152 UNGARN. Zar nachimpressionistischen Malerei in Ungarn. Von Ernst Källai. Vor zehn Jahren konnte man in Budapest die Aus* Stellung einer Künstlergruppe sehen, die sich »Nyol* cak« <die Acht) nannte und »an Stelle von ober* fiächlichen Eindrücken das Wesen der Natur« geben wollte. Ihre Abkehr vom Impressionismus war nicht besonders glücklich. Das Werk der Acht beruhte auf einem Mißverstehen moderner Franzosen. Vor allem wurden aus Cezanne ganz ungeheuerliche Dinge herausgefolgert. Man sprach von einer synthetischen Kunst und verlegte sich aufs Komponieren. Und zwar, da man das Wesen der Natur gestalten wollte, mußte die künstlerische Wahrheits* und Einheits* forderung jenseits von empirischen Wirklichkeits* Übereinstimmungen durch eine in sich abgeschlossene Bildmäßigkeit erfüllt werden. Die Natur war kein Ende mehr, keine Form, nur Stoff, der seine Ge* staltung.vom Künstler erhalten sollte. — Dies wäre ja dem Prinzip nach alles sehr schön gewesen. Aber man mißbrauchte die Freiheit des Komponierens zu einer ziemlich öden Art von malerischen Kontra* punktsübungen. Die Gestaltung war im besten Falle ein bloß deutendes Stilisieren. Das künstlerische Naturerlebnis drang noch nicht bis zur vollständigen Sich*selbst*Durchsetzung des Menschen, die Form noch nicht bis zur ausdrucksvollen Verinnerlichung ihrer selbst vor. Dieser letzte Schritt blieb einer jüngeren Generation Vorbehalten. Die jungungarische Malerei ist schon Ausdruckskunst. — Aber kein Expressionismus im Sinne der modernen Deutschen. Auch bei den Ungarn herrscht der Wille zur un* mittelbaren Selbstäußerung des Künstlermenschen* bewußtseins. Aber Form und Inhalt dieses Bewußt* seins haben hier eine ganz bestimmte psychologische Eigenart. Sie sind, von den vielfach reflektiven und transcendental angeregten Bestimmungen des deut* sehen Expressionismus abweichend, voluntaristisch, durchwegs auf das vollsäftige und weitausholende Beherrschen des physischen und irdischen Daseins gestellt und zeigen demnach eine gewisse, tempera* mentvolle geschmeidige oder stählerne Massivität. Dieses herrisch*selbstbewußte, um jede religiöse und ethische Problematik unbekümmerte, kräftig vegetative und männliche Lebensgefühl mag philosophischen und mystischen Unendlichkeiten gegenüber eine ideolo* gische Enge bedeuten — ein wesentlicher Vorteil und Wert ist ihm gewiß. Die Form, die als künstlerische Gestaltung dieses Lebensgefühls entsteht, ist viel weniger der Gefahr einer spekulativen Kompliziert* heit, viel weniger den verhängnisvollen Möglichkeiten subjektivistischer Zerrissenheit oder Auflösung,Ver* dünnung und Vieldeutigkeit ausgesetzt, als eine ner* venextatische Kunst der transzendentalenVersenkung. Die moderne ungarische Malerei ist psychologisch ausdrucksvoll, wie ein leidenschaftliches Bekenntnis, ohne ihre expressive Bedeutung durch einen Verlust an positiver, geschlossener Plastizität und machtvoll lebendiger Bewegungskraft erkaufen zu müssen. Aus dem positiven, erdgesättigten Voluntarismus der modernen ungarischen Malerei folgen notwen* digerweise ihre wesentlichen, formalen Bestimmungen, so das Streben nach restlos durchgeführter Konstruk* tion, die trotzdem nicht erdacht, sondern triebhaft er* lebt, daher einfach, klar und überzeugend ist. Die Gestaltung erfolgt entweder aus einem mächtigen Gefühl des Mehrdimensionalen oder bleibt in der Fläche. In beiden Fällen aber ist ihr Verhältnis zur räumlichen Tiefe nicht romantisch oder mystisch un* bestimmt,- der Raum hat immer in jeder Richtung eine feste und klare Begrenzung. Die Modellierung wirkt geschlossen und plastisch, das Lineare herrscht vor, jedoch nicht als vorgefaßtes, abstraktes Skelett unter einer draperiehaften Flächenumhüllung. Die primäre Entladung des psychologischen Ausdrucksbedürf* nisses und des künstlerischen Formgedankens geschieht auch bei den Ungarn in Flächen, die beharrend oder bewegungsvoll, in sich gesammelt oder höchst ex* pansiv erlebt, mit ihrem Wachstum sich gegenseitig ergänzend erweitern oder bekämpfend zusammen* schweissen und die künstlerische Vision zur technisch* räumlichen Erfüllung transponieren. Doch mag die Ausdrucksbewegung der Flächen noch so ungehemmt sein, der herrschende Trieb zum positiv Körperlichen ist stark genug im Erfassen und Erbauen der Form von allen Seiten her, um einem Zerflackern oder Zer* reissen derselben vorzubeugen. Ihre Bewegungs* tendenzen sind physisch machtvoll auch in der Ruhe und ihr Rythmus hat auch in der größten psycho* logischen Flüssigkeit noch immer eine feste Prägung. Die Farbe bleibt zurückhaltend, ist jedoch pulsierend und warm im Ton, oft bis zur sinnlichen Glut ge* waltsam beherrschter Leidenschaften. Eine besondere, stark persönlich differenzierte Prä* gung dieser Wesenheit moderner ungarischer Malerei