einer Seite unseres Kosmos)
Und die Aufgabe des Goldflecks:
Kosmos schlagen
in die Milz ihm spucken.
Alleseins welchen Namen wir geben werden
(jenem was bestehet)
Es soll kurz und klar sein
Es soll bedeuten alles.
Wir sagen: Fleck
FLECK
MIODRAG RADOVlC-NOVISAD
SEI GEGRÜSST GEGENWÄRTIGER
T
Fantome, Fieber im Hirn
ich gebäre mich aufs neue.
Buchstabentanz. Wunderliches Rot
was euere Gesichte überfließt.
Pariser ROUGE
Röcke oberm Knie.
Gut
Überall kreisen schwarze Schlangen
gießen Gift
auf Westkultur.
Ha, ha, ha
hi, hi, hi,
Umsonst
OSTENSONNE wird trocknen
auch das wenig Stroh in euerem SCHÄDEL.
Papa
Brüder
Haar
Bloß
Lieb
Fee
ICH BLASE
liebt
verliert
juckt
sorgt
zähne
hockt
ICH SPIELE
Votre portrait s’ il vous plait
Sei gegrüßt Gegenwärtiger!
ICH BLINZLE
STEVAN 2IVANOVIC-ZAGREB
FRESFALL
Meiner wunderbaren Frau.
Das erste Mal war ich in meine Lehrerin verliebt. Sie
hieß Olga, wie meiner Frau erste Lehrerin. Sie war schön.
Wahrscheinlich hatte ich auch darum in den Aufgaben
immer „sehr gut“. Sie schlug mich nie. Ich liebte
sie mit reiner Liebe eines schönen männlichen Kindes.
(Ich wußte nicht für Plato und Aristoteles und viel
leicht darum heisse ich Ljubomir.)
In die Schule gingen wir immer zusammen. Sie
führte mich an der Hand und mir war daß nicht recht.
Jenen welcher liebt führt man nicht bei der Hand
sondern beim Herzen!
Erst heute weiß ich daß sie auch mich geliebt. Ich
erinnere mich, immer trug sie Rosen an der Brust,
welche ich für sie aus den bunten Garten meiner ver
storbenen Mutter gestohlen.
Warum starb meine Mutter so früh?
Vielleicht weil ich rote Rosen in ihrer Jugend ge
stohlen und sie „meiner“ schönen Lehrerin geschenkt.
Vielleicht weil ich und mein Bruder immer sehr un
glücklich gewesen und viel litten. Vielleicht weil wir
irgendwo im Hof wohnten neben einer Sarghandlung
„Pompes Funèbres“
Warum stirbt man immer bevor man zu leben an
gefangen?
Bucklig bist Du, mein Leben, wie „meine“ Lehrerin,
welche heute nach zwanzig Jahren unterm Arm eines
abstoßenden Schiebers spaziert.
In der Hast auf der Straße trat ich ihr fast auf die
Hühneraugen und zerbrach fast das Korsett. Schuld
trugen die zagreber Tramway und das Auto Marke, „Fiat“
welche mich überfahren wollten. Wahnsinniger Wunsch
zweier Maschinen nach dem Leben eines Zenitisten.
Die Fabrik „Fiat“ klagte ich dem Gerichte wegen
„Ehrenbeleidigung“ und die zagreber Tramway über
gab ich der Polizei wegen „öffentlicher Ruhestörung“
und Kinderliebe.
Ich weiß
zur „Hauptverhandlung“ wird es nie
kommen, weil immer alle meine Klagen in Jugoslawien
waren und werden verloren sein.
LJUBOMIR MIClC-ZAGREB
Übersetzt von Nina-Naj
Wir wanderen aus dem Chaos
M
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Manifest
1921.