x » m
/
EINE MONATSSCHRIFT
SIEBENTES HEFT * Z. JAHRGANG * JULI 1915
INHALT:
Else Lasker-Schüler, Liebeslieder
Carl Stemheim, Napoleon. Erzählung.
Mit vier Zeichnungen von Ottomar Starke
Emst W. Lotz, Gedichte vor dem Tod
S. Friedlaender, Der Waghalter der Welt. Essai
R. Schickele, Aiss£. Aus einer Indischen Reise
Max Herrmann, Schweigen mit Dir
Franz Blei, Vom Tag
GLOSSEN: R.S., Der „Pan" im Krieg — Thomas Mann - Politische
Erziehung. Gustaf Kauder, Rufeland und die Mächte. Ferdinand Harde'
köpf, Das Zeit-Echo. (Dazu Proben aus dem Zeit-Echo in Auszügen.)
Adolf Behne, Der Schrei nach dem Fachmann. H. B., Zürich. Rudolf
Leonhard, Aphorismen. M. Lichnowsky, Ein Garten singt. Mit einer
Zeichnung von Willi Geiger.
EINZELPREIS MARK 2.
VIERTELJÄHRL MARK 5.
LEIPZIG/VERLAG DER WEISSEN BÜCHER
1 Oftfl
ummmimmmimimmmimiimmmmmimiimmmmimiimimmimim
COPYRIGHT 1915 By VERLAG DER WEISSEN BOCHER / LEIPZIG
Für die Redaktion verantwortlich: Rene Scf>ic6efe, Berlin-Steglitz,
Arndtstraße 40, an den alle Zusendungen zu richten sind. Für un-
verlangte Einsendungen jeder Art wird keine Sicherheit übernommen.
Für Österreich-Ungarn verantwortlich: Hugo Heffer, Wien I, Bauern-
markt 3. Gedruckt in der Offizin von PoescßeC et Trepte in Leipzig
nmiiimiiiiiimiimimiiiiiiiiiimimmiimimimiiiimiiiiiiiimiiiiiiiiimiiiiK
uiiiimimmiimmmmmmmmmimimimmmmmmimimmmmimmu
DER ERSTE
JAHRGANG
DER
WEISSEN BLÄTTER
KOMPLET7
kann vorerst noch zum Preise von
M 24.— broschiert und M 28.
in zwei Halbpergamentbänden
bunden durch alle Buchhandlungen
nachbezogen werden. Später
erhöhen sich die
Preise.
I
iimiimimmmmimmmmmmmmmimmmiiimiiiiiiimiimimiiiiiiiiirc
9
Neuer Hafßjaßrsßand cfer
WEISSEN BLÄTTER
RENE SCHICKELE
Einzelpreis Mark 2.— / Halbjahr lick Mark 10.
IE Weißen Blätter haben mit dem Juli * Heft den neuen
Halbjahrsband begonnen. Beim Ausbrudi des Krieges
hatten die Zeitschrift und ihre Freunde vier Monate lang ein
ander den gewaltsam anstürmenden Ereignissen des Krieges
überlassen. Sie haben dann im Januar den unterbrochenen Weg
wieder aufgenommen, der, wenn auch durch Schrecken, dennoch
und vielleicht sogar klarer, als vorher zu sehen war, in ein neues
Deutschland führt. Damals schrieben wir: es dünkt uns schön,
mitten im Kriege mit dem Wiederaufbau zu beginnen und zu
helfen, den geistigen Sieg vorzubereiten. Die europäische Gemein**
Schaft scheint heute vollkommen zerstört — sollte es da nicht
Pflicht aller sein, die keine Waffen tragen, mit Bewußtsein be^
reits heute so zu leben, wie es nach dem Kriege die Pflicht eines
jeden Deutschen sein wird? Wir treten ein für einen Imperialismus
des Geistes, ob nun, nadi einem Wort Kürnbergers, das Schwert
dem Geist den Weg bereite, oder der Geist befestige, was das
Schwert erobert hat, und drum können wir heute wiederholen,
was in einer ersten Ankündigung unserer Zeitschrift gesagt
wurde: „Die Weißen Blätter wenden sich an Leser, denen ein
starkes Gefühl der Verantwortung und der opferheischenden
Pflicht innewohnt/' Wie die Weißen Blätter dieses Programm er-
füllet haben, sagt die umseitig abgedruckte Besprechung von
Hermann Hesse in cfer Heuen Zürcher Zeitung besser als
wir es selber vermöchten. Ähnliche Würdigungen und Zu^
Stimmungen könnten wir zu Dutzenden abdrucken.
Unsere Freunde bitten wir, den Beginn des neuen Semesters
zu benutzen, um den Weißen Blättern neue Freunde zu werben.
Der Kriegs;ahrgang der Weißen Blätter wird sicher später sehr
gesucht sein, und die neuen Abonnenten sollten sich deshalb den
ersten Halbjahresband gleich nachliefern lassen. Außer einer Fülle
von Kleinarbeit in Glossen und Aufsätzen sind an größeren
zum Abdruck gelangt:
Max Brods großer
Arbeiten literarischer Produktion
u. a.
Carf Sternßeims Schauspiel
//
1913
ss
Roman Tycßo Braßes Weg zu Gott. ~ Des letzten Fontane^
Preisträgers Leonßard Eranfis neue große Novelle „Die llr*
sacße". - Des rasch zur Anerkennung gelangten jungen Kasimir
Edscßmids Erzählung „ Yousouf", und aus dem Nachlaß
Ernst Stadfers die ganz einzige meisterhafte Verdeutschung der
^ Eranzisßaniscßen Geßete" von Erancis Jammes.
ber ©ernunß unb bem ^nftanbem, unb em tft bebeutungmooll, baß bte
jungen ©tchter, bte Itterartfche 3ukunß ©eutjchlanbm, fotc^e Sporte nte=
brtger hangen unb oerbretten mollen. ©aß fte felber ben $rteg ernftftcfj
mtterleben unb ntc^t bam blutenbe £eben in Literatur aufgulo'fen geneigt
ftnb, lieft man aum anbern ihrer &unbgebungen, unb heutiger alm aum
ihnen lieft man bam aum ben Damen berer, bte btefem Greife ber 3üng=
ften angehorten unb nun ßhon im Kriege gefallen ftnb. Unter ihnen t>er=
bient non unferm ©tanbpunkt aum befonbere ©eacfjtung ber (Elfäffer
Srnft ©tabler, ©erfaffer bem ©ebtchtbuchem „©er Aufbruch", ©tabler tft alm
beutßher Deferoeofftgter gefallen; er mar aber £ektor an ber freien Untnerfität
in ©rüjfet, mar ^reunb unb Uberfeßer frangofißher ©tchter, hatte enge
©egtehungen gu (Englanb unb märe, kam ber $rteg nicht bagmtfchen, alm
■ßrofejfor ber ©ermantfttk nach Äanaba gegangen. Sr mar bretßtg 3ahre alt.
Dtan fage nun nicht, bam fei lebigltch eine Slumnahmee^tfteng, burch
©eburf, Verkommen, burch fpegtelle ©egtehungen, ©aben unb ©djtckfale
gu einer geiftigen 3nternationalität beftimmt. Sr mar auch nicht natton&=
lom, fonft märe er nicht beutfcher Deferoeofftgter gemefen unb an ber
Front gefallen. Sm märe falfch, btem Suropäertum einem ©eutfcßen, bem
tn Frankreich etma ein ©eift mie Romain Dollanb entfprt^t, alm eine
nereingelte Sufälligfeit angufehen. Sm ift tnel mehr,- em tft eine frühe, noch
nereingelte ©lute einem europätfchen ©etftem, einem ^reunbfchaß^bebürf=
ntffem gmtßhen germantfch=gottf<hem unb romantf<h=klafftfchem ©etft. Sm
tft eine ^ru<bt beleihen ©elftem, aum bem fett gmet unb mehr 3ahr=
gehnten in ©eutfchlanb unb tn Frankreich otele ber begabteften unb ernft=
haßeften 3«nSen ftch um etn nachbarlichem, freunbltchem, fruchtbarem 3u=
fammengehen ber betben ©olker bemüht haben. Ob em ftch ba „nur" um
Literatur unb Äunft hanbelte, ober ob auch poltttßhe SEenbengen habet
maren, tft unmefentltch, unb baß bam *ßoltttfche nicht fehlte, mag man
aum bem 3uftanbekommen ber betben interparlamentarifchen ^onferengen
in ©ern unb tn ©afel fehen.
S33am bte ©ichter ber „Meißen ©tätter" ßhretben, ift tnm „Publikum"
noch nicht gebrungen. Sroßbem üben fte OTacht unb mtrfen unter ber
Oberfläche, mie etma tn ben bilbenben fünften bte gewaltigen ^ln=
ftrengungen ber j'ungen unb j'üngften Dichtungen wirken unb Stnfluß
üben, mährenb ber ©ürger noch mit nteht* oöer weniger 3lrger über fte
lacht ober ßhimpß unb wett über ihre ©errücktheit erhaben tft. ©chon
baraum, mie fte ftch j'eßt in ber &rtegmgeit non einem billigen 2Dort=
patrtotimrnum entfernt halten unb bte Aufgaben ber 3ufunß oorempftnben,
f<hon baraum mag man fließen, baß in btefen noch unbekannten ©ich=
tern etwam t>om beften beutfcßen ©etft oorljanben unb lebenbtg tft, unb
man kann nur münßhen, em möge auch In Frankreich, auch In Dußlanb
recht tnel 3ngenb btefer Qlrt ftch ßnben. Ohne baß mtr glauben, em fei
gut unb fruchtbar, f<hon Jeßt Programme her 3ukunß für bam Völker*
(eben gu entwerfen, glauben unb wtjfen wtr bo<h befttmmt, baß ein tour*
btgem unb fruchtbarem neuem Verhältntm ber aufgerütte(ten Stationen nur
aum einem pofttioen, ernften Lotten ber ©eifttgen erwachfen kann, bam
heute fdhon latent bafetn muß. otogen bte im gelbe ftehenben $eere ftdj
jeßt um Literatur unb ©ebtchte unb ^enßhheitmgebanken ben Teufel
kümmern — fie haben bam 3facf)t bagu. 20tr gu $aufe ©tßenben haben
bam SRecht nicht, tote totr auch nicht bam 3Sedjt gu einer Tätigkeit bem
paffem haben, bam nach Völkerrecht nur ben Untformtragenben gufteht.
Sin £ump, toer ftch jeßt nicht gu feinem Vaterlanbe bekennt — aber baß
man feine Speünat oon $ergen lieben kann, ohne auf ben ©ebanken einer
ewigen 3ufammenarbeit menßhltcher Vernunft unb menfchltcfjen Kultur*
toillenm in allen Völkern gu oergtchten, bam follte ft<h am ®nbe oon felber
oerftehen. Tttemanb glaubt an bte ewige Vauer politifdjer Vünbntjfe —
tote follte ba jemanb an bte etotge Vauer nationalen paffem glauben?
S33er bte ©ebanken ber toertoollften beutfchen 3ugenb kennen will,
kann an ihrer Literatur nicht oorübergehen. Varum feien ©udjenbe auf
bte „Meißen Vlätter" oertotefen. 3ch habe fytv, aum guten ©rünben,
bam Aktuelle betont. Vo<h glaube man Ja nicht, baß biem bte ^)auptfa<he
unb baß em btefer 3u0en& 0ar um etn äfthettfterenbem ©ptelen mit
großen ©ebanken gu tun fei. Sharaktertfttfch ift nur, baß gerabe bam
Organ ber frifc^eften, ftürmifchften Itterarifchen 3«gcnb Jene ©timmen
ber Mäßigung unb ber 3ukunßmpf(ege hären laßt. Vamtt rechtfertigen
ftch btefe Jungen Vieler, noch lange ehe ihre ©ebtchte bte oolle Bannern*
reife erlangt unb ben 23eg gum Volke gefunben haben. Vaß überhaupt
etn fo ernfthaß literartfchem, gang unpopuläres ^onatmblatt mit feinen
rein getfttgen Veftrebungen jeßt mitten im Kriege feinen 53eg toieber
aufnehmen kann, ift f<hon etn Vtng, bam Vertrauen erweckt.
Vtem Vertrauen wirb bet manchem £efer burch bte Vi^tungen wteber
erfdjüttert werben, bte man tn ben Reißen Vlättern* fmbet. Mancher
wirb fie gar nicht oerftehen, mancher wirb fie gewollt unb frech finben,
unb etwam baran, ein &orn baran, ift am (Enbe wahr. £m ift 3agcnb,
bte ftch fyev äußert, unb eg ift tßr nicht um gute ©ebärben, fonbern um
bam Slumfprechen ihrem Sebenmbrangem gu tun, auch um bam ^brechnen
mit oaterlichem Verkommen guwetlen, unb Nachahmer laufen, wte überall,
neben ben Achten etnher. Unter ben Achten aber, gu benen ©tabler ge*
hörte, gu benen Werfel, ©ternheim, ©htckele, (Shrenftetn unb anbere
gehören, wirb man, wenn bam erfte ©tocken oor otelen burchbrochenen
gormtrabitionen überwunben ift, Sone ber ©eele ftnben, ©ebtchte unb
^luffaße oon ®rnft unb Energie, beren momentane gönnen unb 23ege
man ketnemwegm überall gu billigen braucht, um hoch bam bahinterftehenbe
£eben ber heraufkommenben ©eneration lieben unb ehren gu können.
WE
LÄTTE
sind in folgenden Buchhandlungen vorrätig. Diese nehmen jederzeit gern Bestellungen
an. (Einzelheit M 2.—, Semester M 10.—> Die »Weißen Blätter« können auch durch
die Post bezogen werden.
AACHEN
Creutzer'sche Sortbuchh., G. m. b. H.
M. Jacobi's Nachf.
J. A. Mayer'sche Buchh. <G. Schwiening)
ALLENSTEIN
Karl Danehl
ALTENBURG
Oskar Bonde, Hofbuchh.
Theodor Körner
Otto Wermann's Buchh., Alfred Tittel
ALTONA <Elbe>
J. Harder
F. L. Mattig'sche Buchh., Dr. H. Lüneburg
AMSTERDAM
Johannes Müller
ANKLAM
Fr. Krüger's Buchh. <C. Blumenthal)
AN NAB ERG (Erzgeb.)
Graser'sehe Buchh. (Liesche 'S) König)
ANSBACH
Carl Junge's Buchh. (Gustav Oppel)
ARNSTADT
Gimmerthal'sche Buchh. (Richard Hertel)
Waldemar Jost
ASCHAFFENBURG
C. Krebs'sehe Buchh.
ASCHERSLEBEN
Karl Kinzenbach
AUGSBURG
Michael Seitz
Georg C. Steinidce
AU RI CH
D. Friemann
BADEN-BADEN
Constantin Wild, Hofbuchh.
BAMBERG
Buchner'sche Sortbuchh. (G. Duckstein)
Carl Hübscher
BARMEN
Adolf Graeper
Albert Röder
BASEL
Helbing 'S) Lichtenhahn
BAUTZEN
Eduard Rühl's Buchh. (Georg Thomas)
BAYREUTH
Georg Niehrenheim
BERLIN
Amelang'sche Buchh. G. m. b. H., Charl.
A. Asher 'S) Co., W. 8
Atlantic Buchh. Hans Levin, W. 30
Hermann Bahr, Sort. u. Ant., W. 9
Pauline Brandt, Steglitz.
Buchh. Vorwärts Paul Singer, SW. 68
Der Buchladen Kurfürstendamm, W. 15
S. Calvary 'S) Co., NW. 7
Cecilien-Buchhandlung
Ferd. Dümmler's Buchh., W. 8
R. Friedländer 'S) Sohn, NW. 6
Otto Greve, NW. 52
Grunewald-Buchh., W. Brenske Nf., Grw.
Gsellius'sche Buchh. (F. W. Linde), W. 8.
Hapke 'S) Schmidt, W. 8
Ernst Hasse, W. 35
Heiden 'S) Oeltjen, Zehldf.
Axel Junckers Buchh., K. Schnabel, W. 9
Kant-Buchh. Ch, Singer, Charl.
Robert Kiepert, Charl.
Paul Lehmann, W. 56
Edmund Meyer, W. 35
Neuer Verein f. deut. Lit., A.Bolm, SW. 61
Nicolaische Buchh., NW. 7
Max Perl, SW. 19
Plahnsche Buchh.
Reuß S) Pollack, W. 35
H. Rosenberg, W. 9
Hugo Rother's Buchh. (Fritz Möbius), W.9
Paul Scheller's Buchh., W. 8
Hugo Schildberger, NW. 23
Schiller-Buchh. Sort., Charl.
Schneider 'S) Amelang G. m. b. H., W. 10
Siegfried Seemann, NW. 6
J. M. Spaeth, Buchh., C. 2
Speyer 'S) Peters, NW, 7
Bernhard Staar's Buchh., SW. 48
Georg Stilke, NW. 7
Hugo Streisand, W. 50
Tirmentafef für den Bezug der Weißen Bfätter
Stuhr'sehe Buchh., G. m. b. H., W. 50
Carl Ulrich 'S) Co., Charl.
W. Weber, Sort.=Kto., W. 8
Waldemar Wellnitz, Inh. O.Weydert, S. 14
Hans Wiedling, vorm. R. Rühle, Steglitz
Herrn. Woyte, W. 9
BERN
A. Francke
BERNBURG
Ad. Schmelzers Hof buchh. <R. Weller)
BEUTHEN (Oberschi.)
Oscar Waeldner
BIELEFELD
Otto Fischer
Pfeffer'sche Buchh. Ernst Rumpe
Velhagen 'S) Klasing
BITTERFELD
Martin Kiesel's Buchh., Inh. Reinh. Jacob
BOCHUM
Oscar Hengstenberg's Buchh.
BONN
Friedrich Cohen
Ludwig Röhrscheid
BRANDENBURG (Havel)
Martin Evenius
BRAUNSCHWEIG
Ad. Hafferburg's Buchh.
Johannes Neumeyer
Ramdohr'sche Buchh. (E. Kalfmeyer)
Friedrich Wagner, Hof buchh.
BREMEN
Buchh. Otto Melchers
Franz Leu wer
Rühle 'S) Schlenker
Johs. Storm
BREMERHAVEN
Rudolf Petermann
BRESLAU
Koebner'sche Buchh. (Barasch 'S) Riesenf.)
Maruschke 'S) Berendt
Max 'S) Comp.
. Morgenstern's Buchh.
Preuß 'S) Jünger
Priebatsch's Buchh.
Schletter'sche Buchh. (Franck 'S) Weigert)
Victor Zimmer
| ■
BROMBERG
Erich Hecht Nachf., Inh. Curt Deuser
Mittlersche Buchh. A. Fromm Nachf.
BRÜSSEL
Misch 'S) Thron
BÜCKEBURG
H. Geißmann
BUDAPEST
Grill's Hofbuchh. (Jujius Benkö)
Moritz Räth's Buchh. (Soma Gabos)
BÜTZOW
Buchh. von S. Berg
CELLE
Karl Andre (Inh. Gustav Horn)
CHEMNITZ
Karl Brunner'sche Buchh. (Georg Metzner)
O. May's Buchh. (E. Roeder)
DANZIG
L. G. Homann 'S) F. A. Weber
John 'S) Rosenberg
DARMSTADT
Arnold Bergstraeßer's Hofbuchh.
Karl Heß Nachf., Alfred Hoefer
Müller 'S) Rühle, Hofbuchh.
Ludwig Saeng, Schulbuchh.
H. L. Schlapp
L. Vogelsberger
DESSAU
Kurt Grebel (W. Claaß Nachf.)
Wilhelm Presting, Hofbuchh.
DORTMUND
Ernst Brügmann
Rudolf Dreist
DRESDEN
Paul Alicke
Arnoldische Buchh., A.
H. Burdach, Hofbuchh., A. 1
Gosch' Buchh., Max Leithold, N.
Holze 'S) Pahl, vorm. E. Pierson, A.
Alexander Köhler, A.
Heinr. Morchel's Buchh. (O. Schumann), N.
Moritz Ratze, A.
Theodor Schuberth
Adolf Urban (vorm. Wold. Türk), A.
v. Zahn 'S) Jaensch, A.
Tirmentafeffür den Bezug der Weißen Bfätter
DÜSSELDORF
Schmitz 'S) Olbertz
Ernst Ohle, Fritz Worm
Sdiaub'sdie Buchh. Nachf., Max Pflaum
Sdirobsdorff'sche Hofbudih.
W. Wörmbcke
EISENACH
Brunner'sche Hofbudih.
ELBERFELD
Baedekersche Buchh., G. m. b. H., Sort.
B. Hartmann
Wide 'S) Jannsen
ELBING
Leon Saunier's Buchh.
ERFURT
Keyser'sche Buchh.
Hugo Neumann
Karl Villaret
ERLANGEN
Theodor Krische, Univbuchh.
ESSEN <Ruhr>
G. D. Baedeker
Otto Schmemann
FLENSBURG
C. Rüffer
FRANKFURT <Main>
Johannes Alt
Franz Benjamin Auffarth
Joseph Baer 'S) Co.
Blaiek 'S) Bergmann
Böhler 'S) Recke
C. Koenitzer's Buchh. <Reitz 'S) Koehler)
Alfred Neumann'sche Buchh.
Karl Scheller
FRANKFURT <Oder>
Gustav Harnecker 'S) Co.
FREIBERG {Sachsen)
Craz 'S) Gerlach
F R E I BURG {Breisgau)
G. Ragoczy's Univbuchh. <Karl Nick)
Fr. Wagnerische Univbuchh.
F R EIB U R G {Schweiz)
Universitäts=Buchh. Otto Gschwend
FULDA
G. Nehrkorn'sche Buchh. {F. J. Reinhardt)
FÜRTH
A. Schmittner, vorm. J. Kühl's Buchh.
GENF
R. Burkhardt
GERA {Reuß)
Kanitz'sche Sortbuchh. {R. Kindermann)
Franz Malter
GIESSEN
Ferbersdhe Univbuchh. {Inh. C. Koch)
GLATZ
Max Adam's Buchh., Inh. Hugo Rupprecht
GLOGAU
• #
Georg Ostertag
GÖRLITZ
E. Remersche Buchh. {Alfred Meißner)
Rieh. Rother
GOSLAR
Ludwig Koch
GOTHA
Victor Schroeder, Hofbudih.
GÖTTINGEN
Akadem. Buchhandlung von G. Calvör
Deuerlidi'sche Buchh.
Dieterich'sche Univbuchh.
GREIFSWALD
Ratsbh. L. Bamberg Fr.^Leop. v. Wentzky
GREIZ
Erich Schlemm Nachf., Hofbudih.
GRÜNBERG {Schles.)
Fr. Weiß'sche Buchh. {G. Schiermack)
GÜSTROW
Opitz 'S) Comp.
Johannes Schneider
HAGEN {Westf.)
Otto Hammerschmidt
HALBERSTADT
Rudolf Schönherr
HALLE {Saale)
Kurt Arndt
Ludwig Hofstetter, Sort.
Lippertsdie Buchh. Max Niemeyer
Albert Neubert
Tausch 'S) Große
HAMBURG
Heinrich Bandholdt
Walter Bangert, 8
C. Boysen, 36
Crone 'S) Martinot, 4
Tirmentafef für den Bezug der Weißen Bfätter
M. Glogau jun., 36
Lucas Gräfe, 1
Jürgensen 'S) Becker, 36
Conrad Kloß, 36
W. Mauke, Söhne
Otto Meißner, 1
G. W. Niemeyer Nachf., 1
W. Peuser
Adolf Saal
Hermann Seippel, 36
Weitbrecht 'S) Marissal, 36
HAMELN
Schmidt 'S) Sudcert
HAMM <Westf.>
Otto F. Dabelow
HANNOVER
Carl Brandes
Ludwig Ey
Sachse 'S) Heinzeimann, G. m. b. H.
Wolff'S) Hohorst Nachf. <0. Drowatzky)
HEIDELBERG
Bangel 'S) Schmitt <Otto Petters)
Ernst Mohr's Sort. <G. Koester)
Weiß'sche Univbuchh., Inh. Ed. Faust
C. Wintersche Univbuchh., F. W. Rochow
HEILBRONN <Neckar>
A. Scheurlen's Buchh. <Th. Cramer)
HILDESHEIM
Gerstenberg'sche Buchh.
August Lax
HIRSCHBERG <Schles.)
Kuh'sche Buchh., Paul Röbke
HOLEMINDEN
Fr. Wiegand
HUSUM
C. F. Delff
ILMENAU
Friedrich Fleischer Nachf.
JENA
Ak. Bh. Raßmann <vorm. Döbereiner'sche)
Passage=Buchh. Richard Müller
KAISERSLAUTERN <Pfalz>
Eugen Crusius Hofbuchh., Inh. Karl Krauß
A. Gerle <R. Fleischhauer) Buchh.
KARLSRUHE <Baden>
Braun'sche Hofbuchh. <A. Troschütz)
Ernst Kundt
Metzler'sche Buchh. W. Hoffmann
KASSEL
A. Freyschmidt
Ernst Hühn, Hofbuchh.
Theodor Kay, J. C. Krieger'sche Buchh.
KATTOWITE <Oberschles.)
Georg Hirsch
KIEL
Lipsius 'S) Tischer
Walter G. Mühlau
KIRN
Robert Schleich
KLEVE
Fr. Boß Wwe.
KOBLENZ
W. Groos <L. Meinardus) Hofbuchh.
KOBURG
J. F. Albrecht'sche Hofbuchh.
E. Riemann'sche Hofbuchh.
6
KÖLN <Rhein>
Hanns Dommes
M. Du Mont-Schauberg'sche Buchh.
M. Lengfeld'sche Buchh. <A. Ganz)
Paul Neubner
J. G. Schmitz'sche Buchh.
KÖNIGSBERG <Pr.)
Bon's Buchh.
Gräfe 'S) Unzer
Bruno Meyer 'S) Co.
KONSTANZ
Carl Geß, Hofbuchh.
KÖTHEN <Anhalt)
Oskar Schütze
KREFELD
J. Greven
KREUZNACH
Karl Scheffel
LAND SB ERG <Warthe)
Fr. Schaeffer 'S) Comp.
LEIPZIG
Paul Beyer
Buchh. Gustav Fock, G. m. b. H.
Emil Gräfe
t'"********************************************************************************************************************************************
A. Frederking, vorm. Gaßmann'sche Sorth.
Tirmentafeffür den Bezug der Weißen Bfätter
/////#//////#//////////////////////////////#////#/////////////////////#///////////////////////////#////////#/#///////////////////////////////////
Hahn's Sort. <Carl Fehre)
J. C. Hinrichs'sche Buchh.
Kößling'sche Buchh, <H. Graf)
Bernh. Liebisch
Lincke'sche Leihh. u. Buchh,
A. Lorentz (Sonderraum „Das schöne Buch")
Heinrich Matthes
Louis Naumann
Ottosche Buchh.
Gustav Schlemminger
Friedrich Schneider
Th. Stauffer
R. Strelier
A. Twietmeyer
G. Wittrin (Wittrin 'S) Weise)
LIEGNITZ
Th. Kaulfuß'sche Buchh.
Reisner'sche Buchh. (Richard Clemens)
LÖBAU (Sachsen)
Oliva'sche Buchh. Otto Becker
LÜBECK
Johannes Carstens
Lübcke 'S) Nöhring
Richard Quitzow
LÜNEBURG
F. Delbanco
MAGDEBURG
Creutz'sdie Buchh., Max Kretschmann
Heinrichhofen'sche Buchh.
Carl E. Klotz, Bahnhofsbuchh.
Lichtenberg 'S) Bühling
Karl Peters
MAINZ
Hermann Quasthoff (C. Gutschmidt)
L. Wilckens
MANNHEIM
A. Benders Ant. u. Buchh. (Ernst Albrecht)
J. Bensheimer's Sort. (Ernst Aletter)
BrockhofF 'S) Schwalbe
Julius Hermann's Buchh.
MARBURG (Bez. Kassel)
Adolf Ebel
N. G. Elwert'sche Univbuchh.
MEININGEN
Brückner 'S) Renner, Hofbuchh.
MEISSEN
Louis Mosche
MERSEBURG
Friedr. Stollberg
MINDEN (Westf.)
Marowsky's Buchh., Hermann Marowsky
MÜH LH AU SEN (Thür.)
Fr. Heinrichshofen'sche Buchh.
MÜLHAUSEN (Eis.)
Meuer 'S) Meyer, vorm. Buchh. C. Bahy
MÜNCHEN
Theodor Ackermann, Hofbuchh., VI
A. Buchholz
W. Foth Nachf., Max Engl
H. Hugendubel, IV.
Heinrich Jaffe, 32
Chr. Kaiser, I
Max Kellerers Hofbuchh., III
F. Lehmkuhl (vorm. G. Steinicke)
J. Lindauersche Univbuchh., Schöpping, VI
Rieger'sche Univbuchh. (G. Himmer), II
Otto Schmidt=Bertsch, G. m. b. H.
Ottmar Schönhuth Nachf. (Horst Stobbe)
Georg C. Steinicke
MÜNCH EN* GLADBACH
L. Boltze
MÜNSTER (Westf.)
E. Obertüschen's Buchh., Ad. Schultze
NAUMBURG (Saale)
Albin Schirmers Buchh. (R. Ratsch)
Ernst Schöler
NEISSE
J. Graveursche Buchh.
NEUMÜNSTER
R. Hieronymus, Buchh., H. H. Clement
NEW YORK
G. E. Stechert 'S) Co.
NORDHAUSEN
C. Haacke
L. Hornickels Buchh.
Georg Wimmer's Buchh.
NÜRNBERG
M. Edelmann, vorm. L. Groß Nachf.
Fehrle 'S) Sippel
Carl Koch, Buchh.
Heinrich Schräg, Hofbuchh.
OFFENBACH (Main)
Th. Steinmetz'sche Hofbuchh., C. Sdhoeller
*
TirmentafeC für den Bezug der Weißen Bfätter
OLDENBURG
H. Borcholte, vorm. Schulzesche Hofb. Sort.
G. Stallingsche Buchh. <Max Schmidt)
OLMÜTZ
Friedrich Große
OPPELN
Hugo Willimsky
OSNABRÜCK
P. Hoppenrath Nachf.
H. Meinders
Rackhorst'sche Buchh.
OEYNHAUSEN
G. Ibershoff's Buchh.
PARCHIM
H. Wehdemann's Buchh.
PASSAU
M. Waldbauersche Buchh.
PFORZHEIM
Otto Riecker's Buchh.
PILSEN
Carl Maasch's Buchh. <A- H. Bayer)
PIRNA
C. Diller 'S) Sohn, Albert Diederich
PLAUEN (Vogtl.)
Franz Bartels <vorm. Rudolf Neupert jr.)
A. Kell's Buchh.
POSEN
Ed. Bote 'S) G. Bode
Friedrich Ebb ecke
Philippsche Buchh.
E. Rehfeld'sdhe Buchh., Curt Boettger
Louis Türk's Buchh. (Felix Kukkuk)
POTSDAM
Mav Jaeckel, Hof buchh.
Aug. Heinrich Pusch
Schnabel 'S) Walter, G. m. b. H.
PRAG
K. Andre'sche Buchh., Max Berwald
J. G. Calve, Robert Lerche
Gustav Neugebauer, Hofbuchh.
PRENZLAU
C. Vincent
PRESSBURG <Pozsony)
Sigmund Steiner
QUEDLINBURG
Paul Deter
Chr. Fr. Vieweg's Buchh. <H. Schwanecke)
RASTATT
Wilh. Hanemann
REGENSBURG
Herrn. Bauhof
W. Wunderling's Hofbuchh.
REICHENBACH (Vogtl.)
Haun 'S) Sohn
REICHENBERG
Paul Sollors Nachf., G. m. b. H.
RHEINE <Westf.)
A. Rieke Nachf.
RHEyDT <Bez. Düsseldorf)
W. Rob. Langewiesche
RIESA
Johann Hoffimann
ROSTOCK <Meddb.)
Gebr. Grundgeyer
Ernst Joerges
Hermann Koch
G. B. Leopold's Univbuchh.
Stiller'sche Hof= und Univbuchh.
ROTTERDAM
H. A. Kramers 'S) Sohn's Buchh. A.»G.
SALZBURG
Eduard Höllrigl
E. Richter's Nachf., vm. H. Dieter's Hof bh.
ST. GALLEN
Fehr'sche Buchh.
SCHLESWIG
Julius Bergas Sort,
SCHWEIDNITZ
L. Heege
SCHWEIN FURT
G. J. Giegler's Buchh. (Hans Schondorf)
SCHWERIN (Mecklb.)
Alfred Schmidt (vorm. Ludwig Davids)
Carl Singhol
SIEGEN
Kogler'sche Buchh. (G. Müller)
FirmentafeC für den Bezug der Weißen Bfätter
SONNEBERG (Sachs.»Mein.)
Emil Lange's Buchh.
SPANDAU
Hermann Mund
STENDAL
Ernst Schulze
STETTIN
H. Dannenberg 'S) Cie.
Keimling 'S) Grünberg
Leon Saunier's Budih.
STO LP <Pommern>
C. Sdiraders Budih.
STRALSUND
Carl Meincke's Budih. <E. Warnte)
STRASS BURG <Elsaß>
Akad. Budih. E. d'Oleire 'S) Rasch
Heinridiscfae Budih. <Freihen 'S) Weber)
Lindner's Budih. <Paul Sdiweikhardt)
C. F. Sdimidt's Univbh., v. Hauten*© Hurter
Josef Singer
Carl Aug. Vomhoff
STUTTGART
Heinz Clausnitzer
H. Lindemann's Budih., H. Kurtz
Paul Neff Sortiment
Friedrich Stahl, Hofbuchh.
Hermann Wildt
Konrad Wittwer, Budih.
TÜBINGEN
Budih. Kloeres
Osiander'sdie Budih.
ULM <Donau)
J. Ebner'sche Budih.
WALDSHUT
H. Zimmermann
WEIMAR
Wilh. Hoffmann's Budih.
Ludwig Thelemann
A, Zudcschwerdt
WERNIGERODE
Paul Jütiners Buchh., Paul Schulze
WETZLAR
Sdinitzler'sdie Budih.
WIEN
Bedc'sdie Hof»u. Univbuchh. <A. Holder)
Wilhelm Braumüller 'S) Sohn
Wilhelm Fridc, Hof budih.
Gerold 'S) Co.
Gilhofer 'S) Ransdiburg
Hugo Heller 'S) Cie.
R. Lediner < W. Müller), Hof» u. Univbuchh.
Franz Leo 'S) Comp., Hofbuchh.
H. Martin
WIESBADEN
Limbarth»Venn
Moritz 'S) Münzel <J. Moritz)
Gisbert Noertershaeuser
Herrn. Sdiellenbergsche Budih.
Heinrich Staadt
Ed. Voigt's Nadif. <R. Lochmann)
WILHELMSHAVEN
Ferdinand Schmidt
WISMAR
Hinstorff'sche Hofbuchh., Inh. Carl Witte
WITTEN
B. Koetzold 'S) Co.
WITTENBERG <Bez. Halle)
P. Wunschmann, vorm. Herrose's Budih.
WORMS
Julius Stern, H. Kräuter'sdie Budih.
WÜRZBURG
J. Kellner's Buchh. <0. Tzschaschel)
Stahel'sdie Hof» u. Univbuchh.
A. Stuber's Buchh., Inh. W. Sackheim
ZEITZ
A. Hudi's Buchh. <E. Schirmer)
ZERBST
Friedrich Gast's Hofbuchh.
ZITTAU
W. Fiedler's Ant. <Johs. Klotz)
Emil Oliva's Budih. <Arthur Graun)
ZÜRICH
C. M. Ebell
Albert Müller
Rascher 'S) Cie., Meyer 'S) Zeller's Nadif.
Sdiultheß 'S) Co.
Speidel 'S) Wurzel
ZWICKAU <Sachs.)
Riditer'sdie Budih.
Gebr. Thost <R. Braeuninger)
d) gogre nicht, Annette &olb bie f3alme einer ber
^ \ beften unb tntereffanteften beutfehen ©chriftftelle=
rinnen 3« überreichen. 23er bei un3 fagt fo beft=
^ nitine ©inge tote fie über bte pfpchologte ber Nationen?
2ti<ht einmal bie Banner! ©0 fc^reibt Otto ^tafe u. a.
in einer ©efpredjung in ber Tteuen DSunbfcbau über
^nnettfcj£jilitg 2Uerf
253ege unD Umtoege
©eheftet 5.—, gebunben 6 —
ba£ im Vertag ber 23etfgen ©ücher erfchten. 7ta<h etn=
ge^enben Unterfu^ungen fahrt er bann fort: ,,©enn hier
enthüit ftch eine merftoürbtge unb intereffante Perfonlt<h=
feit, nic^t inbem fie erflart, xd) bin bte3 unb ba3 unb ich
teibe, fonbern fie laßt ftch retgooll fuchen unb ahnen." Unb
einer ber Mitarbeiter ber 3ettf<hrift f. ©ücherfreunbe
fagt bort im 3nntheft über „Mege unb Umtoege": „©eit
langem Imbe ich bie Üftetge be3 ®ffap3 nicht fo au^foften
bürfen tote beim £efen be3 neuen 'Suchet ber Annette &olb.
<pter ift jene Unmittelbarfett, bie ben Mengen mehr atö
ben Zünftler offenbart; hier tft auch ber leichte £on be£
piauberer^, ber ftch nie tn bte $ühte ber ©tubierftube
oertrrt, fonbern im ©aton bleibt/ ber gu letzten fragen
immer nur bie ©ur öffnet unb e3 un3 überlast, etngu=
treten. Qlnnette &olb geht unb führt 23ege gu bebeutenben
Menfchen: nach Partö, nach Bonbon, nach 3talien. 2lber
ba£ ftnb nur Umtoege gu ihr felbft gurücf, gu ihrem $urm=
gtmmer, oon beffen ^enfter au£ bie 2Delt angenehmer
gu fchauen tft al£ im ©rangen unb Farmen ber ©täbte."
... „3hre 3ett toirb halb fommen!"
£) a 3 33 u dj fft tn allen 33ucf)l)anÖlungen erha1111h
H
f sogre ntft, Annette &olb bte Palme einer ber
beften uni) Intereffanteften bcutff en ©frtftftelle»
rt'nnen 3U überreifen. Mer bei un3 fagt fo beft=
ntttoe ©Inge tote fte über bte pfpf ologle i)er Nationen?
3llft einmal bte Banner! ©o ff reibt Otto ^lafe u. a.
ln einer ©efprefung ln i>er Plenen DSunbffau über
n ne t_U Kolkß 3Perf
253ege urtfc) Umwege
©efyeftet 37t 5.~, gebunben ö —
ba£ Im ©erlag i>er Meißen ©üf er erff len. Ttaf etn=
geßenben Unterfufungen f<frt er bann fort: ,,©enn pler
enf ült flf eine merftoürbtge uni) Intereffante Perfonltf=
fett, ntft tnbem fte erflart, tf bin bte3 uni) ba3 uni) tf
leibe, fonbern fte laßt flf rel^ooll fuf en unb aßnen." Unb
einer ber Mitarbeiter ber 3ettff rtft f. ©üf erfreunbe
fagt bort tm 3unfeft über „Mege unb Umwege": ,,©ett
langem habe tf bte ^etge be3 ®jfap$ ntft fo au^foften
bürfen tote beim £efen be£ neuen ©uf tß ber Annette &otb.
<pter tft jene Unmtttelbarfett, bte ben Menff en mehr al3
ben Zünftler offenbart,- fytv tft auf ber letfte Son be£
piauberer^, ber flf nie ln bte $ühte ber ©tublerftube
oertrrt, fonbern Im ©alon bleibt,- ber 3U lebten fragen
Immer nur ble Sür öffnet unb eß un3 überlast, etn3u=
treten. Qlnnette &olb gept unb füprt Mege gu bebeutenben
Menffen: naf Partö, naf £onbon, naf 3talten. 3lber
ba£ ftnb nur Umtoege 3U fr fetbft gurücf, 3U frem Surm=
3tmmer, oon beffen ^enfter au£ bte Mett angenehmer
3u ff auen tft alß tm ©rangen unb Farmen ber ©tabte."
... „3hre Bett rotrb halb fommen!"
T)a8 23ucfj fft tn allen 33u^)han^lun0en er^ältltc^
(Elfe E’a8fer=©d)üler
iden wird der Tlame diefer Dichterin nocfj fremd
*+S fein. Das iff fein TDunder, denn ifsre gan^ nacfj
innen gefeierte, rf)rjtt>mifct) befcfjroingte Poefie iff Don
fo rein fünfflerifcfjen 3ntuitionen befjerrfdjt, daß es fefjr
merfroürdig roäre, roenn fie fdjon den TDeg 3U einem
größeren Publif um gefunden fjätte.Tfoefj fennen und
lieben fte uerfjältnismäßig wenige, aber diefe um fo
inniger. Jn <Elfe Easfer=©cf)ülersTOerfen tun fldjDBlicFe
incfjaotifdjellnendticfjfeiten auf, und mir find ergriffen.
(Etwas (Epernes iff in der Gpracfje diefer Jrau; mir
blicfen in einen ©til, deffen plaffifcfje $raft nicfjt minder
imponiert als der föfflicfje Tltjgtfjmus.
©o fagt Jbans ZBetpge im leipziger lageblatt über
(Elfe STasber-Gcpüler. 3m Perlag der IDeißen Pücfjer,
C'eip3ig, erftpienen aon ipr folgendeTDerfe: (ßeficfjte.
(Effarjs und andere ©efeljicfjten (gefjeftet TR 4—, ge=
bunden TR 5.—). TReineTDunder. ©edicfjte (gefjeftet
TR 2.—, gebunden TR j.—]. P r i n 3 aon Ifjeben. (Ein
©efcfjicfjtenbuef) (gefjeftet TR 5.—, gebunden TR 6.50).
3n allen befferenPudjfjandlungen uorrätig
$lu$ Den Urteilen über JranjWerfel:
berliner Tageblatt: „ . . . ein ganj junger, ganj großer ®icf)ter. Sßenn irgenbroo,
fo tft hier bie neue jtunft.
Sranffurter Beitung: „@in ganj großer ®icf)ter, mit altem ©rnj! fei ba$ gefagt."
®ie „Beit“ SÖBien: „9Jtan wirb manchmal an ben jungen ©oetfte gemahnt, ber fo
bie 2Belt in Siebe umfaßte, bereit, ber @rbe ©lücf, ber @rbe 2Beb ju tragen, ©nblid)
einer, ber facbrufjig bie ®inge beim tarnen nennt, ohne romantifcheö ©etue, unbefangen
unb fjerjlid). ©eiten fyat man fo natürliche £öne gehört.“
Oben — lieber — ©ejklten
3>n beutfcber Bearbeitung m\ Jranj SOBerfel
£>rutf üon f}3 o cf cf) ei 6c £repte, fietpgt#
II
Efse Lasfcer^Scßüfer:
LIEBESLIEDER
AN HANS ADALBERT
Wenn du sprichst
Blühen deine Worte auf in meinem Herzen.
Über deine hellen Haare
Schweben meine Gedanken schwarzhin.
Du bist ganz aus Süderde und Weihrauch
Und Stern und Taumel.
Ich aber bin lange schon gestorben.
O, du meine Himmels-Stätte...
DEM HERZOG VON LEIPZIG
Deine Augen sind gestorben,-
Du warst so lange auf dem Meer.
Aber auch ich bin
Ohne Strand.
Meine Stirne ist aus Muschel.
Tang und Seestern hängen an mir.
Einmal möchte ich mit meiner ziellosen Hand
Über dein Gesicht fassen,
Oder eine Eidechse über deine Lippen
Liebentlang mich kräuseln.
824 Efse Lasßer”Scßiher • Ließesfieder
Weihrauch strömt aus deiner Haut
Und ich will dich feiern,
Dir bringen meine Gärten,-
Überall blüht mein Herz bunt auf.
ABER DEINE BRAUEN SIND UNWETTER.
In der Nacht schweb ich ruhlos am Himmel
Und werde nicht dunkel vom Schlaf.
Um mein Herz schwirren Träume
Und wollen Süßigkeit.
Ich habe lauter Zacken an den Randen,-
Nur du trinkst Gold unversehrt.
4
Ich bin ein Stern
In der blauen Wolke deines Angesichts.
Wenn mein Glanz in deinem Auge spielt,
Sind wir eine Welt.
Und würden entschlummern verzückt —
Aber deine Brauen sind Unwetter.
Carf Sternßeim:
NAPOLEON
Tür Tßea, meine Cieße Trau
N
APOLEON wurde 1820 zu Waterloo im Eckhaus, vor dem
sich die Steinwege nach Nivelles und Genappes trennen, gehören.
Sein Kinderleben verließ historischen Boden nicht.
Über die durch Hohlwege gekreuzten Flächen, auf denen des
Kaisers Kürassiere in Knäueln zu Tode gestürzt waren, gingen seine
Soldatenspiele mit Gleichalterigen. Sie lehrten ihn ewige Gefahr,
Wunden und Sieg.'
Zwölf Jahre alt, nahm er von Kameraden beherrschten Abschied,
sprang zum Vater in die Kalesche und fuhr nach Brüssel hinüber,
wo er vor ein Gasthaus abgesetzt wurde. In der Ki&ie des Lion
826
Carf Sternßeim ■ NapoCeon
d'or lernte er Schaum schlagen, Fett spritzen, schneiden und schälen.
Gewohnter Überwinderder Kameraden auf weltberühmter Walstatt,
ließ er auch hier ganz natürlich die Mitlernenden hinter sich und
war der erste, der die Geflügelpastete nicht nur zur Zufriedenheit
des Chefs zubereitete, sondern auch nach den Gesetzen zerlegte.
Er selbst blieb von allen Speisenden der einzige, den der Vol*
au*vent nicht befriedigte, doch nahm er Lob und ehrenvolles Zeugnis
hin, machte sich, siebenzehnjährig, auf den Weg und betrat an einem
Maimorgen des Jahres 1837 durch das Sankt Martinstor Paris.
Als er von einer Bank am Flußufer die strahlende Stadt und
ihre Bewegung übersah, wurde ihm zur Gewißheit, was er in Brüssel
geahnt: Nie würde er aus den allem Verkehr fernliegenden Küchen*
räumen jene enge Berührung mit Menschen finden, die sein Trieb
verlangte. Tage hindurch, solange die ersparte Summe in der Tasche
das Nichtstun litt, folgte er den Kellnern in den Wirtschaften ge*
spannten Blicks mit inniger Anteilnahme,- verschlang ihre und der
Essenden Reden, Lachen, Gesten. An einem hellen Mittag, da eine
Dame Trauben vom Teller hob, den ihr der Kellner bot, trat er
stracks in die Taverne auf den Wirt zu und empfahl sich ihm durch
Gebärden und flinken Blick als Speisenträger.
Nun brachte er Mittag* und Abendmahl für alle Welt herbei.
Es kam von beiden Geschlechtern jedes Alter und jeder Beruf zu
seinen Schüsseln und sättigte sich. Unermüdlich schleppte er auf die
Tische, fing hungrige Blicke auf und satte, räumte er ab. Nachts
träumte er von malmenden Kiefern, schlürfenden Zungen und ging
anderes Morgens von neuem ans Tagwerk im Bewußtsein seiner
Notwendigkeit.
Erst allmählich sah er Unterschiede des Essens von schmatzenden
Lippen ab. Er kannte den gierigen, weitgeöffneten Rachen des Stu*
denten, durch den unsortierte Bissen in ein niegestopftes Loch fielen,
unterschied den Vertilger eines nicht heißhungrig ersehnten, doch
regelmäßig gewohnten Mahles von jenem Überernährten, der ungern
zum Tisch sich niederließ und gelangweilt Leckerbissen kostete und
zurückschob. Er prägte sich die kauende, trinkende Menschheit in
allen Abstufungen fest und bildhaft ein.
Durch Kennerschaft wurde er ihr Berater und Führer,- wies den
Carf Sternfieim • Napofeott
827
Hungrigen feste Nahrung, bediente die ewig Satten mit Schaum und
Gekröse,- von ihm zu allen Tischen lief ein Band des Verständnisses.
Hob der Gast nur die Karte, fiel von Napoleons Lippen erlösend
der gewünschten Speise Name.
Jahrelang blieben die seine Lieblinge, deren leibliche Not die Kost
stillen sollte. Hin saftiges Stüde Fleisch, von kräftigen Zähnen ge»
bissen, schien ihm die gelungenste Vorstellung. Doch machte er
Unterschiede zwischen den Sorten. Ließ er Kalb und Lamm im Hin»
blich: auf ihre festere Zusammensetzung gelten, war ihm Wild und
Geflügel wenig sympathisch. Von Fischen, Austern und Verwandtem
hielt er der lockeren Struktur wegen nicht das Geringste. Inbegriff
guter Nahrung war ihm das Rind. Unwillkürlich sah er beim Hin»
und Heimweg die Begegneten auf die Beschaffenheit ihrer Musku»
latur hin an. Die erschienen ihm wohl bereitet, die über straffem
Knochenbau gedrängte Materie trugen. Die Mageren verachtete er,
und die mit losem Fett Gepolsterten waren ihm verhaßt. Einem gut
aufgesetzten Körper folgten seine Blicke zärtlich und zerlegten ihn
augenblicklich in gigots, sei, cötes und Kotelettes. In der Einbildung
streute er Pfeffer und Salz hinzu, garnierte, schnitt und sevierte das
Ganze mit passendem Salat,- dann lächelte das junge Gesicht, und
hingerissen, ahnte er nicht, in welcher Zeit er lebte,- unterschiedSommer
und Winter, Trockenheit und Regen, Überfluß und Notdurft nicht
und wußte nur: dies freut den Gast.
Immer hitziger wurde sein Trieb, dem zu Bedienenden sättigende
Kost zu bieten. Gewürz und Zutat sah er nur in dem Sinn, wie
sie die bestellte Speise fest und ausdauernd machen möchten. Es
bildete sich in seine Vorstellung der Raum des leeren Magens, in
den er wie aus Betonklötzen die Nahrung baute.
Ging der Gesättigte, der schlappen Schrittes gekommen, wuchtig
zur Tür hinaus, hing Napoleons Blick , an dem Schreitenden, als sei
dessen Lebendigkeit sein Werk. Er brauchte das Bewußtsein schöp»
ferischer Tat, um vor sich bestehen zu können und steigerte es
allmählich zur Überzeugung, ohne ihn und seine Pflege sei die Lebens»
arbeit der Betroffenen nicht möglich. Diese festzustellen, merkte er
die Namen der Gäste,- nahm an ihrem Vorwärtskommen teil.
828
Carf Stern heim • NapoCeon
Es geschah, als er am freien Tage durch die Wege der Versailler
Parks schritt, in der Einbildung, er habe gerade eine riesige Wurst
mit den Höchstwerten menschlicher Nährstoffe gestopft und schnitte
den Wartenden Scheiben herunter, daß aufschauend sein Auge zu
einem jungen Weibe fiel, das am entblößten Busen ein Kind hängen
hatte. Gebannt wurzelte Napoleon am Boden und prägte sich in
aufgetane Sinne das Bild rosiger, geblähter Rundheiten an der Frau
und dem Säugling ein. War das eine Apotheose seiner Träume
von kraftvoller Nahrung und ihrem besten Verbrauch! Er hätte an
die Nährende niederfallen und durch Umschlingung ihres und des
Kindes Leibes an dem erhabenen Vorgang teilnehmen mögen.
Das geschaute Bild verließ ihn nicht und veranlaßte ihn, flüssigen
Stoffen gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken,* dann aber hob es
den Wert der Frau, der bis heute ihrer geringen Lust zum Essen
wegen für seine Welt nicht groß gewesen war, sich jetzt aber unter
einem anderen Gesichtspunkt auf das beste ins große Tableau tafeln-
der Menschheit einordnete. Zum ersten Mal besah er das Mädchen
an der Anrichte, dem er bisher nur den kräftigen Gliederbau hatte
bestätigen müssen, und immer eindringlicher, als prüfe er es auf ge*
wisse ihm nun einleuchtende Möglichkeiten. Er fand, sie nähme als
^ V .
Nahrung zu viel leichtes Zeug, belade sich mit Geblasenem und Auf*
gerolltem, das im Magen zu einem Nichts zusammenfiele, warnte
sie vor Klebrigkeit und Süßem und forderte sie eines Tages geradezu
auf, mit ihm irgendwo ein Mahl zu nehmen, das bis ins Kleinste
von ihm zusammengestellt, in seinem Wert für sie erörtert werden
solle. Das Mädchen nahm des Mannes Kauderwelsch für einen
Umschweif, willigte ein, und sie gingen an einem der nächsten Tage
gemeinsam ein Stück über Land und traten in einen Gasthof ab.
Dort verschwand Napoleon und erklärte zurückkommend der
schmollenden Suzanne, er habe in der Küche selbst bis ins Kleinste
vorgesorgt. Mit einem Ragout vom Hammel in einer Burgunder^
weinsauce beginne man und gehe, alle falschen Vorspiegelungen
verschmähend, geradezu auf ein wundervolles, halbblutiges Rinds-
lendenstück zu, an das er englische Gurken und Zwiebeln habe braten
assen.
Als das Essen aufgetragen war, wies er sie, die Bissen langsam
Carf Stern beim • Napofeon
829
/////////////#//////////#///#//////////////////////////////////////////////////////#//#///////////////////////////////////////////////#//////
zu kauen und ohne Zukost von Brot zu schlucken. Er ruhte nicht,
bis das letzte Teilchen auf der Schüssel vertilgt war und befahl ihr
und sich selbst ein Gläschen Schnaps zu besserem Bekommen an.
Da nach Tisch sie draußen im Gras lagen, breitete er Arme und
Beine von sich und riet ihr, ein Gleiches zu tun. Er sei ein sdhmäch*
tiger Bursch gewesen und nur durch vernünftige Nahrung und an*
gemessene Verdauung sein Gewebe fest und kräftig geworden. Da*
bei ließ er durch Beugung die Muskeln der Arme und Waden zu
kleinen Bällen schwellen, worauf sie, in der Eitelkeit verletzt, auch
ihre Glieder spielen ließ und ihn zur Prüfung der festen Beschaffen*
heit einlud. Doch bestritt er alles von vornherein, meinte, es sei bei
ihrer bisherigen Ernährung gar nicht möglich und forderte sie auf,
in Zukunft nach seinen Vorschriften zu leben. Dann werde, was
nicht da sei, kommen.
Er gefiel ihr. Dieser nüchterne Sinn machte Eindruck auf sie, und
sie bemühte sich, seine Erwartung zu erfüllen. Bei den nächsten Aus*
flügen blieb sie plötzlich stehen, bäumte den Arm auf und ließ seine
Hände die Anschwellung fühlen. Doch kam durch Wochen nichts
als ein Schnalzen von ihm, das ihr immerhin bedeutete, sie sei auf
rechtem Weg. Bis eines Tags beim Versuch, sich ein gelöstes Schuh*
band zu knüpfen, sie ihm ein so mächtiges Rückenstück entgegenhob,
daß eine runde Anerkennung seinen Lippen entfuhr. Gleich lag sie
an seiner Brust,- bot ihm den Mund zum Kuß.]
Der Besitzer der Taverne starb, und Napoleon wurde Inhaber des
Speisehauses. Er konnte nun schalten, wie er wollte, und entfernte
vollends alle Spielereien von der Karte. Die gleichbleibende Kund*
schaft, er selbst und Suzanne waren gewichtig auftretende Personen
geworden, die eine Rede deutlich in den Mund nahmen. Es gab in
seinen Räumen kein Getuschel sondern zu schallenden Worten droh*
nendes Lachen. Ein forsches Zugreifen und Fortstellen. Überzeugte
Meinungen und Entschlüsse für kühne Taten.
Napoleons Vaterunser und Einmaleins hieß: in allen Molekülen
drängende Kraft. Von Suzannes Kind, das sie von ihm unter dem
Herzen trug, rechnete er, es müsse nach Menschenermessen ein Her*
kules werden.
830 Carf Sternßeim • Napofeon
Der Ruf des Hauses hatte sich verbreitet. Einer rühmte es dem
andern und brachte ihn zu einem Versuch mit. Schließlich reichte der
Raum nicht, die Gäste zu fassen. Einen freiwerdenden Stuhl besetzte
sofort ein anderer Hungriger. Große Tagesumsätze wurden erzielt
und immer bedeutendere. Verglich aber zum Jahresabschluß der Wirt
Einnahme und Ausgabe, kam kaum ein Guthaben zu seinem Gunsten
heraus. Anfangs, bevor er das Ziel seines großen Rufs erreicht,
ließ er es gehen,- als aber dieser über ganz Paris feststand, begann
die schlechte Abrechnung ihn zu wurmen. Er war nun dreißig Jahr
alt, hatte große Pläne, und schien Reichtum auch nicht seine letzte
Absicht, mußte er doch mit dem übrigen kommen. Nochmals nahm
er die Bücher gründlich vor und stellte fest, der geforderte Preis war
in Anbetracht der hervorragenden Beschaffenheit und Menge der ge-
reichten Speisen zu niedrig. Da ihm aber einleuchtete, der Konkurrenz
wegen könne er einen Preisaufschlag nicht eintreten lassen, stand er
vor der Entscheidung, alles beim alten zu lassen oder die Quali*
tät des Gebotenen zu verschlechtern. Treu seinen bisherigen Grunde
Sätzen entschloß er sich zu ersterem, stand aber den Essenden jetzt
nicht mehr mit alter Unbefangenheit gegenüber. Bei jedem Filet, das
der Kellner mit schönem Schwung zum Gast niedersetzte, stellte er
den Vergleich zwischen Ware und erzieltem Preis an und kam bald
dazu, daß ihn eine Platte, je besser sie gelungen und je reichlicher
sie serviert wurde umsomehr in qualvolle Erregung versetzte. Be*»
sonders konnte er den Blick von einem Gast nicht wenden, der mit
dem Gebotenen anfangs nicht zufrieden, die Bedienung und die
Küchenbrigade durch anfeuernde Reden zur höchsten Leistung für ihn
angespornt hatte und nun wahre Fleischtrümmer vorgesetzt bekam, die
er mit Mengen alles Erreichbaren würzte. Dazu warf er Napoleon
triumphierende und anerkennende Blicke zu, die diesen anfangs er*
erbitterten, schließlich zu heller Empörung brachten. Der Vielfraß
war ein Kanzleibeamter, von dem nie ein besonderes Verdienst ver*
lautet hatte, und der Herr des Gasthauses fragte sich ergrimmt, mit
welchem Recht, für welches bedeutende Vorhaben der Betreffende
eigentlich solche Anforderungen für seinen Magen stellte. Man wisse
schließlich zu welchem Ende, schlänge ein Thiers, ein Balzac solche
Mengen in seine Därme. Dieser Durchschnittsbürger aber schweife
832
CarC Stern beim * Napofeon
in geradezu widerlicher Weise aus, garniere er den faulen Bauch
täglich mit solchen Prachtfleischstüdken. Überhaupt begann der Wirt des
Veau ä la mode seine Stammgäste auf ihre Verdienste hin anzu*
sehen und stellte vor seinem Gewissen fest, keiner habe durch Er^
folge die Sorge vergolten, die man jahrelang an seiner Ernährung
genommen. Infolgedessen folgte er ihrem Schlingen von nun an mit
noch scheeleren Blicken, und als das Maß seines Grolls aufs Höchste
gestiegen war, brüllte er eines Tages dem Hauptkoch zu, der über
ein Tournedos ein volles achtel Pfund Butter goß, ob er von Gott
verlassen sei und ihn durchaus ruinieren wolle.
Über all das hatte er schlaflose Nächte, bis er zu fester Ansdhau^
ung sich durchgerungen hatte, die lautete: Es hat die Mahlzeit das
Äquivalent zu sein der durch die tägliche Arbeit verausgabten Kräfte.
Und so stellte er den Blick seiner Kundschaft gegenüber neu auf
Feststellung dieser Tatsache ein und fand, er könne ruhigen Ge=
Wissens mit der Beschaffenheit und dem Maß der Portionen herunter^
gehen und leiste noch immer ein Mehr in den Magen der Speisen^
den. Auch Suzanne gegenüber, die ihm ein Mädchen geboren hatte
und noch in derselben Stellung bei ihm war, nahm er jetzt diesen
Standpunkt ein. Auf Grund seiner Erziehung war sie gewöhnt, ihren
und ihres Kindes Körper gehörig mit ausgesuchter Eßware zu stopfen.
Jetzt wies er sie hin, es sei Schande, den ungeheueren Nahrungs^
mengen, die sie genösse, ein so winziges Maß an Leistung gegen^
überzustellen. Sie möge Leib und Geist mehr tummeln oder ihren
Eßverbrauch einschränken.
Damit aber hatte der Prozeß in ihm kein Ende. War gegen
Mitternacht das Geschäft vorbei, das Haus leer, blieb er am Herd
zurück und begann, schmorend und bratend, Versuche mit Surrogaten
zu machen, die er den Speisen beimischte, von der innigen Über-
zeugung geführt, er habe das Recht und die Pflicht, es den Ver=
braudhern gleichzutun, die auch an Stelle wirklichen persönlichen
Wertes für das Menschengeschlecht falsches Vorgeben, hohle Gesten
und Phrasen gesetzt hatten.
Langsam begann er danach, seine theoretischen Erkenntnisse in
die Praxis umzusetzen. Äußerlich blieb alles, Name und Anrichtung
der Speisen, beim Alten. Bedachte er aber, wie ein Stück Fleisch durch
Carl Stern heim ■ Napoleon
833
#/////////////////////////////////////////////////////////#/////////////////////////////////////#//////////////#///////////////////////////////
Klopfen und Lockern der Atome angeschwollen, durch Beimischung
scharfer Gewürze Kiefer und Gaumen jetzt weniger durch Kauen
als durch Beize beschäftigte, schmunzelte er und trieb die entdeckte
Kunst zu immer größerer Vollendung. Nun hatte er zwar am
Schluß des Jahres die Genugtuung eines außerordentlichen Über**
Schusses, fühlte aber, ihn befriedigten die Grundsätze, nach denen
er heute Wirt sei, weder in Bezug auf die Beschaffenheit der Gäste
mehr, noch hinsichtlich der Mittel, die er an wandte, ihre Erwartungen
zu erfüllen.
★
An einem Sonntagabend lief dicht vor seinen Augen die Wendel**
treppe zu den Räumen im ersten Stock des Restaurants ein Per-
sönchen empor, das mit Rockrüschen und Volants wie ein Quirl
über seiner Stirn hüpfte. Die Beine in weißseidenen Strümpfen nahmen
zwei, drei Stufen auf einmal, und bei jedem Satz federte der Körper
hoch auf in den Gelenken. Dazu flogen Haare, Federn, Pelzwerk um
den Kopf, und ein empörtes Hundekläffen kam von ihrem ver**
mummten Busen her. Mit einem Sprung schwang sie sich oben zu zwei
Herren an den Tisch und rief klingenden Sümmchens: »Hunger!«
Napoleon, der auf Zehen vor sie getreten war, durchfuhr's, hier
sei seine ganze Speisekarte fehl am Ort, und während Röte sein
Antlitz malte, schlug das Herz Generalmarsch in hastiger, aussichts*
loser Erregung, was er diesem Püppchen bieten könne.
Als Madame Valentine Forain stellte sie einer der Herren vor,
und Napoleons Unruhe wuchs zur Verzweiflung, als er hörte, er
habe die berühmte Tänzerin vor sich, die seit Wochen Paris be**
zaubere. »Stillen Sie meinen Hunger mit Luft,« sagte sie, »die den
Leib nicht beschwert. Sie sehen aus, als verstehen Sie Ihre Kunst.
Diesem süßen Ungeheuer,« sie wies auf das safranrote Hunde**
schnäuzchen, das aus einer Spalte ihrer Taille schnüffelte, »reichen
Sie ein Schälchen zerkleinerter Kalbsmilch.«
Einen Augenblick blieb Napoleon auf dem Gang zur Küche im
Dunkeln an einen Pfeiler gelehnt, als habe er einen Schlag gegen
die Stirn bekommen und müsse sich erst zu neuem Leben sammeln.
Gleich aber schoß die Stichflamme der Erkenntnis in ihm hoch, hier
gelte es die Zukunft, und schon spürte er den aus den Kämpfen
834
Carl Stern beim • NapoCeon
der letzten Wodien gesammelten Willen zu etwas gänzlich Neuem
als ein Lichtmeer über sich fluten. An den Herd er glitt, schnitt,
mischte, quirlte,- hob es in kleinster Kasserole nur eben ans Feuer,
nahm's fort, als der erste Wrasem stieg, und mit vier Sprüngen die
ganze Treppe nehmend, servierte er das Schüsselchen in seiner frü*
hesten Hitze: Taubenpüree mit frischen Champignons.
Sie kostete, murmelte, schluckte und schlug ein Paar kornblumen*
blaue Augen lächelnd zu ihm auf. Er stürzte in die Küche zurück,
setzte den Herd in größere Glut und ließ über eine Handvoll
Spargelspitzen, die er den jüngsten Sprossen abgeschnitten, heißen
Dampf schlagen, in dem er sie gar kochte. Im letzten Augenblick
gab er eine Schwitze von Sahne und Sellerie über das Ganze. Als
drittes und letztes Gericht bot er frische, geschälte Wallnüsse mit
Himbeeren ä la creme. Dem Hündchen aber hatte er Trüffeln an
die Kalbsmilch getan.
Nun stand er unauffällig in der Nähe, sah, wie nach wenigen
Bissen von jeder Platte schon die ganz sanfte Röte auf ihrer Haut
lag, der Körper sich tiefer in die Kissen des Sofas drückte und aus
ihrem Munde ein Fauchen, winzige Tropfen Feuchtigkeit aus den
Augen kamen, ansagend, das zarte Leibchen ziehe hingegeben jetzt
Kraft aus dem Genossenen. Keiner der Herren sprach in diesen
Augenblicken, da auf dem Antlitz der Frau ein andächtiges Lächeln
lag, mit ihr, als sei es ausgemacht. Zitternden Zwerchfells lachte Na*
poleon, schütternden Leibes in heller Seligkeit für sich dazu, bis ihm
die Augäpfel in Tränen schwammen. Er war mit ihm eins und lobte
Gott in der Höhe.
Die Begegnung wurde geänderten Lebens und neuer Ziele An*
fang. Als er am gleichen Abend heimkehrend den kräftigen Leib
Suzannes in den Bettkissen fand, schnitt er der Schlafenden eine an*
gewiderte Grimasse. Wütend deckte er ein freiliegendes Rundteil
von ihr zu, schloß die Augen und träumte in Wolken duftiger Seide
und Band die behende Gestalt der Tänzerin. Vor seinem geistigen
Auge prüfte er die schlanken Arme, eine schmale Hand, ihre ganze
zierliche Erscheinung und stellte fest, wie wenig fleischliche Person
die Begnadete sei, und wie geringer Kost sie bedürfe zu künstle*
rischer Leistung, durch die sie eine Nation zum Entzücken hinriß.
»TOT
pp?**
i
836
Carf Stern fieim • Napofeon
//////////////////////////////////////////////////////////////////////////#//////////////////////////////////////////////////////////////////
Für welche Tat aber sei der Leib neben ihm derart aufgemästet, zu
welchen Fortschritten brauche er seine täglichen mächtigen Rationen?
Mit was für Gesindel habe er, Napoleon, sich eigentlich bis über
sein dreißigstes Jahr hin abgegeben, und welch steilen Weg müsse
er bis zu lohnendem Ziel noch ersteigen! Er fühlte, keine Minute
sei zu verlieren, und alles Heil ruhe im Anschluß an die verehrte
Gastin. So widmete er ihr vom zweiten Erscheinen an sein Trachten
und Vermögen. Dachte die Stunden bis zu ihrem Kommen nichts,
als was er ihr vorsetzen, wie er ihre Erwartungen übertreffen müsse.
Lief morgens vom Markt in Hallen und Kramereien,- suchte, tüftelte
das Frischeste, Zarteste und Rarste heraus. Zur Vorstellung ihres
winzigen Kerns in einer Hülle von Tüll und Tand dichtete er aus
Schaum, Krusten, Farce und Saucen das assoziierende Speisenge*
bild,- schabte, preßte in Tücher, seihte und überquirlte wohl ein
Dutzendmal, bis das Gekochte schwebend gleich einer Wolke zum
Teller niedersank. Dann sah er es entzückt zwischen zwei leuchtenden
Zahnreihen auf einer schmalen Zunge zergehen.
Einst gönnte sie ihm ein Wort der Anerkennung. Ihm schient
ein Rauschen und hallte ihm lange im Ohr. Zum Schluß riet sie,
das Stadtviertel des soliden Bürgers eiligst zu verlassen und jenseits
des Flusses, mitten im Herzen des vornehmen Paris, ein Restaurant
zu schaffen, das trotzdem bis heute jeder entbehrte, der höchste
Anforderungen an Küche und Keller zu stellen gewillt sei. Sie würde
mit Freunden kommen,- wolle seiner außerordentlichen Kunst Ver-
künderin sein.
★
So geschaht. Nachdem er in einer Seitenstraße bei der Oper das
passende Lokal gefunden, verkaufte er mit Nutzen die alte Wirt*
schaft, ließ die Wände der gemieteten Räume mit weiß silbernen
Malereien zieren, die zu dem reichen Silber, der Wäsche der Tisch*
reihen stimmten. Ein roter Teppich deckte den Boden. Kraft eines
Schlagwortes, das irgendwo auf und über die Boulevards flog, wußte
Paris plötzlich von der Existenz des Chapon fin, und daß der Kenner
eines gewählten Bissens dort auf seine Rechnung käme. Vier Wochen
nach Eröffnung ging die beste Welt regelmäßig bei Napoleon ein
Carf Stern Beim • Napofeon 83 7
********** ff*********************************************************************************************************************************
und aus, als habe sie nie einen anderen Ort des Stelldidieins ge*
kannt. Der Ruhm seiner Küche beruhte auf der Vorzüglichkeit der
leichten Platten. Man konnte wohl ein Chateaubriand, ein Sei de
chevreuil so gut wie anderswo bekommen, doch wies der maitre
d'hötel den Gast mit Augenzwinkern auf die Spezialität des Hauses:
Muschelgerichte, Ragouts und Pürees in Pfännchen,- Überraschungen
in winzigen Schälchen und Kasserolen. Der Gast folgte und war
regelmäßig zufriedengestellt.
Denn was der Herr des Hauses für die Tänzerin erdacht, ver*
vollkommnete, vermehrte er von Tag zu Tag. Schalentiere ließ er
aus den Krusten, Geflügel vom Knochen brechen, nahm vom Tier
das Gekröse, von den Gemüsen die Spitzen. Frikassierte und
mischte die verblüffendsten Gegensätze, verband das Widerstrebende
in Saucen von Sahne, kostbaren Hiersorten, Pilzen und duftenden
Essenzen. Das letzte Geheimnis seines Erfolges aber war die
»kurze Hitze«, in der die Speisen gar werden mußten. Der oberste
Grundsatz hieß: was zu lange Feuer gerochen, ist für den Ruch
verdorben.
Nach wie vor blieb Valentine die erste, die jede neue Schöpfung
kosten mußte. Zwischen ihr und dem Patron webte nun eine schöne
Vertraulichkeit, geboren aus den Blicken dankbarer Anerkennung,
mit denen die Essende nach jeder von ihm selbst angerichteten Platte
Napoleon beschenkt hatte. Allmählich lernten die Augen sich auch
sonst suchen, nach dem lauten Scherzwort eines Gastes etwa, einer
unzarten Bemerkung von irgendwoher, bei jedem Vorkommnis. Und
fühlten, wie es in der Blicktiefe des anderen ein Geheimnisvolles
gab, durch das das eigene Schauen wie an feinen Häkchen schmerz*
voll süß haranguiert wurde. Dazu fuhr die Frau mit freundschaft*
lieber Würde fort, ihm Beobachtungen und Anregungen mitzuteilen,
die sie aus sich selbst und von anderen zur Vervollkommnung des
Betriebes nahm. Auch fragte sie ihn, legte er ihr die kostbare Pelz*
hülle um die Schultern, letzthin nach dem praktischen Erfolg, und
er war glücklich, ihr von Mal zu Mal eine höhere Summe als er*
zielten Gewinn zuflüstern zu können.
Die Gefährtin seiner Lehrjahre und ihr Kind hatte er mit einer
Summe abgefunden und aus seiner Nähe verbannt. Anfangs sah er
838
Carf Stern Beim • Napofeon
sie noch hin und wieder, dann aber stand sie plötzlich im Schrank
seiner Erinnerungen als Gleichnis der Hausmannskost und klein*
bürgerlicher Umstände.
★
Auf den Rat seiner Gönnerin widmete er der Zufriedenheit jener
Frauen besondere Aufmerksamkeit, die in kostbaren Toiletten nach
dem Theater in Begleitung von Lebemännern aßen. Er merkte sich
irgend ein Besonderes, eine Laune der Betreffenden und spielte das
nächste Mal vertraut freundschaftlich darauf an. Das Luxusgeschöpf
sieht sich vom ernsten Mann ernst genommen, errötet vor Vergnügen
und wird seine treue Kundin. Neben dieser Kategorie und ihrem
Anhang stellte er sich vor allem den Diplomaten und Staatsmännern
zur Verfügung, indem er ihnen, kamen sie mit wichtigen Gesichtern
von einer Sitzung, um zu einer Sitzung zu gehen, ein stilles Eckchen
an wies, wo sie ungestört blieben, nicht duldete, daß ein Kellner sich
näherte und sie durch ausgesuchte Leckereien der Bürde ihrer Ver*
antwortlichkeit für Augenblicke enthob. Da er aber fühlte, es ging
ihm im Umgang mit den Spitzen der politischen Abteilungen aus
Unkenntnis ihres Wirkens und Wollens die nötige Sicherheit noch
ab, lud er sie in ein abgelegenes Zimmer, durch dessen Wand er
von seinem Kontor ihre Gespräche hören, ihre Mienen beobachten
konnte. Da lernte er alsbald, durch welche Spitzfindigkeiten und Um*
schweife aus Eifersucht und Ehrgeiz der Handelnden strittige Fragen
zwischen politischen Parteien des Vaterlandes oder den verschiedenen
Nationen, aus ihrem logischen Gelenk gerissen, zu Entscheidungen
wurden, die Zwischenfälle, Krisen und ein Mißtrauensvotum für das
Ministerium hervorriefen. Er sah den Führern Frankreichs ihr Stirn*
runzeln, das ironisch überlegene Lächeln und die knackende Hand*
bewegung ab, die ein Ultimatum bedeutet, und hörte sich vollkommen
in die inner* und außerpolitischen Strömungen hinein. Bald konnte
er es wagen, dem eintretenden Minister, Attache oder Abgeordneten
eine so treffende Anmerkung zur gerade wichtigen Affaire zuzu*
raunen, daß der einen bedeutenden Eindruck von ihm bekam und
weitergab. Aber auch die vollkommene Kenntnis des galanten und
des Geschäftslebens verschaffte sich Napoleon durch seine Horch*
spalte, sah er verliebten Paaren, feilschenden Geldleuten mit ange*
Carf Stern heim • Napofeon
839
spannter Aufmerksamkeit zu, bis die in der Erregung aufgesperrten
Kiefern sieb krampften. Am erregendsten blieb es stets für ihn, ver*
ließ ein Teil des Paares für Augenblicke das Zimmer, und der Zu*
rückbleibende, sich allein glaubend, verlor alle Haltung, wurde Mensch
mit seinen Hoffnungen und Sorgen, zählte in der Brieftasche die
Barschaft oder suchte durch Prüfung der zurückgebliebenen Kleidungs-
stücke des anderen auf dessen wirkliche Lebensumstände zu schließen.
Kurz, der Wirt des Chapon fin wurde ein Kenner, der ins Untere
bewußtsein der Menschheit hinabsah.
Binnen Jahresfrist lag Paris zu seinen Füßen. Er beherrschte es
durch die vollkommenste Kenntnis seines Magens als ein gütiger Fürst
und lächelte, als man ihn erst zaghaft und vereinzelt, dann ganz
allgemein König Napoleon im Gegensatz zum Kaiser nannte. Rüh*
rung und Glück aber ergriff ihn, als Valentine das erstemal seine
Hand suchte und drückte. Das war Beweis nicht nur geschäftlichen
Erfolges sondern auch des erreichten gesellschaftlichen Ansehens, da
die Gefeierte einen sozial unter ihr Stehenden nicht vor aller Welt
so ausgezeichnet hätte. Nun wuchs er von Tag zu Tag mehr in
eine überlegen menschliche Haltung hinein, die veranlaßte, daß selbst
der höchstgestellte Gast ihm die Hand gab, ihm gutgelaunt auf die
Schulter klopfte.
Für den Mann der Provinz vollends ward es bei der Rückkehr
in die Heimat Glanzstück des Berichts der in der Hauptstadt er*
lebten Abenteuer, konnte er nicht nur bemerken: Ich habe beim
»König« gespeist, sondern hinzusetzen: der mich auf die Schulter
schlug und fragte: »Nun, Baron, wie wär's mit einer Boule au jus
tutu ? «
★
Als er von einem fremdländischen Herrscher das erste Ritterkreuz
erhalten, dessen violette Rosette er am gleichen Abend im Knopf*
loch trug, forderte Valentine ihn auf, sie am nächsten Tag um fünf
Uhr nachmittags aufzusuchen. Er erschien nach schlafloser Nacht,
dem ruhelosesten Morgen, und fand sie im Raum auf der Erde, wo
sie mit dem Hund balgte. Sie sprang hoch, steckte das entfesselte
Haar auf und saß gleich in einem niedrigen Sessel so nah ihm
gegenüber, daß er das vergötterte Antlitz dicht vor sich hatte, es zum
55
840
Carf Sternßeim ■ Napofeon
erstenmal andächtig sich einprägen konnte. Sie machte keine Bewe*
gung und ließ ihn sich vollends sattsehen. Dann gab sie die Hand,
die er inbrünstig küßte. Sie war selbst einfacher Herkunft und ehrte
die Tüchtigkeit, die ihm seinen außerordentlichen Platz verschafft.
Umgehend nur mit Männern vornehmster Geburt, fesselte sie an
ihn das Band etwa gleicher Vergangenheit,- bei ihm durfte sie Ge-
fühle voraussetzen, die ihren Freunden fremd waren. In die Erzäh*
lung der Mühsale auf dem steilen Weg zum Erfolg vertieften sie
sich, sprachen mit kräftig eindeutigen Worten und genossen in vollen
Zügen mit kicherndem Sichlustigmachen die Schadenfreude, die sie
irgendwie für eine Welt empfanden, über die sie heute jeder auf seine
Art herrschten. Napoleon kramte vor ihr seine kleinen Geheimnisse,
alle Mittel aus, mit denen er sich in das Vertrauen der oberen
Tausend geschlichen, erzählte von seiner durchsichtigen Kontorwand.
Sein Vertrauen erwidernd, gab sie ihm die Hauptdaten ihres Auf*
stiegs, nannte drei, vier Männer, denen sie als Frau und Künstlerin
verpflichtet war, und zeigte, alsbald vor ihm tanzend, durch welche
choreographischen Einfälle sie nacheinander die Menge bezwungen
hatte. Sie schwebte und bog sich ohne Ziererei vor ihm, und da sie
im leichten Hausrock war, wurde er durch Zufälle von Rock* und
Kleiderfall entzückt. Zum Schluß einen Czardas hinreißenden Ryth*
musses stampfend, kam sie aus der entfernten Ecke des Zimmers
auf den Zehen gegen ihn, bei jeder Taktsenkung das Bein wie einen
bohrenden Pfeil gegen sein Antlitz streckend.
Bei seinem zweiten Besuch ward sie mit reizender Natürlichkeit
seine Geliebte. Diese Frau, die den Männern bisher das Bild eines
buntschimmernden Vogels von phantastischer Seltenheit hatte geben
müssen, blasierter Ungeduld zu genügen, war an seinem Hals das
schlichte, schlanke Mädchen aus dem Volk voll naiver Hingabe. Es
bedurfte nichts Außerordentlichen von seiner Seite, die Sehnsucht der
Umarmten zu stillen.
Doch blieb bei dem mannigfachen Glück, das sie einander gaben,
die gassenbübische Art, mit der sie alle offizielle Welt verhöhnten,
höchster Genuß. Napoleon besonders war darin unerschöpflich. Größen
der Geld weit, Sterne der Wissenschaft und Kunst stellte er blitz*
schnell in gedrängter Plastik hin und knickte dann mit witzigem Ein*
Carf Stern heim • Napofeon
841
///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
fall das Pathos ihrer Geste. Berühmte politische Personen ahmte er
nicht nur in Tonfall und Haltung nach, sondern auch, wie er in der
BetrofFenenen Art mit riesigem Wortschwall durchsichtige Tatsachen
in ein Chaos verwirrte. Während sie vorgebeugt aus den Kissen
ihm zusah, führte er dramatische Szenen auf zwischen den Bot=
schaftern zweier Staaten etwa, in deren Verlauf die beiden, sich
über eine unsagbare Nichtigkeit unsagbar albern und aufgeblasen
unterhaltend, allmählich anstelle der verbindlichsten Umgangsformen
eine immer steifere Haltung, schroffere Bewegungen setzten, bis sie
schließlich wie zwei schmollende Gockel hochmütig auseinanderstelzten.
Er erzählte, mit welchen Torheiten und Zufällen sich das Schicksal
der Gesetzesvorlagen in den verschiedenen Kommissionen, die nach
den offiziellen Sitzungen bei ihm fortgetagt, meist entschieden hatte,-
sie gab ihm Einsicht in abertausend Spitzfindigkeiten, die die auf
die Liebe gestellte Frau der Gesellschaft anwendet, sich ihre Launen
und ihre Lust, am öffentlichen Leben teilzunehmen, zu erfüllen. Wie oft
habe sie selbst ihre Gönner in hohen Stellungen aus Eigensinn zu
unsinnigen, folgenschweren Entschlüssen bestimmt und den Reportern,
die ihr das Haus einliefen, noch dazu phantastische Lügen aufgebun^
den! So reinigten sie sich, das Thema unaufhörlich variierend, inner-
lich von dem Respekt, den proletarische Herkunft ihrer Jugend auf=
erlegt hatte, und wurden lächelnde Verächter der feinen Lebensformen
und des guten Tons, den sie wie den Stil in einem Drama von
Corneille oder einer Moliereschen Komödie agierten, während ihnen
aus ihrer Liebe ein herzliches Wort, eine menschliche Bewegung
gleichnishaft dazu immer gewärtig war.
Im Geschäft dehnte Napoleon die Herrschaft, die er über Fran-
zosen besaß, auf die übrige Welt aus. Er hatte London, Petersburg
und Wien gesehen, Verbindungen angeknüpft und befestigt, manche
Anregung mit heimgenommen. Sein Haus wurde an der Themse
und Donau berühmt, bei Sacher und Claridge fand man Platten
»Au Chapon fin«. Es scheiterte auch sein Vormarsch an die Newa
nicht wie der seines unsterblichen Namensvetters. Als der fünfzigste
Geburtstag vor der Tür stand, war sein Ruhm über zwei Erdteile
verbreitet, der größere Teil der zivilisierten Menschheit aß streng
nach seinen Einfällen und Vorschriften. Er besaß ein fürstliches Ein-
842
Carf Stern Beim ■ Napofeon
*********************************************************************************************************************************************
kommen und hatte die kluge, ihn immer anfeuernde Frau an der
Seite, zu der die Beziehungen nicht legitimiert waren, die er aber
leidenschaftlich und zärtlich liebte.
Da man vierzehn Tage vor seinem Fest vom Krieg mit Preußen
zu sprechen begann, und die Gäste stürmischer seine Meinung
wollten, blieb er lächelnd ruhig und verneinte fede Möglichkeit eines
Ausbruchs von Feindseligkeiten. Er wußte aus besten Quellen, kein
ernsthafter Politiker glaube wirklich an den Krieg,- er war gewiß,
es handle sich wieder einmal um die Prestigefrage, das sattsam be^
kannte Händeknacken und schmollende Gockeltum. Aber auch als
die Regierung unter einem frivolen Vorwand die Schiffe hinter sich
verbrannt hatte, blieb Napoleon in tiefster Seele ruhig. Er, der
wußte, hohe Politik wird gemacht, um ein paar Dutzend Ehrgeizigen
in jedem Land Vorwand für eine Karriere zu geben und ihren Heiß-
hunger nach öffentlichem Bekanntsein und Sensationen, mit denen
ihr Name verknüpft ist, zu befriedigen, war überzeugt, man werde
unverzüglich diesen Wichtigtuern Genugtuung geben, indem man sie
mit Titeln, Orden und sonstigen Auszeichnungen von überallher so
reichlich fütterte, daß sie satt werden mußten. Was den Frieden
bedeutete. Einen Willen der Völker stellte er nicht in Rechnung.
Er hatte gelernt, es wird mit ihnen kurzerhand nach Gutdünken
der Regierung verfahren. Sie sind es seit ewig gewohnt, wissen und
wollen nichts anders. Sagen heute zu schwarz schwarz und morgen
zu schwarz weiß. Es genügt, ihnen zuzurufen: Das Vaterland ist
in Gefahr! Sie fragen niemals: Durch wen im letzten Grund? Lassen
sich bewaffnen, morden jeden beliebigen als Erbfeind, erst zögernd,
dann, aus Gewohnheit, mit Überzeugung und Hochrufen. Valentine
gab ihm recht. Sie verspottete alles, Regierende und Regierte. Ver^
breitete Erzählungen, die die Albernheit der Diplomaten in ein fabel-
haftes Licht setzten, militärische Maßnahmen des Generalstabs dem
Gelächter preisgaben. Beide griffen mit Wollust nach jedem Gerücht,
in dem sich irgendeine großartige Dummheit manifestierte, fütterten,
hätschelten es und waren vor Freude außer sich, akzeptierten es
selbst diejenigen mit feierlichem Ernst, die aus ihrer übergeordneten
Stellung heraus seine Sinnlosigkeit sofort hätten einsehen müssen.
Mehr als der Friede gab der Krieg ihnen unablässig Gelegenheit,
Carf Stern beim • Napofeon
843
die blöde Einfalt der Welt auf Schritt und Tritt zu erkennen und
sich über sie zu erheben. Die einfache Tatsache, daß sie durch Ein*
sicht in politische Zusammenhänge die Lügenhaftigkeit aller Vorwände
für den Krieg einsahen, gab ihnen vollkommen innere Unabhängig*
keit von ihm.
So konnten sie sich, während ringsum alle Welt immer tiefer in
das verwirrte Auf und Ab der Geschehnisse verstrickt wurde, auf
Grund einer wirklichen Überlegenheit entschieden von den Menschen
trennen. In ihre Seele trat das Bewußtsein höherer Bestimmung, das
sich in den Antlitzen malte. Sie lebten jetzt und webten auf Wolken
hoch über dem gemeinen Volk. Lächelten unbetroffen erhaben zu
allen Unglücksfällen und Exzessen, die die Folgezeit in unaufhör*
lichem Aufeinander brachte. Die vollendete Katastrophe des Vater*
landes führte sie auf den höchsten Gipfel innerer Erhebung. Es
lagen ringsum nicht nur die Mitbürger ihrer erkannten Weisheit,
Napoleon und Valentine lagen einander und jeder sich selbst bewun*
dernd und andächtig zu Füßen.
★
Eines Tages trat auf in Paris, was man die Kommune nannte.
Sie zerschlug die Spiegelscheiben des Chapon fin, zertrümmerte alles
Gerät im Innern und setzte Valentine und Napoleon, jeden für sich,
ins Gefängnis. Als es nach Wochen letzterem durch einen Zufall
gelang, sich zu befreien, erfuhr er, die Gefährtin seines Lebens
sei, an die Wand gestellt, erschossen. Ihm fielen die Beine unter dem
Leib fort, und tagelang schleppte er sich aus Gassen in Felder an
Flußrändern entlang, ohne Licht und Finsternis scheiden zu können.
Das erste Bewußtsein von sich empfing er durch einen Stoß vor
die Brust, den ihm ein deutscher Landwehrmann gab. Doch schwand
es wieder, bis eines Nachts, da er auf einer Pritsche lag, Erinnerung
an Valentine ihn überfiel. Sie war rosa und wie eine tanzende
Guirlande anzusehen, die sich immer enger um ihn schlang und ihm
endlich die erste Träne, dann Tränenströme aus den Augen schnürte.
Nun sank er hin, aufgelöst in ein unendlich weiches und warmes
Weh. Lange erschütterte es seine Glieder und hüllte die Welt in
feuchte Schleier. Es trat aber der Vergleich seiner elenden jetzigen
344
CarC Stern beim • Napofeon
/////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
Lage und alles Gewesenen hinzu und erfüllte ihn mit Haß gegen
die Menschheit und den Schöpfer. Tiefer kroch er in sich hinein
und häufte Anklage auf Anklage gegen die Welt. In einer dunklen
Nacht stand er plötzlich vor den mit Brettern vernagelten Fenstern
seines Lokals — noch hafteten einige goldene Buchstaben des Schil-
des — und in das Loch plötzlich riesengroßer Erkenntnis fiel die
Summe fünfzigjährigen Lebens: ein blankes Nichts und Einsamkeit.
Trotz und Empörung stachelten ihn zu neuem Tun. Gegen die
Ungunst der Verhältnisse wollte er sofort versuchen, Mittel zu
neuem Anfang zu schaffen ,• des gleichen Abends aber legte er sich
irgendwohin nieder, spürend, es leide seine Natur nicht, daß man
sie um das bestehle, was ihr vor allem notwendig sei: ungestörte,
hingebende Trauer um Valentine. So suchte er sich einen Platz, der
ihm nur das tägliche Brot gab. Früh am Nachmittag aber schon
schloß er sich in seine Kammer ein, stopfte Fenster und Schlüssel-
löcher, legte sich aufs Bett und begann, die Frau von den Toten
heraufzudichten. Nachdem er sie zuerst bis in die kleinste Einzel-
heit körperlich vor sich wieder hergestellt, ging er sein Leben mit ihr
vom frühesten Anbeginn an durch. Um keinen Augenblick ließ er
sich betrügen, repetierte die einzelne Situation so oft, bis sie in
lebendiger Wahrhaftigkeit vor ihm stand. Jene erste, da sie mit
Rockrüschen und Volants wie ein Quirl über seiner Stirn die Treppe
hinaufgehuscht war. Die Beine in weißseidenen Strümpfen nahmen
zwei, drei Stufen auf einmal, er sieht sie im Gelenk flitzen,
und da — das aber hat er damals nicht gesehen — erscheint
blitzend am Knie die goldene Strumpfbandschnalle. Wahrhaftig, als
Wirklichkeit dauerte, vor lauter Schauen und Staunen hatte sein
Bewußtsein sie nicht gefaßt. Und heute erstand sie das erstemal
zum Leben, beschworen durch seine unwiderstehliche Zärtlichkeit.
So drang er inständig weiter in Erinnerung ein und entriß ihr,
mit Hingebung und Andacht um ein Nichts und den Bruchteil einer
Sekunde kämpfend, so viel Nichtgespürtes und Nichterfahrenes, daß
er ein völlig neues, reicheres Leben mit der gestorbenen Freundin
führte.
Als er bei jener Epoche angekommen war, in der sie ihr irdisches
Leben beendet hatte, brachte er sie leicht über die Klippe des leib^
Car( Sternßeim * Napofeon
845
/////////////////////////////////////////£////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#
liehen Todes handelnd und redend in die jetzige Zeit hinüber und sah
sie Stellung nehmen zu seinem augenblicklichen Dasein. Er müsse,
da die Verhältnisse sich allmählich wieder zur Ordnung fügten, den
sinnenden Zustand aufgeben, an äußeres Fortkommen und eine neue
bedeutende Einstellung zu neuen Umständen denken.
Hatte ihm der Krieg nicht tiefere Einblicke in Fragen der Er-
nährung, Möglichkeiten der Rohstoffverarbeitung gegeben, als jede Si*
tuation vorher? Welche außerordentlichen Aufschlüsse hatte die zwecks
mäßige oder unzweckmäßige Ernährung eines Heereskörpers, der
Bevölkerung einer belagerten Stadt, welche Klarheit vor allem das
Befinden des eigenen Körpers nach dieser oder jener leiblichen Zu*
mutung ihm verschafft. Das Eine mindestens war zur Evidenz klar
geworden: Weit über die Notdurft hatte der Mensch vor dem Krieg
gegessen und getrunken. Es schien Napoleon fernerhin ein Unding,
das bisher übliche Mittagsmahl von sechs oder sieben Platten, ein
Abendessen von fast gleichem Umfang zu servieren. Millionen hatten
größere Arbeitsleistung, höheren Schwung bei einem Stück Brot und
wenigen Kartoffeln bewiesen als Generationen vorher bei einer täglichen
Unzahl von Gerichten. Es schien ihm hohe Pflicht, die gewonnenen
Erkenntnisse dem Publikum sofort praktisch zu demonstrieren.
Er gab Valentine vollkommen recht. Sie habe nicht nur dem eigenen
Leib nie mehr als das Notwendige zugemutet, sondern sei auch An*
laß gewesen, daß er den Gästen das Leichteste und Verdaulichste
geboten. Doch in viel zu viel Platten auf einmal. Von jetzt ab
müsse er in zwei, drei Gerichte zusammendrängen, was der Magen
zur Speisung des Organismus brauche, und ihm zugleich die volle
Wollust eines reichlichen Mahles vermitteln.
Während er also die am Leben gebliebenen Gönner aufsuchte und
zu seiner Unterstützung vermochte, während die so lange leer ge*
gebliebenen Räume seines alten Heimes allmählich in strahlenden
Stand gesetzt wurden, unterrichtete er sich methodisch über die wissen*
schaftliche Zusammensetzung der verschiedenen Nahrungsmittel, über
ihren Gehalt an Eiweiß, Kohlehydraten und Fett. Er machte Ta*
bellen und Exempel über Exempel und erredhnete an glückseligen
Tagen eine neue ideale Speisenkarte, auf der er jeden, auch den ver*
führerischsten Namen einer Platte, sofort durch arithmetische Zahlen
846
Carf Stern Geirrt • Napofeon
M*********************************************************************************************************************************************
ersetzen konnte,* aus der man mittels zweier Speisen einen ausreichen*
den Nenner sämtlicher für die Ernährung wichtigen Stoffe erzielen
konnte. Hatte aber anfangs Notwendigkeit, die gewollten Einheiten
in ein Gericht unterzubringen, vielleicht auf dessen gastronomische
Vollkommenheit gedrückt, ging jetzt auf Spaziergängen Napoleons
Phantasie der erklügelten Platte von allen Seiten zu Leibe, wie ihre
Schmackhaftigkeit und Anrichtung auf die höchste Höhe zu bringen sei.
Und da ihm ein über das andere Mal die Hitze des Entdeckerglücks
ins Gesicht stieg, fixierte er endgültig die Gerichte, mit denen er
künftige Menschen aus der Schwächung durch den Krieg zu frischem
Leben führen wollte.
★
Der Erfolg an der wiedereröffneten Stelle war nicht so über*
raschend und bedeutend wie das erstemal. Schon nach wenigen
Tagen stellte der Wirt fest, er hatte es mit lauter Unbekannten zu
tun, die nicht Empfehlung, sondern Zufall und Laune zu ihm ge-
führt. Der riesige Kreis seiner alten Gäste war vom Erdboden
verschwunden. Doch stählte diese Erkenntnis seine Kräfte, da ihm
einleuchtete, es brachten die Neulinge auf Grund liebgewordener
Gewohnheiten keine Voreingenommenheit mit. So verließ er Mo*
nate die Küche nicht, wo er mit Anspannung aller Kräfte die ge*
wonnenen Grundsätze in die Tat umsetzte. Vor allem mußte er
die Köche von der Richtigkeit seiner Ansichten überzeugen, daß die
nötige Herzenslust zur Arbeit ihnen nicht fehlte. Erst als unten die
Wirtschaft geregelten Gang ging, betrat er die Räume des Restau*
rants wieder und suchte Fühlung mit den Gästen.
Vom Ton zwischen ihnen und den Kellnern ward er zuerst be-
troffen. Es gab keine Unterhaltung über die zu wählenden Speisen,
nicht einen Scherz, kein interessiertes Hin und Wider. Kurze Kom*
mandos flogen. Der Bedienende, geneigten Hauptes stumm, machte
Kehrt. Man aß schnell, ließ sich nicht mit Behaglichkeit nieder. Kaum,
daß man die Kissen drückte. Zur Verdauung gab sich niemand Zeit.
War der letzte Bissen genossen, fuhr der Gast in die Höhe und ver*
schwand. Rote Köpfe, fettgeränderte Lippen, müde Scheitel, die sich
in die Sofarücken lehnten, Hände mit geschwollenen Adern aufs
Gedeck gebreitet, sah Napoleon nicht mehr. Es wehte nicht der
Carf Sternfieim - Napofeoti
847
///////////////#//#///#####//#/##///#//////////#/#///#/////////#//////////#//#///#////////////#///#/#///##////##//////#/////###/////####//##/#
Atem einer allgemeinen glückseligen Sattheit nach Tisch und des
Dankes gegen Gott und den Wirt durch den Raum. Steif und ge*
reizt fast saß der Kauende und vermied, auch nur von sich fortzu*
sehen. Das war nicht ein geänderter Kundenkreis, das war das Ge-
sicht einer anderen Welt, erkannte Napoleon.
Es war klar: andere Ideale herrschten in neuen Menschen. Der
Krieg hatte die Machthaber von ehemals vernichtet. Es saßen
nicht mehr die Glieder alter Familien an seinen Tischen, die in oft
jahrhundertelangem Ringen Ansehen und Vermögen an sich gebracht
und es zu brauchen wußten,- er bediente nicht mehr die drei-
fache Aristokratie des Adels, ererbten Reichtums und des Geistes.
Hier trat eine Rasse auf, die durch den Umsturz aller Verhältnisse
an die Oberfläche gespült, behend zugegriffen und in der allgemeinen
Verwirrung, bei einer sentimentalen Erschlaffung der Besitzenden,
sich übermäßig und skrupellos bereichert hatte. Den Sack voll Gold,
saßen sie unkundig seines Verbrauchs, gierig, die Allüren der Wis-
senden sich anzueignen, elend und leer mit der einzigen Geste
schweigender Abwehr. Stumm und in der Bewegung beherrscht,
konnten sie für unterrichtet gelten. Sprachen sie, wurde ein Wirken
der Glieder notwendig, klappten sie zu völliger Ohnmacht zusammen.
Nachdem er aber eingesehen, die Zurückhaltung der Gäste sei
in einem Zuwenig begründet, ließ er seine beherrschte Unterwürfige
keit und ging langsam, doch eindringlich zum Angriff gegen die
maskierte Gesellschaft vor. Wie ein Dieb brach er in gepanzerte
Unnahbarkeit, legte ein harmloses Sätzchen als Köder vor und amü*
sierte sich göttlich, ließ der geschmeichelte Heraufkömmling sich aufs
Eis überkommener Begriffe locken und legte eine geradezu erbarm
mungswürdige Blöße an den Tag. Hatte er hinter undurchdringlicher
Maske jemandes Vertrauen gewonnen, ließ er den Getäuschten das
eigene Selbstbewußtsein ausbreiten, daß sich fast immer stüzte auf
alberne, mit Emphase vorgetragene Gemeinplätze über den Krieg,
Heldentaten, die der Betreffende irgendwie während des Feldzugs
vollbracht haben wollte,- dann kamen Napoleons Ein würfe aus
dem Schatz des Herkommens, Namen ausgezeichneter Menschen
der Vergangenheit, bedeutender Erfindungen, irgendeiner Geistes*
großtat. Am höchsten hüpfte sein Herz vor Freude, konnte er
848
Carf Stern Heim • Napofeon
durch einen einzigen Kulturbegriff, den er wie einen spitzen Pfeil
dem Gegner in die Parade flitzte, diesen bis auf die Haut entlarven.
Nun fing des Abends im Bett ein Gekicher an, das grausamer
und schonungsloser war, als jenes einstige Lachen mit Valentine über
Narrheiten einzelner Zeitgenossen vor dem Krieg. Hier fand Na*
poleon eine ganze Welt närrisch,- ihren einzigen Ehrgeiz, Geldgewinn
und Beurteilung des Menschen nach seiner Eignung dazu über das
Maß abgeschmackt und kahl. Während seine Geschäfte noch gut
gingen, sah er schon die Kluft sich auftun zwischen einer modernen,
rein merkantilen Weltauffassung und dem eignen Universalismus.
Mit Ergriffenheit spürte er, wie zum erstenmal er hier von Valenz
tine sanft sich schied. Er wußte, auch für die schrecklich veränderte
Welt hätte sie nur gutmütigen Spott gehabt, in ihm aber kam von
Tag zu Tag stärkere Empörung herauf, die ihn schließlich völlig
beherrschte.
Ihm schien jetzt, die fröhliche Überlegenheit, die mit dem fort^
schreitenden Alter Valentines immer friedlicher und harmloser ge*
worden war, hätte ihn schon in der letzten Zeit ihres Lebens gereizt.
Hatte sie nicht schließlich, nachdem man sich gehörig ausgelacht, immer
eine Entschuldigung, irgendeine Güte für den Verspotteten gehabt?
Er war durchdrungen, sie würde es heute nicht anders machen, ja
sie möchte zur Nachsicht noch viel geneigter sein, und zürnte ihr
darum. Je mehr seine Abneigung gegen das Publikum wuchs, je
hassenswerter ihm die Erscheinungen wurden, umso mehr schob er
Valentine den unbeugsamen Willen zu, alles zu begreifen und zu
vergeben. Es begann ein täglicher Kampf, unaufhörliche Auseinander^
Setzung mit der Welt einerseits und dem lebendigen Bild der ge*
liebten Frau auf der anderen Seite, der ihn zermürbte und elend
machte. Doch blieb allen Einwendungen gegenüber sein dumpfer
Haß schließlich siegreich. Jahre hindurch hatte er nun nichts mehr
von Freundlichkeiten und Lieblichkeiten des geselligen Lebens bei
sich gesehen. Es war der Sinn für Blumen und brillante Über*'
raschungen, Tollheiten und geistreich Unvorhergesehenes geschwunden,-
nicht mehr gab es die über das Mannesbewußtsein als Spenderin
alles Glücks erhöhte und angebetete Frau. Kein Lachen herrschte
mehr und kein Verschwenden, nicht Laune und Überlegenheit. Wo*
Carf Sternheim • Napofeon
849
//////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
hin er hörte: Geschäfte. Ziffern, wohin er sah. Das Dach des Hauses
schien auf ihn zu stürzen, als eines Tages ein Gast, kühl und korrekt,
an dem er mit witziger Bemerkung sich gerieben, ihm ein Goldstück
als Trinkgeld anbot.
Da lief das bis zum Rand gefüllte Gefäß über. Von jenem Abend
bis zum andern Morgen grub sich eine Falte zwischen seine Brauen,
die Lippen preßten sich aufeinander. Er hatte fortan nicht nur keine
Teilnahme für die gute Bedienung der Gäste, sondern genoß mit
Schadenfreude ein Glück, sah er in irgendeinem Antlitz Enttäu-
schung über die angerichtete Speise. Schnell ward sein geänderter
Sinn den Kellnern, Köchen offenbar. Sorgfalt und Gewissen floh.
Immer häufiger gab es unzufriedene Gesichter der Essenden. Un^
bewegter Miene schlürfte der Wirt jedes Quentchen Wut, dessen
Ausdruck er erhaschte, und berauschte sich daran. Ganz nach vorn
wuchs sein Gesicht. Stechenden Blicks, geblähter Nase schnüffelte er
sich in das Empfinden der neuen Welt,- trank, wie bitter es schmeckte,
sie völlig aus und spürte zum anderen Male deutlicher und als Ent-
scheidung: in dreißig Millionen Narren besaß die Nation nur noch
einen Sinn: das Geld, und jeder, dem der Erwerb wie immer ge-
glückt war, war im eigenen und im allgemeinen Urteil Person. In
Napoleons Auffassung aber war er ein Räuber, ein Scheusal, das die
Anarchie der Vernunft während des Krieges benutzt hatte, den durch
Überlegenheiten und Mühsale in Generationen erworbenen Familien-
besitz des Landes an irdischen und himmlischen Gütern zu zerstören.
Es kamen die Häuptlinge der neuen Geldaristokratie zu ihm. Fett,
frech und verlegen stümperten sie mit ihren Weibern Geselligkeit.
In Napoleons Hirn stieg wie ein Bläschen zuerst der Gedanke
an Gift, das ihnen zwischen die Speisen zu mischen sei. Bald machte
er sich im Denken breiter, und endlich beherrschte er sein Trachten
ganz. Von irgendwoher hatte er sich > das ansehnliche Quantum
Arsenik verschafft, das ihm nun seit Tagen in der Tasche brannte:
es wie ein harmloses Gewürz in die Teller zu streuen, abzuwarten,
bis die Wirkung, die in den Eingeweiden wühlte, ins Auge brach.
Glut stieg ihm ein über das andere Mal in die Haare, bis er fühlte,
im nächsten Augenblick widerstände er dem ungeheueren Verlangen
nicht mehr.
850
Carf Stern beim • Napofeon
////////Z///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////,,
Da riß er die Tür zur Gasse auf, und barhäuptig im Galopp,
als wälzten sich Lavaströme auf seinen Fersen, entlief er der Straße,
dem Stadtviertel, der Bannmeile von Paris,- sank draußen ins Feld^
gras, schluchzte, daß die Knochen bebten, schluchzte sich und die
Erde naß.
★
Er zog die Landstraßen entlang, durch Märkte und Städte. Blieb
aus Zufall irgendwo Monate, Jahre als Aufwärter, Hausknecht,
Gelegenheitsarbeiter. Sein Weltbild wurde auf gleicher Basis runder
und mannigfaltiger. Überall sah er die vom Kampf ums Dasein be-
täubten Massen, von rücksichtslosen Unternehmern an Kessel und
Maschinen geschmiedet, Waren verfertigen, für die aus schließlichem
Mangel an Absatz, so rechnete Napoleon, über kurz oder lang durch
neue Kriege mit neuen Hekatomben zerfleischter Menschen neue
Abnehmer in zu erobernden Provinzen gewonnen werden mußten.
Hellen Bewußtseins trat er aus diesem Lauf der Geschicke aus.
Den Gedanken an Erwerb riß er mit allen Wurzeln aus seiner
Seele, erlaubte sich keinen Besitz über die Notdurft. Das von aller
Welt gesonderte Dasein gab ihm Person und Überlegenheit,- der
Mangel an Eigentum Unabhängigkeit und freie Bewegung. Von
einem Tag zum andern hatte er durch einen einzigen Entschluß,
Verfügung über sich und die Welt nach allen Seiten gewonnen,
und ein erlöstes Lachen trat in sein Gesicht. Jetzt, wo er auch stand
und ging, war er bloßer Zuschauer der menschlichen Komödie, an
der er, weil durch eigene Qual nicht mehr verbunden, gutmütige
Kritik übte. Da war es, daß er sich dem vergessenen Andenken
Valentines wieder offiziell und innig vermählte, der er, wie er sich
nun gestand, während seine Vernunft ihre Einflüsse bekämpfte, ah-
nend nachgefolgt war.
Eines Tages stand er vor jenem Eckhaus, an dem sich die Stein^
wege nach Nivelles und Genappes treffen,- in dem er geboren war.
Niemand kannte ihn dort. Alles Verwandte war tot. Als zwölL
jähriger Knabe war er hier fortgegangen, der Wiedergekehrte zählte
fünfundsechszig Jahre.
Aber im Wirtshaus wußte man seine Geschichte. Erzählte Gran-
dioses, Historie von ihm. Mehr war den Erfolgen dieses heimischen
852
Carf Sternßeim • NapoCeott
//////////////////////////////////W////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
Napoleon die allgemeine Teilnahme und Bewunderung zugetan, als
dem Korsen. Man wies ihm, der sich nicht zu erkennen gab, ge=
rahmte Zeitungsnachrichten, in denen es hieß, wie ganz Außerordent-
liches von ihm in verschiedenen Zeitläuften ausgerichtet war — »und
angerichtet,« wie ein Witziger hinzufügte. Länder samt ihren Fürsten,
die zivilisierte Welt von West nach Ost habe schließlich ihm, dem
vlämischen Bauernsohn, einmütig zu Füßen gelegen. Mit nachdenk^
lichem, gerührtem Erstaunen hörte Napoleon die mannigfachen Er^
Zählungen und entsann sich der Kreuze und Sterne' an rot und
grünen, an gestreiften Bändern, die irgendwo in einer Schublade
lagen.
★
Am Rand des unvergleichlichen Wälderkranzes, der Brüssel ein-
säumt, liegt in einer Talsenkung an der Straße von Quatre-bras
nach Waterloo das Schlößchen Groenendael,- ein weißes, einstöckiges
Haus aus dem Empire. In vergangenen Zeiten eine Abtei, wurde es
im neunzehnten Jahrhundert Wirtshaus, in das die besseren Bürger
Brüssels auf Ausflügen einkehren. Dort ganz nah der Stätte seiner
Geburt, nahm Napoleon einen Platz als Kellner. Seine Jahre, die
schwachen Füße erlaubten ihm angestrengten Dienst nicht mehr. Hier
war im Winter nichts, im Sommer an Wochentagen wenig zu tun.
Nur Sonntags mußte er sich ein wenig tummeln. Doch nahmen die
Gäste seiner viel Rücksicht und blickten mit neugieriger Erwartung
ihm entgegen, trug er das hochbeladene Brett auf sie zu. Jeder hatte
ein Wort für ihn, dem er freundliche Empfindung unterlegte,- alle
Anrede begann mit Umschreibung und Entschuldigung fast. Nicht,
was er brachte, er selbst, wie er's ausführte, blieb Gegenstand teiL
nehmender Aufmerksamkeit, gutmütigen Staunens, und stand das
Gewünschte auf dem Tisch, strahlte ihm alles Verwunderung und
Anerkennung zu. Aber auch Napoleon selbst lachte in heller Be-
friedigung über das ganze Gesicht. Der Wirt mit seiner Familie merkte
das Gefallen der Gäste an dem alten Mann, behandelte ihn mit Rück^
sicht und ließ ihn ungestört und ungescholten seine Tage hinbringen.
So kam von außenher alsbald kein Mißlaut mehr in sein Leben,
das im ruhigen Gleichmaß ging. Den Frühling sah er, Gottes himm^
lische Wärme in bestimmten Abschnitten über die Erde kommen,
Carf Sternheim • Napofeon
853
////////////////#/#/#////////////////#/////////////////////////////////////////////////#////////////////////#///////////////#///////////###///
auf den Hügeln Buchen grünen, Kühe über die heblumte Wiese
weiden. Menschen aller Art aber wandelten zu allen Jahreszeiten
in einem schönen, landschaftlichen Panorama vor ihm. Lange sah er
sie als deutliche Figuren mit Lärm und eigener Bewegung, dann
noch wie scharfe Schatten. Allmählich aber lösten sie sich still in
umgebende Natur auf.
Die sich in seine Seele wie ein vollkommenes Gemälde spannte,
das er mit Andacht schaute. War die Sonne mild, trat er unter
Bäume und blickte das Warme an, das um ihn summte. Dort strahlte
ein Vogel lang dasselbe Lied,- dann flog er wie Licht zum andern
Baum hinüber. Hier putzte das Eichhorn sich schnurrig geduldig
zum Goldbraun der Stämme, Blindschleiche kroch mit dem Schatten
ins Helle und züngelte. Dann faltete Napoleon die Hände, stieß
entzückte Seufzer aus und legte sich lang ins Gras. Den Blick zum
ewigen Himmel aufgeschlagen, hatte er die gesamte Schöpfung, Ton,
Raum und Licht mit eins in der Netzhaut.
An Vergangenheit, viel Macht und Ehre, viel Leid und Elend,
häusliches und bürgerliches Wesen, an einzelnes erinnerte er sich
nicht mehr. Manchmal tätschelte er die Kuh, den Hund und dachte
nichts dabei. Er wurde gar sehr schwach. Das war ihm eitel WoL
lust. Als die letzte, größte Schwäche kam, war er gut und fromm.
854
Ernst Wittehm Lotz / • Gedichte vor dem Tod
Ernst
Lotz f:
GEDICHTE VOR DEM TOD
E. W. Lotz fiief, fünfundzwanzigjährig, afs deutscher
Sofdat auf französischer Erde. Im Apritteft der Neuen
Rundschau war eine Gedenhrede auf ihn von Kurt Hitter
zu tesen, die er am sehhen Ahend hieCt, an dem Hugo Batl
die Toten rede für Hans Leg ho Cd sprach,- diese ist im
Märzheft der Weißen Blätter nachzuhesen. Die Verse sagen
von Lotz mehr, afs jene Redewie Bads Sätze von L eg ho Cd
mehr, ahs dessen Verse.
ICH FLAMME DAS GASLICHT AN...
Ich flamme das Gaslicht an.
Ein donnerndes Staunen umpralit die vier Zimmerwände.
Ich fühle mich dünn in der Mitte stehn,
Verkrampft in Taschen klein meine Hände,
Und muß dies alles sehn:
Die Mauern hauchen aus, von Dröhnen geschwellt!
Die Bilder von Jahrtausendmeistern dröhnen in ihren Flanken,
Von Hallelufah-Geistern hinschwingend musizierende Gedanken!
Ich erbliche mich schwimmend klein da hinein gestellt,
Mit winzigem Stöhnen und Krampf,
Vor solchem wogenhaft wuchtendem Tönen
Und solchem siegsicher schwingendem Wolkenkampf!
O solche Gott zwingenden Werke!
Ein spitzer Pinselstrich zerstiebt mich blind
Mit Macht-heiterm Wind und lässiger Stärke!
Meine Brust empört sich über dies brausende Sein!
Tief ziehe ich die Luft der Wände ein —
Ernst Witte Cm Lotz t * Gediente vor dem Tod
8 55
0000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000'
Diese Flut! Diese Glut! —
Und stoße sie aus mir mit Husten und Speien —
Blut! Blut!
Und versinke in eisdurdiwehte Nächte.
Und weiß, der Tod reckt unten seine Arme aus. —
Dock über midi hin fährt ein Gebraus
Springender Hufen und Leiber und sonnhafter Prächte und Mächte!
IN DEINEM ZIMMER...
In deinem Zimmer fand ich meine Stätte.
In deinem Zimmer weiß ich, wer ich bin.
Ich liege tagelang in deinem Bette
Und schmiege meinen Körper an dich hin.
Ich fühle Tage wechseln und Kalender
Am Laken, das uns frisch bereitet liegt.
Ich staune manchmal still am Bettgeländer,
Wie himmlisch lachend man die Zeit besiegt.
Bisweilen steigt aus fernen Straßen unten
Ein Ton zu unserm Federwolkenraum ,•
Den schlingen wir verschlafen in die bunten
Gobelins, gewirkt aus Küssen, Liebe, Traum.
der Tänzer
Ich weiß, daß ich in leichtem Traume bin,
Der mich bewege und mich himmlisch quäle:
Ich tanze über blanke Treppen hin,
Die auf und nieder gehn durch weite Säle.
Ernst Witte Cm Lotz f • Gedidtte vor dem Tod
Ich gleite ungehüllt, auf nackten Füßen,
Viel Lichter breiten mir den Schaukelgang,
Mein Körper biegt sieb spielend in dem süßen
Gefühl der Wellen und der Glieder Drang.
Und meine Augen langen in die Runde,
%
Wo drunten viele hundert Männer stehn,
Die aufwärts starren mit beschäumtem Munde
Und lüstern meine rühren Reize sehn.
Vorüber tanze ich den langen Blicken,
Durchpulst von einem eigen sichern Schwung:
Ich weiß, ich banne hundert von Geschicken
In meines Leibes weißen Wellensprung. —
Die Wände dehnen sich. Die Sterne scheinen
Vereist herein. Getilgt sind Raum und Zeit.
Und aller Erde Mannheit, sich um mich zu einen,
Umwogt die runde Fahne meiner Mannbarkeit.
S- Triedfaender • Der Wag Hafter der Weft
857
5. Triedfaender:
DER WAGHALTER DER WELT
»Zarathustra fühlt sich gerade in diesem Umfang
an Raum, in dieser Zugänglichkeit zum Entgegen^
gesetzten als die höchste Art alles Seienden.«
CEcce Homo.)
DAS Motto bezieht sich auf den »Begriff des Dionysos
selbst«, also auf »— die Seele, welche die längste Leiter hat
und am tiefsten hinunter kann, die umfänglichste Seele, welche am
weitesten in sich irren und laufen und schweifen kann, die notwen-
digste, welche sich mit Lust in den Zufall stürzt, die seiende Seele,
welche ins Werden, die habende, welche ins Wollen und Verlangen
will —-, die sich selber fliehende, welche sich selber in weitesten
Kreisen einholt, die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süßesten
zuredet, die sich selber bebendste, in der alle Dinge ihr Strömen und
Widerströmen und Ebbe und Flut haben — «.
Es ist erst diese allersich erste, zweifelloseste Seele, aus der die
gesamte Welt voller Gefahren und Zweifel hervorgeht, und, wenn
diese Seele ihres Sieges im voraus gewiß ist, auch hervorgehen soll.
Aber diese Siegesgewißheit der eigenen Göttlichkeit kann kein Gott
ihr verleihen, sie ist der intimste Entschluß, und ohne den Selbst^
zwang zu dieser absoluten Entschlossenheit liegt die ganze Welt im
Argen, da ihr die Urvoraussetzung, die unverbrüchliche Vorbedingung
zur Harmonisierung der Differenzen fehlt, in denen sie nur jenes
Wesens wegen entbrennt. Es soll deshalb versucht werden, den Be^
griff dieses Wesens sowie den Urcharakter seiner Funktion, also der
Welt, nüchterner zu fassen, als es der trunken-ekstatische Dichter
tun kann. Was würde es bedeuten, das Nichts des Zweifels selber
zu sein? Was bedeutet dieses Nichts, das der Zweifel, nachdem er
858 S. Triedfaender ■ Der Wag Halter der Welt
J££££££££££££££££££££££££££££WMWMMMMM££££Mß*MM£££££MMMM£££££££££££££££££££J£££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££££MM£M,££
alles zerbrochen hat, immer nodh zweifelnd in seiner zitternden Hand
behält? Wer hindert ihn, au<h noch diesem Nichts zu mißtraun?
Deswegen soll der Zweifel dieses Nichts am argwöhnischsten
prüfen. Oder wäre er nicht darauf ausgewesen, das Nichts des
Zweifels zu finden? Der Zweifel hatte alles vernichtet — warum
vernichtet er nicht auch noch diese Vernichtung? Alles, was er aus
den Händen fallen ließ, stürzte zentripetal ins Nichts: ließe sich dieses
Nichts vielleicht zur Zentrifugalkraft reizen? Wenn es an sich weiter^
zweifelte? Wenn der Zweifel hier seine Kraft nicht ersticken ließe?
Revenant würde? Weil er merkte, daß er das gefunden habe, was
er suchte, sein lebendiges Gleichgewicht, sein Neutrum, seine per^
sönlich indifferente Mitte, das lebendige Richtscheit aller Welt? Zum
Zweifeln braucht man eine Angel, um die es sich dreht, das zentrale
Nichts dieser Drehung. Der Zweifel, der jede Bejahung, jede Ver^
neinung wie Feuer scheut, findet hier endlich die Balance seiner
Extreme im reinen Nichts ihrer Berührung, entdeckt sich als den
Äquilibristen aller seiner Gegensätze. Folglich sollte gerade der
energischste Zweifler zu einer ganz anderen Beurteilung und Schätzung
des Nihilismus kommen.
Das Nichts ist kein Extrem, es ist auch bei Leibe nicht die Ver^
söhnung seiner Extreme: Ja ist etwas polar Anderes als Nein.
Das Nichts ist also gleichsam ihre magnetische Indifferenz, ihre po*
larisierende Neutralisation, ihre differenzierende Zentrierung, das
Zentrum ihrer Antipodie. Ist erst einmal über das Nichts umgelernt
worden, was es nicht sei, dann läßt sich besser erkennen, was es
sei: daß es nämlich den gesamten exzentrischen Zweifel in sich kon«
zentriere, und zwar so innig, daß aus dieser Überinnigkeit gerade
alle Extremisierung, also der Zweifel selber hervorgeht, sich erklärt.
Mitte ist sonst immer eine sehr banale Bestimmung, weil man
verkennt, daß sie polarisierend ist, und es nur deswegen sein kann,
weil sie den Antagon ihrer Extreme discors in ihrer lebendigen
concordia hegt. Von diesem medialen Nichts also muß man aus-
gehen, dieses muß man als das Selbstverständliche voraussetzen, um
von dort aus alle Unterschiede, die stets auf Extreme führen, er-
lebend zu verstehen. Also gerade Wer nur dieses Nichts aller Unter-
scheidung voraussetzt, wer in diesem neutralen Sinne unmittelbar
S. Trtedfaender ■ Der Wag Hafter der Weft 859
////////////////////y//////r///////////////////////////////////#////////////#//////////////y/////////////////////////////////////////////////r
voraussetzungslos verfährt, hat in diesem Zentrum aller Divergenzen
das einzige fruchtbare ßa&og, worauf Alles polar gedeihen kann.
Mit einem Vorschlag: »es denkt« zu sagen, statt: »ich denke«,
neutralisiert man eigentlich das Subjekt, die Person, man entreißt sie
den Krallen des divergenten Zweifels, indem man sie dem Zentrum
überantwortet oder, wie Dichter singen, das »Herz« zum »Kern der
Natur« macht, zur persönlichen Indifferenz der, demnach polaren
Natur. Jeder Versuch, in irgend etwas <positiv oder negativ) An*
gebbarem das persönlich beseelte Subjekt unterzubringen oder es zu
leugnen, simpel zu annullieren muß mißlingen, weil gerade die totale
Annullierung doch nur seine Unterschiedenheit annullieren kann.
Ebensowenig deckt sich das Nichts mit irgend etwas Positivem. Da*
durch enthüllt sich uns nun die kardinale Bedeutung des Nifiif neu*
irafe\ es ist der »Ort« für die Person, fürs »Ich«, das demnach ein
»Es«, aber persönlich ist. Person also ist das Indifferenzierteste von
der Welt. »Ist« sie? Ihr »Sein« ist offenbar lebendig, aber neutral,
nichts Positives, nichts Negatives, ein Exerzitium in der polaren
Protei'tät, im Äquilibieren diametral divergenter Bestimmungen, des*
halb kein positives Nein. Person selbst also ist das Exerzitium ihrer
eigenen Kombination, der eigenen Herstellung aus ihren Extremen.
Der »Mensch«, der seine persönliche Identität falsch und quer loka*
lisiert, ist selbst noch gar nichts anderes als ein Hindernis der Person,
ihr Schatten, der den Herrn verdunkelt. Einzelne Menschen sind nur
Inseln im submarinen Kontinent der Person, sie glauben aber an
isolierte Personen, während gerade Person das Unisolierteste von
allem ist.
Ein Mensch, der begriffe, daß er, von denen seiner Psychophysis
angefangen, lauter polare Divergenzen erlebt, lauter Gradpaare von
polaren Extremen, lauter polaren Unterschied, worunter eben auch
der sogenannte seelische gehört,- müßte mitbegreifen, wie wichtig es
für ihn wäre, seine Person im Zentrum aller Divergenzen anzu-
bringen, um, allem Unterschied enthoben, wie von einem archi-
medischen Punkte aus allen zu regieren. Ohne diese innerste Re-
signation auf Identifikation mit irgend etwas Unterschiedlichem, ohne
dieses immense »Pathos der Distanz« von allem Distinkten, wird
ihm die Distihktion niemals restlos gelingen. Ohne aus den Unter*
860 S. Friedfaender • Der Wagföafter det Weft
schieden vertilgtes, aus ihnen gemerztes, rein in sich konzentriertes
Subjekt, ohne genaueste Zentralisation aller wesentlich polaren Inter*
essen, ohne neutralisierteste Beteiligung erreicht man keine reinste
Objektivität, keine exakte Differenzierung.
Diese Abstraktion von Unterschied ist gemeint, aber mißverstanden,
mit jener berüchtigten »Uninteressiertheit« des »reinen Subjekts des
Erkennens«, mit der Abstraktion nicht bloß von den Unterschieden
des Interesses, sondern vom Interesse selbst. Auf den Gipfel kommt
das Mißverständnis durch Leute, die ihr Interesse und folglich ihre
Objektivität verdünnen, durch dünne Leute, die den magnetischen
Witz ihres Interesses nicht merken. Als ob, ohne konzentriertes
Interesse, sich überhaupt etwas erleben ließe! Das Interesse ist so
wenig totzukriegen {obgleich dünn zu kriegen), daß gerade sein »Tod«
vielmehr das Zentrum seiner Geteiltheit ist und es zur Unteilbarkeit
wieder auffrischt.
Welche Verwechslungen! Welche Verkennung, daß gerade der
Mensch der intensivsten Interessiertheit, z. B. der Künstler, nur da*
durch so objektiv ist, daß er das intensivste, unzerreißbarste Subjekt
hat. Die sogenannte Indifferenz des Subjekts, die sogenannte Neu*
tralität und Unparteilichkeit ist von der echten so verschieden, wie
ein geschwächter Magnet vom kräftigsten. Davon abgesehen, daß sie
in den meisten Fällen Heuchelei ist,- man stellt sich unparteiisch, wo
man, Parteilichkeit zu verbergen, Gründe hat. Es ist ein ähnliches
Mißverständnis, wenn man »gleichgültig« im geringschätzigen Sinne
von »schnuppe« gebraucht. Gewiß kann einem alles »egal« sein, wenn
man die Unterschiede von ihrem Zentrum aus erlebt,- sonst ist das
aber ein viel zu gutes Wort für diese schlechte Sache, daß man sehr
wenig, daß man matt interessiert ist und eben nicht absolut neutral,
zentral. Gleichgültig sollte dann lieber »gleich wenig« gültig heißen,
an diesem Wortschlendrian verrät sich der Schlendrian der Person.
Eine wie Bismarck so sehr in sich zentrierte Person konnte vom
Gefühl »absoluter Wurschtigkeit« reden und noch mit diesem Ton*
fall zum Verräter ihres Mangels werden. Es fehlt, wo man davon
in solchem Tone spricht, die erste und letzte Ausgeglichenheit.
Ein Skeptiker muß das Zuviel vermeiden, er muß stimmen, neutral
sein,- das Verehren muß ihm genau so naheliegen, wie die »Schnuppig*
S. Friedfaender • Der Wagßafter der Weft 861
000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000**
keit«. Absolute Gleichgültigkeit ist nichts Menschliches mehr, sie ist
das göttliche Verhalten. Der Indifferente wird wissen, daß er Extreme
egalisiert, und daß er das nur durch Contrebalance kann. Nivellieren
heißt ja doch gewiß nicht, den Unterschied von Hoch und Niedrig
auf »Niedrig« reduzieren, sondern ihre Antipodie bemerken und das
indifferente Zentrum ihrer Differenz persönlich einnehmen. Von dort
aus wird man, bei noch so scharfer Unterscheidung, doch nie die
sorgsamste Entsprechung aus dem Auge verlieren, deren Niveau
eben keine flache und breite Ebene, sondern Punkt ist, zentral.
Man denke nur nicht, daß der göttliche Indifferentist polarer Ob^
servanz die Gesetze der Identität und des Widerspruches anders
annulliere, als durch Neutralisation. Er kassiert nur die entsetzliche
Flachheit dieser Bestimmungen. Identität ist immer konzentrierte
Identität des enorm Diversen,- und Diversität geht immer polar ins
Extrem. Man soll Magneten nicht nach dem Augenschein behandeln,
der Homogeneität dort vortäuscht, wo Extreme sich disjunktiv be-
rühren. Das Kontinuum liegt, als neutrale Größe, nur in der In-
differenz,- alles übrige ist diskret: will man Gleichheit darin her**
%
stellen, so kann man das nicht durch nivellierende Kontinuation, man
kann es nur durch paarweise Zuordnung der Extreme zueinander
in Beziehung auf ihre sie disjungierende Indifferenz,- also magnetisch.
Die unmagnetische Behandlung des unendlich Selben führt in die
einseitige Irre. Wenn der Monist sein [tovov gehörig untersuchte,
würde sich's ihm als pure neutrale Größe, als Indifferenz der polaren
Differenz heraussteilen. Mit Händen greifen läßt sich natürlich nur
das Differente, und so greift auch der Logiker den extremen Gegen-*
satz von Ja und Nein mit Händen und läßt sich unter der Hand
dabei dessen polarisierende Synthese, das neutrale Zentrum, den
Dreh-* und Wendepunkt aller Alternativen entgehen, die polar unter-
scheidende Ununterscheidbarkeit von Ja und Nein, das polar be-
jahende, d. h. bejahende und verneinende Subjekt,- nur in diesem
lebendigen Zentralpunkte finden wir das <von ihm aus polarisierende)
Subjekt, sonst nirgends. Dieses »eingeschlossene Dritte« verstößt, als
Zero aus den Extremen, nicht nur nicht gegen das oberste Gesetz
der Logik, sondern gibt ihm vielmehr erst Kraft.
Kant hat allerdings, in seiner berühmten Schrift über die negativen
862 S. Triedfaender • Der Wagfiafter der Weit
//////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////^
Größen, die logische Entgegensetzung gerade dadurch von der realen
unterschieden, daß bei jener schlechthin nichts herauskäme, »nißif
negativum«bei dieser jedoch etwas: »nißif privativum«. Aber
Kant verwechselt hier non mit nißif. Natürlich hat das logische
Nichts nicht sensuale Funktionen, wie das reale, man hält es des®
halb leichter für simpel gar nichts. Offenbar wäre es logisch absurd,
daß dasselbe, was bejaht wird, im selben Sinn auch verneint würde.
Das wäre keine Entgegensetzung, das wäre aber gerade Reduktion
auf das nißif neutrafe aller Möglichkeit von Entgegensetzung, wäre
die logische Indifferenz, von der sich die reale gar nicht an sich, son® -
dern durch die andere Art ihres Funktionierens unterscheidet. Dieser
Punkt ist eben der Punkt, der, alles unterscheidend, selbst ununter®
scheidbar bleibt. Die reale Entgegensetzung enthält außer den Extremen
noch deren nißif, das als solches auch vom logischen ununterscheidbar
ist. »Nein« ist das polare Gegenteil zum »Ja«, das andere Ja, nicht
lediglich dessen Wegnehmung, die dann freilich gar nichts übrig ließe.
Näher besehen bleibt, wenn ich das Ja verschwinden lasse, noch das
ganze Nein als das Gegen®Ja übrig. Verneinung des Ja hat ganz
andere Bedeutung als seine Vernichtung. Damit, daß ich etwas nicht
bejahe, habe ich's noch nicht verneint. Auf eine Frage muß ich noch
lange nicht nein antworten, wenn ich sie nicht bejahe,- ich habe noch
die »dritte« Möglichkeit, nichts zu antworten. Symbolisieren kann ich
mir die logische Entgegensetzung, wenn's wirklich eine sein soll, doch
nur durch die reale, durch das Ausschlagen des Pendels nach der
dem Ja entgegengesetzten Richtung,- ihr zero ist etwas durchaus dem
realen zero Vergleichbares. Auch realiter setze ich bei der »Auf®
hebung« nicht das eine Extrem an Stelle des andern, sondern in®
differenziere beide. Natürlich unterscheidet sich die Logik generell
von der sensualen Realität, aber nicht gerade in der Indifferenz:
hierin allein ist auch der Gedanke von der Tat nicht unterscheidbar,
Theorie ist hier Praxis, zumal ja gerade das »Dritte«, das neutrum
et commune, sich der identifizierenden Konfusion der Extreme so
lebendig wie ihrer tötlichen Zertrennung widersetzt. Auch die logische
Negation ist so gut wie das reale andere Extrem eine positive Be®
Stimmung, die nicht bloß bedeutet, daß man nicht affirmiere, sondern
daß man konträr affirmiere. Nein heißt auf deutsch nicht bloß »ich
S. Triedfaender ■ Der Wagßafter der Welt 863
sage nicht ja«, sondern ich sage das positive Gegenteil von Ja. »Ich
sage nicht nein«, heißt noch lange nicht »ich sage ja«. Hier gibt es
auch logisch noch die real dynamische Indifferenz. Diese Null ist
immer noch dreideutig, sie besagt stumm genug: minus null, plus
null, neutrum. Dieses letzte ist die totale Indifferenz, das Zentrum
des logischen Richtungsunterschiedes, das magnetisch funktioniert. Die
logische Aufhebung soll nach Kant überhaupt nichts sein, aber sie
ist nur die Aufhebung des Gegensatzes, den sie setzt.
Das »Überhaupt nichts« dagegen ist weiter nichts als der blinde
Blick für das nißif neutrafe, für die »tausend Quellen neben dem
Durstenden« in derjenigen Wüste, die der »umwölkte Blick« erst
schafft. Das absolute Nichts müßte auch sich selbst vernichten —
was dann? Das wäre die unbändigste Atfirmation von Ja und Nein.
Das pure, krude Nichts, ohne Negation, ohne Position ist weiter
nichts als Paralysierung der polaren Gegengewalten, die also vor^
handen aber nicht entschieden sind und plötzlich herausbrechen können.
Vergebens strengt das Nichts sich an, was Andres zu sein als das
Nichts des polaren Weltunterschiedes, d. i. aber dessen lebendige
Identität und Personifikation, der Schöpfer aller Differenz. Vergebens
wird man angestrengt sein, die selbständige Person anderweitig zu
lokalisieren als illokal in diesem nihilistischen Sinne,- denn alles Lo^
kale ist wesentlich unterschieden, zu guter Letzt gar extrem. Person
ist nirgends zu finden als im absolut Identischen, das absolut Iden^
tische nirgends als im lebendigen Nichts, in der Weh>Indifferenz.
Man soll kopernikanischer verfahren als Kant, der den Zuschauer
sich drehen ließ, um die Wandlungen in dessen Perspektive zu er^
klären,- kopernikanischer als Kopernikus, der seinen Fixstern schon
in der Sonne fand, wie Kant den seinigen im Gesetz an sich, diesem
Symptom so sehr des Instinkts für Person wie des Mangels an ihr.
Man wird die zuschauende und handelnde Person in gleichschwe-
bender Ruhe belassen, ihr aber den anscheinend festen Grund und
Boden der Erde ihrer vermeintlich selbsteigenen psychischen Diffe^
renzen unter den Füßen wegziehen und sie zwingen, das mit hellen
Augen und geflügelt zu tun, was sie menschlich blindlings und
kriechend vollzog: zu äquilibrieren, von ihrer Indifferenz aus polar
zu differenzieren. Diese schöpferische Ruhe des »Zuschauers«, des
864
S. Triedfaender ■ Der Wagßafter der Weft
persönlichen Fixsterns, ist nicht das andere Extrem zur Bewegung
der Perspektive, sondern deren Zentrum, das bei so gewaltig daran
reißenden Extremen gar nicht anders fixiert werden kann als durch
spontanes Äquilibrium. Wie könnte Indifferenz, so enormen Extremen
ihrer selbst ausgesetzt, an Ruhe, an Fixiertheit auf tote träge Art
denken? Das kann sie nur, wenn sie selbst ins Extrem auszu-
schweifen den Wahnsinn hat,- wenn sie z. B. ihre Negative mit ihrer
Neutralität verwechselt. Selbstverwechslungen, Verirrungen einer so
labyrinthischen, proteischen Identität sind die Regel, sind ordinär,-
dagegen wird das Treffen ihrer pünktlichen Zentralität immer ex*
zeptionell sein, und diese Ausnahme doch das Herz der Regel. Man
hüte sich mit aller Kraft vor der positiven oder negativen Auffassung
und Praktizierung dieses schöpferischen Nifiif personafe des polaren
Weitunterschiedes/ es ist die Welt selbst ununterschiedlich, das allen
Unterschied Entfachende, und es verlangt die mediale Auffassung.
Ihm ist der Unterschied fremd, es ist das Vertrauteste von allem.
Indifferenz erst kennt, wenn sie sich erkannt, ergründet hat, jedes
Extrem, sie gibt jedem das Cachet, das granum safis, das kosmische
Aroma ihres universalen Duftes, sie ist die Würze der Welt.
Von dieser polar schöpferischen Mitte aus werden Extreme erst
ansetzbar. Ohne das Bestehen z. B. eines unanzweifelbaren, absolut
all* und unqualifizierbaren Wertes begreift man gar keine spezielle
Wertqualifikation. Ohne dieses Neutralisierteste, Durchgemischteste,
diese chemische Reinigung aller Werte und Wesen von ihrem Unter*
schied, ihrem Gegensatz, ihrer Relativität versteht und wertet man
keinen Unterschied. Ohne diese unaussprechliche Weltliebe, die keine
pantheistisch überschwängliche Gefühlstrunkenheit, sondern Disziplin
der quasi mathematischen Präzisierung des persönlichen Zentralpunktes
einer wahren Windrose von Weltunterschieden ist, spricht man keinen
Unterschied der Liebe, den nur jener Gefühlsrausch verschwimmen
läßt, jemals lebendig entschieden aus. Bedenkt man nun, wie un*
geheuer drastisch sich die Unterschiede dem sie Erlebenden emp*
findlich machen, so wird man begreifen, wie unsäglich er sich mit
dieser Drastik verwickeln, verwechseln, ja identifizieren, bis zur
Selbstvergessenheit darin aufgehen, seine eigene exempte Neutralität
wie den »Tod« vergessen könne, bis eben der Tod ihn erfrischend
S. Triedfaender ■ Der Waghafter der Weft
865
an sie erinnert. Philosophie soll den Blitzschlag des Todes in das
sanfteste und mächtigste Licht verwandeln lernen.
Die Erinnerung ist bekanntlich das Paradies, aus dem man nie
vertrieben werden kann. Es nützt nichts, wie die Relig
Mystiker nur das »Innere« zu
Ösen und
kultivieren. Eine ganz andere Welt-
kultur hebt an, wenn man im Innern das reine Zentrum des »Äußern«,
d. h. in ihm die Ununterschiedenheit als die schöpferische Ausüberin
des Unterschiedes persönlich erlebt. Dann erst wird die Welt, das
Leben abrundbar vollkommen. Woher weiß man überhaupt von Un=
Vollkommenheit als dadurch, daß man heimlichst, innerlichst das ab-
Vollkommene kennt? Was
allenthalben Unvollkommen
heit nennt, ist nichts als der in sich polare Selbstunterschied seiner
eigenen persönlichen Ununterschiedenheit, deren Überträchtigkeit mit
allen Unterschieden schwanger geht und polar niederkommt. Eigene
Person ist der indifferente Pantheos aller Weltdifferenzen.
Es gibt z. B. niedrige, gemeine, ekelhafte Gedanken doch nur,
weil es edle, hohe, entzückende, und diesen Unterschied doch nur,
weil es den ihn indifferent Erlebenden gibt, diesen delikaten Punkt
der kontrebalancierenden Berührung aller Extreme, ohne den sie
einander, d. h. ihre sie polarisierende Identität verlören,- tief »innen«
empfindet sich diese getiß, dieses sensitive Gewissen, diese sorgsamste
Gleichgeltung und Bindung der explodierten Extreme: Person. Wie
sollte denn Person zur Beherrschung ihrer intimen Unendlichkeit
kommen, wenn sie sich nicht polarisierte, nicht unterscheidend ver-
bände, verbindend unterschiede! Die unendlich chaotische Zusammen-
hangslosigkeit ist ja selbst nur das andere Extrem des extremen
Zusammenhangs, und beide sind Extreme der Person, deren reinste
Kontrebalance, je nachdem die Person ihre neutralisierende Kraft
aufbietet, sie gefährden und sichern. Es geht daraus hervor, daß die
mediale Person die durchdringendste Empfindlichkeit für alle Extreme
hat und an jedes von diesem Allgefühl zu kosten geben kann: der
Niedrigkeit von der Höhe, der Höhe von der Niedrigkeit,- wodurch
sie zur Mittlerin aller wird, ohne sie jemals anders zu »versöhnen«
als trennend, polar, magnetisch. Die menschlich lokalisierte Person,
die parteiisch ist oder Parteien unreinlich versöhnt, ist gerade die
Hauptstörung dieser rein medialen,- von nichts wird das göttliche
866 S. Triedfaender • Der Wag ßa ft er der Weft
y/////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////^
Gleichgewicht so sehr gestört wie vom menschlichen. Das göttliche
ist Antizipation des Todes und macht aus dessen abrupt eintretender
Indifferenz die elastischste, die Extreme am Gängelbande behal«
tende, sie kontrebalanciert Vergehen gegen Werden,- diese Extreme
der Sterblichkeit, die der Tod zerhaut, schlingt sie in ihren lebendigen
Knoten. Im Innersten muß man synästhetisiert sein, weltidentisch,
leer von Differenz, um alle Differenzen gegenseitig für einander sen«
sibel zu machen.
Es ist z. B. unendlich leichter, Milliardär zu sein als »kein« Geld
zu haben, d. h. weder Vermögen noch Schulden, d. h. die unum*
gängliche Vorbedingung vor jeder Gelddifferenz. Wer diese persön«
liehe Neutralität lebendig wäre, hätte den Geldunterschied disponibel,
jedes finanzielle Extrem wäre gerade diesem »Besitzlosen« absolut
zugänglich,- dieser seelisch zentrierten Geldmacht wäre keine mensch«
liehe Börse gewachsen. Geld ist unvergleichlich mehr als man denkt
eine intim persönliche Eigenschaft <wie z. B. auch Zeit). Die Macht
des Zufalls bricht sich allemal an der der echt eigenen Person, sie
würde an der der neutralisierten zerschellen. Eine Person mag noch
so energisch sein, aber ohne diese rein neutrale Präzision ihrer
Energie erfährt sie die schrecklichsten Schwankungen und Verwir-
rungen. Die Extreme des Lebens, die der sie indifferenzierenden
Person präzis einander parallel gehen, verqueren, verschränken und
überkreuzen sich der menschlichen. So verklammert sich über der
Gegenwart Vergangenheit mit Zukunft, sie liegen sich in den Haaren,
und es gibt noch gar keine echte persönliche Gegenwart.
So korrigiert sich das menschliche Mißverständnis des »Gewissens«.
Es nutzt gar nichts, irgend etwas zu negieren. Man kann auch das
Gewissen nicht negieren, ohne es zu ponieren. Etwas, das über«
haupt unterschieden ist, ist etwas,- sogar die wahnsinnigsten Gebilde
des Aberglaubens, Hexen z. B. sind etwas. Falsch an solchen Unter«
schieden ist nur das isolierte Behaupten, der Mangel an Blick für
die totale Differenz, in die sie gehören, die Unfähigkeit zur polaren
Abwandlung dieser Begriffe. Z. B. »Hexe« kontrastiert etwa gegen
die »gute Fee«, diese Extreme sind das Erlebnis einer realen mo«
ralischen Differenz, die in der Tat ins Exorbitante geht. Etwas von
der Universalität Verlassenes gibt es nicht. Aber es gibt sogar
S. Triedfaender - Der Wag daher der Weh 867
////////////////A////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
»Magie«, wenn man sich die Differenz der Schwierigkeit einer Lei*
stung vorstellt: Extreme der Allmacht, die von der Indifferenz aus
fungiert werden,- das kann ins Abenteuerliche gehen, und unsere
Handlungen sind in dieser Differenzierung mitinbegriffen. Man hat
also auch die »Magie«, d. h. alles Tun von innerst her »ohne Ap*
parate«, Schöpfung, nur zu negieren, wenn man sie ebensosehr
poniert. Es ist etwas damit, daß man's negiert, durchaus nicht er*
ledigt. Allerdings ^glauben das sogar manche »Logiker«, geschweige
denn Laien, und doch ist es Unsinn,- denn Nein ist eben kein Ver*
schwinden, keine »Aufhebung« des Ja, sondern dessen positives
Gegenteil,- und Beides wird auf einen Schlag rege. Diese Erregung
geht aus von der Beides erlebenden, fungierenden Indifferenz. Viele
Logiker wähnen gedankenlos, das Ponieren setze was, das vordem
überhaupt nicht da war, so können sie sich einbilden, dieses durch
Negieren überhaupt wieder wegzunehmen. Die Sache liegt aber
anders: sie ponieren und also negieren, d. h. sie differenzieren etwas,
das auch ohnedies da war, nur eben bloß indifferenziert. Auf ihre
Position oder Negation kommt es also relativ gewiß an, absolut
aber unendlich weniger als sie irrtümlich, weil sie blind gegen die
neutrale Größe der Indifferenz sind, annehmen.
Was denkt man eigentlich bei sich so lächerlich zahm? Man ver*
gißt, daß alles Differenzieren die bloße Auswirkung der persönlich
eigenen indifferenzierten Allmacht ist,- und daß, diese positiv aus*
wirken, eo ipso heißt, es auch negativ tun, da man sonst nur halb
differenzieren würde. Wie soll aber durch noch so vieles, noch so
praktische und geistreiche Differenzieren die inwendige Allmacht zum
Vorschein kommen, wenn man diesen Zweck des ganzen Differen*
zierens über dem Mittel vergißt, die Extreme einseitig gradatim
aufeinander bezieht und so der Wahrheit ihrer medialen, sie po*
larisierenden Indifferenz, auf die sie sich mit gleicher Gewalt, aber
gegenseitig beziehen, den göttlichen Mittelweg versperrt?
Mitte ist keine banale, sondern eine polarisierende Bestimmung,
sie repelliert und attrahiert Extreme und wird dadurch manifest,
wenn man diese Extreme nicht ohne sie unmittelbar zu verschränken
trachtet.
Wie der Grund des Differenzierens die unfaßbare Indifferenz ist,
868 S. Friedfaender • Der WagßaCter der Weft
so ist ihre Faßbarkeit, ihr Zum ® Vorschein®kommen sein Zweck, den
man verfehlt, wenn man sich's in sich selbst verlaufen läßt. Es ist
also, in diesem Interesse aller Interessen, notwendig, daß man jedes
Erlebnis polar beleuchte. Ist es einmal erlebt, so stelle man seine
Extreme, sein Pro und Contra, sein Ja und Nein energisch heraus,-
man mache sich klar, daß dieser Kontrast von der persönlich eigenen
Mitte ausgeht, und benutze ihn zur Realisation der sichtbaren Er®
scheinung dieses ihm neutral voranwaltenden schöpferischen Wesens.
Der Positivist des Gewissens verantwortet sein Sein und Tun
rigoros, er fühlt sich schuld an seinem Charakter, hält sich für dessen
eigenen Schöpfer und — muß auf seinen Gegensatz stoßen, den
Negativisten des Gewissens, der das auf den Kopf stellt, alle Ver®
antwortung leugnet, sich sonach durch und durch Kreatur fühlt, nach
dieser Seite hin, im radikalen Ablehnen jeder »Schuld«, rigoros aus®
fällt. Ist nun der Beurteiler dieses diametralen Gegensatzes ein
Zweifler, so wird er sich nicht getrauen können, einer der beiden
Seiten sein Gewicht zu geben. Eine solche Entscheidung wäre hier
auch Wahnsinn: kein Nein hebt ein Ja auf, das ist Irrtum, sondern
leistet ihm positiven Widerstand. Den Ausschlag gibt hier nur der
Indifferentist des Gewissens, mit Ja gegen Nein, und zwar nach
seinem freiwilligen Belieben, das jedoch immer nur polar verfährt.
Es steht ihm nicht frei, ungegenseitig einseitig zu sein. Folglich hat
er allein wirklich das neutrale und kardinale Gewissen. Es kann
also niemals gefragt werden, ob es etwas gebe, ob es das Ge®
wissen gebe,- es gibt Alles und noch Einiges dazu. Es fragt sich
immer nur, was in der Position, in der Negation und in der po®
larisierenden Indifferenzierung dieser Differenz daraus werde. Eine
»Aufhebung« des Gewissens oder der Moral ist also die lebendige
Indifferenzierung ihrer Differenz,- eine andere Aufhebung scheint es
zwar zu geben: aber die Durchschauung gerade dieses Scheins
war diejenige der letzten Augentäuschung der eigenen All®
macht über sich selbst.
Wer die Negation des Gewissens für dessen Beseitigung hält,
statt für das Widerspiel von dessen Position, läuft freilich herum,
wie so viele interessante Leute, die gegen die Position ihres Ge®
Wissens wüten, bis sie.....sich nicht mehr meldet. Sie scheinen dann
S. Triedfaender * Der Wagftafter der Weft 869
indifferent: aber der schöpferisch Indifferente ist nicht mit seiner matten
Karikatur zu verwechseln, dem blinden Schwächling, der die Extreme
feig in sich vermeidet, statt ihre vernichtend-schöpferische Berührung
in sich zu empfinden,- mit dem faul und trag »Indifferenten«, der
kein Ja, kein Nein, geschweige <wie der lebensecht Indifferente)
Beides polar entschieden herausbringt. Man muß göttliche Augen
dafür öffnen, daß diese sogenannte »Indifferenz« ein Wesen ist, das
gerade die echte Mitte, also die echten Extreme wie Feuer scheut
und sich gerade vornehmlich mit den mattesten, grauesten Ver*
tuschungen behilft. Es scheut Äquator, Pole und Zentrum und sucht
die gemäßigten Zonen. Es scheut Tag und Nacht, das persönliche
Wunder ihrer Gleiche und sucht die Dämmerungen. Es ist ein
Wesen, dem man erst vielen Mut zu sich selber machen müßte, um
sein fades ä peu pres zur Präzision zu bringen. Soviel steht fest:
der Ring des Gewissens, den wir durchlaufen haben, hat zwar überall
seine Mitte, aber par excellence doch nicht auf seiner Peripherie,
sondern im Zentrum ihres Kreises,- die Punkte der Peripherie sind
sehr verschieden betont und gerichtet. Es wäre vergebens, diesem
Kreis entrinnen zu wollen,- oder sich gegen die Einsicht zu sperren,
daß man, ohne das Zentrum inne zu haben, sich an irgendwelchem
seiner peripherischen Punkte aufhalten könne, deren jedes das Zentrum
radial mächtig ist. Man kann das Gewissen majorisieren, minorisieren,
vertuschen, indifferenzieren — aber nicht loswerden,- so steht es mit
Allem, mit dem Ganzen. Gerade im »Nichts«, zu dem man etwa
fliehen wollte, findet man das All, wenn man nicht blind gegen das
eine polare Weltdifferenz indifferenzierende Wunder dieses Nichts ist,
dieses an sich ineffablen Individuums allegorisch polarer Individualität.
Wie tief geht die Möglichkeit des Selbstvergessens wenn es nötig
ist, eine ganze Philosophie an Stelle dieses Todes zu setzen! Zwar,
Wissen ist nicht Macht, aber Wissen um Indifferenz ist Wissen um
Allmacht,- und der indifferente Gedanke der Allmacht kann wissend
und wollend polar differenziert werden, wenn er erst einmal ge^
faßt wird.
Im Menschen fehlt das allgemeine, das Universalgefühl nicht, aber
es ist von den Schlingpflanzen der besonderen und gemischten so
überwuchert, daß er's gar nicht mehr echt in sich wahrzunehmen
870 S. Triedfaender ■ Der Wag Hafter der Weft
scheint und präsent hält. Er hat das Weltgewissen inne, ohne es
zu merken. Wäre die Seele nicht welthaft, so könnte sie keine Welt
erleben. Es ist ein verkehrter Ausdruck, das eigene Selbst »er^
weitern« wollen, damit es das Allgemeine fassen könne. Dazu ge^
hört keine Erweiterung, sondern Zentrierung bis zur Punktualität,-
nur der ungeteilte Punkt schließt den ganzen Raum auf einmal ein.
Weh>Sympathie tritt ein, sowie man sich von der Geteiltheit im
Innersten befreit, sowie man sein Innerstes lebendigst stringiert. Die
Weh>Seele unterscheidet sich von der menschlichen nur durch die
präsenteste Präzision dieser Indifferenz, durch die letzte Strenge der
Konzentration,- die Weltseele ist der Nullpunkt der Welt,- ihm nur
gelingt eine ganz und gar nicht mehr schlotternde Welt.
Menschen sind abergläubisch genug, zu wähnen, ihnen sei innerlich
mehr eingeräumt als der Punkt, aber dadurch erhalten sie äußerlich
weniger. Die Zeit z. B. kann nur von der Geistesgegenwart aus
beherrscht, ja verewigt werden,- und der gegenwärtige Moment ist
ein Punkt, den nur diejenige Seele erlebt, die sich nicht teilt. Nun
aber schwankt, wankt und zittert der Mensch genau in diesem Punkte,-
und die wenigen, die ihn fassen, vergessen, diese icfee fixe lebendig
anzuwenden, verlieren die Schöpfung der Welt darüber aus den
Augen, bis sie sich ihnen tötlich in Erinnerung bringt. Es ist tragU
komisch, den Unbeholfenheiten des Menschen im Umgänge mit seiner
eigenen Göttlichkeit zuzusehen. Nemo contra Deum nisi Deus ipse.
Gott zu sein, genügt nicht, man soll es auch werden, weil man
es ist: hier liegen die Fußangeln und Fallstricke der eigenen Magie.
Man besitzt Vollkommenheit nur, um sie zu erwerben, um schöpfe-
risch durch sie zu sein. Es genügt auch nicht, zu erwerben, wenn
man sich nicht bewußt bleibt, daß man indifferenziert bereits per^
sönlich besitzt, was man durch schöpferischen Erwerb nur noch diffe-
renziert polarisieren kann und soll. Der Mensch hat sich in allen
Erwerb so gedankenlos versenkt, daß er darüber geradezu vergessen
hat, was er erwerben soll, und mit seinem Erwerben grund- und
zwecklos in der Luft schwebt, ohne sogar die Lust dieses Schwebens
auskosten zu können, so daß man ihm zurufen muß: besitze erst
wieder was du erwirbst, um es wirklich zu erlangen und besser zu
sein! Sei erst wieder »magisch«, allmächtig, ungeteilt, weltvoll, alL
S. Triedfaender * Der Wagfiafter der Weft
871
M**********************************************************************Mff**ffffffff*ffffffffffff*fffffff**f**ff*ffff**ff*****ffffffffffffffj
liebend, zentral und total, wirklich, wirksam, göttlich! Daraus würde
sich Alles ergeben,* der Kunstgriff, so zu sein, ist kinderleicht bei*
gebracht. »Erlösung,« sagt Goethe, »ist ein himmlisch leichter Zwang«,
es ist der Zwang zur Wiederentdeckung der Indifferenz der eigenen,
nicht differenzierten, sondern polar differenzierenden Seele. Nur die
indifferente Seele kann differenzieren. Die einzige Freiheit, die es
gibt, ist nur diese innere Freiheit von und zur Differenz. Diese
Freiheit ist kein Gegenteil, sondern Zentrum alles Zwanges, aller
Notwendigkeit. Freiheit ist nur dann absolut, wenn sie von aller
Relation absolviert ist, als Generalrelation zu aller Partialrelation.
Freiheit ist also indifferenzierte Notwendigkeit, nicht frei von dieser,
nur von ihrer Differenz. Kurzum, persönlich frei ist nur die magne*
tische Mitte des Notwendigen,* hier ist Freiheit die Notwendigkeit
in eigener Person. Nichts geht Menschen mehr contre coeur,* sie
mißverstehen die Freiheit als das Xbeliebige im Gegensatz zur
»strengen« Notwendigkeit. Sie haben den Aberglauben der freien
Willkür als der Gegnerin alles Zwangs, aller Zucht und Strenge.
Tatsächlich gelingt ihnen auch die blinde Illusion einer völligen Ver*
bergung ihrer persönlich eigenen rigorosen, exakten, lebendigen Fa*
talität. In aller Unschuld wähnen sie sich frei von Zwang, und wenn
man ihnen theoretisch diese Freiheit widerlegt, beweisen sie sich
praktisch deren Transzendenz. Der sterile Scheinbegriff des nicht intim
persönlich auf sich selbst reflektierenden Absoluten richtet hier allzu*
menschliche Verheerungen an, er nasführt sie mit Scheinfreiheit oder
Scheinnotwendigkeit, die nur der durchschauen kann, der endlich
merkt, daß es sich um Gegengewichte und deren sie aus sich er*
zeugenden Balanceur handelt. Absolut sein, frei von Abhängung
kann man nur als Balanceur, nicht als Wegwerfer der in sich gegen*
gewichtigen Notwendigkeit,* alle »Aufhebung« ist nur Aufhebung
durch Opposition, mag auch noch so bestechend der Anschein des
Nicht*Vorhandenseins der Extreme vorgetäuscht sein. Ähnlich täuscht
sich der Blick auch über manches Durchsichtige:
»Durchsichtig scheint die Luft so rein,
Doch trägt sie im Busen Stahl und Stein.«
Was die Täuschung noch bestechender macht, ist die verführerische
Ähnlichkeit des einen Extrems mit dem ersehnten Ideal: so ist das
57
872
S. Triedfaetiefer • Der Wagßafter der Weft
andere Extrem zum zunehmenden Zwang das umgekehrt zunehmende.
Extreme Freiheit ist nur umgedrehter Zwang,- ohne diese Gegen^
seitigkeit verliert jeder Pol für sich seine Bedeutung. Man versichert
sich der wahren Herrschaft durch das Einnehmen des intimen Gleich^
gewichtspunktes. So hat Willkür ihre Extreme, an deren einem sie
immer mehr und mehr ab-, am anderen immer mehr zunimmt,- da^
durch, daß sie dem einen nachstrebt, kommt sie vom anderen nicht
los, es folgt ihr, es hindert, es bremst sie. Wenn sie ihren echten
Vorteil versteht, erwählt sie sich die lebendig^präzise Beherrschung
beider durch das schöpferische Innehaben des polarisierenden Mittel^
punktes. Derart befreit man sich selbst von aller falschen Tendenz
nach illusorischer Beliebigkeit. Die einzige Freiheit, die es gibt, ist
diese Freiheit, polarisierende Indifferenz aller Differenz zu sein. Wer
sie mißbraucht, gerät in die Räder seiner eigenen Maschinerie. Man
soll innewerden, daß man die lebendige Drehangel aller Alternativen
ist, und sich nicht einbilden, vor die Wahl des einen oder des an-
deren Extrems gestellt zu sein. Das persönliche Nichts der Welt ist
nur das Nichts ihres polaren Unterschiedes — ein Satz, der zur
Welt dermaßen zwingt, daß gerade der Allerfreieste das Schicksal
selber sein muß, schöpferische Welt-Angel. Sich mit der Freiheit um
die Notwendigkeit herumdrücken zu können, ist der gemeinste Wahn
des Menschen,- Freiheit ist aber das Fatalste von Allem, intime
Mitte des Fatums. Man hat nur die Wahl, diese Mitte schöpferisch
rein oder leblos unrein zu praktizieren: rein vom Unterschiede ihrer
eigenen an ihr rüttelnden Extreme,- oder zitternd, schwankend, be-
fleckt von ihrer eigenen Gegenseitigkeit. Diese Wahlfreiheit hat man
in der Tat. Man kann diesen seelischen Punkt, zu dem man ge^
zwungen ist, strikt präzisieren oder schlottern lassen,- die Meisten
glauben desto freier zu sein, je mehr sie schlottern. Wem es evident
geworden ist, daß Freiheit nichts ist als die polar schöpferisch lebendige
reine Grenze des Verkehrs zwischen minus und plus ihrer selbst, an
sich selber hohle Kommunikation, der wird es von dem an für absurd
halten, diese unausgedehnte Grenze auch nur im Geringsten ver*
breitem zu wollen: Freiheit ist nur absolut, wenn sie persönlich
rein ist von ihrem polaren Selbstunterschied, Selbst -Widerstreit.
Es ist nicht möglich, das unaussprechlich Überschwängliche, Ab^
S. Triedfaender ■ Der Wagßafter der Weft 873
********************************************************9**********************************************************************fff fff **********
solute, Freie, Göttliche, Unsterbliche, Unendliche anders zu erleben
als polar in sich widerstreitend, von sich selbst schöpferisch in die
Mitte der eigenen Opposition genommen. Wenn dieses absolut all-
mächtige Wesen kein Chaos bleiben, wenn es herzhaft eigene per-
sönliche Identität bekommen, vielmehr, seine chaotische Identität ihr
persönliches Zentrum finden soll, so muß es diametral von sich ver*
schieden sein. Das Identische der Welt ist nur-neutral konzentrierte
Identität von Divergenzen, und wenn seine Divergenz noch oben*?
drein in verschiedene Begriffe zerdacht, in verschiedene Worte zer*
sprochen wird, so daß schließlich gerade das identische Wesen,
dessentwegen Alles geteilt, d. i. polarisiert ist, darüber vergessen
wird, so soll man sich seiner von frischem erinnern. Der Glaube an
etwas außer diesem Wesen, an »Endliches«, Zwangsweises, Schicksal,
Ohnmacht, Sünde u. a. Unvollkommenheiten ist von vorn bis hinten
eine einzige Selbstvergessenheit,- es gibt alle diese zerrissenen Um*
Vollkommenheiten nur, weil es ihre göttlich runde Vollkommenheit
gibt,- und selbst das Vergessen dieser Vollkommenheit nur, weil das
absolut vollkommene Gedächtnis nur die Äquilibrierung seines Übern
Schwanges, des eigenen Minus und Plus ist, Indifferenz der eigenen
Polarität. Gerade aus der Exorbitanz des allmächtigen Wesens er*
klärt sich die Notwendigkeit seiner äquilibrierenden Funktion. Alle
Mißverständnisse und Vergeßlichkeiten entstehen also nur daraus,
daß man diese Äquilibrierung verfehlt, sich nicht einmal darnach er*
kündigt. Aber sowie nur ein Wesen genannt wird, ist es nötig,
dessen Überreichtum anzuerkennen, dessen plus und minus zu unter*
suchen, seine Balance persönlich herzustellen,- jede andere Methode,
sich damit zu beschäftigen, ist Irrweg. Ohne diese Balance ist die
Richtung auf das plus — z. B. an »Güte« — so gefährlich <für den
identischen Zusammenhang des Gedächtnisses, des persönlichen Be*
wußtseins) wie diejenige auf das minus,- mit ihr die auf das minus
so ersprießlich <zum selben Zweck) wie die auf plus. Das persönlich
Innere, das Selbst, Subjekt, der eigene Wille hat gar nichts in will*
kürlicher Gewalt als bloß diese Balance, diese magnetische Indiffe*
renz, diese polar divergierende Identität,- durch sie aber Alles. Recht
verstanden, ist also diese seine einzige wahre Freiheit das schöpfe*
rische Meisterstück präzisester gesetzmäßiger Willkür.
874 S. Triedfaetider • Der Wag daher der Weh
Um aber gar keinen Zweifel darüber zu lassen, was letzten
Endes hier gemeint sein muß: Der Gott im eigenen Busen, die per-
sönliche Inwendigkeit aller Auswendigkeit, schöpferisch neutrales
commune aller Welt von Unterschieden. Diese gesamte Welt von
Unterschieden ist nichts als der Kunstgriff des innersten Gottes,
seiner eigenen Allmacht Meister zu werden. Gott sein ist lebendiges
Verdienst, schöpferischer Besitz, immerwährende Veräußerung eigener
Innenmacht. Psychische, logische, mathematische, materielle Unter*
schiede gehorchen nur dem Dieu balanceur ihrer Gegengewichte, nur
der besonnensten Indifferenz. Um so schlimmer für eine Welt der
Auswendigkeit, die ihre Inwendigkeit tödlich vergessen hat. Deren
intimer Gott ist, aber tot ist. Es ist furchtbar und erheiternd, diesem
Schauspiel von Menschlichkeiten zuzusehen, dieser sinnvollen Tra*
gödie, die ihren Sinn vergißt.
Gott, das absolute Erlebnis im intimsten Innern des Menschen,
müßte ebensosehr extensiv sein relativstes, d. h. polarisches von
diesem absolut medialen, neutralen, kommunen aus werden, damit
der träg scheinende Gott rührig, der Gott, den jeder tot innehat,
auch schöpferisch erworben würde. Es gibt kein »Sein«, das nicht
im polaren Werden, im Erworben werden bestünde. Die Welt ist
nichts als die Polarisation des schöpferisch indifferenten Gottes, der
polare Überfluß seines embarras de ridhesse,- Gott nichts als die
intim persönlich absolute Identität der polaren Welt. Folglich ist
Welt seine polare Beschäftigung mit sich selbst. Soll der inwendige
Gott nach außen kommen, so begreife er vor allen Dingen die
wesentliche Polarität dieser Selbstäußerung, dieses Außen als seine
eigene Selbstentzweiung. Die Stutzigkeit der Welt vor Gott, Gottes
vor der Welt, wodurch ihr Verkehr sich so sehr verwirrt, hört auf,
sobald die Welt als polare Kontrastwelt erkannt ist, deren schöpfe*
rische Neutralität der Gott im eigenen Busen ist. Persönliche In*
wendigkeit also muß absolute magnetische Mitte ihrer gesamten Aus*
wendigkeit sein, um ihrer nicht nur mächtig, sondern schöpferisch
allmächtig zu werden. Das Wesen der eigenen Allmacht besteht nicht
im Schaffen, sondern im polaren Schaffen. Der Schöpfer muß gegen*
seitig, muß auch negativ schaffen, wenn er positiv schaffen will,- das
ist die in sich korrelative Bedingung, von der auch das Absolute
S. Triedfaettder • Der Wagfiafter der WeCt 875
^//////////////////////////////////////////////////////////////////A/'////////////////r///////////////////////////////////////////’///isr/////////#
nicht absolvierbar ist. Allmacht ist nichts simpel Ponierendes, sondern
sie poniert polar. Ein so ungeheuer buntscheckiges Wesen muß mit
seiner eigenen Buntheit um Klarheit kämpfen,* ein so proteisches
verstrickt sich selbst in lauter Alternativen und Antipodien, in die
Tragikomik der Wahl, es widerspricht sich, widerlegt sich, hat keine
Möglichkeit sich zu behaupten, es sei denn als Contrebalanceur
seiner eigenen Gegengewalten. Unendliche, übermächtige Wesen
müssen sphärisch werden, um zu werden. Damit ist nicht gesagt,
daß sie buchstäblich Kugeln sein müssen, aber die Kugel ist ein
primitives Paradigma dieses göttlichen Selbstwiderspruchs, nach dem
sich z. B. auch alles Physiologische richten muß. Das Absolute schafft:
polarisierend korrelativ. Das absolut indifferent Inwendige, der »Gott
im Busen«, das absolut Freie, Unsterbliche, Proteische, das Maß*
und Zahllose, Unbestimmte, Unbegrenzte, die schöpferische All-
macht, das Weltprinzip, das »Ding an sich«, das persönlich Indi*
viduelle, das Welt-Identikum, das Wunder, perpetuum movens,
»Stein der Weisen«, »Quadratur des Zirkels«, Auflösung alles
Widerspruchs, das Überall Immer und Alles in Allem, dieses Wesen
der Wesen, das Wahre, das Alleinige ist: Aber es ist nicht aus**
wendig, nicht objektiv, nicht differenziert, nicht im menschlichen Innern,
das noch von differenten Zweifeln geteilt ist, sondern intimst un-
geteilt im Herzen des Herzens. Gewisser als die unendliche Diffe*
renz aller Gedanken* und Sinnendinge ist diese absolut intime In*
differenz, die man persönlidi, aber nicht mehr bloß menschlich, erleben
soll, um alle jene Differenzen schöpferisch allmächtig erleben zu
können. Und diese jeder differenzierten Gewißheit intimstzentral
überlegene Gewißheit ist im Menschen scheintot eingesargt, begraben.
Der Mensch, der so leicht imstande ist, aus dem einen Extrem ins
andere zu stürzen oder Extreme zu vertuschen, ist ganz offenbar
unfähig, ihre reine <von ihnen reine) Berührung schöpferisch präzis
in sich selbst aufzufinden, kraft deren er sie zentral beherrschen, ja
erschaffen kann. Er kann schwärmen und ausschweifen, mit Unter*
drückung seiner Depression und Exaltation nüchtern sein, ernüchtert
sich aber nicht zum rein absoluten Mittelpunkt der Sphäre seiner
rasenden Antipodien. Und ohne diese radikale Selbstbesinnung bleibt
seine persönliche Allmacht, seine zentrale Welt*Balance, seine In*
876 S. Triedfaender • t)er Wag daher der Weft
**********************************************************************************************************************************************
wendigkeit aller Auswendigkeit, sein absoluter Spielpunkt zwar un=
verloren, aber so gut wie fehlend: getrübt, verschleiert, gekränkt und
irre. Der letzte Schleier, der die Isis der eigenen Allmacht verhüllt,
ist die psychische, die sogenannte »subjektive« Differenzierung: das
echte Subjekt ist wesentlich zentral indifferent. Wo noch Differenz
ist, sind wir noch draußen im Objekt, sind wir noch selbst Kreatur.
Zu glauben, daß der Weltgehalt sich im Objekt erschöpfe und das
indifferente Subjekt nur noch als jeu d'esprit hinzukomme, ist das
Symptom der Schwäche des eigenen Subjekts, derentwegen es sich
menschlich in seine eigene Differenzierung verliert: erst das absolut
ungeteilte Zentrum, worin der Kreis sich innigst zusammenzwingt,
ist dessen springender Punkt. Seele zentriert die Welt. Um aber
solches absoluten Mittelpunkterlebens mächtig zu sein, soll sich das
inwendige Subjekt den Menschen abgewöhnen.
Der Mensch ist eine Differenz, die dieser absoluten Inwendigkeit
eingespielt instrumental zu Diensten ist, ein taugliches Medium ihrer
Wirksamkeit, ein täuschender Wechselbalg der Person, nicht sie selbst.
Zur Weltseele taugt er nur als deren auswendiges Werkzeug,- er
ist nicht inwendig,- inwendig soll man ihn vergessen, um ihn fein^
mechanischer zum eingespieltesten Werkzeug der göttlich innersten
Willkür zu machen, zum Automaten der eigenen göttlichen Spon-
taneität. Der Mensch ist die letzte Verhinderung seiner eigenen per-
sönlichen Allmacht. Wird auch er noch aus dem Weh>Subjekt, das
er sonnenverfinstert, ganz und gar in die objektive Welt ausgeboren,
dann erst wird die innerste Allmacht frei. Bis dahin umwölkt die
triste Nebensache des menschlichen Pseudoinnern weit und breit die
strahlend reine Person der absoluten Inwendigkeit. Der Lärm der
menschlichen Seele übertäubt noch seinen eigenen intimsten Urheber.
Die Raserei des Kreises verzerrt und verrenkt Zentrum und Schwung.
Um die allgemeine Weltverständigung persönlich herzustellen, soll
man sich allem »Äußeren«, allem Differenzierten zuvor im Innersten
entfremden. Diesem »Tode« gegenüber ist nun der Mensch auch
extrem gesinnt, feig oder tollkühn, oder Beides in trüber Kombi-
nation empfindend. Er ringt sich die Absolvierung des Innern vom
und zum Äußern nicht rein und restlos ab,- er überschießt diesen
Ausgangspunkt oder bleibt dahinter zurück,- trifft ihn nicht präzis.
S. Friedfaertder • Der Wagßafter der WeCt 877
Seine Inwendigkeit als reine Indifferenz ist trüb vorhanden, aber
nicht absolut klar präzisiert. Die reiche Auswendigkeit verlockt zu
einer Unmenge von Fehlgriffen in diesem einzigen Punkte, auf dessen
Präzision alles ankommt. Diese ganze reiche Auswendigkeit ist nur
für ihren Silberblick, den Inwendigsten, ihren Schmelz* und Siede-
punkt, für ihren bebendsten puren Amensager und Segner. Und nur
dieser erlebt wirklich ihre polare Harmonie, die ohne die absolut
stimmende Reinheit dieses Erlebens sogleich dissonant werden muß.
Nur Narren warten angesichts der kolossalen Differenziertheit der
Außenwelt auf die Resultate der wissenschaftlichen Induktion: gött-
liche muß deren allerletztes längst antizipiert haben, um ihr allere
erstes erleben zu können. Es wäre unendlich töricht zu wähnen, daß
die Erfahrung den Erfahrenden ewig . . . draußen bleiben lassen
wollte.
Die Welt ist nur das polare Rtickbleibsel der absoluten Seele, der
differenzierte Auswuchs dieses ungeteilt innigsten Kerns, dessen gött*
lieber Gehalt zu mehr als einer Welt ausreicht, weil er unerschöpflich
ist. Und gerade' darum ist die Seele weltlos, radikal unauswendig,
frei, unbedingt, um der auswendigen Welt mit ihren Schranken und
Bedingungen polar mächtig zu sein. Diese inwendige Freiheit, diese
unbedingte Weltherrschaft und *liebe, diese bündigste Macht und
von allen Beeinträchtigungen reinste Idee ökonomisiert polar ihr
eigenes Zuviel und (infolgedessen) Zuwenig, ihre eigene Differenz,
die so groß wie die Welt ist,- ihre eigene Auswendigkeit. Und hier
eben lauern die Gefahren nicht für ihr Sein, aber für das Festhalten
seiner reinen Präzision und Präsenz,- hier wird sie »Mensch« er-
schüttert, erschreckt, aus der Fassung gebracht, Ihre Erfahrung be-
lehrt sie darüber, daß sie sich selbst nicht anders erfahren könne als
zwieträchtig, zwiespältig. Und wenn Jahrtausende darüber hingehen
sollten, bevor Ewigkeit »Zeit« polar erlernte: durch diese persön*
liehe Ewigkeit wird dann alle verflossene und kommende Zeit schöpfe*
risch kompensiert. Das ewig Inwendige paßt zu seiner Auswendig*
keit absolut genau, aber nicht schlechthin unmittelbar, sondern bloß
durch das Mittel des Äquilibrierens, das polar geübt, eingespielt
werden soll. Die gesamte Auswendigkeit ist nichts als der Zwie*
spalt, in den das Inwendige durch seinen Überreichtum (hinter dem
878 S. Triedfaender • Der Wag ßafter der Weft
■*****************************************************************************************************************************,**************+
es notwendig immer wieder ärmlich zurückbleibt) mit sich selber tritt.
Folglich hat es zu begreifen, daß es, außer seinem Pro, überall auch
sein Contra erleben soll und muß und hat seinen Mittelstand absolut
rein von und zu Beiden zu präzisieren. Es hat zu begreifen, daß
die Welt seine Wage ist,- und um zu wägen, soll und muß es der
lebendige Haken des Zeus, Indifferenz ihrer Differenz sein. Am
Auswendigen kann das Inwendige nicht eher sein klares Wunder
erleben, als bis es dessen Zwiespalt rein entscheidet, als bis es der
gewissenhafteste Waghalter der eigenen Gegengewichte geworden ist.
Selber unangefochten, soll es durch alle seine polaren Widersprüche
schreiten lernen, dann müssen diese restlos in ihm übereinstimmen.
Wer sich von ihr innerlichst weder zerreißen noch zerquetschen läßt,
absolut integer vitae, gibt der Welt erst ihren absolut genauen Zu**
sammenhang. Dazu gehört ein Herz von elastischster Strenge, es
gehört Herz dazu. Auf die Dauer widersteht einer Inwendigkeit,
deren Festigkeit schöpferisch unendlich akkommodabel ist, keine Welt
von Gegensätzen. Dieses inwendige Wunder bewährt sich außen,
wenn die Seele sich absolut in sich zusammennimmt/ ihre Uner*
schütterlichkeit aus aller gegenseitigen Erschütterung wiederherstellbar
sein lehrt. Da bereits die psychischen Differenzen »draußen« sind,
jedoch mit dem bestechendsten Anschein des eigenen Inneseins täu*
sehen, so liegen hier die größten Gefahren für diese weltschöpferisch
zentrale Ruhe der rein indifferenten Seele. Hält diese sich rein auch
noch von der Scheinlebendig* und Persönlichkeit der sogenannten
»subjektiven« Differenzen, die wahrlich was ganz Äußerliches wie
Körper sind, so muß ihr diese gesamte auswendige Welt polar zu*
fallen, da diese mit der stürmischen Bewegung ihrer Milchstraßen*
Systeme gar nichts Andres suchen kann als sich selbst, diese weit*
mächtige Ruhe in der Heimat ihres eigenen Innern. Die Vernichtung
der relativen, der menschlichen Person, die hier statt durch »Tod«
durch Philosophie erfolgt, bedeutet die Schöpfung der Welt aus dem
eigenen Innern und die Degradation des Menschen zum sensibelsten
Automaten der göttlichen Willkür.
Also die gesamte differenzierte Welt richtet und renkt sich nach
der Maßgebung unserer eigenen differenzierenden Indiflferenzkraft.
Wir haben keine andere Gewalt über die Welt, als... »keine« in
S. Triedfaender • Der Wag Hafter der Weft
879
diesem neutral-absoluten Verstände. Begreife man also diese Wich*
tigkeit einer differenzschöpferisch einfachen seelischen Verfassung! Der
scharfrichterliche Kritiker seiner selbst läßt alle Differenzen über die
Klinge seiner Selbsterkenntnis springen. Vor dem schonungslos kri*
tischen Blicke, mit dem er sich selber prüft, findet nicht die leiseste
Geteiltheit, keine Ahnung auch nur eines Unterschiedes Gnade. Seine
Genugtuung ist nicht eher erreicht, als bis er sich im ungeteilten Be*
sitze seiner selbst befindet, im Apriori auch noch der apriorischen
Differenzen. Er will das Herz des Herzens geflissentlich innehaben,
und alsdann ist das Vollkommene wonach die Welt der Differenzen
vergeblich durchsucht wird, das einzige Eigentum, in dem er schwelgt.
dieser unterschiedslosen Vorgefaßtheit schwängt er sich in die
Empirie der Unterschiede. Und hier verfahre er nicht mit genialer
Romantik, sondern sorgfältig sensual theoretisierend wie Goethe, um
schließlich die ganze Welt mit offenen Sinnen zu apriorisieren, indem
Unterscheidung nach ihrer wesentlich in sich gegenseitigen
(polaren) Form vollzieht. Eine solche vor* und vollempirische Person
gehört an den Beginn der dann polar verfahrenden differenzierenden
Empirie.
Am Dogmatismus, am Absolutismus ist nichts falsch als die Diffe*
renziertheit seiner Spekulationen. Sobald man diesen Satz eingesehen
haben wird, sobald sich der Dogmatiker entschlossen haben wird,
die eigene Unfehlbarkeit zu indifferenzieren und mit dem Ungestüm
dieser Entschlossenheit Relativist zu sein, wird sich ihm die gesamte
Relativität schon deshalb besiegt geben müssen, weil er sie a priori
als die Selbstentzweiung seines eigenen Wesens, seines °o, also als
Polarisation des <x> ansprechen muß. Der unfehlbare Dogmatismus,
Absolutität ist eigentlich nichts anderes als das allgemeine Herz für
die Welt
gerade
sondern
Allge
Intention, völlig reine
Größe. Denn
man
nichts Differenziertem suchen
im Nichts aller Differenz herzhaft persönlich erleben.
Gerade das Subjekt ist das Allerallgemeinste von der Welt, absolutes
draußen liegen
Objekt gehören.
Weltzentrum
ganze
Rest
auch
relativen Pseudosubjekte
draußen,
somit
Das Problem, wie man relativ differenzieren und doch absolut
versal bleiben könne
so, daß man das eigene Absolute
880 S. Triedfaender • Der Wag Hafter der Weft
///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////,/////„////,,,„,//
das oo, das subjektive Universum nur zur gänzlich neutralen Trieb=
kraft alles objektiven Erlebens mache, aus der alles Besonderte, Re=
lative dann polar entspringt.
Ein bloßer Relativist, der sich selbst, sein oo, seine eigene voran^
gängige Weltbedeutung vergessen hat, steht, gemessen am Anspruch
dieses oc, nicht höher als der indisch Indifferente, der, leblos, sich
weigert, seine stagnierende Vollkommenheit der Relativität auszu^
setzen. Diese Idealtypen müssen Mut zueinander fassen, damit nicht
nur die echte Theorie, sondern auch die echte Praxis des Lebens
entstehe. Der Relativist ohne eigene synthetische Vollkommenheit,
ohne innere Freiheit und Ganzheit, ohne lebendige Welt=Indifferenz,
ohne oo im Busen, wird persönlich in die Brüche gehen, und seine
so geschwächte Persönlichkeit wird auch theoretisch nur Stückwerk
leisten. Es brauchte sich aber am gesamten Relativismus, an der ver-
einzelten Lebenspraxis nichts zu ändern als die Influenz vom Innern
<als vom oc> aus, und es wäre gleichbedeutend mit der Redintegra-
tion des gesamten Lebens.
Das ist nicht zuviel versprochen. Denn zwar sind uns die Diffe-
renzen, also ebenfalls die Relativität des eigenen Inneren psycho^
logisch übergenug bekannt, sozusagen seine Inseln, seine Isolationen
mit ihren verzwickten Beziehungen — aber so gut wie gänzlich
ignoriert ist sein Meer, sein Kontinent, sein absolutes oo, das totale
Innere der Welt: weil dieses eine völlig neutrale Größe, voller
Leben, aber indifferent ist,- und weil wir gerade dieses Nichts aller
Differenzierung, kraft dessen wir differenzieren, als nichts und wieder
nichts verkennen,- weil wir, sogar im Innersten noch scharf nach
außen gewandt, unser echtes Selbst, das unteilbar lebendige oo ver-
gessen oder mit einer seelischen Differenz, also mit bereits veräußere
lichtem Inneren verwechseln. Aber was sind selbst die höchsten und
edelsten aussprechbaren, somit objektivierten Teilerlebnisse der Seele
gegen ihr universales AuFein=Mal, gegen die unaussprechliche In=-
brunst ihres oo! Hier haben wir das Absolute, Freie, Schöpferische,
das jedem Beweis, allen differenzierten Gewißheiten lachend über-
legene Erzdogma der persönlichen neutralen Größe, der lebendigen
Indifferenz. Dieses ist die selbsteigene Angel des Wissens, des
Lebens, lind dieses Aller wichtigste, aller Popularität fähig, ist bis
S. Triedfaender • Der Wag hafte r der Weft 881
zum Unsinn vernachlässigt — weswegen es mit unserer noch so
hoch gesteigerten differenzierten Kultur zu keiner so vollendeten wie
lebendigen Vollkommenheit gelangen kann. Es ist gar nichts volU
kommen als das rein integre Innere, dieses Neutralsalz aller Welt,
dieses lebendige Nichts, das, frei von aller Welt, alle Welt aus sich
heraus polarisierend erschafft. Und welche präziseste Bestimmung ist
das! Es ist der Nullpunkt aller Weltdifferenz, persönliche Indiffe*-
renz. Man verwechsle dies nicht mit indischem oder sonst welchem
Quietismus, das intrikat hyperbolische Leben, das Allerlebendigste
nicht mit dem Tode. Bestrebt, dem Relativisten dieses oo, diesen ab^
soluten Odem einzuhauchen, müssen wir ebensosehr den Quietisten
zwingen, seine ungeheuer triebkräftige potentielle Energie polar in
kinetische umzusetzen. Man macht sich den falschesten Begriff von
der Paralyse, auf die eine energische Gegenseitigkeit geraten kann,
wenn man aus diesem scheintoten Punkte der Lahmlegung nicht noch
die ganze Gegenseitigkeit entbrennen zu lassen weiß. Warum dieser
angstvolle Respekt vor der eigenen absoluten Vollkommenheit, vor
dem persönlichen Welt-Gott, wenn man das eigene Innere ununter-
scheidbar neutralisch mit ihm zusammenfallen lassen-------------»soll«,
d. h. von selber muß? Das eigene Herz, unser Innerstes beruhig
sich nicht eher, als bis es alles in allem, °o ist. Objektiv allerdings,
rein äußerlich angesehen, wäre dieses °c, das Weltall, für unser
Inneres unendlich einschüchternd, ja vernichtend. Aber gerade diese
Vernichtung enthält, als Neutralisation alles Objektiven gewürdigt,
erlebt, erkannt, den Witz der ganzen Weltbedeutung, Indifferenz
aller Polarität. Und natürlich ist diese Erkenntnis ein-----------Em>
Schluß. Aber wer das ungeheure Erlebnis seines eigenen Inneren
uneingeschüchtert durchsetzt, wird zu diesem Entschluß, innerlichst °o
zu sein, von selbst gezwungen. Ohne dieses deutliche Zentralerleb-
nis wird sich auch die äußere Welt niemals totalisieren, abrunden
können. Und alle Verschiedenheiten sind, von der Entdeckung dieses
weltidentischen Inneren, dieser absoluten Weltmitte an, nicht etwa
weniger energisch, sondern, weil die Gefahr, daß ihr Zusammen^
hang jemals verloren gehen könnte, beseitigt ist, im Gegenteil noch
viel radikaler zu entfachen.
Das °c, das Allgemeine, das persönlich Inwendige, ist ja eigene
882 S. Triedfaender ■ Der Wag Hafter der Weft
lieh nur die zentrale Maxime des Zusammenbestehenkönnens aller
Sonderfälle. Im selben Moment, in dem das eigene Innere sich zur
unteilbaren Identität entschließt, sind auch alle Weltteile zur immer
spielenderen Harmonierung freigegeben. Der allmächtige Frieden des
Herzens gerade, seiner harmonisierenden Kraft gewiß, kann erst in
das kriegerischste Außen einwilligen. Die eigene Selbstsicherheit und
Gewißheit kann sämtliche äußere Gewißheiten radikaler problemati*
sieren und zugleich garantieren als die schwanke Teilseele, die halt*
los skeptisch verfällt, wenn sie sich an kein positiv auswendiges
Dogma klammern darf. Man soll nicht der Dogmatik, sondern ihrer
Auswendigkeit ein Ende machen, indem man die innere erzen und
stumm befestigt und von dieser Befestigung aus elastizisiert. So gut
wie unerlebt ist noch die universale Gewalt des Herzens, die sich
in jedes Einzelne flößt und es dadurch erst zu einem Weltteil macht.
Unerkannt ist noch das echte »Von*selbst«, an dessen Statt sich re*
lative Scheinsubjekte, einander verzerrend und zerquetschend, ver*
geblich anzusiedeln verlangen. Die nahen Sonnen der unterscheidenden
Sinnlichkeit überblenden, trüben, ja verfinstern mit ihren bunten
Strahlen das reine Licht der absoluten Weltsonne des Gesamt*
sinnes, des echten Inneren, des oc. Man nennt die meisten Seelen
»gemein«, allein sie sind es noch gar nicht,- ihre Gemeinheit besteht
ja gerade darin, daß sie nicht gemein sind, daß es Seelen gibt an*
statt der Seele, des °o, also im Mangel an echter Gemeinheit. Und
die Ungemeinheit dieses echt Gemeinsamen besteht in seiner Illo*
kalität, seiner ätherischen Beschaffenheit, seiner Veräußerung aller
Differenz, seiner lebendigen Indifferenz, seiner neutralen Größe. Und
als solche sollte das Innen unvergleichlich vertrauter und bekannter
sein als das Außen. Man sollte am indifferenten Innern das diffe*
renzierte Äußere prüfen, nicht umgekehrt. Alle Schlüsse vom Äußeren
aufs Innere sind Schein. Das totale Welt*Innen ist überall der ab*
solute Maßstab, woran auch die noch so sicheren relativen immer
berichtigt werden müssen. Es gibt also kein differenziert Absolutes,
aber das indifferenziert Inwendigste, das sich wegen seiner ununter*
scheidbar verinnigten Beschaffenheit so unsäglich schwer selbst inne
wird, führt eigentlich die unfehlbar präzise Regierung alles Relativen.
Das Herz, gehörig integriert, gehörig von allen Differenzen ent*
S. Friedfaender • Der Wag Hafter cfer Weft 883
********************************************************************************************************************************************
äußert, ist das Herz der Welt, ist oo. Aus dem oo des Herzens
fließt immerfort und jedesmal der Tropfen Öl, mit dem jede rela*
tive Besonderheit königlich zu salben ist. Und alle Versuche des
Herzens, seiner eigenen Allheit zu entgehen, bleiben umsonst,- Kultur
solange ein riesiges Umsonst, bis es ihr gelingt, allen irgend mög^
liehen Wert im Herzen, d. i. als Inneres zu konsolidieren. Dort im
Innern ist die einzige absolute Welt-Sonne, von der alle relativen
nur matt nachschimmern, und aus deren unteilbarem Zentrum sich
Licht in alle Vereinzelung der Radien und Peripherien ausbreitet.
Erst wenn jedes Einzelne zum Allgemeinen verpflichtet, stumm
darauf eingeschworen ist, — nach diesem Fahneneid auf das Unk*
versum des Herzens darf man, unbeschadet der eigensten Absolut^
heit, relativer praktizieren als jemals. — Von echter Freiheit des
Herzens hat keine Ahnung, wer sich ohne diese All-Bedenkung
willkürlich an etwas Einzelnes hängt. Universale, wenn auch neu^
trale Bedachtsamkeit, ist absolute Vorbedingung zu jeder Befassung
mit relativen Einzelheiten. Vom Allgemeinen wird das Einzelne
bloß inspiriert: Gott, Menschheit, Welt, Freiheit, alle diese Born*
bastereien, mit einem nüchternen Zeichen: oo, sind nichts als der
selbsteigene schöpferische Hauch, von welchem feurig belebt, jeder
an sein gewohntes besonderes Tagewerk gehen müßte, wenn es kein
kümmerliches Fragment bleiben, sondern von selbst mit jedem anderen
unwillkürlich wie nach prästabilierter Harmonie zusammenstimmen
sollte. Alles, was ohne die reinste Integrität dieses universalen Ge-
wissens geschieht, ist »Untat«. Unter dem Einfluß des innersten oo
ist keine Untat mehr möglich, denn von dem an rotiert alles Tun
und Treiben spielend um eine unsichtbare Axe, die unverbrüchlicher
ist als jede sinnenfällige. Angeblich soll das Herz das Verborgenste,
UnmitteL und Unmitteilbarste persönliche Versteck eines jeden sein,
in das »nur Gott« sähe, nur ein Gott. In Wahrheit — allerdings in
simpelster, primitivster, indifferenziertester — ist zwar nicht, aber
sollte, damit eben Sein kein fragmentarischer Unsinn, kein zer®
stückeiter Zufall bleibe, das Herz das allgemeine Medium, das
Herz für Alles und Jeden sein,- ohne dieses immense Cachet
des Ein - Herz ® für - Alles ^ Habens ist jeder und jedes Einzelne
Blendwerk, während, wenn endlich dieser simple, nicht weiter diffe-
884 S. TriedCaender • Der Wagßafter der Weit
renzierbare Sieg des Innern beginnt, auch das letzte Vereinzelte
noch zur Allgemeingültigkeit erlöst wird, sich der himmlische Tau
des oo nodi an das »niedrigste« Treiben legt. Es muß also auch
der Wissenschaft abgewöhnt werden, neutrale Größe schlechthin zu
ignorieren, anstatt ihr die absolute Souveränität über den gesamten
Relativismus, der sonst zum Unfug ausartet, willig und einsichtsvoll
zuzugestehen. Hier ist etwas so streng wie lebendig Exaktes, dessen
fernere Ignorierung zur Blamage gerade der gewissenhaftesten For^
schung werden würde. Das sich im eigenen Selbst entdeckende Ab^
solute nur deswegen aus den Augen zu lassen, weil es nicht ob-
jektiv in die Sinne, sondern bloß subjektiv in die eigene Indifferenz,
den echten sensus communis fällt, wäre der Triumph der Ober-
flächlichkeit.
Nicht bittend, sondern peremptorisch unfehlbar und voll der wirk-
samsten Drohung, sonst alle Wissenschaft, ja das menschliche Leben
zur Sinnlosigkeit zu machen, tritt die lebendige neutrale Größe wie
ein erlauchtes Gespenst alle massiven Garantien beschämend un-
besiegbar mitten auf den Plan. Hier ist die einzige Behauptung, die
mit ihrem Erweis persönlich zusammenfällt, die universale des
inneren oo. Es liegt nur an einem allerletzten Manko an nüchternster
Besinnung, daß man diese einzige Selbstverständlichkeit, die es gibt,
verkennt.
Nun folgt aber unmittelbar aus ihr der wesentlichste Satz, zur Be^
fassung mit allem, was nur irgend unterschieden werden kann: es
ist polar strukturiert. Das will bedeuten: jede Differenzierung des
eigenen oc ist wesentlich gegenseitig und keinerlei noch so radikales
Differenzieren desidentifiziert die Integrität des Inneren, die lebendige
Identität des oo, die persönliche Indifferenz jemals anders als un^
eigentlich, als allegorisch. Man weiß also zwar nichts Differenziertes
zum voraus. Es ist alles Differenzierte durchaus a posteriori em^
pirisch. Aber eben dadurch, daß man mindestens das Nichts der
Differenzierung a priori persönlich inne hat, folgt doch zum voraus
für alle Möglichkeit der Differenzierung, daß sie nur polar sein könne.
Der Apriorismus, aus den letzten Schlupfwinkeln differenzierender
Empirie verjagt, auch alle differenzierte Logik seiner Kategorientafel
aufzugeben gezwungen, findet sich auf einmal ganz ins Innerste der
S. Triedfaender • Der WagßaCter der Weft 885
Person gedrängt, zur allerunerhörtesten, wenngleich neutralisierten
Macht gestärkt, mit polarisierender Allgewalt auf jedes Besondere
gehend, auf den Gipfel der Selbstbesinnung gehoben wieder. Man
weiß also das eigene 3° und damit zum voraus die Polarität aller
möglichen Differenz, ja man ist eben zum voraus indifferenziert alU
wissend, allmächtig, göttlich. Und eben nicht diese absolute Allmacht,
sondern, wie gesagt, jeder Versuch ihrer unpolaren Differenzierung
war aufzugeben, nicht aber sie selbst als völlig neutrale Größe. Das
unbedingte, unfehlbare, präzise, exakte, rigorose innerste Selbstver^
trauen darf sich — nicht etwa des »Menschen«, gewiß aber des so^
lange verkannten Innern bemächtigen und alles Außen, alle Differenz
als die Selbstentzweiung seines eigensten Überschwangs konstatieren.
Diese neue, definitiv etablierte Dogmatik verzichtet, zugunsten
unbedingter Energie des Innern, auf absolute Unbedingtheit ihrer
Äußerungen: sie äußert sich nur empirisch — aber eben polar, d. h.
immer mit einer in sich gegenseitigen Rücksicht auf diese innerste
neutrale Integrität. Und polar ist ja bereits die Tatsache, daß es zu
dieser Etablierung überhaupt eines imperativen Zuspruchs bedarf,-
daß das Absolute nicht ohne weiteres anerkannt ist, erlebt wird und
herrscht,- daß es einstweilen nur de iure gilt/ daß es die labyrinthL
sehen Möglichkeiten seiner Latenz, seiner Überschwemmung durch die
eigenen Differenzen gibt, in deren Wogenschwall es tief untergetaucht
sein kann, jedoch niemals unwiderbringlich,- es kann sich nur allzu
oft aus den Sinnen, aber nie aus den Gedanken verlieren. So ist
es an der Zeit, daß unsere komplizierte Lebensweisheit sich an der
Simplizität dieses elementaren Ereignisses zu den Wagnissen noch
viel abenteuerlicherer Komplikationen erhole. Vom absoluten Rüdc^
halt der eigenen inneren neutralen Größe aus kann man weit ent-
schiedenere empirische Vorstöße machen, zumal man das Leitmotiv
der Polarität dabei immer zur Wehr und Waffe hat. Auch bereits
der Zweifel an der Allmacht, am °c des eigenen Innern ist ein po-
lares Phänomen, er beweist gerade die Indifferenz, die er scheinbar
problematisiert, wohl gar widerlegt. Er beweist aber auch, daß die
neutrale Größe der Indifferenz lebendig ist, nach allen Seiten rund
umher gleich leicht sich hinzuneigen fähig und um so bedürftiger
einer ewig sich festhaltenden, unvergessenden, geistesgegenwärtigen
886 S. Triedfaender • Der Wagßafter der Weft
Selbstbesinnung. Wer verlöre sidi leichter in eine seiner Gestalten
als Proteus? Wer wäre bedürftiger als er, sieb des Rüdeweges in
jedem Momente zu versichern?
Dies zu erfahren, ist weder schwer noch leicht, sondern gleich*
gewichtig, also gewichtlos. Man balanciere z. B. die eigene Eitelkeit,
strenge ihre Gegengewichte, Pole, Extreme an, um das Wunder
ihrer lebendigen Indifferenz im echten Innern zu erleben. Man schrecke
den trüben Mittelstand auf, in dem sich diese Extreme verschielen,
energiere den negativen Pol der Eitelkeit, ihr —oo, die monströse
Selbstverachtung, lerne das taedium sui bis auf den geifernden Grund
auskosten. Sodann provoziere man das Gegenteil, das + oc, die
extreme, sich übersteigernde Selbstvergötterung. Schließlich schütze
man die neutral erlebte Mitte reinst entschieden vor der Verzerrung
oder Zerquetschung durch diese Pole, diese Gezeiten,* man lehre sie,
regelmäßig mit ihnen zu atmen, und nur diese psychische Lungen*
gymnastik erlöst alle Eitelkeit von ihren Krämpfen und Katalepsien.
Diese reine Mitte, diese Ein* und Ausatmerin aller Differenzen ist
allzumenschlich korrumpiert. Statt ihrer polarisierenden Permanenz
findet sich Schwind* oder Existiersucht. Man versteht nicht nüchtern
und besonnen in sich selbst die Angel, die Schwebe, die amphibische
Indifferenz der Lebensregierung zu präzisieren. Man versteht sich
nicht auf die wahre Spannweite seiner Pole, seiner Flügel, weil man
die polarisierende Indifferenz persönlich vernachlässigt,* weil diese sich
allzumenschlich vor sich selber verleugnet, verhehlt. Extrem gegen
Extrem zu kontrebalancieren, ohne sich weder jenem noch diesem
anders hinzugeben als atmend, ist erst echte Lebendigkeit. Erst von
der allerreinsten persönlichen Indifferenz aus erlebt man diese ab*
solute Lebendigkeit der eigenen Extremisierung,* und wie man längst
von einer coincicfentia oppositorum gesprochen hat, so sollte man
sich ursprünglicher auf diese disexcidentia identitatis besinnen. Diese
reine Mitte zwischen Sterben <— <x>) gegen Werden <-f- °o> des eigenen
Lebens darf kein »trüber Gast«, kein juste milieu, keine blindlings
naturalisierte Allzumenschlichkeit bleiben, wenn die polare Zeitlichkeit
vom Wunder dieser lebendig indifferenten Ewigkeit restlos durch*
drungen werden soll. Die wahre Erhaltung der Welt des Lebens
steht nur auf dem Spiel dieser Balance, und die Präzision dieses
S. Triedfaettd?r • Der Wag Hafter der Weft 887
Spiels ist erst durch die Einstellung aller Differenz auf das Zero
der lebendigen Seele gewährleistet. Versteht man die »Erhaltung
der Energie« bloß objektiv, vergißt man den unerschöpflichen Springe
quell der Weltenergie des Lebens in der subjektiven Indifferenz, so
muß dann allerdings genau der Punkt, der subjektiv = oo ist, oh*
jektiv null ergeben, kein Mehr noch Minder der stets identischen
Energiesumme. Aber intensiv im echten Subjekte, in der schöpfe*
rischen Indifferenz ruht die wahre Unerschöpflichkeit der Kraft ver*
borgen, die objektiv nicht eher zum polaren Vorschein zu kommen
beginnt, als bis das Subjekt alle Differenz aus sich verwiesen hat.
Das Zauberhafteste von der Welt ist diese tiefe Verborgenheit ihres
Zaubers. Das +» der eigenen Allmacht scheint sich gegen deren
— °o tödlich aufzuheben, solange sie selbst, nach außen gerichtet, sich
objektiv konstatierend verhält, ohne beim Sturz in ihre Extreme auf
den Indifferenzpunkt ihrer Entspringung zu reflektieren: stufti cfum
vitant vitia in contraria currunt. Beim noch so lebendigen, aber
dunklen Gefühl der eigenen »Allmacht«, des »Gottes im Busen«,
blieb diese eigentlich immer leblos, draußen, in ihre Differenzen, ihre
Kreaturen auch psychisch noch verloren,- denn nur Indifferenz in
eigener Person ist punctum saliens des Welteies. Gegenkräfte von
gleicher Gewalt, die sich objektiv lahmlegen, können sich nur sub*
jektiv mit gegenseitigem Flügel aufheben. Allerdings, diese subjektive
Ewigkeit konsumiert objektiv Zeit: und wahrscheinlich kostet dieser
höchste Luxus des indifferenten Subjekts, um objektiv polar manifest
zu werden, mehr Zeit, Langsamkeit und Geduld als menschliche
Scheinsubjekte zur Verfügung haben. Dieser enorme Aufwand ver*
gütet sich aber auch enormer als jeder menschliche. Und wenn die
sogenannten Wunder der Technik, von ihrem so unscheinbaren Be*
ginne an, Jahrhunderte haben auf sich warten lassen, so gönne sich
das Subjekt, das seine Kraft (statt künstlich mittelbar) unmittelbar
natürlich spielen lassen möchte, alle Zeiten, weil es alle mit sich er*
füllen will. In dem seltsamen Momente, in dem die subjektive Ewig*
keit polar ausbricht, beginnt die gegengewichtige Antithetik des Zeit*
Unterschiedes zu äquilibrieren, dieser Unterschied nicht, aber seine
Mißstimmigkeit zu verschwinden, das echte Antlitz der Zeit aus
seiner einseitigen Lähmung wieder hergestellt zu werden. Es gibt
58
888 S. Triedfaender • Der Wagfjafter der Weft
keinerlei Lahmheit, die nicht Flügel verriete, keinen toten Punkt, der
nicht Leben enthielte. Man verhüte im »Innern« den Mangel an
Gleichgewicht, Indifferenz, Neutralität, Zentralität, Kern, Herz, °o:
und das ganze böse Wesen beginnt harmonisch um den lebendig
gewordenen toten Punkt zu rotieren. Das Nichts ist die Äquivoke
aller Äquivoken. Die Menschen kennen es erst halb und halb,- sie
kennen die Hemisphären des Lebens, ohne sonderbarerweise dessen
Rundung herauszubringen. Es gibt noch keinen ungeteilt ganzen
Menschen, er wäre kein »Mensch« mehr. Der Mensch verkennt den
echten Mittelstand der Natur, welcher sein eigener ist, und damit
seinen echten Kraftquell, weil er die polare Observanz des indiffe-
renten oc verkennt. Wenn das indifferent eigene Subjekt natura
naturans ist, so ist die gesamte naturata nur seine Polarisation,
die Form seiner aus Überschwang herrührenden Selbstentzweiung.
Diese Polarität gehört und gehorcht aber doch eigentlich nur ihrer
eigenen Indifferenz. Was fruchtet Empirie ohne diese Selbstbesinnung
auf die wesentliche Polarität ihrer'Differenz und ohne das absolute
Erlebnis der eigenen Exemtion? Sie bleibt allem Aufwande zum
Trotz ein wüster Garten. Wie anders eröffnet sich die polare Welt
dem konzentrierten Urheber ihrer Differenz! Der intimste Verkehr
wird möglich und wirklich. Man sehe z. B. Goethes Verkehr mit
Farben, Tönen, mit allen Manifestationen der Sinne. Zweifellos sind
die Urphänomene sämtlicher Sinne, aller Unterschiedenheit polar
gegenseitig angelegt, und ohne dieses heuristische Prinzip der Po^
larität entbehrt alle Empirie die ihr wesentliche Möglichkeit abge-
rundeter Totalität und Harmonie.
Es ist keine Welt, in der deren persönliche Indifferenz lebt, son=-
dern ein Welt=Untersdhied, ein Weltgegensatz, der dieser Weltperson
wegen entbrennt,- eine »Geheimnisweit doppelter Wollüste«. Welt
ist das Auseinander des Selben, das innen ohne allen Unterschied
zusammen ich selber bin. Meine eigene Indifferenz ist die vergleich^
gültigende Lebensgerechtigkeit für allen Unterschied der Geltungen,
der Äquator, Egalisator, der absolute Spiel- und Schwebepunkt aller
Weltgegengewichte. Gewiß ist es mensdilich bequemer, die gesamten
Differenzen ä peu pres gewähren zu lassen und gegenseitig in eine
mittelmäßige Harmonie zu bringen, als diese Harmonisierung tragisch
S. Triedfaender • Der Wag Hafter der Weft 889
/////#///////////////////////#///#////////////#//##///////#/////////#//////////////////////////////#////////#//##/////////////////////////////
nur vom Punkte der reinsten persönlichen Indifferenz aus zu ent*
binden. Denn diese Entbindung erst würde ja noch den Tod selber
lebendig elektrisieren ,- gerade das objektive Nichts würde hier die
subjektive Machtvollkommenheit über die gesamte Objektivität er*
halten. Der Funktionär der Welt, der weltfreie reine Geist offenbart
seine weit*, d. i. differenzschöpferische Willkür, die also polarge*
setzlich verfährt, nicht einen Moment eher als bis er sich selber zu*
vor absolut rein von aller Differenz innehat. Alsdann aber muß er
sie offenbaren, er muß schaffen, d. h. sich selber polarisieren, denn
der Zwang seiner Überträchtigkeit extremisiert seine immense Iden*
tität. Ich bin also nichts Positives noch Negatives. Identifiziere ich
mich mit irgend etwas positiv oder negativ Angebbarem, Unter*
schiedlichem, mit meiner Kreatur, so sinke ich in die Kreatur mit
ihren Gebresten, Geburten und Toden,- ihrer Halluzination eines
trügerischen Sinnenscheines, mein echter entgeht mir bis auf Spuren,
durch die ich ihn ahne und tastend wie durch Nacht und Nebel
wiederfinden kann. Erst meine radikale Exemtion aus dem gesamten
Sinnenschein macht mich zu dessen echt lebendigem ewigen Medium,-
wie ich dessen kranklebendiges, scheingesundes in allen anderen
Fällen bleibe. Ohne dieses göttliche Selbsterlebnis bleibt auch das
geistreichste Unternehmen Blendwerk und menschlich. Genie genügt
nicht, man soll Divination haben. Man muß wissen, wer man ist.
Schon die leiseste Vernachlässigung der eigenen Exemtion <auch noch
aus »subjektiven« Äußerlichkeiten) auch noch vom »Ich« rächt sich
durch kranke, d. h. schiefe Sinne: durch Exzentrizität und Elliptik
des Sinnenscheins/ durch Mangel an runder Schwebkraft, durch Ver*
schiefung in »Schwerkraft«. Man muß sich das Gehör für diese ab*
solute Wahrheit bei Leuten erzwingen, denen ihre eigene Wahr*
und Wesenheit längst zum Märchen geworden ist. Es handelt sich
bei der Praktizierung dieses Indifferentismus um keine hypnotischen
Einschläferungen durch Fixierung eines Punktes, um keine fixen
Ideen, keine mystischen Ekstasen und Illuminationen. Dieses Erlebnis
wurde noch niemals bisher in das nüchterne wache Bewußtsein ge*
bracht, es ist bis auf den heutigen Tag schlecht erlebt und gelehrt
worden. Es handelt sich um Exemtion nicht von, sondern bei und
in aller Interessiertheit, um Indifferenz bei und in aller Differen*
890
S. Triedfaender • Der Wagßafter der Weft
zierung. Im Gegenteil! Ohne diesen Sch webepunkt, diesen HebeL
punkt, ohne bewußtestes, geflissentlichstes, besonnenstes, lebendiges
Festhalten dieses Punktes, dieser Neutralität, wird man Interessen
und Differenzen niemals intensivst entfalten können. Wer diesen
Punkt bisher erlebte, fiel darauf sozusagen hinein und ließ die Welt
Welt sein,- oder verfiel in eine somnambule dogmatische Sicherheit
etwa wie die Großen der Geschichte. Allein dieser Punkt verlangt
elastische Festhaltung und Loslassung in polarem Atem, darin liegt
die Schwierigkeit seiner vernünftigen Regierung. Unsere Vernunft ist
im Wesentlichen noch irre, daher der Schein ihrer Sinne, ihrer Sym-
bolik noch kein Wahrschein, der einer ersten und letzten Gewißheit
entspräche. Aber alles Vollkommene ist vorhanden, bloß verrenkt.
Also: die Privatperson, das »Ich«, das Dividuum, der einzelne
Mensch wird... abgedankt,- die Zeit für diese Dividuen ist abge^
laufen, sie werden »vernichtet«,- man kennt den Witz dieser Be-
deutung. Wird es vom absoluten logischen Gehör erfaßt werden,
daß dieser »Tod«, diese »Vernichtung« nicht die Abwesenheit, son-
dern die Voll Wesenheit des Lebens ist! Das Ich, das keine Kraft
gebraucht, sich zu eximieren, das sich von Positio und Negatio, von
Ja und Nein in welcher Art immer überkreuzen, beflecken, verwischen,
vertuschen läßt, kann weder werden, noch sterben, sondern bleibt ein
paar Jahre lang eine mehr oder minder belanglose Privatperson. Soll
die Weltperson beginnen, so muß diese Pseudoperson sich ertöten.
Das menschliche, seine Extreme vertuschende, kompromittierende,
abflachende Teil-Selbst muß ertötet sein, damit das echte Weltlich
zum »ewigen Leben« gelange. Unter Ewigkeit ist die, Vergangen-
heit gegen Zukunft, lebendig äquilibrierende, Geistesgegenwart ver-
standen, wenn die Zeit in dieser ihrer dynamischen Angel nicht mehr
vom Menschen verrenkt wird. Persönliche Indifferenz ist die Disziplin
der Disziplinen, das menschliche Ich ist noch gar nicht präzisiert, ist
falsch gerichtet, ohne echte Dauer im Wechsel, weil es seine schöpfe^
rische Neutralität verkennt:
»Und wer durch alle Elemente,
Feuer, Luft, Wasser und Erde rennte,
Der wird zuletzt sich überzeugen,
Er sei kein Wesen ihresgleichen.« CGoetßeJ
5. TriedCaender • Der Wag Hafter der Weit 891
/////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#////////////////////////////////////////////////////////////////#
Person ist das absolute Neutrum der Welt, Welt * Indifferenz.
Ohne schöpferische Person allerdings würde die Weh>Opposition in
sich sterilisiert werden, ihr Pro würde dem Contra ohnmächtig gegen*
überstehen, das exuberante Dritte, Vermittelnde, Wählerische würde
als solches fehlen: und doch steckt selbst in diesem ohnmächtigen
Schatten der Indifferenz das mächtige Original verborgen, das sich
durch energisches Bevorzugen und Hintansetzen offenbart. Es ist
also der kardinale Unterschied: ob man dieses Dritte persönlich*
lebendig oder unpersönlich-leblos verstehe. Ohne Person fehlt überall
das lebendig Vermittelnde, und selbst wo sie gleich null ist, mani-
festiert sie sich doch mindestens als vergebens aufgeforderte Mitte.
Da die Welt gar nichts ist als Entzweiung um der Person willen,
so kann diese nur als differenzierendes lebendiges Neutrum be-
stehen. Sobald wir also inne werden, daß Welt nichts sei als ver*
schwenderisch polarisierte Person, und infolgedessen auch ein sich in
der Welt hervortuendes Gleichgewicht oder Mitte, Neutrum, Indiffe*
renz, niemals unpersönlich verstehen, so zeigt sich auch diese neu*
trale Größe niemals als tote, immer als lebendige Bestimmung. Die
Empirie kommt, ohne Person, niemals über Plus und Minus hin-
aus, denn selbst das empirisch Neutrale setzt sich, vor ihren Augen,
aus plus und minus null zusammen. Aber Person ist nichts Zu**
sammengesetztes, sondern wahrhaft überinnig indifferent aller Diffe-
renz und empirisch kombinierten Neutralität schon deshalb überlegen,
weil diese ihr entstammt. Man soll dieses lebendig-persönliche Ur*
prinzip der reinen Indifferenz nicht mit seinen gefärbten Nachbildern
verwechseln, wie es leicht geschieht, wenn man z. B. »Leiber« für
Personen hält. Mehrzahl ist immer Differenz einer Indifferenz, die
nicht einmal Einzahl hat, sondern bloß mit Null zu bezeichnen ist.
Im persönlichen Überschwang, in der Exorbitanz, der Hyperbolie
der Person liegt ihre Motivation zur Weltwerdung, in der sie sich
selbst entzweit, pluralisiert, alteriert erscheint. Ihre Allwissenheit
durchschaut, ihre Allmacht verwendet die Welt zur immer gelingen*
deren Polarisation, abgerundeten Insichgeschlossenheit. Sie lernt immer
präziser mit ihrer Welt rechnen, wird immer willkürlicher der eigene
Gott ihrer Welt, zentralisiert sich immer pünktlicher, verwechselt sich
immer weniger mit ihren Symbolen,- mehr und mehr empfindet sich
892 S. Friedfaencfer • Der Wagßafter der Weit
inmitten ihrer Pole, die anfangs allein zu herrschen schienen, ihre
schöpferisch neutrale Größe, die als etwas Eigenes, Unvorherzu*
sehendes, Ungeahntes den Polen gebietet.
Nehmen wir als Beispiel das Sehvermögen. Dynamisch ist es ewig
vorhanden, aber seine Pole, seine Negation und seine Position, halten
sich wie Ringer mit gleichen Kräften gefangen,* seine neutrale Größe
funktioniert noch nicht willkürlich polar zugunsten des Einen, zum
Nachteil des Andern. Es fehlt noch der persönliche Magnetismus,
der hier anzieht, dort abstößt. Das Gesicht selber ist von seinen
eigenen Gegengewalten hier noch verzerrt oder zerquetscht. Hier ist
eben noch weder Position noch Negation, es fehlt jede Entscheidung,
nicht Indifferenz, aber ihre polare Funktion,* es fehlt jede different
zierte Repräsentation ihrer neutralen Größe. Finsternis steht gegen
Licht, und noch zeigt sich kein sehender Blick. Aber dieser un*
erschlossene Blick ist doch bereits Blick, doch schon Neutralisation
von Licht und Finsternis. Dieses Nichts von Blick und Auge ar-
beitet langsam seine ursprüngliche, ganz eigene und jenen Gegen*
gewalten überlegene Kraft gerade unter deren Zerren und Pressen
hervor, und, langsam vorbereitet, entzündet sich seine Differenzierung
reich und rund. Immer wo Gegner unentschieden miteinander kämpfen,
tritt etwas Drittes entscheidend auf den Plan, um das sie eigentlich
konkurrierten, während ihre Anstrengungen nur gegenseitig zu sein
schienen. Jedem Pro und Contra wohnt inmitten die neutrale Größe
inne wie der Keim dem Wachstum. Die Gegenkräfte erlöschen schon
deswegen nicht in ihrem Produkte, weil dieses ihr Produzent ist, und
zwar, persönlich intendiert, ein Produzent von unerschöpflicher Frucht-
barkeit. Gerade in dieser seiner Überfülle strotzt die Möglichkeit
aller Art von Konflikten, von Lahmlegung und Beflüglung. Person
produziert den Weltkontrast, der nun Person ins Gedränge bringt,
so daß sie Energie dagegen in lauter lebendiger Neutralisation auf*
bringen muß. Ringer können also gar nicht gegeneinander, nur um
reinste Neutralität kämpfen, — sie allein wäre der siegreiche Frieden
ihrer Harmonie: auf den Seiten gibt es nur halbe Siege und Nieder*
lagen,* bloß durch die echte Mitte wird alles entschieden und ganz.
Wie sich der sexuale Konflikt um das neutrum commune dreht, so
hat jeder gedenkbare Konflikt seine von ihm reine Axe, und auf
S. TriedCaender • Der Wagßafter der Weft 893
********************************************************************************************************************************************
deren Art und Festigkeit kommt alles an. Person allein ist die ab**
solute Axe der Welt.
Es gibt träge Indifferenz, wie es scheintote Leiber gibt, unrein
entschiednen Willen. Diese Trägheit ist nicht der persönlichen In^
differenz, sondern gerade deren Verstrickung und Verwirrung in
Differenz eigentümlich. Gerade bloß persönliche Indifferenz wäre rast*
los und harmonisch tätig, ohne den faulen Fleiß einseitiger Plus**
macherei, deren absolute Sinnlosigkeit unversehens in die spleenigste
Minorisierung Umschlägen könnte. Das Fleißigsein durch Plus ist nur
eine umgekehrte Trägheit. Nur dem rein persönlichen Medium wohnt
die echte Energie inne, sich beider zusammen harmonisch »ohne Rast,
aber ohne Hast« zu bedienen. Diese Mitte der Extreme, der Ur**
quell aller Möglichkeit der Energie, ist paradoxerweise gerade von
entschieden energischen Menschen gut und gern verleumdet worden,
weil man sie mit ihrer Vertuschung, Verklexung oder Verdünnung
verwechselte, mit philiströsen Verlauwarmungen ihrer absoluten
Temperatur. Aßusus optimi pessimus. Diese aurea mecfiocritas
wird aber nicht bloß verfälscht, sondern meistens eskamotiert. Als
ob es nur Pole, nur Extreme gäbe ohne sie, um derentwillen allein
es solche geben kann. Die nach außen auf lauter Differenz gerichtete
Besinnung besinnt sich erst zuletzt auf das reine Zentrum aller
Unterschiede. Objektiv ist dieses allerdings nichts. Aber sogar noch
diese objektive Paralysierung zittert vom Leben der subjektiven In**
differenz, ist explosibel, z. B. der Stillstand zwischen entgegengesetzten
Zerrkräften von gleicher Gewalt. Auch diese objektive Totenstarre
des subjektiven Schöpfers ist polar organisiert. Allenthalben liegt in
der scheinbar leblosen Statik der Differenzen die enorme Dynamik
der Indifferenz auf dem Sprunge, sich polar zu befreien. Ein solcher
Befreiungsversuch von den einander lahmlegenden Differenzen der
Allzumenschlichkeit durch die absolute Souveränität der eigenen Per-
son, der Schöpferin und Vernichterin von Ordnungen, macht die Be**
deutung Nietzsches aus,- ein Versuch, der gelingen muß, sobald man
sich aus der Trunkenheit des Rausches, der ersten Kinderkrankheit
frei triumphierender Person, zur Präzision der Selbstbesinnung er**
nüchtert. Sobald man einsehen lernt, daß die Welt der Differenzen
gar nicht so sehr objektiv wie subjektiv im Argen, in der Ver**
894 S. 1riedfaender • Der Wag daher der Weh
wirrung, ihrer reinsten und schlichtendsten Kraft, der persönlich sie
polarisierenden Indifferenz liegt. Logische Präzisierungen gibt es, die
sichersten u. E. durch den ersten lebenden Logiker, Ernst Marcus.
Es gibt mathematische und empirische. Aber weder gibt es subjektiv
die trocken präzise Selbstbesinnung auf die indifferent eigene Götf^
lichkeit, die echte Autonomie der Identifikation mit dem selbsteigenen
differenzschöpferischen Prinzip,- noch objektiv, in der <logisch**mathe-
matisch bisher noch unzulänglichen) intuitiven Art Goethes, die ein**
zige Maßregel zur abrundenden Totalisierung aller Empirie, die
Polarisation aller Phänomene und ihrer Behandlung. Das Augen**
merk sollte sich präzis dafür schärfen, daß die Welt vor allen Dingen
ein Welt**Unterschied, ein Welt^Gegensatz sei, der seine einzige ihn
beherrschende Identität im indifferent eigenen Subjekt haben müsse,
solle und könne <auch diese modalen Differenzen sind persönlich zu
neutralisieren). Die differenzierten Objekte, die das Subjekt so er**
hält, sind lauter polare Reproduktionen seiner konzentriert indiffe-
renten Produktivität. Geäußerte Originalität fällt sofort diesem Po**
largesetz der Reproduktion anheim, und nach diesem Gesetz durch**
forsche man die Empirie ringsumher, um sie sich wirklich so zu
eigen zu machen, als ob man sie frei erfunden hätte,- nach
diesem Gesetz erfinde man frei! Den Logikern und Mathematikern
von Fach sollte es leicht sein <wenn es ihnen leicht wäre, sich
philosophisch mit ihren Unterscheidungen zu befassen), deren
wesentliche Polarität zu ergründen und dann z. B. die Goethesche
Farbenlehre und seine sonstige Intuition auch theoretisch zu kräftigen.
Die Welt ist ein Paar, die Kausalität ein Paar, die Richtung, die
Dimension, jede Reihe, die der Zahlen, Töne, Farben, Gerüche,
Geschmäcke, des Gesichtes, alle sind paarig, polar, rund, sphärisch
veranlagt,- und nur »der Mensch, er hat den Star«. Natura cum
tacet cfamat, ihr fehlt der Komponist ihrer lautlosen Musik, der
Orpheus ihrer verworrenen Differenzen, dessen schöpferischer Wille
inbrünstig genug wäre, den polaren Zwang auszuüben, der die
Welt zur Welt stimmen machte. Nur dieser rein und restlos indiffe-
rent mit sich Einstimmige vollzieht die Übereinstimmung der Welt,
die Welt-Hochzeit. Nur »Alle und Keiner«. Nur der Niemand,
der Jedermann ist.
Rene Schic&efe ■ Ai'sse'
895
Rene Scßickefe:
gMNM|PVi
A I S S E
Aus einer Indisdben Reise
N Madras war ich an den Chefarzt des »General Hospital« emp-
fohlen, und da wir nur zwei Tage bleiben sollten, beeilte ich mich,
ihn am nächsten Morgen aufzusuchen.
traf ihn vor einem Pavillon inmitten von Palmen und gezir*
kelten Rasenflächen, auf deren Grün
Laternen brannten. Die Palmen standen
Tulpen wie kleine bunte
dicht
zusammen,
sie
harten Wedel
Höhe vermischten, doch schienen
sich diese in dem grellen Licht, das sie tausendfach durchlöcherte,
zu verflüchtigen, man bekam Schwindel, wenn man lange hinaufsah,
der ganze Palmenwald fuhr mit einem in den Himmel, lim so freu*
diger fiel dann der Blick auf den Rasen zurück, wo die Tulpen der
Sonne so tapfer standhielten, die sie mit Haut und Haaren aufzu*
fressen drohte. Sie glichen eigensinnigen Kindern, die sich nicht von
der Stelle rühren. Über die roten Sandwege, zwischen den Bäumen,
den Büschen voll Glanz und Dunkel flitzten die Mungos, halb
Eichhörnchen, halb Wiesel. Die Engländer züchten sie
lassen
sie in genügender Zahl auf die Schlangen los, die der Hindu nicht
von Menschenhand getötet haben
weil
sie, wie
Tiere,
wandernden Seelen zum schicksalsvollen Aufenthalt dienen.
Wir tauschten
üblichen Begrüßungsworte und schritten durch
Palmenwald einem überhellen, zitternden Stück Horizont ent*
gegen
»
Was
ein magisches Licht, das sich dort hinter
Stämmen bewegt?« fragte
deutete auf die weiße Flamme.
Mein Begleiter blickte erstaunt auf, aber dann warf er den Kopf
zurück und rief:
896
Rene Scßicfiefe • Ai'sse
»Ja, nicht wahr? ein magisches Licht!... Und es ist doch nur eine
Haus wand, die Wand eines Pavillons. Allerdings eines Pavillons in
Südindien. Unsere schöne, schöne Sonne! Können Sie verstehen,
daß fast alle Europäer sie hassen — wie die Schlangen, mehr, als
die Schlangen, die sie wohl nur fürchten... Ich bleibe einzig und
allein der Sonne wegen hier... Die schöne Sonne! ... Vor zwei
Jahren war ich zum letztenmal in Europa... Nie wieder!... Schon
im Mittelländischen Meer fühlte ich, wie der wolkenlos blaue Himmel
über uns langsam hinwelkte, das Licht hing stumpf und schwer über
einem kraftlos glitzernden Meer, das Fenster der Welt schien be-
schlagen — Vierzehn Tage später landete ich in einem feuchtkalten
Keller. Das war Europa. Jetzt bleibe ich bei meiner Sonne bis
zum Ende ...«
Der große blonde Mensch glänzte vor Selbstzufriedenheit, glänzte
mit kalten blauen Augen und frischrasierten Wangen, die einen
feuchten Schimmer hatten, gleich den Blüten der Sumpfgewächse
dort in dem kleinen Teich, und wie er, im weißen Leinenanzug,
barhäuptig neben mir herging, war er wirklich der biedere Herr
dieser Palmen, dieser Rasenbeete, dieser roten Sandwege und der
über sie hinweg durch Licht und Schatten blitzenden Mungos, die
manchmal wenige Schritte entfernt anhielten, um ihn mit deutlichem
Wohlgefallen zu betrachten.
Wir betraten den Pavillon, der vom Rauschen der elektrischen
Fächer erfüllt war, und wo die Kühle duftete. Weil ich es ab**
scheulich finde, Kranke durch Neugier zu quälen, schlug ich vor, im
Wartezimmer zu bleiben, bis die Besuche erledigt seien. Der Arzt
nickte und ging hinaus, kam aber gleich wieder.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen,« sagte er kindlich lächelnd. »Es
ist mir eingefallen, daß wir hier einen französischen Herrn aus Pom*
dichery zu Besuch haben, dem meine liebe Sonne eigentlich recht
übel mitgespielt hat. Sie verdient also zuweilen den Tadel. Das
heißt — wie man's nimmt! Kommen Sie, urteilen Sie selbst.«
Er führte mich in ein großes Zimmer, in dem zwei Betten standen.
Das eine war leer, in dem andern lag eine alte Hindufrau, das Ge**
sicht tief in blauschwarzem Haar. Daneben saß ein Europäer, der
sich bei unserem Eintritt erhob: eine magere, gebeugte Gestalt, unter
Rene Scßickefe • Ai'sse
897
*********************************************************************************************************************************************
Mittelgröße, jedoch auffallend breitschulterig. Haupthaar und Schnurr-
bart waren schlohweiß. Das fahle Gesicht beunruhigten kleine,
wimmelnde Augen. Aber als ihr Blick sich auf mich legte, empfand
ich etwas zugleich Beklemmendes und Beglückendes, eine gütige
Schwermut, die traurig machte und doch selbst vollkommen leidlos
schien. Vielleicht ist das der Ausdruck des tiefen Glücks, das ja
eben so vereinsamt, wie der große Schmerz.
Der Arzt stellte mich vor. In seinem englischen Französisch fügte
er hinzu:
»Herr Fremard ist ein hervorragender Beamter unserer franzö^
(0
sischen Nachbarkolonie Pondichery, der auf eine mehr als dreißig^
jährige Dienstzeit zurückblickt. Er hat seine erkrankte Frau, übrigens
eine bekehrte Mohammedanerin, wenn ich das erwähnen darf, hier^
her begleitet. Leider wird Herr Fremard uns bald verlassen. Madame
befindet sich auf dem Weg der Besserung.« Dann ließ er mich mit
dem Franzosen allein.
Während ich mich auf einen Stuhl setzte, den der Franzose mir
reichte, wobei er in reizend liebenswürdiger Weise die Unterhaltung
begann, sah die dunkle, verwitterte Frau in den weißen Kissen uns
reglos zu. Sie hatte jene sanften Hinduaugen, die schönsten Augen
der Welt, die mich auf meiner Reise durch Indien begleiteten wie
eine immer erneute Gnade, Schatten und Kühle gewordenes Feuer,
mit einem Blick, der mühelos durch alle Dinge hindurchging, ohne
Stoß sich umsah wie ein beständiger Wind, uralt und eben geboren
— ein Ausdruck Gottes, ein Wunder — die seligen Augen, die
Ewigkeit seliger Augen, die aus den uralten Liebesgesängen Indiens
blicken, wie sie uns noch immer, auf allen Straßen dieses Landes,
hundert^ und tausendmal begegnen, Schatten und Kühle gewordenes
Feuer, schwarzer Diamant, den die indische Sonne flüssig erhält,
große dunkle Tropfen Seele, die, ganz langsam, durch das blendende
Licht fallen. Wie war das lederne, knochige Gesicht, fast schon ein
Totenkopf, von der Schönheit der tiefliegenden, wie halb versunkenen
Augen überschwemmt!
»Ist Ai'sse nicht schön?!« rief der Franzose. Die Frau verstand
offenbar seine Sprache, denn sie verzog die harten Muskeln um
ihren Mund zu einem Lächeln, einem Lächeln, das die zahnlosen
898 Rene’ Scßicßefe • Aisse
Kiefer entblößte und zuckend über das ganze Gesiebt kroch, dessen
Häßlichkeit noch entstellend. Zugleich stieg aus ihren Augen eine
Wolke schimmernden Dunkels: Glück!
★
Der Franzose rückte mit dem Stuhl näher und berührte leise
mein Knie:
»Darf ich Ihnen erzählen, wie ich Aisse kennen lernte? O, es ist
lange her, es war drüben in Frankreich, in Paris, unter der Regent*
schalt des Herzogs von Bourbon, jedoch, ich entsinne mich genau
des Morgens in Saint^Sulpice, wo mir bewußt wurde, welchen
Schatz ich, der arme, kleine Chevalier d'Aydin, in Aisse gefunden
hatte.
Ich hörte stehend die Messe an. Wenn das Rascheln eines Kleides
an mein Ohr drang, dachte ich an das Böse, das sich da rührte.
Hin Räuspern, ein Degenklirren gemahnte mich, daß ich von Raub-
tieren umgeben war, die ihre Beute musterten, und, den Sprung be=
rechnend, lautlos heranschlichen. Alle lauerten unruhig hinter der zur
Schau getragenen Würde, Ihre Gedanken, unter denen sich Kleider,
Perücken, Stöcke und Degen unausgesetzt wie in einem Luftzug be*
wegten, verwandelten das Heiligtum in einen Ort der überlegten,
sorgsam vorbereiteten und dann, plötzlich, mit Peitschenhieben los**
gelassenen Laster, Saint=Sulpice war das Palais**Royal am frühen
Morgen,. , Bald vergaß ich alle, die sich um mich rührten, bis auf
eine, deren Stille anschwellend zu mir drang und mich einhüllte.
Obwohl ich damals leider nicht mehr gläubig war, folgte ich doch
der heiligen Handlung mit aufmerksamer Hingabe, Die sich stei-
gernden Gebärden des Opfers reinigten auch mich, indem sie mit
ihrer, aus dem Dunkel der Geschlechter und meiner eigenen Kind**
heit wirkenden Kraft meine Sammlung vertieften. Alles, was vor
der Welt den Herrn Chevalier d'Aydin ausmachte, fiel von mir ab,
die tausend Nichtigkeiten, die sich in einem lautern Charakter fest**
setzen und an ihm zehren, starben, es blieb nur ein menschlich Herz,
das an seine Güte glaubt. Als die Klingel rief und der Priester
über der in die Knie gesunkenen Gemeinde die Hostie hob, emp**
fand ich diesen Augenblick als den beglückenden Höhepunkt meines
Zwiegesprächs mit dem Ewigen.
Rene' Scßicfiefe ■ A'fsse'
899
0M000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000W00000000000000000000000000000000000000000000M000000000000000M000000000
Ich hatte zwei Jahre am Rande der tollen Kirche gelebt, in der
die Teufel Menuett tanzten, daß den armen Engeln das Entsetzen
durch die steinernen Glieder rann und die Frommen vor dem Altai
nicht aus ihren Gebeten aufzublicken wagten. Aber die Versuchungen
hatten mich in meinem Winkel aufgesucht, Frauen ergriffen meine
Hände und wollten mich in das Gedränge ziehen, wo die Wildheit
der einen sich an der Berührung der andern entflammte, wo der
Atem all dieser erhitzten Menschen, der Duft ihrer Blumen und
Essenzen, die züngelnden, stachelnden Liebkosungen ihres Witzes
und ihre tiefen Schreie eine Atmosphäre schufen, die wie eine
glitzernde Glasglocke über ihnen stand. Die Stärke der Versuchung
hielt mich zurück. Denn so sehr empfand ich die Gewalt des grenzen*
losen Lustverlangens, daß ich meinte, ich müßte in wenigen Wochen
tot oder als ein Krüppel zusammenbrechen, wenn ich dem grau**
samen Jagdruf meiner Sinne folgte. Wie andere mit unverletzlichem,
weil demütigem Vertrauen an Gott glauben, so stellte ich all meinen
Mut auf die Liebe. Meine Mutter war eine reine Frau, sinnlich,
heiter und überlegsam, die ihren Mann liebte, nicht heute, gestern
und morgen, sondern wahrhaft in Ewigkeit. Darum konnten Ent*
täuschung, Schmerz und manchmal recht langer Gram kommen, sie
bückte sich mit verhaltener Innigkeit unter dem Windstoß, der vor*
überzog, ihr Mund blieb jung und ihre Liebe ein einziger Sommer.
Sie konnte nicht rechten, weil sie an das Geschenk ihrer Liebe keine
Bedingungen geknüpft hatte, und sie liebte auch nicht, um dafür be*
lohnt zu werden. Sie liebte. Das war alles. Ich war ihr einziger
Sohn. Und wenn sie mich auch nicht fromm erhalten konnte, so
bewahrte sie mich doch stark und gerade.
Als ich, zweiundzwanzigjährig, nach Paris kam, stellte ich mich,
über meine Unscheinbarkeit erfreut, belustigt und die Menschen
nehmend, wie sie waren, aller Kamerad, ohne Furcht vor Ge*
fahr und Verrat, unter die ein* und ausströmenden Gäste des
Karnevals, sah alles, nahm manchmal teil und suchte gleichzeitig mit
den Blicken, ob nicht vielleicht irgendwo eine Frau stände und ihren
wissenden Blick ebenso schweifen ließe... Sie saß vor dem jungen
Herrn von Richelieu, der mit strahlendem Gesicht auf sie einredete!
Ihre eine Hand hielt die andere fest umschlungen, und ihr Blick irrte
900
Rene Sdöicfiefe ■ Ai'sse’
*********************************************************************************************************************************************
hilfesuchend durch den Saal. Der Blick traf mich und verweilte,- ich
kam. Richelieu stellte mich vor. Ich verließ sie nicht an diesem Abend.
#
Wochen, Monate warb ich um ihre Liebe, bis sie mich eines Tages
fortschickte... Ich sollte sie vergessen... Und reiste acht Monate
ins Ausland, kam zurück. Sie gab sich mir. Ich bot ihr meine Hand
an, sie schlug sie aus und ließ mich versprechen, niemand zu sagen,
daß ich sie habe heiraten wollen.
Alle Frauen von Paris zusammen hatten nicht so viel Liebeskraft,
wie Ai'sse in einer Stunde an ihren Geliebten hingab. Es war, als
ob die Liebe der Welt in ihrem Herzen zusammenströmte. Sie war
so voll Liebe, daß sie mich nur von weitem anzublicken brauchte:
gleich fühlte ich in mir eine Quelle von Freude aufbrechen, die
meinen ganzen Körper durchdrang und sogar verklärte, was um
mich war. Ich ging in meinem eigenen Schein. In Wahrheit trug ich
nur einen Abglanz von Ai'sse durch die Stadt. Sie aber leuchtete
wirklich.
Das alles wurde mir an jenem Morgen in Saint ^Sulpice klar.
Der Priester segnete die vornehme Welt, die diskret lärmend auf-
brach und sich mit herrischen Mienen aneinander drängte, während
sie dem Ausgang zuströmte. Die Männer streiften die Frauen, es
wurden heimliche Händedrücke und eindeutige Blicke gewechselt, ein
beschnalltes Knie stieß flüchtig in einen Rock. Vor der Tür wurden
die Wagen aufgerufen.
Und wie seltsam: auch für sie wurde dieser Morgen entscheidend.
Sie hat mir später alles genau erzählt, deshalb kann ich Ihnen
sagen, was sie tat, als sie nun allein war.
#
★
Ai'sse blieb mit ihrer Zofe in der Kirche zurück. Sie schickte das
Mädchen in die Sakristei und ließ den Priester bitten, ihr die Beichte
abzunehmen.
»Ehrwürdiger Vater,« sagte sie, »Sie wissen ja, ich war ein
Heidenkind, und als man mir von Christus erzählte, liebte ich ihn
gleich wie meinen großen Bruder, und es fiel nicht schwer, mich zu
bekehren. Im Gegenteil, mir war, als sei ich, seit ich lebte, in einem
dunkeln Gang marschiert, immer geradeaus, bis in die Kapelle des
Rene Scßicßefe ■ Aisse'
901
///////////////y//////////////////////////////y////////////////////////////yy/////////#//////////////////#/////////////////////////////////////
Klosters, wo im Weihrauch die goldene Monstranz war und die
weißen Schwestern sangen. Aber nun sterbe ich daran. Ich spüre
es, ich fürchte sogar, daß es schnell geht. Ich magere schrecklich ab.
Ich verzehre mich. Herr von Ferriol hat mir einmal geschrieben,
schlimmer, als in einem Harem hätten es die Frauen in Paris auch
nicht. Er hat vielleicht recht. Und die Frauen wollen es ja nicht
anders. Aber ich kann nicht. Ich liehe, ehrwürdiger Vater, ich liebe
mit ganzem Herzen, und, nein, ich kann meine Liebe nicht für Sünde
halten. Aber das ist es nicht. Ich muß sterben, weil ich den Cheva-
lier nicht heiraten kann . . .«
Der Priester wollte sie unterbrechen, aber Aisse fuhr schnell fort:
»Ja, er will mich heiraten — ihn trifft keine Schuld. Sie müssen
einsehen, daß ich ihn nicht heiraten darf. Er kann keine Sklavin
heiraten, und ich bin eine Sklavin, eine böse, eifersüchtige Sklavin,
die ihm nie verziehe, wenn er sie einmal nicht mehr liebte, und sich
gleich auf der Stelle wegwürfe, um sich an ihm zu rächen. Wie sind
sie jetzt schon hinter mir her! Oh, sie haben mich verhöhnt, als ich
herkam, und gesagt, man sehe an meinem Gang, daß ich eine Sklavin
sei, ich stieße mit dem Fuß ein rohes Ei vor mir her, darum schliche
ich so. Dann haben sie alle versucht, meinen Gang nachzuahmen.
Ich bin ihnen nicht böse, viele haben mich gestreichelt, — und im
übrigen weiß ich sehr wohl, daß ich schöner bin, als sie, und daß
sie neidisch sind, je älter sie werden. Und sie werden jeden Tag
älter. Nein, ich bin ihnen nicht böse. Wer fände es nicht natürlich,
daß sie einen Eindringling wie mich nicht gelten lassen wollen! Und
wissen nicht alle, daß Herr von Ferriol mich auf dem Sklavenmarkt
wie ein Tier gekauft hat, damit ich ihm nach seiner Rüdekehr wie
ein Tier diene? Sie hätten nur gewünscht, daß ich nicht auf ihn
wartete. Denn sie leiden, wenn sie sehen, daß jemand nicht betrogen
wird, und was mich betrifft, so schwanken sie zwischen Abscheu
und Zufriedenheit. Sie verabscheuen mich, weil ich tugendhaft scheine,
sind es aber zufrieden, weil meine Dummheit, wie sie sagen, mich
unschädlich macht. Dem Chevalier geht es nidit besser. Sie haben
ihn nicht für sich haben können, jetzt tun sie alles, um ihn aus ihrer
Gesellschaft zu vertreiben. Zugleich freuen sie sich, daß er mich liebt.
Denn er ist nicht reich, ohne Protektion, und ich — mir gehört nicht
902 Rene Sdöicßefe • Ai'sse'
einmal das Hemd an meinem Leib. Es ist fürchterlich, arm zu sein.
Und daran bin ich schuld, ich allein. Aber ich liebe ihn, doch, ich
liebe ihn, liebe ihn, liebe ihn! ... Was soll ich tun? Für sie bin und
bleibe ich die Sklavin des Herrn von Ferriol. Sie wollen es nicht
anders. Es darf nicht anders sein.«
Sie warf den Kopf auf den Arm und stöhnte auf. Der Priester
im Beichtstuhl hatte die Augen geschlossen und schwieg. Er kannte
jede Falte in Ai'sses Herzen und wußte, daß sie ohne eine Schatten
von Hochmut, gut und geduldig war, und wie still sie selbst Be^
leidigungen hinnahm. Daran konnte er die Größe ihres Schmerzes
ermessen, wie sie, die er immer gefaßt gesehen hatte, nun ver*
zweifelnd vor ihm lag. Es gab nur ein Mittel, ihr zu helfen. Er
sagte es ihr. Christus kannte keine Sklaven, alle Menschen waren
gleich vor ihm.
»Ist das ganz sicher?« schluchzte Ai'sse.
Nichts konnte gewisser sein. War nicht Christus selbst ein Sklave?
Waren nicht fast alle seine ersten Anhänger, Apostel und Märtyrer,
Sklaven? Arme, verachtete Sklaven? Hatte er nicht selbst gesagt:
»Es geht leichter ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in
den Himmel?« Sie war Christin. Alle Christen waren Brüder und
Schwestern. Der König und seine Leibeigenen waren Brüder. Wehe
dem König, der es vergaß. »Die letzten werden die ersten sein.«
Am jüngsten Gericht werden beim Ruf der Posaunen die miß^
brauchten Throne zusammenbrechen und die Unwürdigen unter sich
begraben, indeß die Armen und Gerechten an Gottes Seite treten.
Sie war keine Sklavin. Sie durfte nicht glauben, daß sie eine Sklavin
sei, das war Sünde an Gottes Kreatur . . . Sie liebte vielleicht zu
maßlos, mehr, als man Menschen lieben sollte. Er, der Priester,
konnte es nicht billigen. Es sei einer der schlimmsten Fallstricke.
Ai'sse schüttelte heftig den Kopf.
Doch, das durfte sie nicht vergessen. Aber er hoffte, für Menschen
wie sie habe Christus das Wort gesprochen: »Ihnen wird verziehen
werden, weil sie viel geliebt haben.«
»Da bin ich so sicher,« sagte Ai'sse leise. »Ich habe Christus
nie vergessen. Ich kann nur seine unendliche Liebe besser begreifen,
seitdem ich liebe, ich fühle ihn näher, ihn leibhaftig, mit seinen blu^
Rene Scßicfiefe ■ Ai'sse
903
tenden Liebeswunden und seinem grenzenlosen Liebesblick über
Himmel und Erde. Wenn icb ihn mir früher vorstellte, war er immer
fern. . . Ehrwürdiger Vater, ich weiß erst, daß er lebt, seitdem ich
liebe.«
Der Priester antwortete, fast ebenso leise:
»Ja — ich glaube, daß ich Sie verstehe. Und ich will Ihnen bei*
stehen mit meinem Gebet . . . Aisse, Sie sind keine Sklavin. Der
Chevalier liebt nur Sie, er kann gewiß den Hof entbehren. Hei*
raten Sie ihn und verlassen Sie mit ihm Paris. Sie dürfen nicht
seine Geliebte sein.«
Aisse dachte lange nach. »Unmöglich,« flüsterte sie endlich mit
zitternder Stimme. »Denken Sie an den Prinzen von Conti, der seine
Frau zuerst so liebte. . . Sie waren kein Jahr verheiratet, da betrog
er sie und kam nicht einmal mehr nach Hause, um zu essen und zu
schlafen. Alle sagen, daß sie einander hassen. Ich ertrüge es nicht. . .
Wenn er sie entbehren sollte, zöge es ihn vielleicht doch wieder zu
den Frauen seiner Gesellschaft.« Aisse fuhr in die Höhe und rief
%
trotzig: »Und dann, ich will nicht noch einmal gekauft werden, wie
ich gekauft worden bin, nackt und bloß, ohne Eltern und Freunde!
Er soll mich lieben, bis ich tot bin und dann eine Dame heiraten,
mit der er seinen Eltern unter die Augen treten darf.« Nach einer
Weile fügte sie hinzu: »Ehrwürdiger Vater, es dauert nicht mehr
lange! bitte, haben Sie Nachsicht mit mir, verstoßen Sie mich nicht.«
Sie starrte in das Dunkel des Beichtstuhls mit angstgroßen Augen,
die ihr Urteil erwarteten.
»Dann sagen Sie wenigstens und lassen Sie verbreiten, daß der
Chevalier Ihnen seine Hand angeboten hat.«
»Warum?« fragte Aisse.
»Damit Ihre Liebe nicht erniedrigt wird.«
Er bat Aisse, bald wiederzukommen und entließ sie ohne Abso*
lution . . .
★
Am Abend dieses selben Tages gab der Regent seinen Freunden
ein Fest. Da saß Aisse und war gezwungen, Frau von Berry, der
Tochter des Regenten, die in fetter Röte neben ihr thronte, ihre
Beobachtungen über das Hofleben mitzuteilen. Sie wandte das
59
904 Rene SdöicßeCe • Ai'sse
schmächtige Gesicht hin und her und konnte ihre Ungeduld nicht
verbergen.
»Madame, Sie verzeihen, aber Ihre Sitten werden mir wohl immer
ein wenig fremd bleiben. Herr von Ferriol hat mich auf einem
Sklavenmarkt aufgelesen, wo ich, elfjährig, zum Kauf angeboten
wurde, und mich nach Paris in seine Familie und dann ins Kloster
gebracht. Ich habe mir viel Mühe gegeben zu lernen. Trotzdem kann
ich nicht lieben, wie die hohen Damen, die mich mit ihrer Freund*
schalt beehren.«
Die Herzogin von Berry warf den Fächer auseinander und sagte
entschuldigend:
»Sie sind ja auch noch fast unverdorben. . , Herr von Ferriol wird
sich freuen, Sie in solchem Zustand zu bekommen. Wie lange bleibt
er denn noch in Konstantinopel?«
Ai'sse errötete.
»Madame, Sie tun Herrn von Ferriol Unrecht. Herr von Ferriol
ist für mich wie ein Vater.«
»Hören Sie? Hören Sie?« rief die Herzogin und winkte mit dem
Fächer. Der Regent blieb vor ihnen stehen:
»Braune Diana mit den Honigschultern, sollten Sie endlich meiner
Tochter gestanden haben, daß Sie mich nicht mehr verabscheuen?«
Der Graf von Charolais aber, der wieder getrunken hatte, sam*
melte schnell einige Herren und stellte sich mit ihnen in die nahe
Fensternische, von wo sie Ai'sses Mienenspiel beobachten konnten.
»Aufgepaßt,« flüsterte er. »Ich habe zweihundert Dukaten gegen
ihre Unschuld gewettet! Wenn ich euch sage, daß Richelieu Bresche
gelegt hat . . .«
Ai'sse sah, wie alle Gäste des Regenten einen Kreis um sie
schlossen, und sie bemerkte auch den lüsternen Stolz, mit dem Frau
von Ferriol, die sie, mit Spott, ihre Stiefmutter nannten, jetzt durch
die wispernden Gruppen auf sie zuschritt. Das war die ganze Be*
lagerungsarmee, die der Regent geworben hatte und mit Versprechen
von Gold, Regimentern, Pfründen, Titeln und wiederum Geld und
Liebe in Atem hielt. Und dort aus der Tür trat der bild*
schöne Richelieu, lächelnd, wie immer. Sie schlug erschreckt die Augen
nieder.
Rene Scßicfiefe • Ahse’
905
///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
»Beschämen Sie mich nicht. Wie könnte ich Sie verabscheuen, wo
Sie gut zu mir sind.«
»Indes, Sie lieben mich auch nicht, und es ist vielleicht eine
schlechte, aber, ich versichere Sie, unüberwindliche Gewohnheit von
mir, geliebt zu werden!«
Aisse hob lachend die Augen:
»Ich gestand gerade der Frau Herzogin von Berry, daß ich nichts
von dieser Liebe verstehe.«
Hier aber fuhr Frau von Averne dazwischen, die Aisse allzu
kokett fand:
»Nein, meine Liebe, Sie sind treu, und ich wünschte sehr, daß
diese Tugend hier mehr verbreitet wäre.«
»Nun?« flüsterte Charolais. »Seht nur die beiden Weiber an!
Wie?«
»Treu? Herr von Richelieu, wenn Sie mein Freund sind, so führen
Sie Frau von Averne in die frische Luft, sie könnte sich sonst von
ihrem Temperament hinreißen lassen, mich noch einmal zu untere
brechen . . . Treu? Sind Sie treu?«
»Wie könnte ich treu sein, da ich nicht liebe?«
»Gar nicht? Auch nicht den Chevalier?«
»Noch lange nicht, wie ich möchte.«
Da eine Pause eintrat, während deren der Regent mit seinen heiß^
gespielten Blicken in den großen Augen vor ihm nach einem Fünk*
chen suchte, um es zu entflammen, hörte man die Herzogin von
Berry gelangweilt ausrufen:
»Wann wird denn endlich das Feuerwerk abgebrannt?«
Der Regent nickte:
»Die Zündschnur will nicht Feuer fangen . . . Die Hoffnung erhält
mich am Leben, Mademoiselle.«
Er reichte seiner Tochter den Arm, — und vor Aisse und Frau
von Ferriol stand der Kardinal Dubois und schwärmte leise:
»Madame, Sie sind heute schöner denn je, und glauben Sie mir,
<ler Regent hat ebenso gute, wenn nicht bessere Augen, als ich.
Kennen Sie schon die Geschichte von der Stiftsdame, die sich in die
Venus verwandelte? Herr Graf von Charolais, wenn Sie zuhören
wollen, müssen Sie nähertreten ... Ich bitte darum.. . Eine Stiftsdame,
906
Rene Scßicfcefe ■ Aisse’
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#///////////#///////////////////#////////////////////////////////
wie gesagt. In der Garderobe des Regenten stand auf einem Posta=
ment eine Venus, die, weil irgendwie beschädigt, zur Reparatur
weggebracht worden war. Unsere Stiftsdame schlich sich ins Zimmer,
entkleidete sich, nahm den Platz der Göttin ein, und wie der Re-
gent sich zur Ruhe begeben wollte — Ich muß sagen, daß die Dame
von Natur wunderbar geformt war. Jedoch, es zeigte sich, daß sie
kein Herz besaß. Der Regent mußte ihr bedeuten, daß er es nicht
liebe, wenn Damen zwischen zwei Bettüchern von Geschäften reden,
und schickte sie fort . . . Sie scheinen toll vor Liebe und wollen doch
nur Geschäfte machen. Ein Herz fehlt, ein Herz, das zugleich Franko
reichs Herz wäre. Denn im Grund ist er der edelste Charakter, ich
kann sagen, der edelste von allen, die ich kenne.«
Und er sah Aisse fragend an.
Sie lächelte.
»Das begreife ich,« sagte sie, erhob sich langsam, und dann streckte
sie, wie ein Mädchen, mir, mir, der auf sie zueilte, die kleine runde
Hand entgegen. Zugleich nahm Charolais den Arm des Kardinals:
»Kommen Sie, ich möchte den Kerl erst aufspießen, wenn der
Regent sich zurückgezogen hat. Machen wir unterdessen ein Spiel.«
»Seit vier Stunden bete ich zur himmlischen Jungfrau, daß sie dich
schicken möge, um mich zu befreien. Jetzt bist du da.«
★
Wir setzten uns nebeneinander an die Wand, den Saal vor uns,
und nahmen eine Haltung ein, als ob wir plauderten. So sangen
wir einander unsere Liebe zu. Wir hätten am liebsten geschwiegen,
weil wir dann die Stimme am deutlichsten hörten. Aber wir wagten
es nicht. Gleich hätte sich, mit spöttischem Gesicht, ein Kavalier ein^
gefunden und behauptet, daß er die junge Dame unterhalten müsse.
Wir hockten wie halb versteckt an den untersten Stäben eines
großen Papageienkäfigs, den von Zeit zu Zeit grelle Flüge durchs
brausten. Sie störten die sich artig und listig drehenden Tierchen
gewaltsam auf. Dann war alles ein bunter kreischender Wirbel, der
den Käfig selber hochzuheben und fortzureißen schien. Aber plötz-
lich standen sie wieder in Reih und Glied, schüttelten zeremoniös
die Flügel, verteilten sich gravitätisch, zu vier und fünf, auf den
Rene Scföicfiefe • Aisse’
907
///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
vielen Stäben und Ringen und taten feierlich und immer kokett, als
hielten sie, in verschiedenen Kommissionen, eine wichtige Beratung
ab. Am Boden kauerten Verletzte, andere schaukelten mit einge-
zogener Pfote auf den Ringen. Sie gaben sich die größte Mühe,
wohlauf und keck zu erscheinen und wußten die schmerzhaften
Zuckungen ihrer Flügel so zu deuten, als ob sie sich gar nicht an
die Ruhe gewöhnen könnten und am liebsten gleich wieder den Ver^
stand verlören. Es kam vor, daß einige mit dem Leben auch die
Fassung einbüßten und rücksichtslos auf den Rücken fielen . . .
Als das Feuerwerk abgebrannt war, kam der Regent auf uns zu.
»Chevalier,« rief er, »ich werde Sie an die Grenze schicken.«
Aisse, die er dabei ansah, wurde weiß um die Augen.
»Kind, wie können Sie mich für so grausam halten. Wenn er Sie
heiratet, mache ich ihn zum Hauptmann in der Garde.«
»Sie sind ein Volk von Wilden,« erwiderte sie matt, und der Regent
ging lachend davon. Die schöne Türkin durfte sich viel herausnehmen!
Bald darauf entstand Lärm, Frau von Ferriol wandte sich durch
die nach dem Spielzimmer drängende Menge:
»Sie schlagen sich im Spielzimmer«, sagte sie. »Der Graf von
Charolais hat verloren . . . Das nennt man ein intimes Fest. Wir
wollen nach Hause, — bevor es ihnen einfällt, sich über die Frauen
herzumachen.«
Im Spielzimmer sah ich, wie der Graf von Charolais seine Freunde
von sich abschüttelte und mit geschwungenem Degen auf ein Kru-
zifix losstürmte, das über dem Kamin hing.
»Nieder mit ihm!« brüllte er. »Nieder mit ihm . . .«
★
In der Nacht bekam Aisse, ohne ersichtlichen Grund, einen hef-
tigen Fieberanfall. Der Arzt ließ sie zur Ader. Nun verfiel sie in
einen Zustand vollkommener Erschöpfung, der lange anhielt. Als sie
soweit hergestellt war, daß sie das Bett verlassen konnte, bat sie
mich, sie fortzunehmen und in der Nähe von Paris zu verstecken,
so daß es mir möglich wäre, meinen Dienst in den Gemächern der
Regentin zu versehen und dennoch alle freien Stunden und die
Nächte bei ihr zu verbringen.
908
Rene Schießefe • Aisse'
/////////i/////#/////#//////////////////////////////#/////////////##/##//////#////////////////////////////////////////////////////////////////
IA war glückselig. IA braAte sie in das Haus eines PäAters, der
uns ein großes DaAzimmer abließ, von wo wir, aus drei Fenstern,
über hohe Wiesen bliAten, die siA tief und gleiAmäßig ausbreiteten,
bis sie, auf der einen Seite, vor einem Walde Halt maAten, auf der
anderen aber in den offenen Himmel strömten. Wir waren wie auf
einer Insel in einem grünen Meer.
Aisse hatte das Haus der Frau von Ferriol in einem einfaAen
Kleid verlassen. Sie tat es ab, löste ihre Haare und legte siA naAt
ins Bett, und iA mußte alles, was sie besaß, bis auf die Haar*
Spangen, Frau von Ferriol überbringen mit Ai'sses Dank für die
Wohltaten, die sie in ihrem Haus empfangen habe: Sie wolle leben
und sterben wie sie gewesen, als Herr von Ferriol sie gekauft habe.
AuA bat sie Frau von Ferriol, sie in SAutz zu nehmen, wenn man
zu sAleAt von ihr spräAe..
In Ai'sses Umarmungen verlor iA bald das Bewußtsein von ihrer
Krankheit. Gab sie mir niAt so viel und mehr, als je zuvor? Zum
ersten Mal besaß iA sie ganz, ohne RüAsiAt auf andere, niAt nur
für Stunden, in den ZwisAenakten der höfisAen Komödie, sondern
Tage und NäAte, waAend und im SAlaf. IA nahm sie niAt mehr
in jenem wilden, sAwindelerregenden Anlauf, als müßten wir uns
sAnell aus einer Welt von Verstellung und HäßliAkeit in einen
Abgrund stürzen, um in dessen Tiefe endliA zusammen zu kommen
und einander zu gehören. Immer war sie bereit für miA, die Zeiten
des Tags und der NaAt weAselten auf ihrem Körper, Hell und
Dunkel lag in ihren Händen, ihre Stimme hielt alles zusammen.
Sie sAien das Geheimnis des ewigen Lebens zu kennen.
Sie war unersAöpfliA.
Ihre Arme hoben miA in den Himmel. Sie rief, den sAwärmerisAen
Tod auf den Lippen, und hielt miA an siA, bis iA wie in Feuer
und SAnee in ihr versank. Ihr BliA, die geringste Bewegung ihres
Körpers braA strömende Kraft in mir auf, und wenn iA müde war,
de Ate sie miA mit einem Frühlingshimmel zu. Ein kühlender Wind
wehte und trieb SAafwölkAen über den Himmel. Die Erde roA
feuAt und erquiAend, wie naA einem Regen. Weit fort, am Wald*
rand, sangen die Vögel.
Jetzt hingen der Hof und Paris wie eine traumhafte ErsAeinung
Rene ScfiicßeCe • Ai'sse
909
in der Luft, zitternd, ungewiß, idi sah den mir wohlbekannten
Chevalier d'Aydin mit Verwunderung sich in diesem Bild bewegen,
die Sinne versagten mir, dann erwachte ich in Aisses Armen zur
Wirklichkeit... »Seht nur das Gespenst!« riefen die Leute, wenn
ich auf meinem Pferd durch die Straßen jagte. »Der Chevalier ist
blind und taub geworden,« sagte man bei Hof. Ich tat meinen Dienst
mit einer Art schlafwandlerischen Sicherheit, ohne mich einen Augen-
blick bei etwas aufzuhalten, was nicht zu der Funktion gehörte, die
ich, wie mir schien, seit undenklichen Zeiten ausübte. Wie ich mich
so gehen und sprechen, lächeln, den Nacken beugen fühlte, empfand
ich mich selbst immer mehr als ein Gespenst.
Im selben Maße wuchs die Macht meiner Vereinigung mit der Ge-
liebten. Es war ein Strudel, der alles anzog. Eltern, Kindheit, die
kleinen und großen Ereignisse meines Lebens, Hoffnungen und Be^
gierden, alles drängte hier zusammen und hatte nur noch Leben in
ihren Armen. Manchmal sah ich halbvergessene Menschen körpere
haft herbeiwandern, ich hörte ganz nah den Klang von meines
Vaters Stimme, der aus dem Fenster des Wohnzimmers nach mir
rief, ferne Gegenden kamen geschwommen, wie Treibeis, mit Häu=>
sern, Äckern, Herden darauf. Alles, was ich kannte, machte sich
vom Boden los, verließ die Welt des Scheins und kehrte in die
Heimat zurück und nahm Platz in meinem und der Geliebten einem
Herzen.
O wunderbare, lebenslängliche Umarmung! Sie offenbarte mir die
tiefe Güte selbst der Verzweifelten. Wie alle jungen Männer, hatte
ich genossen, um zu genießen, der Zerstreuung wegen, und weil
andere ebenso taten, und auch, um mich von einem Alb zu befreien,
— und die brennende Scham der Enttäuschung gekannt. Die ersten
Frauen, die sich geben, sind ja selten die Geliebten. Ich sah sie
wieder und erkannte allerhand Zeichen, die ich früher übersehen
hatte, daß in ihrem Lachen, in ihrem Fieberdurst, in ihrer bald ko-
ketten, bald frechen Sachlichkeit, ihrer zerreißenden Neugierde alte
Mädchenträume um Erfüllung schrien. Sie betranken sich an der
Liebe, wie auch oft am Wein. Sie mußten hinaus ins Grenzenlose,
kostete es, was es wollte. Versuchten immer wieder die Himmelfahrt,
erwachten als Dirnen und begannen von neuem, die Männer ver*
910
Rene Sdöicßefe • Atsse
y///AW///ar//////A//A/A/////A///A////A/r///A//A///AAWA/A////A///////////A/A///////////yAAAA/Ai'////////A/////AAAA/////y////////A/////A//^//
darben sie, indem sie die Verführten an ihre Laster gewöhnten.
Hatten nicht vier Edelleute die Marquise von Grace, der Regent
und der Graf von Charolais eine junge Witwe, Frau von Saint^
Sulpice, betrunken gemacht und die eine den Lakaien vorgeworfen,
die andere unter grausamen Belustigungen fast getötet? Der Regent
nicht versucht, Frau von Rauchefoucault mit Hilfe seiner Tochter,
die sie festhielt, gewaltsam zu verführen? Die Frauen wurden nachts
in ihren Betten überfallen, ihre Gatten, ihre Geliebten verkauften sie,
des Gewinnes wegen, oder um selbst ungehindert nach ihrer Laune
zu leben. Sie konnten nicht anders, als sich verachten, so sanken sie
immer tiefer. Der Regent gab das Beispiel, da er eines Abends bei
Tisch saß mit Frau von Parabere, dem Kardinal Dubois und dem
Bankier Law. Gegen Ende der Mahlzeit brachte man ihm eine Ver-
ordnung, die seiner Unterschrift bedurfte. Er konnte nicht schreiben,
weil er betrunken war, und reichte das Papier Frau von Parabere
mit den Worten: »Unterschreibe, schlechtes Frauenzimmer.« Sie
#
weigerte sich. Da hielt er es dem Kardinal hin: »Unterschreibe, du
Zuhälter«, und als auch der ablehnte, wandte er sich an Law: »Dieb,
so unterschreibe du.« Law unterschrieb nicht. »Ein schönes Könige
reich,« seufzte der Regent, »das eine Dirne, ein Zuhälter, ein Dieb
und ein Trunkenbold regieren!« und unterschrieb. Aber selbst die
Verdorbensten waren nicht ohne Leidenschaftlichkeit! Frau von Nesles
und Frau von Polignac hatten sich im Bois von Boulogne duelliert,
weil keine wollte, daß die andere Herrn von Richelieu beglückte.
Und Frau von Nesles war durch einen Schuß in die Schulter ver-
letzt worden. Das Verlangen verbiß sich rasend in sich selbst. Sie
suchten alle die Liebe, aber mit der Selbstachtung und dem Glauben
rissen sie auch die Wurzeln der Freude aus. Schließlich glichen sie
alle mehr oder weniger dem Kardinal Dubois, der sich für die Nacht
eine Dirne kommen ließ und zwischen Bett und Schreibtisch hin und
her ging, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, und der jedem ver^
sicherte, daß die Liebe nichts sei, als eine manchmal amüsante Ge-
wohnheit . . . Und verirrten sich nicht selbst die Gedanken dieses
völlig ernüchterten Teufels zu anderen, lieblicheren Gestalten, während
er seiner stumpfsinnigen Gewohnheit fröhnte? Auf seinem tierischen
Mund — nun sah ich es! — schwebte schon das Wort, das ihn be*
Rene ScfiicfieCe ■ Ahse
911
freien sollte, sein lüsterner Blick war bereit, vor der Wahrheit ab-
zudanken ... Gleich ginge die schwelende Inbrunst in Flammen auf...
Ich nannte ihn Bruder. Wie sie in meine Liebe einzogen, waren sie
schon halb erlöst — alle! Das Leben glühte auf, von einem über®
irdischen Strahl getroffen. Das Leben erfüllte seinen Sinn. Die
Schmerzen hatten, litten ohne Haß, und die Glücklichen spendeten
mit reichen Händen. Zwischen Geburt und Sterben stand das schwarze
Kreuz des Todes wie der Zeiger einer Wage. Ich lebte — wie das
Leben selbst.
A'isse aber starb ewig den Liebestod.
»Bin ich schon tot?« fragte sie manchmal, wenn wir, noch inein®
ander verschlungen, ruhten. Zwei Pflanzen waren wir, die, außer sich
vor Freude, einander mit ihren Säften durchdrangen und voneinander
zehrten. Die Mündung zweier Ströme. Ein Kandelaber mit vielen
brennenden Kerzen.
A'isse öffnete nicht einmal die Augen, wenn ich sie verließ, und
meine Rückkehr war, als hätte ich sie nie verlassen. Wir kannten
weder Zwang noch Versagen. Wir waren die beiden Flügel eines
Vogels, die einander mühelos überboten und sich zusammenschlossen.
»O Wollust,« rief sie, »gute Wollust!«
A'isse wußte nichts mehr von Paris, sie war im Kloster gestorben,
als die Monstranz funkelte und die weißen Schwestern sangen. Der
Geliebte hatte sich über sie gebeugt, sie auf seine Schulter gehoben
und in den Himmel getragen. Nun küßte er sie unaufhörlich, und
sie umarmte ihn ohne Ende. Wir brannten und hatten wieder kühl.
Millionen Wesen nahmen, von einem Blut durchströmt, an unserer
Freude teil, eine unübersehbare, glückverstummte Schar, aus der
manchmal, deutlich erkennbar, die Heiligen auftauchten. Aisse er®
kannte sie nach den Bildern, die sie auf der Erde von ihnen gesehen
hatte. Es war ein ewiges Kommen und Gehen wie auf einem
großen Sklavenmarkt. Ein Sichsuchen, Sichfinden, ohne daß wir ein®
ander verloren. Zuweilen tauchte aus dem Goldlicht die dunklere
Silhouette von Konstantinopel. Auf den Minarets hoben sich ganz
dünne Arme. Das waren die Männer, die zum Gebet riefen. Aber
ihre Stimme hörte man nicht.
A'fsses Gang war noch leiser, ihre Bewegungen noch demütiger
912
Rene Scßicfiefe • Ai'sse
geworden. Sie schwebte durchs Zimmer, bereitete das Essen, ver^
weilte still und tat alles
der Selbstverständlichkeit
freien
Der Pächter und ein Knecht
Magd. Sie kannte weder Scham noch Furcht.
Eines Tages versuchte sie mühsam, sich aus meinem Arm zu er^
heben und fiel zurück. Da sagte sie:
»Du mußt meinen Beichtvater holen.«
Der Priester kam und traute uns.
waren Zeugen.
»Jetzt,« rief Ai'sse, »kannst du tun, was dir beliebt, bis du stirbst.
Dann werden wir Hochzeit halten im Himmel, denn du bist mein
Gatte. Du bist mein Gatte! Hörst du? Mein Gatte! Du gehörst
Gott und mir allein.«
In der Nacht begann der Todeskampf. Sie klammerte sich an
mich und litt knieend in meinen Armen, die sie hielten. Dann strich
sie mit beiden Händen langsam über meinen Körper und legte den
Kopf auf meinen Leib.
Ich hielt zwei Tage und zwei Nächte Totenwacht. Ai'sse lag nackt
und einsam ohne eine Blume, zwischen den Kerzen, sie schien mit
den Haaren an das große weiße Bett festgewachsen. Sie hüllten sie
in das Laken und legten sie in den Sarg.
★
Am Grab war die männliche Gemeinde von Saint-Sulpice ver-
sammelt. Der Regent ließ sich durch den Grafen von Charolais ver^
treten. Als der Priester die letzten Gebete sprechen wollte, vergaß
er sie mit einemmal. Er starrte mit geröteten Augen abwechselnd
ins Grab und in sein Buch. Endlich sagte er einfach:
»Sie wird auferstehen!«
Kurze Zeit darnach folgte ich meiner Geliebten. Als ich spät
abends den gewohnten Weg zum Pächterhause ritt, scheute auf der
Brücke bei Suresnes mein Pferd vor einem Wagen und stürzte über
das Geländer in die Seine. Ich ertrank...«
Der Franzose legte seine Hände auf meine Knie und sah mir
lächelnd in die Augen.
»Ich versank und erwachte bald darauf in einem fremden Land. Ich
sah gleich, daß alle Frauen hier Ai'sse glichen und war nicht er^
Rene Sdöicßefe • Aisse'
913
////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#///////////////////////A
staunt, als ich sie selbst eines Abends wiederfand. Sie saß im großen
blauen Salon unseres Gouverneurs, und ihre Augen suchten. Der
Sohn des Gouverneurs hatte den Arm auf die Lehne ihres Stuhles
gestützt und sprach gebeugten Hauptes auf sie ein. Unsere Blicke
trafen einander und ließen nicht los. Ich trat hinzu und bat meinen
Freund, mich vorzustellen. Aber ohne diese Förmlichkeit abzuwarten,
streckte Aisse mir ihre kleine runde Hand entgegen... Und nun
werden wir vielleicht bald wieder sterben, jedes für sich, und ein*
ander scheinbar verlieren, um des Glücks willen, einander wieder zu
finden. So wandern wir durch die grenzenlose Welt, wir beiden...«
Sein Blick lag auf mir, ein Blick, den ich bei den Betern im Ganges,
aber nie bei einem Europäer bemerkt hatte, der Blick, der hinüber*
sieht, kampflos und weitoffen, stark wie die Stille des Mittags in
Benares, ausgefüllt von der Sonne, in deren volle Glut sie dort mit
demütig zurückgebeugtem Nacken hineinsehen. Ein Märtyrerblick,
neben dem die Frauen, die ihr nasses Gesicht gleichfalls in die Sonne
heben, sanft und mütterlich verblassen. Ich fand kein Wort der Er*
widerung. Ich hörte die Ventilatoren im Hause rauschen, und vor
der offenen Verandatür, die ein Moskitonetz verhing, balgten sich
zwei kreischende Papageien. Die alte Frau hielt die Augen ge*
schlossen, sie schien zu schlafen.
Als fühlte er meine Verlegenheit und wollte mich daraus befreien,
erhob der Chevalier sich unter kleinen artigen Bewegungen und fragte
lebhaft:
»Sie fahren an Pondichery vorbei? Schade, sehr schade. Sie hätten
da eine alte französische Provinzstadt kennen gelernt, wie es sie
in Frankreich selbst wohl nicht mehr gibt. Still und weiß mit großen
Plätzen und winkligen Straßen, deren Namen die veraltete Schreib*
weise des vorvorigen Jahrhunderts beibehalten haben...
Nicht wahr, Doktor,« rief er dem Arzt entgegen, der eben ins
Zimmer trat, »Monsieur sollte, Monsieur müßte einen Abstecher
nach Pondichery machen?«
Und in einem Geplauder voll launigen Liebreizes begleitete er
uns bis in das Vorzimmer, wo er sich, plötzlich beunruhigt, von uns
verabschiedete.
914
Max Herrmann (NeisseJ • Schweigen mit Dir
Max Herrmann (NeisseJ:
SCHWEIGEN MIT DIR
Schweigen mit Dir: das ist ein schönes Schwingen
Von Engelsfittichen und Gottes Kleid
Und süß, unsagbar sanftes Geigenklingen
Verweht von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Schweigen mit Dir: das ist verschwistert Schweifen
Auf weißen Wegen und geliebtem Pfad
Und Fühlen, wie sich Blut zu Blute reifen
Und ranken will aus segensreicher Saat.
Schweigen mit Dir: das ist der Schwalben Schwirren
Um abendliche Türme sonnensatt
Und Wonnig-Wissen, wenn wir uns verirren,
Uns blüht gemeinsam doch die Ruhestatt.
Schweigen mit Dir: das ist aus Schwachsein Schwellen
Zu immer größrer Fülle, Form und Frucht,
Ist Wärme von Kaminen, Hut in hellen,
Verstohlnen Stuben, Bad in blauer Bucht.
Schweigen mit Dir: so sicher singt das Sehnen
Von Seele sich zu Seele wunderbar
Ich weiß mein Haupt in Deinem Schoße lehnen
Und Deine Hände streicheln hold mein Haar!
Tranz Bfei • Vom Tag
915
Tranz Bfei:
VOM TAG
1.
DIE DREISSIG MINUTEN
T/^RIEG oder Nicht-Krieg, das entscheiden dreißig Minuten, um
r\ die zu kurz verhandelt wird«
diese These hielt im Gespräch
einer der beiden Verfasser des deutschen Weißbuches aufrecht gegen^
über seinem philosophisch nicht weniger gebildeten Widerredner, der
ein »Elementarereignis wie Krieg« nicht in so zufällige Abhängig-
keit von um dreißig Minuten mehr geäußerter menschlicher Intelligenz
bringen lassen wollte. Die dreißig Minuten scheinen mir begreifliche
Überschätzung des eigenen politischen Berufes und Befangenheit darin,
wofür es in allen Memoiren und Korrespondenzen von Diplomaten
eine Menge Beispiele gibt. So sagt Bismarck, daß es, wenn Clarendon
am Leben geblieben wäre, keinen deutsch-französischen Krieg ge^
geben hätte. Obwohl nicht zu sehen ist, und Bismarck darüber auch
nichts sagt, was »Frankreichs kühler Freund« hätte tun können. Wahr^
scheinlicher ist, daß ein Krieg vermieden werden kann, wenn die
Diplomatie schweigen muß. Der Sezessionskrieg brachte die Gefahr eines
Krieges der Staaten mit England sehr nahe. Mason und Slidell
waren an Bord des »Trent« in Haft, und sechs Wochen lang war
der britische Botschafter, Lord Lyons, der einzige Mann in den
Staaten, der zur Sache absolut nichts zu sagen hatte. Als dann mit
dem Schiff seine Instruktionen kamen, übergab er sie auf der Stelle,
die Gefangenen wurden frei gelassen, und Lord Lyons erhielt das
Großkreuz des Bathordens. Daß es noch kein Kabel gab, verhinderte,
sagt man, den englisch-amerikanischen Krieg. Sechs Wochen Warten
kühlt die Kriegslust ab, die Lyons übrigens auch für kürzere Zeit
nicht warm erhalten hätte, denn er war ein sehr kluger, schweig-
916
‘Franz BCei • Vom Fag
//////////////////#/////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#//////////////////
samer Typ John Bull, ohne feinere oder gar elegante Manieren, ohne
Nerven, ohne Abenteuer, ohne verliebte oder sonstige Schwächen
und sein Dossier auf der Pariser Polizeipräfektur enthielt, wie sein
Biograph Lord Newton erzählt, nur eine einzige Eintragung »On
ne lui connait pas de vice«. Immer bleibt eines auffallend: die außer^
ordentlich suggestive Kraft einer Kriegserklärung auf das Volk.
Schlüge man ihm irgendein Gesetz mit praktisch einzusehendem
Nutzen vor, so gäbe es einen Monate währenden Streit in den
Zeitungen und Versammlungen. Schlägt man dieses Äußerste des
Krieges vor, dieses für die weit überwiegende Mehrzahl der Ein**
zelnen ganz Unpraktische und wie der Tot Unfaßliche, so geschieht
der Krieg mit einer unheimlichen Selbstverständlichkeit, gegen einige
schüchterne ä basso la guerra und gegen alle bessere Einsicht. Das
Irrationale hat die stärkste Wirkung, und das weiß der rationale
Kriegsmacher seit Kleon, und seine Verantwortung ist ungeheuer.
Er braucht vielleicht diese »dreißig Minuten zu wenig«, um für den
schlimmen Fall eine entlastende Ausrede zu haben.
2.
DER GROSSE FRIEDE
»Es wird noch einen großen Krieg geben und der wird der letzte
sein,« sagten sie vor diesem Kriege, und erhoffen nun nach ihm die
europäische Föderation, die innereuropäische Kriege ausschaltet. Man
würde, zumindest, auf lange hinaus des Krieges müde sein, sagen
die weniger Optimistischen. Alle Paradoxien, die im Kriege liegen,
haben in jenem Nobel ein sichtbares Zeichen gefunden: ein Mann,
der das Dynamit erfand, um Menschen damit in die Luft zu sprengen,
stiftete Preise für jene, die der Menschheit am besten beibringen, wie
der Sprengstoff nicht zu diesem Zwecke verwandt wird. So unter-
stützt der durch die Trunksucht reich gewordene Chikagoer Brauer
Abstinenzvereine. Und müßte der Erfinder eines Haarwachsmittels
menschliche Lebensweisen fördern und erfinden, die dem Haarausfall
epidemischen Charakter geben. Ein paar Monate vor dem Krieg gab
ein Engländer ein Buch gestopft voll mit geplünderten Archiven über
Tranz BCei ■ Vom Hag
917
die Confederation of Europe heraus, nicht die künftige, sondern jene
von 1813 bis 1823, und nannte sie ein Experiment in der intern
nationalen Friedensorganisation. Sehr interessant ist darin vieles
Neue über den unglücklichen Castlereagh, den besserer Nachruhm
nicht trösten kann über die Ungerechtigkeit, die er von seiner Zeit
erfuhr. Er war es, und er allein, der den seltsamen Gründer der
Heiligen Allianz so behandelte, daß nicht virulent wurde, was er
latent war: eine große, allgemeine Gefahr. In diesem Alexander
lebten beisammen: Gewissensbisse über seine Teilnahme an der Er*
mordung Pauls, die Doktrin der Enzyklopädisten, Mystik, die sich
an der Apokalypse und Madame Krüdener berauschte, die grenzen*
lose Überzeugung, ein ebenso großer Mensch wie Potentat zu sein,
und eine Heilige Allianz, die sich wie der rabiate Christ zum Mit*
menschen äußert: »Wenn du den Menschen nicht liebst, schlag ich
dir den Schädel ein!« Man war in der Zeit von 1815 bis 1823
außerordentlich kriegsmüde, und die Zeit einer europäischen Kon*
föderation schien so günstig wie nie,- alle bis auf den Papst und den
englischen Regenten hatten die prachtvollen Artikel der Heiligen
Allianz unterschrieben: in dieser Zeit mußten zwei Kriege als un*
vermeidlich und nötig geführt werden, und der Kongreß von Verona
zeigte, daß Europa nie weniger föderiert war, als 1822. »Lieber den
Krieg als etwas von dem aufgeben, was ich halte und besitze,« er*
klärte der Allianzzar Alexander. Die lauten Friedensfreunde scheinen
die ständige Kriegsgefahr sein zu müssen.
3.
DER IRE
In Rudolf Borchardts Rede »Der Krieg und die deutsche Selbst*
einkehr« <bei Weißbach in Heidelberg), der ersten im Ethos und
im Gedanken großen Schrift in der Schlammflut der Kriegsliteratur,
steht der Satz: »Das deutsche Publikum scheint mir einer doppelten
Täuschung des Blickes zu unterliegen: es unterschätzt die reale
Resistenz der äußeren englischen Macht etwa in dem Maße, in dem
es die Solidität seiner inneren Macht überschätzt. Es hat Lloyd
918 ‘Franz BCei - Vom Tag
George für einen großen Politiker gehalten... König Eduard einen
großen Staatsmann genannt, aber es hört erst seit Ypern langsam
auf, den englischen Soldaten komisch zu finden.« Es überschätzt Shaw
und ignoriert den einzigen großen Richtergeist, den das sinkende Eng**
land von heute besitzt, Chesterton. Die Deutschen »unterschätzen
die noch immer imponierend gewaltigen Materien-Resultate von drei
Jahrhunderten einer beispiellos kühnen und großartigen nationalen
Geschichte: die englische Defensivträgheit. Sie erweisen den Personen
und Repräsentanten dessen, was ihnen das offensiv-feindliche Eng**
land scheint, die gänzlich unverdiente und proportionslose Ehre ihres
Hasses,- sie verwechseln mit einem Worte die Gegner miteinander«.
Der Gegner ist das alte England, und der deutsche Bundesgenosse
ist — eine englische Zeitung nannte Winston Churchill so — das
neue in der Dekomposition befindliche England. Zeichen dieser De-
komposition sind: die Plutokratie der Lords, die Weiberemeute der
Suffragetten, die Tatsache, daß Deutsche berufen werden mußten,
um ein mustergültiges Kohlenbergwerk einzurichten, der Bürgerkrieg
in Ulster. Aus einem Gespräch, das ich mit einem Irländer vor dem
Kriege hatte <einem sehr ruhigen, alten Herrn) teile ich mit: Seit
der Belagerung von Londonderry gegen Jakob II. kämpfen die Ulster**
leute gegen die immer rebellierenden Iren, die zu Dienern der Ulsterer
wurden. Nun können Sie sich die Wut der Herren denken, daß auf
einmal aus den Dienern die Herren werden sollen! Der Unterschied
zwischen den beiden, fragen Sie? Irland, das sind Wiesen mit Lilien
und Wälder und Lustigkeit — Ulster, Belfast, der Norden, das ist eine
Fabrik. Wie? Nein, mit Katholizismus und Protestantismus hat das gar
nichts zu tun. Bloß mit dem Geld und der Industrie im Norden und
der Fröhlichkeit und der Grazie im Süden. Der Ulstermensch ist
eben ein Stockengländer, der nicht versteht, daß es Sachen gibt, die
mit dem Geld nichts zu tun haben. Er ist enggeistig, praktisch, vor**
sichtig, liest nicht, geht nicht ins Theater. Wenn Sie mit einem Dub-
liner Zusammenkommen, ist das erste, was er tut, daß er Sie zum
Essen einlädt. Das ist das Letzte, was der Ulstermann tut, und
dann besteht er nicht darauf. Solche Dinge, lieber Freund, sind
wesentlicher, als die sogenannten wirtschaftlichen Gegensätze, denn
die sind ja nur Folge eben dieser elementaren, wie dieses, daß der
Franz Bfei • Vom Fag
919
lilstermann ohne jeden Sinn für Witz und Spaß einen Witz nur
dann und in Gesellschaft erzählt, wenn er damit jemand aus der
Gesellschaft in Verlegenheit oder sonst in Unbehaglichkeit bringt.
Das klingt nicht so großartig wie »religiöser Antagonismus« und
»wirtschaftlicher Kampf«, aber wir bringen ja auch einen um, nur
weil uns seine Nase nicht gefällt.
4.
DER ITALIENISCHE IMPERIALISMUS
Es gibt bessere Quellen, die Leitmotive des italienischen Im^
perialismus kennen zu lernen, als d'Annunzios wortreichen civischen
Lyrismus oder Marinettis heulende Wut auf das »Museum Italien,
das Lotterbett der reisenden Hochzeitspaare«, — man muß die
Heftigkeit der Dichter aus der Tatsache begreifen, daß die alte Poli^
tik des il piede di casa, wie man die Antiexpansionisten nennt, die
Klein-Italiener, gefühlsmäßig bei allen kleinen Leuten im Lande am
beliebtesten ist/ der Mann, der im Laden seine Salami verkauft, ist
nicht kriegerisch, eher ist es schon der verzweifelte Bauer der Ro*
magna, um dessen Tot sich Pelagra und Hunger streiten, so daß
es ihm wenig ausmacht, wenn sich der Krieg als dritter dazu gesellt.
Aber an der Trägheit des feistwerdenden Mannes im Laden, der
Gewinnsucht des kleinen Landspekulanten, dem öden Geschäftssinn
eines praktischen, mit Stimmenkauf gewählten Giolitinischen Onore^
vole wird der eifernde Zorn der Dichter zum Delirium, so daß die
paar Gedanken im Taumeln dieser Strophen nicht mehr zu erkennen
sind. Italien, sagen die Italiener, ist der Prototyp einer proletarischen
Nation, wie Frankreich der einer plutokratischen ist. Zwischen beiden
ist am Mittelmeer eine Rivalität, vergleichbar dem Klassenkampf in
einem Staate — bei allen gefühlsmäßigen, aber doch mehr literari^
sehen Sympathien für la sorella latina konstatiert man, daß es den
österreichischen Italienern besser geht, als den italienischen, und dar-
aus ist die Monarchie der Feind. Im Küstenland, in Dalmatien, in
Istrien sind die Italiener — die Minderzahl der Bevölkerung! —-
die Besitzenden, und die Slaven die Dienenden: dies macht den
60
920
Franz Bfei• Vom Fag
' //////////////////////////////////////////////////////////////////////////////#////////////////#//////////////////////////////////////////////
Schmerz über das proletarische Italien brennend. In der äußeren
Politik eine Macht zweiten Ranges und im Innern proletarisch zu
sein, innen von der Tyrannei des Proletariats, außen von der der
internationalen Plutokratie bedroht zu sein, das ist für den italieni-
schen Patrioten ein Zustand, von dem, wie er sagt, nur der Krieg
befreien kann. So kam es zum Kriege in Tripolis. Italien hatte, sagen
die Corradini und Borgese, schon fast sein nationales Gewissen
verloren im Klassenkampf Ausgehungerter und in der Bereicherungs^
und Bestechungspolitik Verwerflicher. Solange aus Italien jährlich
Hunderttausende auswandern müssen, solange kann Italien keine
wirklich große Nation werden, sagen die Imperialisten, denen diese
Auswanderung ganz unabsichtlich insofern vorgearbeitet hat, als
gerade sie den Imperialismus populär machte, viel populärer, als er
in Frankreich ist, das in seine Kolonien nur Kapitalisten, Gewerbe^
treibende und Beamte entläßt, aber sehr wenig wirkliche Kolonisten,
wie es die Leute aus Kalabrien, Sizilien, der Basilicata sind, und
die tatsächlich zu Eroberern werden. Man erinnere sich, daß an
jenem 22. Februar, als die italienische Kammer den lybischen Feld^
zug beschloß, ein großer Teil der sozialistischen Deputierten »um-
fiel« und für jenen Krieg stimmte, wie sie es heute für diesen tun,
trotzdem die Beute »ohne Schwertstreich zu erreichen gewesen wäre«.
Gerade das will man nicht, daß sie »nichts kostet«, sondern man
will den Krieg, den Krieg als harten Zuchtmeister der im Materiellen
verkommenden Nation. Bleibt die Frage offen, ob er das ist. Jeden^
falls muß er es nicht unter allen Umständen sein. Die italienischen
Leute sagen, der lybische Krieg sei der Nation außerordentlich gut
bekommen: ferrum sanat. Über die Heilmittel, die ein sich todkrank
Glaubender zu seiner Gesundung nimmt, steht kein Urteil zu, selbst
wenn es die Bastonade ist. Daß Italien den Krieg gegen Österreich
für gesünder hält, als gegen Frankreich, das ist mit dem Vorwurf
des Treubruches nicht widerlegbar. Ist ein Kranker von der HeiL
Wirkung seiner Belladonna überzeugt, so kann ich ihm das nidit
damit ausreden, daß ich ihn auf die unsympathische Farbe seiner
Tinktur aufmerksam mache.
Trattz Bfei • Vom Tag
921
5.
DIE U. S. A.
Vor drei Jahren stellte der U. S. Admiral Mahan die verfängliche
Frage: »Ist anzunehmen, daß England seine Macht gegen die wach*
sende deutsche Flotte aufbieten wird, auch wenn Englands unmittel*
bare Interessen, eng gezogen, nicht betroffen werden, ohne Garantie
einer gegenseitigen Hilfe, wenn sich die Verhältnisse umkehrten?«
Der Admiral dachte natürlich an die Vereinigten Staaten und Japan
als diese Hilfsmächte und dachte weiter, ob es sich diese beiden
Mächte leisten könnten, daß die marine Suprematie von England
auf Deutschland überginge. Und dies ist die Stellung der U. S. zum
europäischen Kriege nicht nur, sondern zu Europa, seit sie mit dem
spanischen Kriege in die europäische Familie traten, nachdenklicher
wurden und den bisherigen leeren Optimismus in Hinsicht auf das
Geschehen in der Welt aufgaben. Man glaubt in Amerika nicht,
wie oft in England, daß die Deutschen eine doppelte Dosis von der
Erbsünde bekommen haben, ohne deshalb diese doppelte Dosis bei
jenen andern anzunehmen, die in England immer von der deutschen
Gefahr sprachen. Man bezweifelte in Amerika durchaus nicht die
Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in der Versicherung Deutschlands, daß
es seine Flotte nicht gegen England und nicht für kriegerischen Er*
werb von Kolonien rüste. Aber man weiß dort, daß Nationen von
günstigen Gelegenheiten gezwungen werden können, und koinzidiert
eine mächtige deutsche Flotte mit der Notwendigkeit, Märkte zu
erreichen, die unter fremder Legislation stehen,- so bestimmt eben
dieses Zusammentreffen Deutschlands Zukunft und keine noch so
ehrliche derzeitige Versicherung. Die U. S. konstatieren in Deutsch*
land die zunehmende Flotte, konstatieren die wachsende Industrie,
die Märkte braucht, die der Kontrolle bedürfen, welche wieder eine
Flotte braucht, die hinwieder Flottenstützpunkte verlangt . . . Die
Engländer kennen diesen logischen Ablauf, wo eines das andere zur
Folge hat, und auch der wütendste Freihändler muß ihn aus der
englischen Geschichte zugeben. Nun halten die Amerikaner von der
englischen Zukunft nicht viel. England erscheint ihnen geschwächt
von der traditionellen Unbeliebtheit dessen, was man eine Staats*
922
Tranz Bfei - Vom Tag
aktion nennt. Ferner geschwächt von der neuen englischen Steuer-
politik. An die deutsche Zukunft glauben sie und fürchten sie, nicht
für die Monroedoktrin, aber für den Pacific. Darum hält man sich
mit Japan, trotzalledem und alledem. Jenes Buch des Admirals Mahan
ist mehr, als das Buch eines Mannes, der sich für diese Dinge
interessiert. Man kann aus der Subtilität seiner Bemerkungen heraus-
lesen, daß es im Auftrag geschrieben wurde. Die Sympathien, die
der Verfasser für England hat, sind geheuchelt. Im politischen, nicht
im persönlichen Sinne. Auf die nicht direkt gestellte, aber im Buche
latente Frage: »Wer hilft uns im Pacific gegen Japan?« antwortet
der Verfasser: »England« — weil er Deutschland fürchtet, sogar
als eventuellen Bundesgenossen fürchtet. England hat nur eine Ver^
gangenheit, mit ihm wird man fertig,- Deutschland hat eine Zukunft,
mit der man nicht fertigwerden könnte. Es hat sehr viel Wahr*
scheinlichkeit, daß auf Grund von Mahans Buch eine Verständigung
zwischen den U. S. und England zustande kam, die sich vorläufig
noch und nur in den Materiallieferungen an die Ententemächte
äußert. Mit Deutschland gegen England zu gehen, das hätte für die
U. S. nur bedeutet, daß sie sich im Pacific zwei mächtigen Flotten-
staaten als Konkurrenten ausgesetzt hätten. So erscheint es ihnen
bessere Politik, alles zu tun, um die deutsche Flotte vernichten zu helfen,
denn England hat keine Zukunft und ist keine Gefahr. Jene wahr*
scheinliche Verständigung zwischen den U. S. und England konnte
um so leichter zustande kommen, als man wußte, daß Deutschland
in einem Kriege mit England keine dem Handel offenen Seewege
haben würde. Auf die Komplikationen, die sich daraus ergeben
können, ist man sicher in Amerika vorbereitet,- auch auf die Mög-
lidhkeit eines Ultimatums. Daß die Amerikaner keine Nation, sondern
eine gemischte Bevölkerung mit alten Heimatsgefühlen und Sympathien
sind, — dieser Schwierigkeit, die man bei uns überschätzt, wird jede
amerikanische Regierung Herr werden. Der Krieg ist ein so grobes
Mittel, daß er solche Subtilitäten des Gefühls rasch erledigt.
Gfossen
923
GLOSSEN
Lektüre.
1.
DER »PAN« IM KRIEG.
Der »Pan«, einst eine Halbmonatschrift,
von Wilhelm Herzog herausgegeben, führt,
seitdem sie Alfred Kerr gehört, ein ge»
spenstisches Dasein. »Der Pan«, heißt es
in der letzten, im April 1915 aufgetauch»
ten Nummer, »erscheint bei Lebzeiten des
Herausgebers immer. In selbgewählten
Zwischenräumen. Die drei noch fälligen
Nummern des jetzigen Bezuges folgen
binnen kurzem.«
Die Nummer, die diese Ankündigung
enthielt, kam am ersten April, mit einem
Umfang von dreißig Druckseiten, als Dop»
pelnummer. Trotzdem zweifle ich nicht,
daß Alfred Kerr sein Versprechen hält.
Es wird wieder einmal eine Doppelnum»
mer erscheinen. Sie wird wieder Beiträge
von Kerr enthalten, die wir längst kennen,
und außer diesen die Registratur aller
Ärgerlichkeiten, die er in der Zwischen»
zeit zu erdulden hatte, die genaue Stati»
stik aller Hiebe und Stiche, die er dafür
auszuteilen, die behördlichen Mitteilungen,
die er an seine Getreuen zu richten gut»
findet. Ich muß gleich hinzufügen, daß ich
mich zur besagten Gefolgschaft: zähle. Es
gibt nichts, was mich von meiner Ver»
ehrung für Kerr abbringen könnte. Ich
gehöre zu einer Generation, für die war
er das Licht, das in der Finsternis der
nachnaturalistischen Zeit leuchtete. Wir
sind im heutigen Dichtergeschlecht eine
ganze Reihe solcher Getreuen. Ich glaube
auch: für uns sind die aufrichtigsten Zeilen
geschrieben, die das letzte Heft des »Pan«
enthält . . . Soll ich sie aufzählen? Man
kann sie nachlesen, sie beginnen genau
auf der 41. Seite mit dem »Menschheits»
kind«.
Jedoch gibt es bis dahin ausschließlich
Variationen zu den länderüblichen Posau»
nenmotiven. Und Kerr kennt doch alle die
Völker, denen allen dasselbe vorgeredet
wird, kennt — obwohl er unwahrschein»
liehe Dinge darüber äußert — England, ich
glaube, er kennt sogar Grey selbst, und
wenn nicht, so hätte ihm jemand Zuver»
lässiges über den Mann sagen können.
Jedoch, auf Seite 38 ereignet sich fol»
gender Vorgang:
Wir lachen, wenn der Feind uns droht,
Mit Hungertod.
Uns nährt <und bläht) Kartoffelbrot.
Wir essen's, wir gedenken auch
Sir Edward Greys — mit manchem Hauch.
Der Donner rollt wie Sturm und See
Und grollt den Namen Edward Grey.
<Doch mancher Hauch sagt flüsternd still:
Churchill! Churchill!)
Jedoch zieht er vom Leder gegen Schlaik»
jer. Daß er, Alfred Kerr, kein Ästhet sei,
beweist er ihm. Noch früher stellt er fest,
daß in Berlin die Eroika sechsmal binnen
zwei Tagen, binnen zwei Tagen sechsmal,
gespielt worden sei. Und schreibt dazu:
»Beethoven versagt nicht«. <Er hätte so»
gar, nicht nur, weil er von der Eroika
sprach, bemerken dürfen: Diesmal, wo er
924
Gfossen
//////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////✓//////✓////////////////////„/„/„,„///,/'
schon lange tot ist, dieses Mat versage
selbst Beethoven nicht.)
An die Spitze aber, an die Spitze seiner
Prosa-Sammlung stellt er die Maxime:
»Zum Burgfrieden.
Aus dem Stall ist ein Bulle gebrochen.
Soll man in diesem Augenblidc fragen,
wer die Stalltür geöffnet hat?
<Oder wer sie ungenügend verschloß?)
Nein. Nicht fragen. Nicht rechten. Der
Stier ist los. Unschädlich machen soll man
ihn.
Es ist auch nicht die Zeit, zu rufen:
»Ich bin Mitglied des Tierschutzvereins.«
<Ich bin Mitglied des Tierschutzvereins!)«
So sprechen alle Doktores aller krieg-
führenden Völker. Darin weichen Wolff,
Reuter, die Petersburger Telegraphen-
Agentur, die Agenzia Stefani und Havas
nicht im geringsten voneinander ab. Die
Schulmeister ganz Europas können es ihren
Kindern mit Kreide auf die große Tafel
schreiben. Alle Kirchenkanzeln tragen das
Gewicht dieser Worte. Alle. Jeder nimmt
es auf mit seinem Stier. Nur: aus wel-
chem Stall der Bulle ausgebrochen, dar-
über scheint sich die Welt nicht verstän-
digen zu können. Es ist auch ganz gleich-
gültig ! Der Bulle ist gar nicht losgelassen!
Er läuft am Halfter! Und die ihn führen,
die hoffen, mit ihm zu pflügen. Gelingt
es, so werden sie es halten, wie weiland
Friedrich der Große, als er die Begründung
seines Einfalls in Schlesien den hohen
Rechtsgelehrten überließ. Gelingt es nicht,
dann wird der Bulle in den Stall zurück-
gebracht. Bis das Biest plötzlich wieder
losbricht — sozusagen wie ein Erdbeben.
{Immerhin wird man zugeben müssen: wie
ein Erdbeben bei Reinhard — da doch
nachweisbar Menschen, wenn auch Spezia-
listen es hersteilen.) Wird man dann fragen
dürfen, wer die Stalltür geöffnet hat? oder
wer sie ungenügend verschloß? Nein. Man
wird nicht fragen. Nicht rechten. Der Stier
wird los sein. Man wird ihn unschädlich
machen müssen. Es wird wieder nicht die
Zeit sein zu rufen: »Ich bin Mitglied des
Tierschutzvereins.« Am allerwenigsten für
solche, die Mitglieder des Tierschutzver-
eins sind, am allerwenigsten für diese.
Aus mancherlei Gründen. Nicht zuletzt,
weil sie selbst den Bullen spielen, vor
dem sie laut Statuten die Menschen be-
wahren sollten.
Immerhin scheint mir der »Burgfriede«
das beste zu sein, was die deutsche Poli-
tik seit Bismarck hervorgebracht hat. {Bis-
marck selbst mußte ohne ihn auskommen.)
Er ist mehr, als ein Wort und eine Pa-
role. Er ist eine Geistesverfassung. Des-
halb, meinen viele Freunde des David-
bündlers, sollte der »Pan« lieber schlafen,
bis der Bulle wieder im Stall ist.
2.
THOMAS MANN.
Thomas Mann gibt die drei Arbeiten,
die er zu diesem Kriege verfaßt hat, in
einem Bändchen der Fischerschen »Samm-
lung von Schriften zur Zeitgeschichte« her-
aus. Die zwei kürzeren, »Gedanken im
Krieg« und ein Brief an ein schwedisches
Tageblatt, erschienen in der »Neuen Rund-
schau«, die dritte, bei weitem wertvollere,
»Friedrich und die große Koalition«, brachte
der »Neue Merkur«. Die erste, im Sep-
tember geschrieben, legt den ausgebroche-
nen politischen Konflikt also dar, daß es
sich, für das siegreich gegen Paris mar-
schierende Deutschland, um einen Kampf
der Kultur gegen die Zivilisation handle.
»Kultur ist Geschlossenheit, Stil, Form,
Haltung, Gechmack, ist irgend eine ge-
wisse geistige Organisation der Weit, und
GCossen
925
sei das alles auch noch so abenteuerlich,
skurill, wild, blutig und furchtbar ... Zivili-
sation aber istVernunft, Aufklärung, Sät-
tigung, Sättigung, Skeptisierung, Auflösung
— Geist.« Thomas Mann, der sich schon da-
mals und früher mit Friedrich dem Großen
beschäftigte, erscheint der Gegensatz am
schlagendsten verkörpert in Voltaire und
dem König: »Das ist Vernunft und Dä-
mon, Geist und Genie, trockene Hellig-
keit und umwölktes Schicksal, bürgerliche
Sättigung und heroische Pflicht,- Voltaire
und der König: das ist der große Zivilist
und der große Soldat seit jeher und für
alle Zeiten.« Eine Parallele zwischen Na-
poleon und Goethe wäre vielleicht, für
das nachrevolutionäre Frankreich, um das
es sich hier handelt, in jeder Hinsicht er-
giebiger gewesen. Aber, wie gesagt, be-
schäftigte sich Thomas Mann gerade mit
der Geschichte Friedrichs des Großen,
wenn auch — sein Abriß über Friedrich
und die große Koalition zeigt es in jeder
Zeile — mit jener Methode, die seiner
Geistesart entspricht, und die mit der Art
Voltaires mehr Verwandtschaft hat, als
mit dem dämonischen Überschwang der
Tage, wo Thomas Mann zur Abfassung
einer so geistreich, mit so zärtlichen Fin-
gern zusammengesetzten, so ganz unleiden-
schaftlichen Arbeit die Ruhe fand. »Ist
nicht der Friede« fragt er einmal, »das
Element der zivilen Korruption, die ihr
<der deutschen Seele) amüsant und ver-
ächtlich scheint?« Verhielte es sich so, dann
verdiente der erste Kriegsaufsatz, den
Thomas Mann in den Septembertagen ge-
baut und geputzt wie die Villa in einem
stillen Vorort hinstellte, ein repräsentatives
Produkt dieser »zivilen Korruption« ge-
nannt zu werden. Wobei zuzugeben wäre,
daß im Giebel des reizenden Absteige-
quartiers der Spruch nicht zu übersehen
sei: »Wir sind in Not, in tiefster Not.
Und wir grüßen sie, denn sie ist es, die
uns so hoch erhebt.«
Wie hoch?
Gerade so hoch, daß der Ritter Thomas
Mann, im Damensattel reitend zwischen
Tod und Teufel, seine unsäglich kokette
Gebärde hin über werfen konnte wie einen
Handschuh in die dampfenden Reihen der
Soldaten.
»Friedrich und die große Koalition«
wurde im Dezember geschrieben. Ich finde
den Versuch meisterhaft. Und, für den
mitfühlenden Leser, erschreckend. Trotz
seiner skeletthaften Dürre erinnert er an
gewisse Novellen von Stendhal aus der
Renaissance... Wie der »Mailänder« sich
von der üppigen Fleischlichkeit seiner Ge-
stalten entzücken ließ, die, in roten und
in weißen Höllen aufgerichtet, singend am
Guten zerbrachen und im Bösen die wol-
lüstige Vernichtung suchten, so gibt sich
der nordische Thomas Mann, noch in der
wachsenden Steigerung einer seltsamen
Erregtheit wie unberührt, das Schauspiel
eines Totentanzes, wo das klappernde Ge-
bein sich in einem Satyrspiel bewegt, dazu
nicht gerade das beste Französisch parliert
wird,- von dämonischer Melancholie er-
hoben zwischen Himmel und Erde hängt,-
um gelegentlich, nach genußvollem Studium
durch den Betrachter, und zum Schluß end-
gültig mit einem Ruck in die Sterne zu
fahren. Das alles ist köstlich zugerichtet.
Es fehlt nicht an Einlagen im heutigen
sowie im Stil der Zeit. Das Rampenlicht
bleibt rosa, selbst dann, wenn der Knochen-
mann wie der Gekreuzigte selbst an der
angespannten Schnur hängt. Das alles ist
ganz ausgezeichnet gemacht, und wenn die
Methode zuweilen an den »Fall Wagner«
erinnert, so zeigt gerade der Vergleich mit
926
Gfosseti
Nietzsche ebenso wie die sich einstellende Angelegenheit geworden ist, die es heute
Erinnerung an Stendhal: wie sehr Thomas gibt. Thomas Mann, der ihn im September
Mann ein Geschöpf des Geistes ist und und sogar noch im Dezember aufs heftigste
nicht der Leidenschaft, und zwar so sehr, befehdet, nein, mit Verachtung ablehnt,
daß es ihm nicht einmal wie Stendhal ge» verspricht im April die »Synthese von
lingt, sich, komödiantisch, der hinreißenden Macht und Geist« als das »dritte Reich«,
Leidenschaftlichkeit einer fremden Vision das Deutschland sich durch diesen Krieg
zu überlassen. Ich sage nichts über die bereite. Soll Voltaire König werden? Oder
Sache, die er verficht <»Er mußte unrecht der König zugleich Voltaire sein? »Warum
tun und ein Leben gegen den Gedanken nicht?« antwortet Thomas Mann. »Adelige
führen..., damit eines großen Volkes und gelehrte Jugend, die sich täglich ris»
Erdensendung sich erfülle«), ich sehe nur, kiert,« schreibt ihm aus der Front, »daß
wie er diese Sache vertritt als ein rechter sie, ,vor sich den Feind und den Sieg',
Advocatus diaboli, und daß er ein Bild manchmal von dem miteinander sprächen,
errichtet, das, als fortwirkendes Beispiel was »er« gemacht, namentlich von dem
für die Geschlechter von heute und morgen, letzten, einer Geschichte vom Tode, und
Züge aufweist, wie sie unheimlicher selten daß diese ihnen ,niemals näher war'«. Und
an einem Götzen gesehen wurden. Warum wenn sich diese Feststellung auch zunächst
also, fragt sich der aufmerksame Leser, gegen die Kritiker richtet, die dieses Buch
werden ungeheure Kriege geführt? Aus schlecht fanden, so erweitert sich doch gleich
dämonischem Drang, einer Kultur zuliebe, das Gesichtsfeld, wenn der Verfasser des
die allerdings auch »Orakel, Magie, Päd» »Tods in Venedig« aus seiner jüngsten
erastie, Vitzliputzli, Menschenopfer, or» Erfahrung schließt: »Der Geist, ihr Hände»
giastische Kultformen, Inquisition, Auto» reiber, war dem Leben ,niemals näher', als
dafes, Veitstanz, Hexenprozesse, Blüte des eben jetzt, — das Leben selbst sagt es,
Giftmordes und die buntesten Greuel um» und da ihr vorgebt, es so sehr zu achten,
fassen kann«, um uns vor dem Geist zu nun, so glaubt ihm.«
bewahren, »dem geschworenen Feind der Der Beweis schlägt den Widerstrebend»
Triebe, der Leidenschaften,« aus dem »ge» sten. Hier ist der Beginn des dritten Reichs,
heimen Instinkt«, von dem Friedrich ein» greifbar,
mal spricht, und über den Thomas Mann,
nachdem er festgestellt, daß er das Han»
dein des Königs geleitet, sein Leben be» POLITISCHE ERZIEHUNG.
stimmt habe, aussagt: »es ist durchaus eine »Politische Erziehung der Deutschen durch
deutsche Denkbarkeit, daß dieser geheime diesen Krieg.« Unsere Dichter und Denker
Instinkt, dies Element des Dämonischen in bestehen auf ihr, unterdessen schaffen sie
ihm überpersönlicher Art war: der Drang die konfuseste Ideologie, die je hinter einem
des Schicksals, der Geist der Geschichte«. Krieg einhergehinkt kam, eine Kriegslite»
Dämonie, Genialität, Mystik gehören seit ratur, die einen Turm von Babel darstellt,
Kriegsausbruch zum Bestand unserer Zei» aus Plagiaten eines ganzen deutschen Jahr»
tungsideologie, zusammen mit dem Dog» hunderts, vermehrt um Sprüche von Bergson
ma von der Unfehlbarkeit des Erfolges und dem alten Chamberlain, Dostojewski
und dem »Geist«, der die problematischste und Spencer. »Der große Kant«, lesen wir
Gfossen
927
bei Thomas Mann, »war ein Krüppel, der Trommelklang weitergeht, von Tag zuTag,
nicht einmal zum Garnisonsdienst getaugt wie das Leben. Studiert die »Gedanken
hätte, und er war der erste Moralist des und Erinnerungen« von Bismarck, dreimal,
deutschen Soldatentums«. Ja, aber er schrieb die beiden Bände von Friedjung, »Der
den »Ewigen Frieden«. Wohingegen es Kampf um die Vorherrschaft Deutschlands
unseren heutigen »Krüppeln« Vorbehalten von 1856—65«, dann das ausgezeichnete
blieb, die wunderbare Seligkeit des »Kriegs Buch des Grafen Ernst zu Reventlow über
an sich« zu entdecken. Nie hat sich ein »Deutschlands auswärtige Politik von 1888
Militär zu einem derartigen philosophischen bis 1914«, das zum erstenmal im Mai 1914,
Kannibalismus bekannt, man mustere sie, in zweiter Auflage, mit einem kurzen Nach*
von Gneisenau bisSchlieffen,- keiner kämpfte wort, im übrigen unverändert, 1915 er*
für die Kultur, und wenn einer gelegentlich schien. Hier findet Ihr, sehr ausführlich, die
von den moralischen und hygienischen Wir- Geschichte dieses Krieges,- es ist der Krieg
kungen des Krieges ein — entschuldigendes von Bülows »freier Hand«. Und dann, dann
Wort fallen ließ, so dachte doch nicht rate ich, zur Erholung und Aufrichtung,
einer an die Möglichkeit, den Krieg als eine Alfred H. Frieds »Europäische Wieder*
humanitäre Einrichtung anzusprechen. Den herstellung« zu lesen, das dieser Tage bei
»schädlichen«, den »verächtlichen« Frieden, Orell Füßli in Zürich herauskam und für
und wie die letzten Erkenntnisse wild* eine Mark durch jede Buchhandlung zu be*
gewordener Philister sonst heißen, die ganze ziehen ist.
Apotheke des tödlichen Blödsinns, das hat
R. S.
der Bourgeois von 1914 erfunden, zwischen
Stammtisch und Schreibmaschine, im tiefsten
Ruß fand und die Mächte.
Behagen, Feldpostbriefe lesend, die »mit Die nachfolgende Darstellung ist im
Blut geschmückt waren«, wie einer von wesentlichen gegründet auf den Inhalt des
ihnen schrieb. Woher soll die politische Er* Buches »Rußland als Großmacht« vom
ziehungkommen? AlleZeitungen schreiben, Fürsten G. N. Trubetzkoi <deutsch von
alle, die sprechen, reden dasselbe. Solches Josef Melnik, Deutsche Verlagsanstalt Stutt*
läuft im besten Fall statt auf Erziehung gart). Im Russischen erschien dieses Buch
auf Einpaukerei hinaus, sodann auf ge* Anfang 1911, ist also noch vor den Balkan*
dankenloses Nachschwätzen, also auf Ver* kriegen geschrieben. Es verliert dadurch
dummung, auf intellektuelle Sklaverei, nichts an Giltigkeit, da auch das politische
Hütet Euch, die Ihr Euch ernsthaft um Geschehen, allen Kriegen zum Trotz, dem
politische Einsicht bemüht, hütet Euch vor Gesetz der Kontinuität unterliegt. Der
den neuen Sängern der Politik, die über Verfasser ist einer der fähigsten russischen
Nacht aus Kuckuckseiern gekrochen sind Diplomaten, langjähriger Departementchef
und sich nun im fremden Nest plustern, im Ministerium des Äußeren <Leiter der
Es sind Schwächlinge, die Gewaltmärsche dort wichtigsten, nahöstlichen Abteilung),
trompeten. Man hat ihnen die gewohnten gelegentlich und so noch in jüngster Zeit
Scheuklappen weggeschlagen,seitdem wissen Spezialgesandter an den Balkanhöfen in
sie nicht mehr, wohin. Verfolgt, in den aus* besonders heiklen Augenblicken, also einer
gesprochensten Parteiblättern, den inner* der besten Kenner der europäischen Orient*
politischen Kampf, der mit gedämpftem frage. Seinen Ausführungen muß auch dort,
928
GCossen
//////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
wo ihre dokumentarischen Belege durch
diplomatische Diskretion verschleiert sind,
Ernsthaftigkeit und Verbürgtheit zuge»
messen werden. Das Buch Truhetzkois ist
ein Hauptwerk jener modernen politischen
Literatur, an der das intellektuelle Deutsch»
land, bei Bismarck stehen geblieben, un»
begreiflicherweise so lange achtlos vorbei»
gegangen ist.
Die äußere Politik Rußlands hat zwei
Schwerpunkte: einen fernöstlichen, ost»
asiatischen und einen nahöstlichen im euro»
päischen Orient. Daher — da alle politische
Macht heute nur durch Waffen und »Kon»
stellation« <Bündnisse> gesichert werden
kann — hat Rußland, lange der isolierteste
Koloß, heute ebensoviel Bündnis» wie
Rüstungsbedürfnisse. Da ihm seine Koa»
litionen in Ost und West wechselweise
Zwang auferlegen, bleibt seine äußere
Politik einem vor» und rückwärtsschaukeln»
den Schiff vergleichbar: ein »Interessement«
in Ostasien zwingt es zu einem Status quo»
hütenden Desinteressement in Europa,-seine
Wiederanteilnahme am europäischen Ge»
schäft bedingt die zeitliche Stillegung seines
fernöstlichen Dranges. Im ersten Fall reiben
sich seine Interessen an denen Englands und
der ostasiatischen Mächte, im zweiten Fall
an denen der Türkei und Oesterreichs.
Im europäischen Orient heißen seine
Aufgaben: das orthodoxe und slavisch»
nationale Protektorat und die Meerengen»
frage, die uralte »Byzanz«-Idee Rußlands.
Es ist also immer und dauernd der Feind
der Türkei. Selbst in der Periode seiner
stärksten fernöstlichen Tendenzen, in den
zwanzig,dreißig Jahren vor dem japanischen
Krieg, hat es sich immer nur mit seinem
zweiten nahöstlichen Rivalen, mit Oester»
reich, vertragen, und nur im vertagenden
Status quo»Abkommen <Kaiserbegegnung
von Reichstadt, Märzstegprogramm usw.),
die alle eine bohrende Spitze gegen die
Türkei hatten <das mazedonische Reform»
werk und dergleichen).
Während der fernöstlichen Periode war
man in Rußland anglophob, was England
durch das Bündnis mit Japan quittierte.
Beim Ausbruch des japanischen Krieges
lieferte England den politischen Meister»
streich der neutralistischen Verständigung
mit Frankreich, wodurch der franko»russi»
sehen Alliance ihre eigentlichste Bedeutung
<als Rückenschutz Rußlands gegen Eng»
land während ostasiatischer Abenteuer) ge»
nommen wurde. Nach der Niederlage Ruß»
lands begann die Zeit, in der seine äußere
Politik mehr durch Bündnisinteressen als
durch unmittelbar russische Interessen, also
mehr von außen her gelenkt wurde. Es
brauchte noch einige Zeit, bis Rußland
durch Gegendruck seine Verbündeten und
Freunde auch seinen nahöstlichenWünschen
geneigt machen konnte. Wenn es wahr
ist, daß England Rußland in den japa»
nischen Krieg hineinintrigiert habe, so tat
es dies im Grunde nur deshalb, um durch
diese Abstoßung Rußland »nach Europa
zurückzurufen«. Mit der Resignation in
Ostasien bezahlte Rußland die Annäherung
an England, wie sie sich im englisch»
russischen Abkommen von 1907 ausdrückte.
Diese Verständigung der beiden Mächte
durch Abgrenzung ihrer asiatischen Inter»
essensphären war nicht gar schwierig, da
sich beide in Asien gesättigt fühlten und
nur mehr »quieta non movere« wünschten.
Zumindest scheint Rußland, das sich seit
1910 auch mit Japan vertragen hat, (wozu
der unübertroffene Dilettantismus der ame»
rikanischen Diplomaten mithalf) der ost»
asiatische Appetit für lange Zeit ver-
gangen zu sein, und eine Anzettelung von
Konflikten scheint dort von ihm nicht mehr
zu befürchten.
Gfossen
929
Nach Europa zurückgekehrt, wandte es
sich umso energischer seiner »historischen«
nahöstlichen Aufgabe zu. Die allgemeine
politische Situation, die es in Europa vor»
fand, war schon damals durch den sich
immer deutlicher abzeichnenden, grandiosen
Gegensatz zwischen England und Deutsch»
land beherrscht. In England wußte man,
daß dieser Gegensatz einmal ausgefochten
werden müßte, und bereitete sich darauf
durch die »Einkreisung« vor, deren ein
Teil Rußlands »Rückberufung« war. <In
Deutschland rüstete man militärisch bis aufs
i »Tüpfelchen, politisch träumte man aber
noch immer von einer Verständigung mit
England, worüber man andere Gelegen»
heiten verpaßte.) Rußland, das neben dem
nationalen Antagonismus keinerlei Staat»
liehen Grund zur Feindschaft gegen Deutsch»
land hat, handelspolitisch sogar noch lange
Zeit zu ihm im Verhältnis gegenseitiger
Abhängigkeit bleiben wird <an guten Ge»
schäften liegt beiden Teilen gleichviel), Ruß»
land begriff rasch, daß diese allgemeine
Befehdung Deutschlands für seine eigenen
nahöstlichen Interessen auszunützen sei:
indem davon Deutschlands siamesischer
Zwilling Oesterreich mitbetroffen werde.
<Und natürlich auch umgekehrt.)
Sobald die slavischen Kleinstaaten ihren
großen Protektor wieder im Rücken spürten,
wurde es auf dem Balkan lebendig. Durch
Reaktion erwachte auch Oesterreichs Groß»
machtidee, die gleichfalls Balkanherrschaff
will, wurde aktiv. Serbien, das sich gegen
Habsburg zu sträuben anfing, wurde mit
dem Zollkampf des »Schweinekrieges« ge»
straff <in Wahrheit gefördert). Die jung»
türkische Verfassungsreform führte zur
Annexion Bosniens und der Herzegowina
<die sonst am Ende Abgeordnete nach
Konstantinopel gewählt und entsendet
hätten), und zur Unabhängigkeitscrklärung
Bulgariens, die in Wien als »Junctim« der
Annexion vereinbart worden sein soll. Die
Konferenz von Buchlau, wo Aehrenthal
mit seinen Annexionsabsichten Iswolski
ein wenig hinters Licht geführt hatte <ein»
ander ergänzende Darstellungen davon
gaben Friedjung in der Oesterreichischen
Rundschau und H.W. Steed in seinem Buch
»The Habsburg Monarchy«), diese Kon»
ferenz entzündete die Volksstimmung in
Rußland bis zur offenen Feindseligkeit. Der
oesterreich=russische Gegensatz belebte sich
bis zu den militärischen Drohprojekten der
Sandschak»Bahn <der »Marsch nach Salo»
niki«) und der Donau-Adria=Bahn. Zuletzt
mußte Deutschland mit seinem »freund»
schafflichen Ultimatum« Oesterreich in
Petersburg beispringen und wurde dadurch
auch der »erklärte Feind« Rußlands. Die
Konstellation der Mächte war entgültig.
Das deutsch»österreichische Bündnis,
dessen außerordentliche Innigkeit seine un»
erreichbare militärische Stärke ausmacht,
erwies sich politisch als gar zu ungelenkig,
starr, exklusiv. Der »cauchemar des coa»
litions« drückte den Zentralmächten immer
schwerer die Brust und war durch einen
etwas phantastischen Plan Aehrenthals von
einem Drei Kaiser »Bund nicht mehr zu
beschwören. Denn Rußland fühlte sich schon
zu wohl innerhalb der Entente »Politik.
Mochte es auch vorläufig scheinen, daß
Rußland nur für die Handelsrivalität Eng»
lands und die Revanchewünsche Frankreichs
gerüstet stand, Rußland wußte doch, daß
eine Zertrümmerung oder Schwächung des
Zweibundes auch die Verwirklichung seiner
Balkan» und Meerengen»Wünsche bringen
müßte, an der England allein es dann
nicht mehr verhindern könnte. Die Entente
erwies sich als ein geniales System poli»
tischer Kombination, das auch noch schein»
bar disparateste Interessen einzurahmen
930
Gfossen
//////////#////////////////////////////////////AW/////A///A///////////////////////y//A///////////////////////////////A/////////A//////////////
vermochte. Die Schwäche dieser politischen
Gelenkigkeit, die militärische Uneinheit»
lidikeit und Insuffizienz, sollte durch die
Nachrüstungen Rußlands behoben wer»
den, damit dieses kein zweitesmal vor
einem deutschen Ultimatum zurückweichen
müßte.
In dieser Kräftegruppierung war nur
noch die Stellung Italiens zu bestimmen.
War sie erst noch zu bestimmen? Nach
dem französisch »italienischen Tripolisab»
kommen und der dadurch bedingten Neu»
formulierung des Dreibundvertrages erklärte
Delcasse schon 1902 in öffentlicher Kammer»
Sitzung, die Bundespflichten Italiens seien
»weder direkt noch indirekt gegen Frank»
reich gerichtet«. Und im Jahre 1908 in
Rom erklärte dem Fürsten Trubetzkoi der
französische Botschafter Barrere: Italien
habe endgültig begriffen, daß die Entente»
Politik auch ihm angepaßt sei. Italiens
Großmachtidee zielt auf Vorherrschaft im
Mittelmeer und in der Adria. Seine Mittel»
meerwünsche bleiben gegen England und
Frankreich, mit wessen Unterstützung
immer, unerfüllbar. Im Adriakampf jedoch
glaubte es, mit England und der Entente,
Gewinnaussichten zu haben. Es legte also
seine Politik in der Adria fest, womit es
der Gesinnung nach bereits zur Entente
gehörte. Formal aber, hieß es da, bliebe es
mit Wissen und Wollen der Ententemächte
bis zum Ernstfall im Dreibund, weil dadurch
eine erwünschte Verschleierung der wirk»
liehen Konstellation erzielt würde, und weil
es dort — keine vorzeitigen unbequemen
Ersatzforderungen an die Entente erheben
könnte!
(Dieses Geständnis war schon 1911 russisch
und 1913 deutsch gedruckt zu lesen. Und
wir sind noch 1915 ins mundoffene Staunen
geraten?! Österreich hatte schon länger den
richtigen Instinkt, in Italien nicht sosehr
den Verbündeten, als den natürlichen
Kriegsgegner sehen zu wollen.)
Rußland revidierte daraufhin schnell und
geschickt seine Haltung gegen Italien, das
es bis dahin als quantite negligeable be»
trachtet hatte. Es besteht heute zweifellos
ein Sonderabkommen zwischen Rußland
und Italien, worin Rußland die italienischen
Adriawünsche anerkennt, wofür Italien den
Balkan als Domäne Rußlands respektieren
wird. Die russischen Schützlinge Serbien
und Montenegro hat Italien ebenso zweifei»
los mit Hafenzugeständnissen abgefunden.
Tatsächlich hat es schon auf den Konfe»
renzen nach den Balkankriegen immer die
serbischen Küstenwünsche (gegen öster»
reich) unterstützt.
Die Aufstellung war beendet, der Tanz
konnte beginnen.
*
Betrachtet man die Dinge abschließend:
Rußland als Großmacht fühlt sich in
Asien gesättigt, wird aber bis zum letzten
Atemzug die Lösung der europäischen
Orientfrage in ihrem »heiligen und histo»
rischen Sinne« anstreben. Diese Aufgabe,
vom genialen Pathos eines Dostojewski
und anderer beherrschender Geister Ruß»
lands unermüdlich paraphrasiert, ist heute
die wirkliche Nationalidee des Russentums.
Solange Rußland Großrußland ist, wird es
diesen Gedanken denken, der aus seinem
Schädel nur schwinden könnte, wenn der
Schädel eingeschlagen würde. Vor dieser
Exekution aber müßte man erst billigerweise
Gericht halten, ob Rußlands Wunsch ein
verbrecherischer, oder ein national, kulturell
und wirtschaftlich berechtigter sei. Zudem:
auf dem Berliner Kongreß hatte es in
diesem Punkt noch ganz Europa gegen
sich, heute hat es »zwar neue Gegner, aber
auch neue Freunde«.
Sollte es aber möglich sein, eine Lösung
GCossen
931
#///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
der europäischen Orientfrage in einem Ruß»
land befriedigendem Sinne zu finden — und
Trubetzkoi z. B. schlägt als solche vor, die
Meerengen gleichmäßig und ausschließlich
für die Kriegsfahrzeuge aller Küstenstaaten
des Schwarzen Meeres zu öffnen — so
kann man wohl behaupten, daß dann Ruß»
land für unabsehbare Zeit das pazifistischste
Element unter den Weltmächten wäre. Sein
Ausscheiden aus der Entente, die ihm ihren
Zweck erfüllt hätte, würde automatisch auch
die westeuropäische Frage aufhehen, und
dann wäre vielleicht der Zeitpunkt da, die
bisher geübte Individual» und Konkurrenz»
politik der Staaten, die allzu oft nur durch
»Prestige« und prinzipiellen Widerspruch
bestimmt ist, durch eine Machtkartellisie»
rung Europas zu ersetzen.
Gustaf Kauder.
Das <Zeit<sEcBo.
In der Voraussetzung, daß die gegen»
wärtigen Wirren ein Thema abgäben, für
dessen Abwandlungsmöglichkeiten jeder»
mann willige Ohren mitbrächte, hat ein
Münchner Verlag dieses »Zeit»Echo« ein»
gerichtet, periodische Hefte mit geschrie»
benen und gezeichneten Künstler=Reak»
tionen auf den Krieg. Dem vernehmlichen
Reiz der europäischen Mißhelligkeiten ant»
Worten hier allerlei Leute, die es nicht
nötig gehabt hätten, und die es vielfach
ungeschickt tun und nicht mit den besten
Manieren und in Unkenntnis mancher,
beträchtlicher Dinge. Von Nietzsche hätten
diese Echo'isten zur Erwägung nehmen
können, welch eine Klugheit und Selbst»
Verteidigung darin bestände, so selten wie
möglich zu reagieren, Stacheln zu haben,
ja — mehr noch — sich allen Lagen zu
entziehen, wo man auch nur zur Abwehr
des Antwortens, zu der verschwenderischen
»Defensiv»Ausgabe« des Stach lig»sein»
müssens gezwungen wäre. So gefestigt
waren die Beiträger nicht. Schweigen sei
jetzt das beste Teil, weiß zwar einer,- aber
die Herausgeber, die hier eine Enquete
zur Zeitschrift streckten, vertrauten dem
Goethischen:
Dichter lieben nicht zu schweigen,
Wollen sich der Menge zeigen.
Immerhin gibt es Nuancen. Neben die
ehedem distinguierten Romanciers, die, in
der gewohnten höheren Schreibweis', aber
mit sensationeller Hinopferung geistiger
Besitztümer, Offiziellstes stilisieren, treten
die Nachdenklicheren, Bedenklicheren, wei»
terhin die Postulativen, ideale Forderungen
schwenkend, und endlich gar die Spröden,
Degcutierten, die Eigensinnigen undWi»
derspenstigen. Bei alledem sei man un»
besorgt: von da bleibt ein weiter Weg,
führt überhaupt kein Weg bis zum Unter»
schlupf der »refractaires«, zu des Auver»
gnaten Jules Valles epileptischer »Födera»
tion der Schmerzen«. Das ausschweifendste
Wagnis dieser Blätter: Brüderlichkeit.
Der Lyriker Werfel bekennt sie, und der
milde, geduldige, gütige Sozialprophet
Landauer. Etliche andere melden, für
später, Operationen des Geistes an. Un»
glück könne jeder Esel haben, dozierte
der Marquis von Keith, man müsse es
nur richtig auszubeuten wissen. Aber
diese »Ausbeutung« hier geschieht in zagem
Ton und ohne rechte Überzeugung. Ein
Unerwünschtestes soll so gebogen werden,
daß es schließlich doch zum Besten diene.
Unsinnigem möchte der Schreibtisch-Op»
timismus einen Sinn injizieren,- »was nicht
deutbar, dennoch deuten«. (Loris.) Man
proklamiert, unter Fieberschauern des
schlechten Gewissens, eine geistige Zukunft.
Wäre Geistes»Gegenwart nicht hübscher?
932
Gfossen
y/////////////////////////////////////////////////////////////////////###//////////////////////////////////////#//////////#///###///#//###/#/###//
Die wird als vorhanden empfunden nur
von der Frohnatur Thomas Manns, der
triumphiert: literarischer Geist habe An-
teil gehabt an der »Wirklichkeit dieses
Krieges«. Hier ist nicht mehr gut weilen.
Delikater geben sich ein paar Damen:
Mechtild Lichnowsky, die eisig feststellt:
»Was ist mit dem Tode? Er ist öffentlicher
geworden«, und Annette Kolb, die Euro-
päerin, mutig zwischen den Rassen stehend
und jegliche Schadenfreude verabscheuend.
Das ist das Echo dieser Künstler auf
den Krieg. Darf man vermuten, daß andere
leben, die den Ereignissen nicht einmal
eine Antwort zugestehen? Deren unge-
schriebene Tagebücher, deren nicht preis-
gegebene Visionen bannender wären, als
dieser ganze kalli- und lithographierte
Widerhall? Warum in aller Welt dürfte
man das nicht vermuten?
Terdinand Hardekopf.
Proßen aus dem Zeit* Ecßo in
Auszügen.
ERSCHEINUNG.
Wir haben eine Erscheinung, — und es
hat sie mancher angerufen ,• sie aber weicht
nicht und schreitet durch unsere Wände
und steht nicht Rede. Weil ihr tut, als
kenntet ihr sie. Erhebt eure Augen und
kennt sie nicht,- schafft ein Hohles um
sie mit der Frage eurer Blicke,- hungert
sie aus mit Nidhtkennen! Und plötzlich,
in der Angst nicht zu sein, wird euch das
Ungeheuere seinen Namen Schrein und
wegsinken.
1. Heft. Rainer Maria Rifke.
★
GESCHLECHTERKAMPF.
Dieser Krieg ist über alle Gegensätze
der Rassen und Nationen hinaus zu etwas
viel Schlimmerem geworden: zu einer Art
von Kampf zwischen zwei verschiedenen
Geschlechtern.
Ein Strindberg täte not, der mit all der
bitteren Analyse des Wissenden hinein-
leuchte in die hoffnungslose Tragik dieses
Geschlechterkampfs, den unsere Männlich-
keit nun auszukämpfen hat mit der um
keine phantastische Selbsttäuschung ver-
legenen Hysterie unserer Feinde.
Wir werden siegen in diesem Kampf...
Aber wie wird uns dieser Sieg trotz
aller jubelnden Genugtuung schmerzen, wie
wird unser Lachen am Ziel entstellt sein
durch die Schatten eines unterirdischen
Grams, durch die aufzuckende Erkenntnis,
daß solche Hysterie nur unschädlich ge-
macht, nicht aber eigentlich besiegt werden
kann. Wir werden dasitzen, wie die Strind-
bergschen Männer dasitzen, wenn die
Schlacht geschlagen und sie äußerlich das
Feld behaupten, werden dasitzen mit einem
durch heimlichen Ekel verzerrten Lachen
und mit einem allen Siegestriumph lang-
sam aufsaugenden Ohnmachtsgefühl. Denn
das letzte Wort wird doch die Frau mit
ihrer Hysterie behalten und was schlimmer
ist, auch den letzten Applaus . . .
Damit müssen wir uns abfinden, auch
mit jenen schmerzlichsten Stunden, von
denen Strindberg spricht, in denen unter
der Suggestion der unverwüstlichen weib-
lichen Gefühlstheatralik auch die besten
Freunde des Mannes sich mit merkbarer
Kühle zurückziehen und damit Objektivität
zu markieren vorgeben. Das Bild dieses
Verrats an der gemeinsamen Männlichkeit,
heute zeigen es uns jene neutralen Staaten,
die doch dieselbe moralische Sprache wie
wir sprachen und doch auf einmal so merk-
würdig harthörig für uns geworden sind ...
Nicht um die Männlichkeit im kraft-
meierischen Sinn handelt es sich hier, das
G/ossen
933
wissen wir, sondern um die Männlichkeit
im Strindbergischen Sinne, d. h. um den
Geist der entschlossenen Sachlichkeit und
#
um den Geist des moralischen Verant»
wortlichkeitsbewußtseins, um jenen Geist,
den man auch kurz den Geist von 1813
nennen kann. Denn das war uns doch allen
das größte Erlebnis in diesen Wochen, daß
dieses 1813 noch heute lebt. Wie rauschten
die alten Ströme wieder, die im neuen
Deutschland ganz verstummt schienen. Wie
überraschte es uns, uns auf einmal wieder
geadelt zu sehen. Nun sind schon viele
Wochen dahin und wir haben mit dem
alten Adel auch unseren alten Stolz wieder
gefunden.
Dieser Stolz wagt es, heute ohne Er«
röten zu sprechen von dem deutschen
Wesen, an dem die Welt genesen soll.. .
2. Heft. Wifßefm Worringer.
EIN ULAN.
In seinem symbolischenVolk hat Gott die
Wahrheit dieses Herbstes sichtbar gemacht.
In den Kavalleriekämpfen in Galizien
ritt auf österreichischer Seite ein polnisch»
jüdischer Ulan eine Attache mit. Als das
Melee sich entwickelte, holte der Ulan mit
einem Säbelhieb einen feindlichen Reiter
vom Pferde. Eh' dieser aber aus dem Sattel
sank, griff er hintenüber in die Luft und
rief schauerlich, langsam, in einem un»
geheueren Entzetzen die ersten Worte von
seinem und seines Feindes Glaubens»
bekenntnis: »Schema Jisroel«.
Der österreichische Ulan wurde in dem«
selben Kampf leicht verwundet. Als man
ihn auf den Hilfsplatz brachte, war er
wahnsinnig. Jetzt sitzt er stumm, mit ver»
wahrlostem Bart, blind, doch mit dem
blinden Blick des Ödipus in einem Prager
Lazarett.
3. Heft.
GEFÜHL VON EINER
VERWANDLUNG DES STAATES.
Das war die große Verwandlung: Der
Staat begann, seine Bürger zu lieben, oder
vielmehr, er hatte sie immer geliebt und
sein Dasein war, richtig aufgefaßt, nie etwas
anderes gewesen als diese Liebe, aber jetzt
erst zeigte und sagte er dies auch, und
die törichten Bürger, die ihn bisher miß«
verstanden hatten, sie liebten nun auch ihn
mit maßloser, redlicher Liebe. Der Staat
demütigte sich vor uns und wir ließen dies
nicht zu, sondern demütigten uns vor ihm.
Wir sahen einen großen Vater über uns,
voll Fürsorge und viel gescheiter und
vorausblickender als wir. Und so wurde
das neue Gesicht des Staates ein Bild er«
habenster Jugendlichkeit, es verband Klug»
heit und Liebe in sich, wie wir das vorher
noch nie an irgendeinem Menschen erlebt
hatten. Es war eben Übermenschliches über
uns gekommen,- und damit spreche ich nicht
von dem Gefühl der ganz Glücklichen, für
welche dieser Krieg ein nationaler deutscher
Krieg ist, sondern von denen, die in ihm
nur das Walten, Leiden, Siegen des bloßen
Staatsorganismus fühlen können wie wir
im vielsprachigen Österreich. Ich habe
Lemberg und Czernowitz nie gesehen und
ich werde vielleicht hundert italienische
Städte besuchen, ehe es mir einfallen wird,
nach Galizien zu reisen. Aber als man
mir Lemberg und Czernowitz nehmen
wollte, da fühlte ich an meinem Körper,
daß sie Rechtens zu mir gehören und daß
ich sie auf keinen Fall vermissen kann.
Ich verstand plötzlich alle Drangsale und
Sorgen des Staates von innen heraus,- ja
es fehlt nicht viel, so werde ich auch ver»
stehen, warum er mich früher immer so
bös anschauen mußte.
3. Heft.
Franz Werfet.
Max Brod.
934
Gfossen
////////////#///////#//////////////////////////////////#////////////#/////////////////#///////////////////#///////////////////////#////////#/////
ERDBEBEN.
Beim Erdbeben kullert ein verlorenes
Zwanzigmarkstück unter der Truhe vor.
»Hosiannah!« schreit Philosoph und Li«
terat — »sei gegrüßt, Erdbeben, es ist
vorgekullert!«
4. Heft. Affred Kerr.
ES KULLERT.. .
... Im »reinen Ich« vollzieht sich das
Wunder, daß der tiefste Kern der Person«
lichkeit Eines ist mit einem Allgemeinen,
einer lebendigen Idee, einem Gemeinsamen
vereinheitlichter Millionen — und dieses
hat das »empirische Ich« so Übergriffen und
in sich hineingenommen, daß dessen see«
lische Vergleichgültigung sich in die selbst«
verständlich hingenommene physische Ver«
nichtung fortsetzt.
Freilich, Fichte spricht nur von einer
»unendlichen Annäherung«,- denn das All»
gemeine, dem das Ich metaphysisch geeint
ist, ist für ihn nicht Vaterland und Nation,
sondern das Allgemein-Menschliche, All»
gemein=Geistige, das jenseits jeder Seele,
auch der Seele eines Volkes steht. In jener
Richtung aber liegt vielleicht die Aufgabe
derer, die den Krieg überleben — eine
nun allerdings unendliche. Für den Krieger,
der den Opfertod gestorben ist, ist das
Unendliche eingegangen in die Form:
Deutschland, er hat wirklich »vollendet«.
Wir aber müssen, daß wir leben dürfen,
mit der Unabschließbarkeit unserer Auf»
gäbe bezahlen, unser relatives Ich in das
Absolute aufgehen zu lassen. Nur die
Gnade ward uns, daß die uns mögliche
Hingebung und Opferung für die Mensch»
heit in der Gestalt unseres Deutschlands
uns sicher macht, daß unser Weg jetzt
wirklich eine endliche Strecke jener unend-
lichen Annäherung ist.
4. Heft. Georg Simmef.
AN DIE ENTBÜRGERTEN.
Warum bewegtet ihr euch nicht im Frieden
So seltsam, so vom Geist her und so gerne <—
Gekommen wäre niemals mehr ein Krieg.
Doch lernt dies Feuer für den neuen Frieden!
Stürmt dann wie jetzt und ruft statt Hurra:
Sterne!
Und führt den ganzen Geist hinauf zum Sieg.
4. Heft. Aff red Woffenstein.
DER DEUTSCHE GOTT.
... Ich glaube, daß wir nordischen
Völker manches im Christentum falsch
verstanden haben, weil wir für historisch
und wirklich hielten, was überhistorisch
und überwirklich gemeint war,- noch heute
zeugt ja davon der gänzlich gleichgültige
Streit, ob Christus gelebt hat oder nicht.
Die Ausdrucksweise des Christentums war
uns fremd,- und vielleicht ist manche Feind-
schaft gegen die Religion bei uns lediglich
aus solchen Mißverständnissen ausgegangen.
Ob uns Deutschen eine unsinnliche Reli-
gion nicht angemessen wäre, eine Religion
ohne historischen und dogmatischen Aus-
druck? Aber freilich, wie könnten wir dann
die wichtigen Dinge mitteilen? Es wäre
uns eine neue Offenbarung nötig, die Offen-
barung des Deutschen Gottes. Eine alte
Welt bricht zusammen in diesem Krieg,-
sollte die neue Welt, die wir kaum von
fern ahnen können, auch eine Religion
haben, die wir uns noch nicht vorstellen
können, die allem widersprechen würde,
was wir kennen, das dritte Reich?
6. Heft. Pauf Ernst.
ERLEBNIS.
. . . Und zugleich fing es im ganzen Erd-
teil wie in einem Bienenkorb zu wimmeln
und sich zu regen an von geschäftig sich
GCossen
93 5
» •
\
Drängenden, unübersehbaren Schwärmen, trachtet nach Neuem. So tretet denn jetzt
aus den verlorensten Tälern aufgeflogen, in den Dienst der Idee ein,- weiht euch
und alle in ihrem künstlichem Haß zu den Gott,- dem heiligen Geist, dem tätigen
künstlichen Felsen hingetrieben, aus deren Geist,-schließt euch zusammen! Unser aller
Schacht nunmehr heißes Blut ächzend her- Einigkeit in den Grundpunkten ist mach
vorbrach, zu Bächen, zu Strömen qualvoll tiger als ihr ahnt,- unser Wille zur Ver
unsiegbar anschwellend, doch stets so, o wirklichung durch dieser Monate feuriges
Gott! daß die Schmerzensrufe der Einen Entsetzen gehärtet. Seid nicht stolz und
mit ihrem weithallenden Echo des Jammers lächelt nicht,- welch ernstere und dringen
zugleich Genugtuung und Jubel bei den dere Aufgabe stünde denn heute dem Geist
anderen hervorrief. Und wenn die Einen, bevor als die, seine Träger zu sammeln?
die Armen! in brennenden Wäldern um»
9. Heft.
Kurt Hiffer.
kamen, oder langsam in kalten Sümpfen
heulend versanken
wie man sonst nied
IDYLLE.
rige Tiere nicht verenden ließe — so froh
Die Menschen geben und nehmen
lockten die Andern. Und
so taten,
in anmutigem, Vernunft und Verstand nicht
waren nicht etwa Ausgeburten mit Affen-
verletzenden Wechsel. Liebe ist dort das
schwänzen, mißgestaltete Trolle, sondern
bedeutendste Gesetz,- Freundschaft die vor-
gute, nach Gottes Ebenbild geschaffeneMen= derste Re*eb Arm und Reitb *ibt nidlt'
sehen, viel zarte, sdtöne, verwöhnte Jüng- Keine Könige und keine Kaiser hat es
linge darunter, die nicht mehr anders konnten, dort' wo der Stunde Mensch wohnt, Je
als morden und sich morden zu lassen,
gegeben. Die Frau herrscht dort nicht über
denn der Teufelsspuk hatte eingesetzt.
den Mann, der Mann aber ebensowenig
7. Heft.
Annette Ko(6 ^er die Frau. Es herrscht niemand, außer
jedermann über sich selber. Alles dient
AUFRUF.
dort allem, und der Sinn der Welt geht
0 0
Geistige, schließen wir einen Bund d'utIi<b dabi”' den Sdlme.r* za ^eiligen.
Diese Leuchtkugel (noch toht der Krieg)., N‘emand will genießen, die Folge ist, daß
diese Leuchtkugel will ich in eure Himmel
alle es tun. Alle wollen arm sein,- hieraus
werfen. Schließen wir einen Bund,-
folgt, daß niemand arm ist. Dort, dort ist
durch Worte Ereignisse! Unter Verarbei
es schön, dort möchte ich leben. Unter
tung sämtlicher Gestuftheiten der letzten
Menschen, die sich frei fühlen, weil sie sich
Jahrfünfte: für den Geist! gegen Krämer
beschränken, möchte ich leben. Unter Men
und Dunkelmänner!
Seid nidit stolz und sAe"' die einander ad>ten' m6dlte id> lcb'"-
lächelt nidit, mag der Gedanke alt sein, UntCT Mc™*'»- die keine Angst kennen,
er bleibt solange jung, als er nicht Tat
möchte ich leben. Ich sehe wohl ein, daß
ward,- ihr müßt euch abgewöhnen, den ^ Phantasiere.
Prickel des Niedagewesenen zum Wertmaß
11. Heft.
Roßert Wafser.
zu machen. Bezwingt euren Reizhunger,
eure Eitelkeit, euern partikulären Ehrgeiz,-
Der ScBrei nach dem Tacßmann.
wer sich unterscheiden will, unterscheidet Auf der Tagung des »Bundes Deutscher
sich nie. Was taugt es, »originell« zu sein Architekten« in Kassel, Mitte Mai dieses
ieder Narr ist originell,- erst erreicht ! dann Jahres, wurde dem Bedauern Ausdruck
936
GCossen
//////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
gegeben, über »die schriftliche Behandlung
architektonischer Angelegenheiten durch
Leute, die nicht vom Fach sind und denen
teilweise in Fachkreisen ganz allgemein
die Urteilsfähigkeit abgesprochen wird.«
Man hätte diesen Satz wenigstens sorg»
fähiger durchbilden sollen. Wird die Ur»
teilsfähigkeit »teilweise« oder »ganz all»
gemein« abgesprochen? Beides ist doch
nicht gut möglich. Oder ist gemeint, »ganz
allgemein« wird die Urteilsfähigkeit be»
stimmten Teilen der Kritikerschaft ab»
gesprochen? Das wäre eine irrige Annahme.
Der Satz gleicht also einer Fassade, die
teilweise ganz allgemein ist. »Der Archi»
tekt«, wurde in Cassel weiter gesagt, »kann
sich auf seinem Gebiete mit dem Stifte
völlig ausdrücken und bedarf der Feder
nicht, er bildet daher deren Gebrauch
nur ausnahmsweise aus« . . . Gottseidank!
Ich weiß nicht, ob der Formulator dieser
Sätze selbst Architekt ist, ob er sich auf
seinem Gebiete mit der Feder oder mit
• h
dem Stifte <in letzterem Falle wäre er ein
Fachmann) ausdrüdct,- die Quintessenz
seiner Worte soll jedenfalls sein: der Archi»
tekt wird vielleicht nicht gut schreiben,
aber das braucht er auch nicht. Wenn
er nur gut baut!
Wölfflin hat einmal behauptet, wer einen
Kopf gut zeichnen kann, verstünde sicher»
lieh, auch gut zu schreiben.
Der »Fachmann« Liebermann (»Meister
der Zeichnung«, Band 2) betrachtete den
Satz skeptisch und sagte seinerseits: »einer,
der keinen Strich zeichnen kann, ist un»
fähig, über Malerei zu schreiben.«
Ich finde, daß Liebermann hier von einer
bewundernswerten Weitherzigkeit ist. Er
läßt implicite zu, daß jemand überMalerei
»schreibe«, der nur ein bißchen »zeichnen«
kann. Ist das nicht allzu nachsichtig? Wäre
es nicht vielleicht empfehlenswerter, jeman»
den, der »einen Strich zeichnen« kann,
doch nur zum Schreiben über Zeichnungen
zuzulassen, und zwar doch recht eigentlich
nur über Strichzeichnungen? Ich an Lieber»
manns Stelle würde mir eine Äußerung
dieses Jünglings über meine Zeichnungen
jedenfalls verbitten und verlangen, daß er
zuvor eine Probe »Wischzeichnung« vor»
legte. Und gar ehe ich ihn an gemalte
Bilder heranließe . . . mindestens sollte er
zuvor eine Pflaume oder eine Nasenspitze
in öl malen!
, ★
Der Schrei nach dem Fachmann!
Fast dürfen die Kunstschriftsteller stolz
sein, daß er erhoben wird. Denn das Ge»
schrei beweist, daß die Schriftsteller im
Grunde die reinere Auffassung der Kunst
besitzen.
Was bedeutet das Geschrei nach dem
Fachmann ?
Es bedeutet die Auffassung der Kunst
als ein technisches Können — im völlig
materialistischen Sinne. Selbstverständlich!
wenn die Kunst ein »Können« ist, dann
hat nur das Urteil eines Menschen Sinn,
der dasselbe »kann«. Über den Plan einer
Turbine hat ein Urteil nur, wer auch Tur»
binen bauen kann. Den Brückenbau eines
Pionierdetachements kann nur bewerten,
wer die technischen und militärischen Vor»
aussetzungen und Folgerungen kennt, also
der Fachmann. Wenn aber ein Architekt
von seiner Arbeit sagt: »ich wünsche und
anerkenne nur das Qrteil von Fachleuten«,
dann sagt er nichts anderes als: »was ich
gemacht habe, ist nicht Kunst«.
Kunst ist manifestierter Geist. . . Geist,
in körperliche Gebilde gewachsen. »Fächer«
hat dieser Geist nicht, und um ihn fassen
zu können, ist Voraussetzung nur, daß
man selbst »Geist« ist. Fächer hat frei»
lieh das Können. Der eine kann Kinos
Gfossen
937
////////////////////////#///////////////###///////////////////#///////////////////////////////////////////////////////////////#//////////#//////
bauen, ein anderer Lustspiele schreiben,
ein dritter kann Zwiebelstilleben malen
und ein vierter kann Porträtbüsten mo®
dellieren. Von ihnen kann jeder verlangen,
daß »über ihn von einem Fachmann ge®
schrieben wird«.
Der Unterschied ist der: was für die
Cassler Architekten die Hauptsache ist,
das technische Können des Fachmannes,
das ist für uns nebensächlich, weil es so
selbstverständlich ist, wie das körper®
liehe Gehen — wenn der Geist imstande
ist zu wollen!
★
Es ist natürlich für die Fachleute viel
netter, wenn sie unter sich bleiben können.
Dann ist eine gewisse Gewähr gegeben,
daß keine unbequemen Forderungen an
den Geist gestellt werden. Jeder hat gern
seine Ruhe, besonders das Alter. Die
älteren Fachkollegen genießen selbstver®
ständlich die allgemeinste Schätzung. Denn
sie haben die längste Erfahrung und
»können« daher auch am meisten. Es ist
also nur gerecht, wenn sie besondere Wert®
Schätzung empfangen. Wird im Fachorgan
»der Gebrauch der Feder ausgebildet«,
so geschieht es freundlich und im Gefühl
der Standes® und Fachbrüderschaft. Es
gibt ja schließlich überall und an jedem
Bau etwas Gutes, und das Gute muß man
hervorheben, statt das Schlechte hervor®
zukehren. Da sind die Treppen gut be®
lichtet, da ist Geschmack in den Mustern
der Korridortapeten, da ist die Bühne
sehr geschickt dem Zuschauerraum gegen®
übergebaut usw. Mündlich äußert man
sich zwar vielfach scharf und gallig, aber
die Feder <im Gegensatz zum Stifte) ist
weich und fachmännisch . . . was manch®
mal so viel ist wie weltmännisch. Tadel
wirkt in Fachkreisen als unfein, plump
und taktlos. Aber auch das Lob ist ~
außer in Nekrologen — nicht recht an®
gebracht. Die Mitglieder können doch,
wenn sie einmal aufgenommen sind, alle
gleich viel. Jedenfalls sind sie doch alle
»Könner«. Die Unterschiede sind mehr
Sache des Geschmackes: der eine baut im
erneuerten Barock, ein anderer im Sinne
Schinkels, ein dritter pflegt die Feinheit
des Biedermeier und ein vierter schließlich
ist streng modern. Aber man darf doch
in seinem Urteil nicht verrannt sein, nicht
auf eine bestimmte Formel eingeschworen.
Alle Wege führen schließlich nach Rom,
und da wirkt es doch naturgemäß ver®
stimmend, wenn von den laienhaften Kunst®
Schreibern »einige Bauleute aus irgend®
welchen Gründen besonders geschätzt
werden!«
Es ist allerdings nicht Recht von der
Kritik, daß sie einen Unterschied macht
zwischen Fachleuten und Künstlern —
und daß sie sogar die letzteren besonders
schätzt — aus irgendwelchen Gründen!
★
Aber damit die »Leute vom Bau« nicht
glauben, idi mischte mich nur in »archi®
tektonische Angelegenheiten«, so richte ich
zum Schluß an die Direktoren unserer
Theater — obwohl ich doch keineswegs
Theaterfachmann bin! — die Frage: Könnt
Ihr es verantworten, daß nicht einer von
Euch, in dieser Spielzeit wieder, auch nur
ein einziges Werk von Herrmann Essig
aufgeführt hat?! Ado ff Beßne.
Zürich.
Man lebt in Zürich: Ländlich unter Mor®
phinisten. Viele Franzosen gibt es. Die
Soldaten mit ihren schwarzen Tschackos,
schwarzer Uniform und roten Achselauf®
Schlägen erinnern an deutsche Feuerwehr.
938
Gfossett
f///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////
Die elektrischen Wagen sind blau wie in
München. Am Stadthauskai ragen drei
große Uhrtürme mit goldenen Zifferblättern.
Brückenköpfe breit zwischen italienisch ge»
giebelten Häuserstaffagen. Singende Aale
und Wasserratten von der Limmat her.
Dahinter der See: Ein blaugrauer Sack.
Auf der Straße begibt sich: Die lar-
moyante Musik der Heilsarmee. Vor der
Studenten »Wirtschaft »Zur Bollerei« aur
grobpflastrigem Platz stehen im Kreis fünf
Männer mit Blasinstrumenten. Hüte, Bagage
und Instrumentenkästen liegen geschichtet
inmitten des Kreises auf einem Haufen.
Frauen mit seltsamen Hüten und Brillen
<aus Bildern des Quentin Massys) singen
eine erbarmenswürdige Melodie vom ge»
kreuzigten Heiland. Auf dem Balkon der
»Bollerei« die Studenten: in langer Reihe
mit eckigen Köpfen und Quastenpfeifen.
Oder es findet, unter freiem Himmel,
eine Versammlung statt, auf dem Münster-
platz. »Gegen den Hunger.« »Schweizer»
arbeiter, wach auf, bevor es zu spät ist!
Nieder mit der Heuchelei des Burgfriedens!
Es lebe der Klassenkampf!« Mit Trom-
petenstoß wird die Versammlung eröffnet.
Auf einem Karren stehen die Redner. In
kleinen Trupps, die Internationale singend,
zerstreut sich die Schar der Protestler unterm
Gewitterregen.
Zürich ist die Stadt der Gesangvereine.
Vierstimmig, schippelig. »Alles wird sich
schon gestalten. Frühling wird es sicher-
lich.« Gesellenhäuser heißen hier »Zur
Käshütte«, »Blaue Fahne«, »Zur Zimmer-
leuten«. Auch wird viel trompetet, aus
sechsten Stockwerken heraus. Man tut et-
was für die Lunge. Im Park, auf den Ter-
rassen der großen Hotels, an Kiosken und
in den Separes der Kabarette: man spricht
viel Französisch, von Genf her. Scheintot
ist man versucht die Stadt zu nennen trotz
Sonne und Grobheit nach drei Tagen Auf-
enthalt. Niemand führt Buch über Verbleib
und Schattierung geflüchteter Krimineller.
Cabaret Bonbonniere liegt im Mittel-
punkte der Stadt, nahe dem Hauptbahn-
hof. Cafe des Banques hat eine saftige Ka-
pelle. Die Primgeige stammt aus Moabit,
das Cello aus Lyon. Der Flügelmann ist
Mexikaner. Im Kabarett tritt auf: Emmy
Hennings: Grüne Joppe, schwarze Satin-
hosen, blonder Schopf.
Das Kabarett ist ein hübscher Raum, sehr
besucht. Violette und lila Ampeln in Pa-
godenform. Höllenrote, entzückende kleine
Bühne. Italiener und Franzosen schmunzeln
beim Vortrag der »Beenekens«. <Sie sehen,
Romain Rolland, es bedarf nicht des esprit
religieux der Madame Dr. Elisabeth Rotten
noch des Appel humain samaritanisch ge-
neigter Episkopaten.)
Die Zeit ist vorsichtig und langsam. Am
Predigerplatz, im kleinen Restaurant »Zum
weißen Schwänli«, geschähe auch Ihnen Ge-
nugtuung, lieber R. H. Ich folge freund-
licher Einladung eines Arztes. Und finde
ein stilles, entferntes Kolleg von viermal
sechs freien »Genossen« <oft sind es mehr,
oft weniger). Sie tagen einmal die Woche,
jeden Montag. Jemand verliest eine Dis-
position der »Kampfesmittel des Arbeit-
gebers«. Monsieur le directeur Dr. B. führt
den Diseurs, sachte und einfach, sicher und
prinzipiell. Zugegen sind Organisierte und
Nichtorganisierte, Propagandisten der Tat
und Sozialdemokraten, ein Kondukteur, ein
Metallarbeiter, die russ. Revolutionärin und
der sehr französisch orientierte Redakteur
des »Revoluzzer« {eines Blattes, das, nur
in der Schweiz, mit sehr direkt-indirekten
Mitteln den italienischen Arbeitern Ver-
weigerung der Militärpflicht nahelegte).
»Sagen Sie uns, Genosse H., — Sie haben
da Sondererfahrung — was wissen Sie uns
GCossen
939
vonTarifverträgen?« <folgt Bericht) »Schön. Ein anderes Wort für die Politik, die
Aber Sie setzen sich da in Widerspruch nicht Technik ist, heißt Liebe.
zu Genosse W. Genosse W. erzählte uns,
daß er nur unkündbare Tarifverträge kennt,
und daß das Interesse des Arbeitgebers
nur unkündbare Tarifverträge verlangt.«
<GenosseH.und W. debattieren und einigen
sich.) »Schön und die Streiks? Wer erinnert
Als letzte und tiefste Resignation bleibt
die Begeisterung für das Unabwendbare.
Die Freunde brachen auf, um in der
sich noch des Holzarbeiterausstandes bei stoßenden Menge dem Einzuge des Kalifen
uns in der Schweiz? Wie war doch die beizuwohnen. Nur einer lehnte ab mitzu-
Situation?...« »Der ökonomische Streik, gehn, und zitterte vor Empörung. »Zusehn?
ganz richtig. Und außerdem?« Sympathie- Noch bei einer Hinrichtung möchte ich
Streiks. »Was kommt wohl in solchen Heber die Rolle des Verurteilten oder des
Sympathiestreiks zum Ausdruck?« Man Henkers haben wollen, als ihrer Rolle zu-
tut sich selbst genug. »Oder? Genosse C.?« seHn müssen!«
Man befriedigt ein seelisches Bedürfnis.
»Oder?« Man hat Gefallen an sich selbst. Aus metaphysischen Gründen haben wir
»Gut, das ist es. Es gibt in der Arbeiter- uns als verantwortlich für jede Regung
schaft Vorgänge von nicht nur materieller unc^ jedes Ereignis unsrer Zeit anzusehn.
★
Bedeutung. Es gibt auch
man könnte Vergessen wir es nie — und welches Ge
fast sagen
ästhetische Streiks.«
fühl ist dies!
Gegen 10 Uhr ist die Disposition kom-
plett. Eine neue Disposition wird einem Ein junger Politiker sagte: »Ich weiß,
der Genossen übertragen. Die Versamm- daß es keine Gerechtigkeit gibt und geben
lung zerstreut sich.
kann, und ich vertrage dennoch keine Un-
Sehen Sie, lieber R. H., so kultiviert gerechtigkeit.«
★
man hier in der Arbeiterschaft und unter
Gebildeten: ganz ohne Lärm, ganz ohne Staatenbildung ist die nächste Äußerung
Aufsehen. Der deutsche Literat, den ein des Formtriebs, und im Ineinanderwirken des
Zufall in die Versammlung verschlägt, ganz aktiven und des passiven Willens zur Form
ohne Kontakt, ganz voller Abneigung ist ursprüngliche Spielerei. Aber auch hier
kommunistischen Dingen gegenüber, ist tief wird das Spiel ernst und Zweck aus der
erstaunt und beschämt und dankt einem Form und die Staaten, die wir als Ope-
Kreise von Menschen, in dem sich Gelassen- rettenstaaten belächeln, sind, nicht im Ein-
heit und Erfahrung das Rüstzeug schaffen zelnen, doch im Staatlichen gewiß glücklicher.
für den sozialen Kampf der Zukunft.
H. B.
Politik ist so sehr das Alltägliche des
Aphorismen.
Geistes wie das Geistige des Alltäglichen.
★
Der Gegensatz zur Skepsis heißt nicht Es gibt nur zwei Rassen politischer
Glaube, sondern Politik.
Menschen: Abenteurer und Beamte.
940
GCossen
Der politische Gedanke und die politische
Aktion wissen und berücksichtigen, daß
heute und immer Internationalität die stärkste
Idealität, Nationalität die stärkste Realität
bedeutet. Die politischen Systeme aber,
Kapitalismus, Militarismus, Sozialismus,
überspannen oder verkehren dasVerhältnis.
*
»Die Schlachtfelder«, sagte ein Soldat,
»sind nur ein vager Ausdruck dessen, was
geschieht. Und glaubt mir«, fuhr er müde
lächelnd fort, »nicht das Sterben im Kriege,
sondern das Leben im Kriege ist das
Fürchterliche!«
Schickung gehört zum Wesen des wahren
Soldaten. Er verlangt nicht nach dem Kriege,
er führt ihn.
★
Es ist unerläßlich im Kriege — und
weise im Frieden, den ewigen Frieden zu
predigen. Man würde es noch im ewigen
Frieden immer tun müssen.
•*
Es ist nicht nur für den deutschenNational-
charakter kennzeichnend ,■ es ist so und es
ist wichtig für den Sinn der Rassen und
%
den Sinn der Welt — daß die halben
Franzosen die <in jedem, besonders im
sadilichen Sinne) besten Deutschen sind.
★
Der Geist einer Zeit stellt sich in ihrem
Genie dar,- aber ihre Kultur bestimmen
die Köpfe dritten und vierten Ranges.
★
Der Feind der Zeit ist ihr schlimmerer
Knecht, und es ist nur bequemer, seine
Zeit zu hassen. Wer aber seiner Zeit ohne
Tadel dient, ist ihr schlimmster Feind.
★
Das perpetuum mobile, das seine ganze
Kraft zur Erhaltung der eigenen Bewegung
in sich verschränkt und verbraucht, ist be-
reits da: es ist denZirkel des wirtschaft-
lichen Lebens.
★
Der Philister fürchtet nichts so sehr wie
Tragödien. Darum hat er vieles andre und
schließlich, um die Entwicklung zu sich zu
mildern, den Fortschritt erfunden.
Rudoff Leonfiard.
Ein Garten singt:
Zum Neumond habe ich mich mit dem
Lenz vermählt.
Nun spiele ich ihm über Nacht bunteste
Windenkelche und Maiglöckchen in die
Hand, er aber läßt Falter über mir aus,
die seine liebkosende Rechte erst verborgen
gehalten.
Ich verstecke für ihn weiße und dunkele
Veilchen, die er findet, weil sie ihr Duft
verriet.
. Meine Erde öffne ich, daß ungezählte
Keime, erwachend, ihm ihre Kinderärmchen
entgegenstrecken. So sehr rührt mich das
Werden unserer Kleinen, daß ich allnächt-
lich Freudentränen vergieße, die ich nicht
halten kann. Beim Morgenblinken stehen
die silbernen Tropfen meines Glücks auf
ihrer Stirne: sie aber leben davon.
Meine Bäume halte ich dem Lenz hin:
er zielt mit dem Auge ganz lange. »Wer
lacht zuerst,« sagt er, und da fangen die
törichten alten Herren zu zwinkern an und
zu schmunzeln, können sich nicht bezwingen,
öffnen jählings große und kleine Münder,
und weiß-rosa Blüten leuchten aus auf-
gesprungenen Lippen.
Bienen, die von Wachs und Honig triefen,
übersummen mich. An den Beeten der noch
blütelosen Reseden in unendlichem Behagen
Gfossen
941
vorbeirutschend, zeichnen meine Schnedcen
ihre silfaerschleimigen Wege.
Komm in deinen Garten schlafen, mein
Lenz, küsse auch unsere Gänseblümchen,
sie werden dir einstimmigen Dank aus Mil»
lionen gelber Herzchen sagen. Die Kelche,
die du geöffnet, gefüllt und beduftet hast,
tragen Wein und Rausch meiner Liebe.
Trinke daraus, mein Lenz!
Über mir schwebst du, unsterblicher Täm»
zer, wer kann dich begreifen und greifen!
Mein Geliebter schwingt sich von Beet
zu Beet, die Kissen drückt er nicht ein, auf
welchen er geruht hat, sie wölben sich um
ein Geringes höher, duftiger nach seiner
Berührung.
Er legt sich mir zu Füßen und singt
aus Vogelkehle langatmige Triller, spricht
dazwischen in heilig»sinnlosen Reimen und
lacht, wenn ich zur Nacht den Kindern die
Kelche schließe wie ein Zauberer, der aus
Lachen Gold macht, so daß jede Blüte dem
Gesetze trotzend, vor Andacht noch ein»
mal ihren süßesten Duft aushaucht.
Am andern Morgen tanzt er unter
dem vergrößerten Auge der scheidenden,
schweigsamen Venus zur Raspelmelodie
der Grillen, tritt heimtückisch mit gewölbten
Sohlen auf erste Sonnenstrahlen und über»
springt mit schrillem Pfiff den dunklen
Horizont.
In einer Nacht ließ ich eintausend gelbe
Primeln färben und stellte mich des Mor»
gens schlafend.
Als der Lenz sich prüfend über sie beugt,
entsteigt den Kehlen der blonden Bübchen
ein sinnepackender Duft von Aprikosen»
früchten.
Der Lenz wird rot, weckt mich heiß»
zornig aus erheucheltem Schlaf.
»Ich vergehe,« ruft er und zittert vor
Mittagsglut, obwohl die Sonne noch nicht
so hoch stand. »Du verrietest mich, du
verkauftest mich.«
»Ich, mein Lenz?«
»Du hast mit dem Sommer gesprochen.«
»Mein Lenz?«
»Er gab dir einen neuen Duft.«
»Niemals, mein Lenz.«
»Du hast an den Sommer gedacht.«
»Mein Lenz ...«
»Weh mir, mein Garten, du dachtest an
den Sommer.«
Der Lenz wird schwer und schweigt
sich heiß. •
Ein Seufzer zieht über mich hin, ich
drehe meine Blätterlegionen nach oben. Die
alten Herren bereuen ihr Lachen, aber
keiner kann die Lippen schließen. Wir at»
men nicht, denn ein stärkeres Seufzen haucht
über uns, das uns der Luft beraubt.
Lenz, mein Lenz, deine Lungen öffnen
sich schwer.
Über mir ist ein unsichtbarer Bogen ge»
spannt. Auf mir lastet die Saite. Ein heu»
lender Ton durchreißt mein Eingeweide,
denn in meinem Leibe endet das Beben
der erschütterten Saite. Ging ein Pfeil oder
weinte Musik aus mir? Wo verberge ich
mich? Einer, der keine Tränen besitzet,
möchte sich ergießen.
9
Weine, mein Lenz, weine dich aus über
mir, lege dich schlafen in meinen Beeten.
»Du hast an den Sommer gedacht, ich
will dich erschlagen.«
Meine Erde wird trocken vor Angst.
Die Kinder erschlaffen. Meine Schnecken
halten vorsichtig unter welken Blättern.
Da fällt es über uns wie mit eisernen
Riemen, mit Sicheln und Steinen.
Kein Sonnengott wacht über unsere Liebe.
Lenz, mein Lenz, dein Garten wird zer»
schnitten.
»
t
Gfossen
Sich die Furchen, in die ein unehrliches die entzweiten Stücke: Ein Stüde Garten,
Wasser sich zwängt.
Mein Kies ergießt
Beete,
ein Stüde Frühling, ein Stüde Menschen-
herz. Aber eines konnte die Hand nicht
Kinderchen liegen im Graben, entwurzelt, umschließen, eines bleibt übrig, das aus
geknickt.
den anderen gewachsen scheint, das Un
Uns peitscht die eisharte Grausamkeit begreifliche.
der Liebe.
Der Garten ist verstummt und ver-
schwunden.
Das Unbegreifliche hinterläßt fliehend
eines Toten anklagendes Staunen.
Durch blutende Wundenufer fließt bis
zum Himmel die Liebe, aus tausend blu-
Auf zerwehtem, dünngrasigem Rain liegt tenden Ufern fließen tausend Strahlen einer
ein Entschlafener
matten, schweren Liebe, die sich Sünden auf die Brust ge
Schuhen und bunten Achselklappen.
Die Brust ist in Fetzen geborsten. Eine
Brücke von ergrauten Fingern verbindet
laden, um Väter und Brüder zu decken.
M. Licfmowsky.
i
. I
Verantwortlich für die Redaktion
Ungarn: Hugo He (Ter, Wien ]
Leipzig, Kreuzstraße 3 b.
Österreich
Weißen
Poesdief et Trepte
Verlag t)er Meißen ‘Sücfyer • Setp^tg
21(3 etn unoerg(etcbttc()e3 ©enftnal beutfcber Äunft
erfdjtm Anfang btefe3 3<*^e$
©eutfc^e^ 'Sarocf
9?ofofo
perau3gegeben tm Qtnfdjtuß
3aljrfyunbert = 2(u3ftenuttg beutfcfyer &unft, ©armftabt 1914
von Profeffor Dr. ©eorg 23termann
3t»et 23änbe
//
gratmren
©roß=Quart
eüttettenbem
1350 2(bbt(bungen
petto
au3füljrttcf)em frtttfdjem Katalog.
©ubffrtptton3pret3, nur fa((3 jeßt beftettt nodj gütttg: 23ucf)au3gabe,
gtoet patbteberbänbe
(fpäter
§atrftenau3gabe
3toei ©ansteberbanbe 2}t 200.— (fpäter 2# 400.
3nf)a(t be3 erften 23anbe3. Sejrt: ©onoort. ©te Maleret pon ©eorg 33ter=
matm. ©te ptaftff pon Qtbotf Beutner. ©fe TTttntafur pon Ulbert ©rtncfmann. ©fe
©tlljouette pon 2(nton Ätppenberg.
2(bbt(bungen: ^u^ftettung^räume tm ©armftäbter £Reftben3fcf)tof3* ©fe ^Ttateref
pon 1650—1750. a) 'Der fübbeutfcfje unb 6fterrefc^ffcf)e Äunftfretg. b) ©er norbbeutfcfje
Äunftfref3. ©te TTtaleret be3 ftr^lfc^en ©arocB. ©te iQanbgefdjnungen. ©a3 Porträt
be3 fünftfertfcf)en unb getfttgen ©eutfcf)(anb3. ©olb unb ©Uber.
3nf)ult be3 jtpeften 23anbe3. 5tamen = unb ©acf>regtfter: ©ematbe unb
^anbget^nungen pon ©eorg ©termann. }3orträtga(erfe be3 fünftfertfdjen unb geffttgen
©eutfcf)(anb3 pon <9. Ubbe=©ernap3. ptaftff non 3t. ^eutner. TTtfnfaturen pon 2(. ©rtnct=
mann. ©tlljouetten pon 2(. Ätppenberg. ©olb unb ©tlber pon TTtac D?ofenberg.
2(bbt(bungen: ©eutfcfye 27la(eret pon 1750—1800. a) ©t'e ©tlbnt^maleret tn
Öfterretdj unb ©übbeutfd)fanb. b) ©fe 23f(bnt3ma(eret tn Ttorb^ unb 73tftte(beutfcf)(anb.
c) ©eutfcf)e PaftetUften. d) £anbfcf)aft unb ©tftteben. ©cbtpetjer TTlaferef ponl650—1800.
^anbgetdjnungen. (ßlafttf. ‘«Qltntaturen. ©tHjouetfen.
ßrtntge^ au3 ben fu^fyer erfcfytenenert 33efprecf)ungen:
... WaS bte tpentgften geglaubt haben, tft nun hoch bargetan toorben: Die Srabition
ber Äunft tpar tn Deutfchlanb nicht abgeriflien, in baS 19. 3al>rl)unbert hinein führte
mehr als ein ‘Jaben, unb Dielet, tpaS neuertporben fügten, tpar bodj Urbfchaft barfn. (iß
tft ein uoller ©teg, ben bie Deranftaltung unter ber ^üfjrung unfereS Protektors ftd)
enparb; Iprofejfor ©eorg ermann, ff)r Setter, hat ftch bamtt nicht nur als ein 0r=
gantfator pon großen Fähigkeiten gezeigt, fonbern auch ber ©efchtchte beutfcfyer Äunft
einen Dienft geletftet, tpt'e nicht mancher por t'hm. — Wich baS Werk, tpte eS nun Por=
liegt, tft burdjauS rühmenStpert; man brauet eS nur mit bem pon ber berliner 3abrs
hunbert=3luSftellung gu pergletdjen, um feine Qualität 3U bemerken. US märe nic^t nur
fdjabe, fonbern aud) etn ©djaben, tpenn eS unter ber Ungunft ber Setten litte: tpelcher
Äunftfreunb eS befitjen kann, follte eS aud) befttjen, bem Äunftkenner tft eS unentbef)r=
lief) als ein ©runbftetn, auf ben nun ein bebeutenber Setl ber beutfe^en &unftgefd)icf)te
ftd) grünben muß.
Wilhelm ©cfjäfer in „Dte Wjotnlanbe", ^Iprtl 1915.
... Urtpäljnt man fchlteßltd) nod) bie Slbtetlung ber Slrbetten tn ©olb unb ©tlber,
3U ber Ware CRofenberg ben mustergültigen Katalog gearbeitet hat, fo tft ber Reichtum
tpentgftenS angebeutet, ben btefe betben Stattlichen Dänbe umfchließen. — Unb fie bieten
thn in tpürbtger Form. Faft 1400 poqügltche ©raoüren unb Ältfchee^bbtlbungen finb
gufammen mit ben Umleitungen unb ausführlichen unb forgfälttg gearbeiteten £ünftler=
regtftern in einen gefd)mackpollen unb bauerhaften 33anb gefaxt. Unb tpett htnauS über
baS, tpaS fie an S£atfad)en geben, tpollen fte noch anregen gu felbftänbiger toeiterer
Slrbett. vQSöge eS ihnen tn retchftem Waße gelingen. Denn eS tft noch manches gu tun,
bt'S baS 23tlb btefer Sott tn allen Uingelhetten klar ttnb fd)arf por unferen Wtgen fteht.
„Hamburger ^rembenblatt", 10. ^prtl 1915.
... ©0 nimmt man benn btefe ^rtebenSarbett inmitten beS Weltkrieges mit einem
©efühl ber Detounberung unb ber Urletchterung entgegen. WaS ungegäljlte Kräfte wetU
etfernb unb opferwillig jufammengetragen, baS tptrb ^ter in bie ©dauern gebraut unb
mag nun tn alter 3?ulje auf neue Sotten tptffenfchaftltch = künftlertfcher <$orfcberarbett
harren. Die Urkenntntffe, bie bie Darmftäbter 3ahrhunbert = QluSftellung porn 3<thre
1914 anbahnte, tuerben nicht perloren fein. DaS neue 23tlb ber beutfdjen ©djaffenS=
fraft ttn Soitalter beS 23arockS unb D?okokoS wirb nach btefem Kriege pon berufenen
an Si)anb btefer 23änbe tn bte Safeln ber beutfehen &unftgefd)td)te eingegeichnet tperben.
Dr. Ugbert Detpp, „Setpjtger Sleuefte Jlachrt^ten", 2. Wat 1915.
©0 ift benn trotj ber Ungunft ber Sott/ bte auch bie Dorberettung btefeS Werkes
erf^tpert unb gehemmt hat/ baS Denkmal ber Darmftäbter 3‘tht'hunbertsQluSftetlung
mit nur unerhebltiher Dergogerung pollenbet tporben, unb bte ^orfi^ung erhält bamit
ein überaus f^ätjbareS unb inS künftige unentbehrlid>eS Quellentperk für bie ©efchichte
ber beutf^en Äunft im 17. unb 18. 3ahrhunboot, beffen Debeutung por allem in ber
$ülle ber in fauberen Wölbungen peretnigten künftlertfdien Urkunben ber 3ott liegt.
DaS Darmftäbter SluSftellungStPerk tft nti^t, tote bte Deroffentltchung über bte ©er=
liner 3«hrhunbert = SluSftellung porn 3tthre 1906, als ein pollftänbtger Slbbi(bungS=
katalog angelegt, hoch ftnb etma gtpet Drittel ber ©chätje, bie tm CReftbenjfi^lojfe ju
Darmftabt 1914 peretntgt tparen, tn Slluftrattonen tpiebergegeben, unb fotpett nach
3af)(reichen ©tt^proben unb Derglet'^en geurteilt tperben barf, kann behauptet tperben,
bafj man t\trf)tS Wichtiges unb nichts SntereffanteS pon bem, tpaS tn Darmftabt gu
♦ ♦
fefyen war, in Öen bet'ben ftattltcf>en, »ornehtn auSgeftatteten 33änben oergeblt'ch fuchen
wirb. Srhöht totrö ber 3öert beS 3£erfeS burch bte forgfältig gearbeiteten 2tamen= unb
©achregt'fter, benen außer bem Herausgeber £. Uhbe=33ernapS, 3lbolf Feulner, 31. ®rtncf=
mann, 3lnton Ätppenberg unb Marc 3?ofenberg ihren $(etf3 gewibmet haben
©tefe furgen 23emerfungen mögen hinreichen, um angubeuten, welche ^ül(e oon 3ln=
regungen, oon Aufgaben, oon Problemen baS 'Sarmftäbter TluSftellungSwerf bietet.
SS ift als ein bebeutfamer £anbgemtnn ber beutfcfyen Äunftforfchung mit aufrichtiger
©anfbarfett gu begruben.
Dr. Qllbert ©reSbner, „Monatshefte für Äunftwiffenfchaft", Tlpril 1915.
. . . SllteS in allem wirb baS 353erf mit feinen genauen, gutn Seil neuen “Daten
unb ©chrtßtumS=3lngaben im 3?egifter für lange Seit eine faft unerßhöpfltche ^unbgrube
unb Anregung, gerabegu bte unentbehrliche Quelle für bie Äunftgefchichte non 1650 — 1800
fein, nachbem bte mühfame unb gebt'cgene ©ammeiarbeit uieler Monate auS bem Dartn=
ftäbter Schloß nun wteber in alle 3öt'nbe gerftreut ift. DaS 23t'ermannfche 3luSftellungS=
werf ift fein bloßeS Denfmal, eS ift etn £erolb Öcutfcßer Äunft.
Profeffor £. Oelenhet'ng, „£t'terart'fcheS 3entralblatt", 24. Tlprtl 1915.
. . . 23t'ermann führt nun in feiner flaren, fnappen, mit herglichem Anteil an ber
©acfie getriebenen, aber nicht fritifloS übertret'benben Tlbhanblung ben Ttachwet'S, baß
ber Stnfluß beS ^remben auf bie Äunft ber 150 3ahre 3U hoch angefchlagen morben
ift, unb baß neben tn'elem Unfelbftänbigen, phrafenhaft Tlufgeblafenen eine eigne beutfcpe
Äunft beftanben hat, bie nicht nur ihrer 3lnfchauung, fonbern auch ihrem £ebenSgefüf)l
nach mit ftarfen 353urgeln auS ber Hetmaterbe muchS. Sr ftüßt ft habet weniger auf
bisher bekannte Flamen unb 3Derfe als auf Srfchet'nungen, bt'e an ftcp oft unßhet'nbar,
burch bie TluSftellung in Sufammenhang gebracht morben ftnb, fo baß t'hre 23ebeutung
als ©lieber einer Sntwt'cflungSret'he hert>ortrttt. Mit feften Strießen geicßnet er bte
polittfcßen unb fulturellen Derhältnt'jfe DeutfcßlanbS, bet lederen namentlich ben
mächtigen fünftlerifcßen Sinfluß ber ©egenreformatt'on, bte Derfcßt'ebenheiten gwifcßen
bem Tlorben unb bem ©üben, bte allgemeinen Merfmale unb 3tele ber et'ngelnen Swet'ge
ber Malerei; bann gibt er, ohne ft in unwichtigen St'ngelhet'ten gu uerlteren, etn 23flb
einzelner heroorragenber Äünftler unb Äunftwerfe, bte er gum Seil unoerbtenter 33er=
geffenßeit entreißt. Überall geigt ,ftch, bap 23t'ermann ft nicht, wte eS manchmal ber
Fall ift, in bte behanbelte Spocße mit einem gewtjfen Fanatismus feftgebt'ffen hat, fonbern
feinen freien 33lt'cf für bte gefamte Sntwt'cflung ber Äunft bt'S in bte füngfte 3eit be=
wahrt. Man wirb feine Tlbßanblung bet fünßt'gen funftgefchfchtlt'chen Forfcßungen nicht
übergehen fönnen.
„Äolnt'te Settung", 7. Märg 1915.
. . . Die Tlbbtlbungen entrücken unS ber ßorben, harten, großen ©egenwart, t>er=
anfcßaultchen eine Spocße, in ber Fürf^nglang, Far&onprunf, Tlnmut unb £t'eblfchfeit
tn ber Äunft hrrrf^ten, tn ber bt'e hritrre erfreuenbe ©chonhet't ntt in bie Siefen ber
Perfönlfdjfeit unb ber Tlatur untertauchte. Sin Merf, baS ben Sauber mtlber Schönheit
heraufbefchwört, »ergangene, faft »ergebene Schöpfungen unb ©cf)öpfer würbt'gt burch
bte flaren btographtfchen unb frtttfchen Mitteilungen, burch bte ©eorg SHermann baS
^öefen beS etngelnen anbeutet unb erläutert, „berliner £ofal=<2lngeiger//, 21. Märg 1915.
4 4 4
4
353aS nun bte 35ehanblungen beS SejrteS anlangt, fo nimmt auch h{rr, wte auf
ber 3luSftellung felber unb wte in ben Slbbt'lbungen, bie Malerei bt'e »ornehmfte
Stellung etn. 23t'ermann hat bt'e Slbhanblung über bt'e Maleret gefchrt'eben, unb fie
tft inhaltlich unb formal fehr gelungen. Weil Vt'ermann, tote man heute non einem
Äunft^t'ftorlfer oerlangen fann, bag Verftänbnt'3 ber Vilbwerfe au£ bem Ver=
ftänbnt'g be3 gugeftörtgen 3ettbewuf$tfet'n3, lebten Enbeg ber gugehört'gen Weltanfchauung
Verleitet unb begrünbet, barurn oermag er bem £efer etn lebenbt'geg Vt'lb ber gefamten
Äunftbetoegung gu oermt'tteln, ba3 alle Et'ngelgüge gu einem großen 3ufammenhang
orbnet. Vurcf) biefe3 et'ngt'g nötige Verfahren- hat Vtermann e3 erreicht, bt'e Etnfichten,
welche nur ba£ unmittelbare ©tubium ber Tlu^ftellung felber gu geben oermochte,
bauernb auch für bt'e fpätere Arbeit niebergulegen. ©elbftoerftänblt'ch bleiben F>lerbet
et'ngelne 3üge bem 3wet'fel unb ber Tlnfechtung au^gefetjt; aber bt'e Werturteile Vt'er=
manng haben t'm gangen eine oon gefaultem Qualt'tätögefühl unb flarer Erfenntnt'3
herftammenbe ©eltung.
Dr. £. So eilen, „ipefftfche £anbe$get'tung", 10. Februar 1915.
. . . E3 fann ^ier nur» anbeutung^toeife auf bt'e Ergebnt'ffe ^tngetot'efen toerben,
welche burch Profejfor Vt'ermann^ Wer? al$ Tlueigang^punft einer neuen funftf)iftortfchen
Vewertung ber Varocf= unb 2?ofofopert'obe bauernb feftgelegt finb. Äünftlert'fche Er=
Meinungen be$ frühen 19. 3ahrhunbert3, welche feit ber berliner 3ahrhunbert=7lu$=
ftellung 1906 al3 Anfang ber mobernen Entwicflung betrachtet tourben, geigen ftch
fetjt al3 Tlu^läufer einer fchon t'm 3eitalter ber Varocfe angebahnten Wcfjtung. ‘©er
ununterbrochene 3ufammenhang ber Äunft be£ 19. 3ahrf)unbertg mit ber beg 17. unb
18. lieft fi<h au£ ben Tlbbt'lbungen überrafchenb mühelos ab. Vuchtechnifch finb bt'e
bet'ben Ttu^gaben etn Wet'fterwerf, ba3 feben bibliophilen beget'ftern tot'rb.
Robert Weft, ,,^3reu^if«f>e 3ahrbücher//, Wärg 1915.
. . .•‘Dt'e Erinnerung an bt'e Varmftäbter 3ahrhunbert = 7lu3ftellung, bt'e ben beut=
f«hen ©etft t'n einer für bt'e bilbenbe Äunft unfere^ Volfe3 oerrufenen Vergangenheit
aufgubecfen beftrebt toar, tft j'etjt für bt'e Vauer t'n einem prächtigen gtoetbänbt'gen
Werfe feftgehalten. 3n unoerglet'chlt'ch bejferen Wt'ebergaben noch, al3 fte oor gehn
3ahren ber erfolgreichen berliner 3ahrhunbert=7lu3ftellung gygute fommen fonnten, tft
hier alle3 gufammengetragen, wa3 in Varmftabt ©chöne3 gu fehen toar, fo baf3 man
einen unoerglet'chlt'ch oollftänbt'gen überblt'cf über bt'e beutfche bilbenbe Äunft oon 1650
bt'3 1800 geniest. Wer bt'e bänbe burchblättert, tot'rb erneut bt'e bereite nach ©ebüljr
geioürbt'gte Satfraft ©eorg Vt'ermann^ betounbern, ber, geförbert oom ©roßhergog »on
^)ejfen unb unterftütjt oon berufenen Wt'tarbet'tern, unfere Äenntnt'^ beutfcher Äunft fo
glücflt'ch erweitert hat.
„Velfjagen & Älafingg Wonat^hefle", Wai 1915.
. . . Wan muf bem energt'fchen unb jtnbt'gen Organt'fator ber Tluöftellung, Prof.
Dr. ©eorg biermann, ben Vanf bafür au^fprechen, baß ihm auch bt'efe gtoet'te Ernte
geglücft tft, unb man barf t'hm ©lücf toünfchen gu feinem großhergogltcben Wägen, ber
bt'e 3bee ber Tlu^ftellung gefaxt unb burchgefüljrt hat, unb ^em bafjer mit D?ecf)t ba£
Werf getot'bmet tft/ unb ebenfo gu feinen Wt'tarbet'fern, oon benen einige (71. ^eulner,
71. Vrt'ncfmann, 71. Ät'ppenberg) tej-tlt'che unb T^egifterbeiträge, anbere (Uhbe = Vernap3
unb Wac CRofenberg) wenigften^ noch bte CRegtfter gu ben oon ihnen beforgten 7lb=
teilungen liefern fonnten; währenb be3 um bt'e Tlu^ftellung fehr oerbtenten Dr. Äarl
Weftenborp unb feiner ftidfchtoet'genben Eingabe, bt'e infolge be3 Ärt'eg^ nur ben T3or=
arbeiten gugute gefotnmen tft, allein im Vorwort gebaut werben fonnte.
Dr. Paul ^erb. ©«hmibt, „Weftermann^ Wonat^h^?ftf,,,.
Verlag ber SDetßen 23üc^er * £etp31g
©oebert erfcfjten:
2ugerplafttf
t) on
0tn
eue£
rf
er:
Stbban&lunam
4
Stuf faß c
3roet 33ärtbe tm Umfang öon 49 33ogen
©efyeftet SD? 12.—, gebunben SO? 15.—
m
aj ©djeler tfi neben ©tmmei mot)i berjett ber befann*
teile unter ben neueren ^PbÜofopfyen £>eutfcf)tanb$.
©r üertritt bte ^fyänomenotogte, bte non ^uflTert mit begrün*
bete auffefyenerregenbe neue pt)tfofopf)ifcf)e Ültcfytung. £>te
3tuffa$e berufen auf ftreng rotjfenfdbaftitcfjen $orfcf)uttgen,
tegen btefe aber tu einer alleu ©ebtibeten »erfldnbttcben
Sprache bar. 2tller f)erfbntmItcf)epfpcf)oiogtfcf)e unb fytjlortfdbe
0feptt$t$mu$ tfl abgelegt. SSeranferung uub 2fnfrtüpfung beö
anarcf)tfcf)en 3uftanbe$ unferer heutigen 2eben3orbnung unb
unfereö jerberfienben 2eben$ an bte ©wtgfettömerte, bte tm
erften Äetme etne$ unüerbogenen ©fyrtjientumö »erborgen
ftnb unb ußteberentfyüflung btefer ußerte and) gegen unfere,
mtt bem ©etjle beö ÄapttaltSmuö jum Seit paftterenben
Ätrcfyen, tft baö Jöauptjtei be£ 33erfaflferö. £>te ÜÖenbung un*
ferer Sugenb: roeg öou fonjlruierten 33egrtff$gefptn|len ju
tapferer Jptngabe an bie uöelt ber 3fnfcf)auung unb ber er*
lebten ÜÖtrfHdjfett unb ju einem Urteil, ba$ alle „tbealtjltfcben"
unb „naturaltjitfdjen" 4?albf)etten »erfcfymdfyt, ftnbet tn bem
bebeutenben $$ucf)e 2tu$brucf mte gmfyrung. ©$ mtrb bte £>enf*
roetfe ber fommenben ©eneratton am ttefjlen mttbe(ltmmen.
58 e r ( a a ber 2Ö c t fj e n 58 ü cf) e r - 2 c t p $ t g
äiiiiiimiiimimim....... .........................................
Ill
IL
Otto = ß:nc£) ©djtntDt
SHfcf»
3n £uru£brof<hur 1.
über ben &rteg, ntd)t über tteffte 3ufammen-
hange foll tn btefem ©ebtcht ettoa^ gefagt toerben,
fortbem fchlechthtn, toa3 ber junge ^enfch beim %b~
fd^ieb non ben Eltern, oon ber ©eltebten, oom trüber
fühlt, unb toa3 btefe@)eltebten toteberum empftnben...
<Ötefe03enen totrb man fo Iteben, tote alte^ <5Tlenfd>=
liehe, baß ftdf) ebef unb natürlich offenbart, liebend
toert tft.
//
Bettfchnft für ^ücfyerfreunbe.
.........................
iiiiiiinl,.iiinniii,liiiiiiiiii..iiiiiinii„iiinini
2J3
571ana (23enemanrt
3n £uru£brof<hur 2.~, tn £etmoant> gebt), 3.
tn £et)er gebt), 5-
'Sttarta ^3enemann fprtcht tf)re letfen Gebete unb
0egnungen tn btefen oon ©ott unb ber £tebe er-
füllten ©ebtchten mtt aller füßen Einfalt etne£ guten,
Ungebeugten ^ergen^. 0te ftromen mtt ttefer (£r=
grtffenhett, unb 0cham liegt tote etn ferner $auch
barüber. T>aß formale 33anbchen fünbet Reichtum
ber 2Delt unb bereichert fte mtt ber &unbe.
Verlag ber ^Detßen Bücher ♦ £eip31g
ui 1 i"n
i|iy|||||iililll|i
,,©tn ^tterlebenber, ein 3uHtnfttger, etn ge=
formter Former, etn Dichter tft Ijter am Sö^erf"
fagt 5pan3 ^rancf über
jpan^ 3ot>ft
£)te ©tunbe ber©terBenben
©eljeflet l.~, gebunben ^ 1.50
Unb ba$ £etp3tger Sageblatt metfj barüber 3U benoten:
„Da3 ©tücf lebt ln ber ©egenmart. 3ol)ft fü)eut ftd? nldjt,
bte ^tadjtfdjatten be$ Ärtegeö 3U fef>ett unb feiert ntcfif nur
Öa$ ©onnenltcfyt be3 ©tege$. Dtefe ©chatten tuerben oon bem
Kammer etne3 aufblüfyenben ^orgen^ erloft. Stne fernere
21adjt liegt über ber 2öalftatt, unb au$ tf>r Hingen bte ©tlmmen
3erfprengter. Die ©eftalten felbft bletben tut ©cfyatten ber
Ttadjf, nur tfjre ©eele fprtcfü 3U un3. $ür folc^e, melcfye
fünftlertfdje ©f>rllcf)felt lieben, Ift ble Dichtung gefcfyrteben/
„/Die ©tunbe ber ©terbenben' erfcfyetnt tote eine ©pmpfyontc
ln Porten, an berem Snbe fiel) ba3 ftraf)lenbe <37totlt> ber Sobe3=
übermtnbung entuncfelt/ fc^relbt ba£ £lterarlfcf>e 3entral=
blatt unb ba3 Stterarlfdje Scbo fagt ln einem langen
^rttfel u. a. über ba$ Dud): „3n btefem ©tücf eiltet Un=
bcfannten ftnbef fiel) 3um erftenmal jene t>on ber Ungefyeuer=
llcfyfett be£ gegenwärtigen ©cf)mer3erlebntffe$ burdjbrungene,
Innerlich beftlmmte, wafyrfyafte ^orm, bte 3ugletd) bte '2ötrfltcf>=
feit ergreift unb btfta^lerf, bte ba$ ©efcbefyen pacft unb lautert,
ble Satfacfütcfieö fcfülbert unb oerflart!"
3n allen befferen 33ucf)f)anblungen tft baö 23erf uorrattg.
Verlag ber ^elften ^3ücf>er • £eip3ig
Stn Urteil über
19 13
©>te „0cfyaubüfjne" fc^retbt:
^S^^in /©cbaufptel', ba£ fein ©uebbrama tft unb trotgbem ge=
tefen werben follte, ba e^ vorläufig letber nicht 3U [eben
fein wirb, ©eutfebe werben verfpottet,- unb ba3 wünf(bt
man jetjt nicht. ^Iber ©eutfebe werben in einem ©tnne verfpottet,
ber gerabe ber 'SMttargenfur wtlifommen fein müßte. ©er ©nob
&briftian ?*}Za$fe ift alt, reich unb Sr°f3 getvorben. Unb fprtcbt:
„3cb mache ©tlang unb fühle, von menfcbltcben Smpfinbungen
mehr aB von eigenen befeffen: mochte e£ biefem ober einem anbern
gelingen, von ©runb au^ bie 3uftanbe gu erfebüttern, bie wir
gefebaffen." ©a£ ©cbaufptel ift „im hinter von 1913 unb 1914
entftanben". ©emetnt ftnb bte 3uftanbe vor bem &rteg. Stwa£
ift faul im ©taate ©eutfcblanb^: ba£ wollte ©ternbetm bamal^
fagen. Stwa£ ift faul gewefen: ba£ fagt beute ber £efer, ber vom
ftrteg eine Reinigung erfebnt. ?tacbbrücfltcber würb' e£ ber 3u=
febauer fagen. 3a, er würbe, fo brafttfeb gur Stnfebr gegwungen,
vielleicht für fein perfönltcbe^ Seil gu ber allgemeinen Reinigung
beitragen, ©attrifer beffern bureb 3ücbtigung bie ©itten. |)ier
hält felbft bie ©fepftö einen moraltfcben Srfolg für möglich. $ter
ift ein galt, wo ba£ Sweater wtrfltdj ©piegel unb abgefürgte
Sbrontf fein fönnte. 23ar cß nicht arg, wa^ wir am erften ^uguft
überftanben gu b^en glaubten? 21un alfo: Ttocb einmal laßt
be£ ©tebter^ Pbant^f^ bie büftre 3eit an eud) vorüberfübren unb
bttefet froher in bie ©egenwart unb in ber 3ufunft b°ffnurig3=
reiche gerne. 3lber bie fcbcußltcbften &rteg$poffen würben erlaubt,
unb ba$ ift verboten. 23arum? 23etl bei un£ ber Srnft unb bte
Wahrheit nur erfannt werben, wenn fte pompös, ipat\)cti\d) unb
tenbengtö^ etnberwuebten — nicht, wenn fte lachen, fcbtllern unb
unparteüfcb finb.
Unb ba£ tft ©ternbetm^ Rebler unb ©orgttg: er ftnbet feinen
^enfeben weniger fomtfd) al£ ben anbern. Sr weiß, baß auf
matertaltfttfcbe Sporen tbealifttfcbe folgen: aber wie an ben ^"la=
tertaltften £tcf)t=, fo entwerft er an ben 3bealtften ©chattenfetten.
3ch würbe nicht 311 entfchetben wagen, wer fernem falten bergen
ferner ftefyt: ber ©efchüftSmann, ber baS £eben errechnet, aber
ftch an bem Umfang ferner Unternehmungen wte ein reiner Zünftler
beraufdjt, ober ber 3beolog, ber baS £eben erbittet, aber im
frittfchen ^lugenbltcf bie Begleitung ber retten Softer beS 2ob=
fetnbeS nicht oerfchmaht. ^eilige beutfche 3been ergeben ft<h wiber
ben fraffen fapttaltfttfchen ©etft; aber ber ©eift beS Kapitalismus
ift lange nicht fo fraglich, fo fragwürbig wie bie $eiligfett ber
3been non 1913- 23er prebtgt, bafg wtr gu ftttlicher Ofonomte
fommen muffen, ber nerheimlicht ftch, nicht unS, feine 0ier nach
einer minber ftttltchen Ofonomte, beren S^eprafentant fatt genug
ift, um ftch in notier Unabhangtgfeit ein ungegügelteS Sebent
bewu^tfetn 31t gönnen. $od)ft retgooll fchwanft ©ternhetm gwtfchen
betben Gelten hin unb tyx. ©ein tpobn auf bie emporgeftiegene
^inangartftofratie ift gemengt mit einer Bewunberung, bie für
ben 2lbel ber ©eburt nicht Itebeooller fein fonnte. 23enn tmbectle
Ttachfommenfchaft non 2)Ztfter Safton auS £onbon eingefletbet
wirb unb ftch ein Btarft ber albernften Sttelfetten entfaltet,. fo
hört man am £on, ber bie 2)tuftf macht, baß ©ternhetm felbft
nicht bet BretelleS unb PumpS unb ^oubtgant unb latest fashion
aufgewachfen ift, baß er bergletchen ungefähr mit fünfunbgwangtg
3of>ren fennen gelernt hoben wirb, ©eine Sugelaffenhett ift frtfch
wie Shrtfttan BtaSfeS Sttel. Sr erwägt bie Btogltchfett, „bem
£anbe etn neuer Beaumarchais gu werben", für feinen mitgtft=
frohen 23eltoerbefferer Wilhelm Krep, nicht für ftch/ aber er
benft nur an ftd). 23aS hindert ihn? Sr hot weber bie ftolge 2lb=
netgung beS eingefeffenen $errn gegen ben Stnbrtngltng, noch bie
wtlbe 23ut beS berechtigten Srben auf ben unberechtigten. Sr ift
ein 2lrttft ooll 23tberwtllen gegen nerborbene £uft, mit ber un=
begwtngltchen Betgung, ©äßen angurempeln, bie £eerf)ett non
Attrappen 3U erweifen, ben ©pteßer gu giften. 23trb er auf feinem
^elb übertroffen? Bern. ©0 folt man für ihn fern.
Um feiner 23ort= unb Bilbfunft willen. 23aS beftrtcft an feinen
Biatogen auS ber großen ober möchte=gern=großen ©efellfcßaft?
Bie behanbfchubte Frechheit. 2ftan geht über Reichen, aber mit
Sanieren. @o fongtö bte ©praeße (ft, fo t>tcl S^attm (aßt fie
immer noef) einem £tebßaber ber Nuance für bie tnbtotbuelle ^lb=
tonung. STtancßmal fdjeint etn ©aß oott SDebefinb gu fein, „©eit
fed)gtg 3a^ren ftefye tef) ^enfc^cnbataiüonen a($ ftommanbeur
gegenüber unb ßabe mir ntdjt mefyr atö ein paar £ommanbo3,
bte auf uralte prtmitioe Qnnpftnbungen gielen, guredütegen fönnen."
©a£ ift Sßrifttan 'Stta^fe, 23ruber t)cß 3ttarqut£ non &ettß, non
tßm nur bttrcl) ba£ poftttoe 33orgetcßen, burefj feine Qrtnnaßmen
unb feine ^rueßtbarfett, unterstehen. ©rei &tnber: ber lebe=
manntfdj entartete ©of)n,- bte fenttmental entartete Softer/ bte
bürttge ^oc^ter, bte wtllen^ftarfe, fampflufttge gortfeßertn ber
auffteigenben £tnte. 3ebe£ ber brei mit jebent; jebe£ mit bem
S3ater; jebe£ mit ber Außenwelt: ba£ bringt tn bte ^otnobte bte
^bwedjflung, bte fie für£ Sweater braucht, unb um berentwtllen
man abermals einen @runb fyat, ben grteben ßerbetguwünfdjen.
©enn man waßne bod) ntcfyt, baß na<$ bem Kriege ©ternßeim
non $ulba oerbrangt fern wirb. 2Daf)renb be£ $rtege$: ja. $tnter=
Ijer aber werben wteber bte §amfen fprüfyen, ntc^t tnefyr bte 01=
funkeln blafen,- wirb wteber Straft bte 3unge brennen, nteßt
mef)r bte brettefte 33ettelfuppe fte fronen,* wirb wteber ber ^ut
gu neuen touriftifdjen ^Oagntffen in ber 33ruft feine ©pannfraft
üben unb 33etfall erwerben, ntc^t mefyr bte ausgefallene <57bttte(=
ftraße bte befte fein. 253te ,1913' enbet: wie ber ftebgtgjäßrtge
©tammoater 'JttaSfe gum leßten ’SKat fiegt, über feinen ©amen
ftegt, ftegeStangt unb fterbenb gufatnmenbrtdü, fpat am Qlbenb,-
tute auS bem gangen $aufe bte 3nfaffen (>erbetgefc^offen fommett/
wie ber £ote tnS Tlebengtmmer getragen wirb; wie burd) bte
offene Sür ein lebhaftes iptn unb $er gwtfdjen beiben 3tmtnern
entfielt; wte alte Qlnwefenben ^euc^fertfc^ einanber tn bte ^Irme
fallen,* wie grelles £td)t auf bte mobtfcf) übertriebene Pracßt ber
Ttadüloftüme fallt,* wte S93tl()elm £rep fdjludpenb mit feiner gotb=
fdjweren 2Datfe ftdj baoonfd)leidjt/ wte fern unuerborbener $reunb
ftd) entfeßt unb ftdj aiiein auf ben 253eg gum großen 3tel mad)t,* wte
mit einem ©d)lag famtltdjeS £td)t erlifd)t — in einer ©ituatton
uon fo batlabenfyafter ©ebrangtljeit unb fo bramattfefjer ^8ewegt=
Ijeit liegt etn ©tücf 3uhmft ber beutfeßen Äomobte.
Karl © t e r nl) e tm
£)on3uan. 6ttte Sragobte. ©et). TR 5- ~,$aibi. ^18. — ,
©anjl. 5R15.-
Uirtd) unb Brigitte. 6m bramattfcf)e£ ©ebicfyt. Bwette
Auflage, ©el). '3713- — / Semen 'SJt 4-~
beut bürgerlichen ^elbenleben:
I. ©te£)ofe. Suftfptel. ©el). 3713- — / £)albperg. 7K4- —
II. ©ie Äaffette. ftomobietn 5 ^tufsügen. ©eh- TH3. — /
Seinen TJt 4*~
III. Bürger ©cfjtppel. Äomobte in 5 ^lufgügen. ©el).
7JI 3. — / Seinen TJt 4- —
IV. ©er ©nob. &omöbie. ©elj. TU 3Seinen TH 4<~
®
ie testen Monate haben gegeigt/ba^ e£ ntrgenbwo
entfdjloffenere 'JHenfchen at$ bie beutfchen gibt.
23ur in ©tngen ber Äunft waren, ftnb, bleiben
fte unentfchloffen. 2Dabrenb bie einen ©tcrnhetm für einen
langweiligen TtüdjterÜng Raiten, ber im Selegrammfttl
bittet, fef)en bie anberen einen unmora(ifcf)en Ipumoriften.
©tatt ihn al£ ben erften beutfchen Suftfpielbidjter gu grüßen,
ber eine gorm beutfcher Äunft fchuf, wie fte nur ba$
3wan3igfte 3afyrf)unbert unb nur 6iner in btefern 3<*hr-
hunbert f»ert)orbrtngen fonnte.
©ofmnta, Prag, nom 18. 3nnuar 1915
SnfeU^erlag tn £ e t p 31 g
jSlabinettflücf moberner ^rjäf)lerfunfl tff:
Süarl ©ternkimg Sftopelle
SMtfeforo
©etjeftct 9)?
©ebuttben SO? 1.50
Ql it & einigen Urteilen:
9teue Jreie treffe, üöien: ®ie 2Bevfe beö jungen, immer ftärfer
auftretenben ©arl ©ternheim haben bie glekhe Shtie, bie gleiche Qlrabeöfe
nad) oben unb unten, gemahnen an bie j?unf! im Berrfpiegel, bie beu
Sädterlidte »eht unb beim Sad)baften
QÖertitng
ber dichter ber beutfd)en bürgerlichen Komöbie (bürgerlid) im ©intte
. • V , \ 4 - • , . /m . . r\f\ / • ^ • «r j > i / / ß*, • 4 • f
höheres), ber mitleiblofe fteittb
£ofe
,,©nob" unb „Bürger ©dfippel" ftttb ©efchöpfe feiner ifraft. Unb bie
Heine Forelle „Vufefow" fleigt eben biefe Uraft, non ber ^omöbie in
©rjähtung
3n fnapp breifeig ©eiten gibt ©ternheim ©rötere
unb ^ragif biefeö ©chicffalö plaftifch unb burd)lebt, wie nur wenige eö permögen.
5? a m b itr g e r 9t a ch r i d) t e it: T>er ©atirifer ©arl ©ternheim, ber mit einem
fühlen Sädieln feilttahmlcfer Verachtung in feinen ^omöbien gerne bie
aUjumenfdilichen Büge bürgerlicher Vehaglidffeit blohlegt ititb feinen Qöife
au ben groteöfen Buäungen ber Verlegenheit weibet, entpuppt ftd> in biefer
flehten ©tttbie alö 9Jfeifter ber nopetliftifchen fjornt. Vufefowö ©chidffal
ift in feinen pfnd)ifdten Vebiitgungen ju einer ©popoe fleinbürgerlichen
4>elbentumö gefteigert, unb föjtlidt ift bie tDiifd)ung milber Sronie unb
mitfühlenber Qlnteiluahme in ber Qlrt beö Vortrageö burdtgehalteu, fobafe
unö wehmütiges Sächeltt unb läd>elnbe QBehmitt jugleid) entlocft wirb.
Vefter Slopb: 9Katt merft biefer 9topetle ben ©atirifer uttb ben ®ra=
matifer ©ternheim au. Von erflerem ftammt bte leife Übertreibung, bie
fo wirffatn bie Konturen ber ©eftalten perfd)ärfen fann, pdu lefeterem ber
ftraffe Qfufbau, baS felbftrerftänblid)e unb nie ftocfeube ©afjittfliefeen ber
^anblung.
®ie $hre: ©ine ber lefeteu Otummern ber©ammlung „®er3üngfte £ag"
bringt ein fleincS ‘iDteifterwerfchen pon einer 9topetle fjetuuS „Vufefow"
pon ©arl ©ternheim. 9Jtit einem baS £ieffte unb Verborgeufte erreichenbctt
pfpchologifdten Vlidf umreifet unS hier ein ftarfermDberuer®idtter auf wenigen
©eiten brei ©piftenjen pon folch plaftifdter 3eid)nung unb SebenSwaljrheit,
bafe biefe $unft ber ®arftetlung, fonjentriert auf einen winjigen 9taum im
Verhältnis uir©röfeeber©haraftere,etnfadnurVewunberung hinreifeenmufe.
$ u r t *20 o ( f f Verlag • £ e t p $ i $
Carl Stetntjeims 23ufe?otx>
1 ft als Dier3el)nter Q3and der Q3üd)etei
©er jüngfte Xag
\ # •.. . ! ,V. / 1 -V V, .
etfcl)ienen, die in 3tnanglofer Beü)enfolge Schöpfungen der
jüngften ©ict)ter bringt. Borerft find folgende
Bände herauegefommcn:
Bd. 1. ^rati3 QDetfel: ©ie Berfucbung. ©in ©efprad).
„ 2. QDalter £)afencleoet: ©as unendliche ©efpräd). ©ine
näcbtlicbe Sjene.
„ 3. Xran3 Kaffa: ©er fjei3er. ©ine ©t3äblung.
„ 4. Ferdinand fjardefopf: ©er Abend, ©in ©ialog.
„ 5. ©mray Hennings: ©ie legte Freude. ©edicbte.
„ 6. Carl ©brenftein: Klagen eines Knaben. S?i33en.
„ 7/8. ©eorg Xtafl: ©edicbte.
„ g. Xrancis Jamtnes: ©ebete der ©emut.
„ io. JRautice Bartes: ©er 3Rotd an der Jungfrau.
„ 11. Paul Boldt: Junge Pferde! Junge Pferde! ©edicbte.
„ 12. Ottobar Bre3ina: Hymnen.
„ 13. Bertbold Biertel: ©ie Spur. ©edicbte.
„ 14. Carl Sternbßitn: Bufebotu. ©ine Itouelle.
„ 15. Ceo JTlattbins: ©er jüngfte Xag. ©in groteskes Spiel.
„ 16. 3TlarcelSd)tuob: ©er Kindetbreu33ug. ©t3äblung.
„ 17. ©ottfried Kölroel: ©efänge gegen den Xod.
Weitere Bande in Borbereitung
©in3clne Bände: ©ebeftet IR —.80, gebunden IR 1.50
©oppelbände: ©ebeftet IR 1.60, gebunden IR 2.50
Kurt OTolff QDetlag • 2eip3ig
jbie JVeißen 33lätter
ecfcen
in
TjalBpergament
für die Tjefte des erften Quartals 1915
ffieft 1
2 7HarÄ
für die Tjefte des zweiten Quartals 1915
ffiefM
2 Jflatfz
und
Jnfyaltsvezzeidfyniffe
füt das erjle und zroeite Quartal 1955
(als Tlad)liefetung)
Bitten n>ir durcl) die ^Butfjljandlttngen, die
die XDeißen ^Blätter liefern,
2« oerlangen*
Soeben erschienen:
NEUERE PROSADICHTUNGEN
Sechs
einem Karton M18
einheitlicher Ausstattung. Einbande nach
Entwürfen von Prof. Walter Tiemann
INHALT:
Einhari der Lächler
Roman. Z Bde. Einzelpreis geh. M 7.-, geb. M10.«
Ismael Friedmann
Roman. Einzelpreis geh. M5,-, geb. M 6.50
Nächte
a m
Novellen. Einzelpreis geh. M 3.—, geb. M 4.50
Schicksale
Novellen. Einzelpreis geh. M 4.—, geb. M 5
Rübezahlbuch
Einzelpreis geh. M 3.—, geb. M 4.
Gleichzeitig gelangte von „Einhart der Läch-
ler" eine wohlfeile Volksausgabe in einem
Bande zur Ausgabe. Gebunden M 4.50
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen
Kurt Wolff Verlag in Leipzig
iliiiiii
Poeschel & Trepte, Leipzig