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Berlin W 8, Unter den
Linden 2
Gestern entstand ein Zimmerbrand. Die Diele stand in hellen Flammen. Mit dem
Minimax-Äpparat löschte ich das Feuer in einer halben Minute. Den gefüllten Apparat
besitze ich seit etwa 10 Jahren, gez. v.Prittwitz u.üaffron. Potsdam, den l.Mai 1919.
Minimax-Handfeuerlöscher ist stets löschbereit, unabhängig von Wassermangel,
frost- und hitzewiderstandsfähig, leicht handlich, selbst von Frauen und Kindern
zu handhaben. Über U/2 Millionen Äpparate im Gebrauch! Mehr als 53000 ge-
meldete Brandlöschungen. 112 Menschen aus Feuersgefahr errettet.
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No 2. OKtöber 1020 I. Jahrg.
Berlin 1920 Von Ernst Richter
• •
Unheimlich wuchtet dieses steinerne Meer in die rote Zeit. Schwin-
gend in Tönen, flutend in elektrischen Farben, berstend von Geräuschen,
ah eine dämonische Kulisse, schräg gegen den fahlen Horizont gestellt,
in dem ein blauer Mond besoffen taumelt. Harfend der Dichter, auf
Stahlsaiten, aufsteigend, Brennendes in sich fressend, Geräusche ver-
schluckend, fürwahr ein Nachtwandler, ein grimmassierender Liebhaber.
Berlin — O magisches Zauberbecken, aus dem Wälder auftauchen,
Banken, Bahnhöfe, Paläste, Flüsse, Hochbahnen, Automobile, Luft-
schiffe, Cadeten, und Bankdirektoren, Proleten, Pfaffen, Spazier-
gänger, Schauspieler und lachende Mädchen. O Buntheit des einzigen
Augenaufschlags, der das Blut in einem Rhythmus rinnen läßt, in einem
neuen frechen Walzer . . . hörst Du? Schieber, Blut, Strolche,
schüttelnde Feldgraue, Hasardeure in allen Farben . . . O, schon
0 *
steigt der Päan aus Schmutz und Rhythmus, schon steigt er in die
Sterne, die großen, betrunkenen, streikfreien Sterne der Welt-
metropole, der geeinigten Kommune Groß-Berlin!
Auf dem Bauschutt zerbrochener,zertrümmerter Luftschlösser ver-
beugt sich der junge Cutaway mit dem spitzen Kopf, der von innerem
Aufruhr geschüttelt Coupletverse herausschmettert, wie ein Hahn
trompetet, der Wortfetzen von sich schleudert wie ein fanatischer
Schwindsüchtiger den letzten Lungenrest — meine Damen und Herren
in diesem stilvoll gewobenen Rahmen erlaube ich mir den jungen
Dichter Walther Mehring zu präsentieren, der eine besondere Gattung
des politischen Couplets neu belebt, gelvanisiert, schicklich appretiert.
Diese Couplets fassen mit spitzen etwas verdorbenen Fingern den kleinen
Schaumrest von demWeltmeer ab, der Berlin sich benennt, pusten ihn
-
2
Scfoaff und flauet
auf, größer, magischer, verwester spiegelnd, ein Embryo, riesenhafter
Ballon, eine Nachtvision mit Schatten, Gespenstern, spiegelnden Er-
lebnissen — und davon lebt das nun, dieser junge Dichter. Eine che-
mische Reinigung seines Vorbestellungsbestandes würde ergeben, daß
er Mietherr im Kaschemmenviertel ist — aber das lassen wir wohl
bleiben, das wollen wir wohl nicht: wir wollen die Romantik der aller-
realsten Ereignisse, wir wollen den Dreck und das Brecheisen, das
Polizeipräsidium und — natürlich — das Gleisdreieck.
Parbleu, dieses Berlin ist eine ganz neue Erfindung, letzte Neuheit
nach dem letzten Streik, vornehmster neuzeitlicher Dessin, in einer
halbseidenen Schieberdestille verstohlen herumgereicht. Das ist unser
Berlin, in dem wir den Bolschewismus bekämpfen, mit roten Fahnen
immer an die Wand lang für die Weltrevolution demonstrieren, Kinos
besuchen, das schlankste Füßchen und die dickste Taille prämiieren —
o Du herrliche Stadt mit der Sicherheitspolizei, Nachtlokalaushebun-
gen, Schönheitstänzen und es lebe das natura Ballett! Das Alles,
meine Damen und Herren, finden Sie bei Walther Mehring. Nur,
verstehen wir uns recht, nicht den Worten und Begriffen nach — das
bringt die erste beste Lokalzeitung besser: o nein, keineswegs, viel-
mehr als Vorstellung ungewissester und doch präzisester Art, als
schaukelnder Klangfetzen, zerbrochener Rhythmus, eckiger Schrei, als
nachgeschleudertes Wort, als Vokalkette, als Konsonantencascade —
lesen Sie sich das laut vor, meine Herrschaften, es ist einfach der
gute Ton, über das Berlin von 1920 unterrichtet zu sein.
Wirklich: mein ganzes literarisches Milieu stimmt mich zur Seelen-
manicure: hüten Sie sich vor der Rückständigkeit. Dadaistische Aus-
stellungen besuchen, ein bischen in expressionistische Filme gehen, der
Consum des Großen Schauspielhauses, die Lektüre der Roten Fahne —
gewiß, das ist alles schon sehr schön, aber fördert wirklich nicht
Ihren seelischen Stoffwechsel wie es die Hygiene verlangt. Tun Sie
etwas für Ihr darbendes Gehirn. Füttern Sie es mit Mehring. Sie
werden begeistert sein von einer neuartigen, entscheidenden Reinigung
der Gehirnbahnen. Sie werden den Kurfürstendamm und die Invaliden-
straße, Altmoabit und Bahnhof Alexanderplatz mit neueroberten
seelischen Kräften erleben, die Sie selbst überraschen. Was ist Kola-
Dultz, was ist Yohimbim dagegen! Versuchen Sie es! Vollziehen Sie
Ihre innere Revolution! Man weiß ja nicht, was mit Berlin passiert!
Man muß fest auf seinen Beinen stehen, muß auf Alles gefaßt sein,
was ein sozialistischer Magistrat in die Welt befördert, muß nicht
erschreckt sein, wenn der Magistrat morgen mit schwarzweißroten
Fähnchen durch die Friedrichstraße zieht. Verschaffen Sie sich unter
allen Umständen einen archimedischen Punkt, einen topographisch
sicheren Standort in der geistigen Siedlungsfläche Großberlins. Eine
ernste Lektüre der Mehringschen Couplets bewerte ich wie sieben
halbtiefe Kniebeugen. Gehen Sie an die Arbeit.
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Schaff und feaucfo
Wasche mit Luhns!
und Kants Kategorischer Imperativ! Die Ethik fundiert auf dem
Schlagwort als besserer Aufguß, der Geist bleibt immer gesetzlich
geschützt durch den großen Namen, daher ist Goethe seit Gene-
rationen das beste Waschmittel!
Und aie Kanalisation mittels des sprichwörtlich deutschen Gemüts
garantiert für die Sauberkeit der Gehirne.
Sei du Buddhist, Anarchist, Expressionist, iß Haschisch, schlürfe
Kathreiners Malzkaffee, am schönsten ist’s bei Muttern, bei Muttern
daheim. Denn wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf
der Welt! Und wenn die Welt voll Teufel war, wir Träumer er-
tragen lächelnd den Spott und knallen die Hacken zusammen. Mit
Gott! wir putschen nicht wenn uns das Herz auch bricht, und noch
bringt es der Intellektuelle trotz aller Revolution zum etatsmäßigen
Wachtmeister aktivistischer Bürgerwehren.
Aber nicht nur die Kunst, auch der Pabst ist unfehlbar — und
Schmidts Präzisionsuhren.
#
Wir tragen weiter das Koppel mit der Devise: Immer langsam
voran und kommt der neue Mann zum Wort unter Reinhardtscher
Führung: das Starsystem ist das Alte. Die Marke Klassik macht
sich bezahlt. Die Gesinnung bleibt Ehrensache des Vorgesetzten.
Der Mensch in der Mitte Europas begnügt sich mit der Entwick-
lung der Revolution zur Dichtung. Die Hohenzollern leben ruhig
fort in den Erzeugnissen der Industrie und der Imperialismus der
Untertassen, die Heerführer auf den Sabberlätzchen für gute Kinder
siegen m i t Vo lldampf .voraus in der ganzen Welt!
Denn Preußen ist das Erfinderland der Regierungsreklame und
vor dem: Eintritt verboten! bis zu den »Gefahren des Bolsche-
wismus« empfängt der Dich erschaudernde Geist des Umsturzes.
Wir aber knabbern unseren Bismarckhering durch alle Boykotts,
bis die Entente ohne unsern Beethoven verhungert! Wir gehen zu
Ruhnke, wenns die Augen sind und der politische Scharfblick !eidet!
und wer sein soziales Herz entdeckt, melde sich zu den Freikorps
ünter den bekannten Bedingungen oder balle den Faust in der
Tasche! Darum: Vor allem eins: Sei einig, einig, einig über den
metaphysischen Sinn
Wasche mit Luhns
Denn viele tun’s.
Aber laß dich von keiner Minderheit terrorisieren!
Walter Mehring
—
Schaff und TZaucfa
13
Brecheisen & Co.
(Ein Chanson)
Immer langsam voran
Immer langsam voran
Del die janze Zunft ooch nachfolgen kann!
Von Destille zu Destille
Was geschiehtis Gottes Wille!
Leitern hoch! die Scheibe kracht!
Stille Nacht! heil’ge Nacht!
Wände lang mit Spinnenarm!
Die joldne Bucht liegt ausjebreit’t
Die Glocke schreit:
Ala r m ! !
Au vaflucht!
Der Geldschrank spuckt
Mein Finger juckt!
R — r — racks!
Da blaut’s!
Klumpatsch!
Kladderadatsch pardauz!
Immer langsam voran,
Immer langsam voran!
Von de Jasanstalt nach de Eisenbahn!
Chloroform! Wa jehn uffs Janze
Maskenball zum Üotentanze!
Schienenstrang liegt, uffjekloppt!
Notjebremst! D — Zug stoppt!
Drüber her wie’n Bienenschwarm!
1.0 Passagiere ausjepellt!
Das Kabel meld’t:
Alarm!
Au vaflucht!
Mensch nich jemuckt!
Der Schädel spuckt!
Rrrrrr !
Mir graut’s!
So’n Quatsch!
Kladderadatsch! Pardauz!
14
Sofia ff und ‘P.aucfi
Immer langsam voran!
Immer langsam voran!
Nach de Vorstadt raus mit’m Milchjespann!
Knalljebläse ! Cowboygürtel!
Jansemarsch durchs Villenviertel!
Dynamit liejt einjesarcht!
Oben druff Alles schnarcht!
Dicke Luft! Die Nacht macht warm!
Die Kiste klemmt im Mauerspalt!
Der Himmel knallt:
Alarm!
Au vaflucht!
Die Stoppuhr ruckt!
Die Hölle spuckt!
Sdijjjjt!
Zerhaut''s
zu Matsch!
Kladderadatsch! Pardauz!
Immer langsam voran!
Immer langsam voran!
Klebt den Steckbrief man an de Säulen ran!
Treib’s die Bande Euch zu bunte!
Die Polente riecht schon Lunte!
//
Ab nach Kassel! Ubers Dach!
Sherlock Holmes! Hinten nach!
Kopp zum Deibel! Seele — Jott!
Der Henker reist im Fr ade wattiert!
Der Morgen stiert:
Schaffott!
Au vaflucht!
Das Messer ruckt!
Inn Sack jespuckt!
Ssssssit!
und plauz!
ritsch-r atsch!
Kladderadatsch! Pardauz!
WALTER MEHRING
Scfoaff und *ikaucfy
EVREINOFF
der Verfasser von „Kulissen der Seele
16
Scftaff und TZaucft
Von Friedrich Hollaender
„Das neue Chanson“
Ein Feriensommer ist vorüber.
Ferien - - — - , das sind im Leben eines i ^
Perioden, die dazu benutzt werden, den Staub des vergangenen
Menschen
Wi
und Inventur zu machen.
Ergebnis:
D as Chanson drohte, in einer Form zu versteinen und zu ver-
krusten, die der Begriff ,,Kunst“ nicht mehr decken wollte. — Gab
e Menschen mehr, denen es nunmehr ein Bedürfnis
nicht
wurde, ein Experiment zu wagen, so stand die Verödung des
Cabarets vor der Tür.
Es galt, die Form zu sprengen!
Nicht, daß Gewalt und Sucht nach Neuem der bedrängten
(Das war garnicht
Muse
nötig und wäre auch nicht fruchtbar gewesen.)
Nein: die Explosion war da!
Halt!
SMUS
Das Publikum soll nicht länger nur
amüsiert werden. Es soll denken und, wenn es das nicht will, soll
es vom Rhythmus umgerissen werden!
Das neue Chanson ist eine Sache der Suggestion, ist die Be-
zwingung der Masse. Es gibt nur einen Namen dafür, einen leben-
spendenden Begriff: „Berliner Tempo“ (wobei wir uns klar
sind, daß das Berliner Tempo hier in einer übersteigerten, idea-
listischen, gleichsam durch die zweite Instanz des aufnahmewilligen
Gehirns gegangenen Form zum Ausdruck gebracht wird. Rhythmus
Wortkraft
Potenz wirksam!)
O, es wird schwer sein, dieses rapidissimo zu verwirklichen, so
zart Gedachtes, mildhämmernd Gehörtes in tonhafte Körperlichkeit
umzusetzen. Aber wenn es gelingt ..... dann marschieren die
Kolonnen, dann
brüllen die unter-
irdischen Geräu-
sche der Welt-
stadt. knattern die
in
Automobile,
einem Strudel im
Bogenlicht
und
Wolkenkratz
schatten. Dann ist
das neue Chan-
son da.
Wer
Ohren
hat, zu hören
soll
erschossen
werden.
^iiiiii»»iniinuniiniimiiiiiiniinmnmmmiinminimnniiuni»k
ALFRED RICHARD MEYER VERLAG
BERLIN-WILMERSDORF
Soeben erschienen:
Joachim Ringelnatzens
ord. ML 2.—, geb. M. 5.
Aus den zahlreichen Kritiken anläßlich des ersten
Auftretens des Dichters im Berliner Kabarett
Schall und Rauch":
Prost, Joachim Ringelnatz, Weltweiser, Weltverächter, gro-
tesker Spaßmacher du mit deinen „gewendeten Turnlie-
■ * ■ ■- - . •; ' ; • k'[ l . >'1‘- V ‘ ' '.4
dern" und Kaschemmensongs, Gipfel, der überragend den
ganzen Abend krönte / C. Corrinth im S Uhr-Abendblatt
Einmal fiel einer vom Stuhl (im Publikum). Es war bei
den lyrischen Klimmzügen
Matrosen und Dichters
Ringelnatz, deren frisch, frei, fröhlich, fromme .. fromme
Turnermännlichkeit jede holde Mädchenblüte zu schmach-
tender Sinnigkeit hinreißen mußte, die sich denn auch
verschiedentlich in quietschenden Tönen äußerte.
Berliner Tageblatt,
tätowierter Brust und einem ganzen
Matrose,
Haufen höchst ulkig vorgebrachter Grobianismen schwer-
sten Kalibers. Er hat aber wirklichen Witz und eine höchst
drollige Art, sich frechdumm zu stellen. / B. Z. am Mittag.
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teil an. Oie edlen oricntaliföen
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geben den IRanoli > 3(garretten
da* tynen eigene pra^tootle
ttratna und den beliebten reine
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