34 ADOLF KUTSCHENBAUCH (Eine bürgerliche Entwicklung) Die Wade ist ein entzückender Muskel. Und wenn wir auch im späteren Lebensalter die Wade einer Frau, mit einem durch sichtigen Seidenstrumpf bekleidet höher schätzen, als zum Beispiel die Bildung, die uns Meyers Konversationslexikon bietet — so war doch unseres Adolfchens knäblich zarte Wade hübsch, sehr hübsch, wenn auch, wie gesagt, Adolfchen nichts davon wußte. Damals wohnte sein Vater in der Reinhardtbrunner Straße in Gotha, und wir alle waren noch sehr ferne der Zeit, in der die deutsche Regierung so versaut war, daß sie Ebert hieß und auf den Brotmarken die Namen unserer hehren Klassiker angebracht waren, um den Geschmack des ohnehin dumpfigen Brotes noch dumpfiger zu machen. Adolfchen besuchte damals das Gymnasium. Er war ein Taugenichts nach der Ansicht seines Vaters: der Familientyrann wünschte, daß sein Adolf seine etwas verpfuschte Existenz fort setzen nicht bloß, sondern steigern und damit in einem höherem Sinne rechtfertigen sollte. Der Knabe Adolf sollte nicht mit Särgen handeln; — er sollte einst ein feiner Mann werden, alles im Vater verdrängte und unterdrückte Rittertum glänzend repräsentieren — kurz, er sollte Bankbeamter und Reserveleutnant werden! Seines Kaisers Rock tragen, das ist gewiß ein edles Ziel! Mutter Kutschenbauch hatte zwar einige Bedenken, daß das etwas ver drießliche Wesen Vater Kutschenbauchs sich dem Knaben Adolf vererbt habe, (zwar gemildert durch Mutters demütige Natur). Unser Adolf war mit seinen rotgeränderten Augen, die eine Brille zierte, seinem runden, flachsblonden Kopf, den abstehenden Ohren, der länglichen Nase und dem meist offen stehenden Mund in der Tat kein sehr militärischer Charakter. Seine Neigung, kleine Tiere, wie etwa Bienen oder Käfer mit Spiritus zu beträufeln und dann anzuzünden, ließ auf etwas hinterhältige Feigheit schließen. In seinem vierten Lebensjahr schon zeichnete der Knabe Kut schenbauch gern Pferdehintern, und einmal, auf einem Spaziergang