Max Berg - Breslau
In den letzten hiúidért Jahren schuf sich dér Mensch Hilfs-
miittd, die seinen Radius me.hr erweiterten, als sonst in tausend
Jahren geschah. Er wurde verwirrt und abhangig von áufíeren
Ergebnissen. Die Menge des Sekundaren erdrückte das eine
Primáre. 9. ,
Stehen wir im Anbruch, in dér Wiederkunft einer Frühzeit,
einer Erhebung aus Untergehendem, eiiner Zurechtsetzung dér
Lebenswerte nach ihrer nienschlichen Bedeutung?
Friihzeiten ordnen die Beziehung des Menschen zum Ewigeii.
Friihzeiten schöpfen Kraft, Werktátigkeit, neue Lebensform
aus Loslösung, Geistreinigung, Geistsammlung. Ihr Meta-
zentrum liegt im Glauben an den Geist, aus ihm Kraít, Liebe,
Verbundensein.
Zuriiok tritt: das Empirische, Fertige, Erstarrte, índividuelle,
Trennende, Vielfaltige, Ausweichende, Berechnende. Das Ge-
scheite.
Voir tritt: das Intuitíve, Werdende, Lebendiige, Überpersön-
liche, Einfáltige, Noiwendige, Ehrfürchtige. Die Ergriffenheit
dér Seele.
Die GröBe dér Frühzeiten ist ihre gesammelte Kraít und
Einheit, die sie vöm Grund dér Seele holt.
Wir zwischen den Zeiten Stehenden habén sie nicht. Wir
sind zerissen. Doch kündet sie sich an. Es sind Ansátze zu
spüren, Zeichen des Anbruchs.
*
Bergs Schaffen geht von den Impulsen des Friihzeltlichen
aus, bedeutet reinern Ansatz.
Üppigkeit und Fülle ist seinem Werk fremd. Frühwerk ist
knapp und einíach. Mischwerk nimmt überall auf, ist üppig, hat
Fülle oder táuscht sie vor. Spátzeit füllt. Frühzeit wirft alté
Fülle ab. Sie könnte nicht füllen, auch wenn die áuBere Möglich-
keit dazu da wáre. Sie setzt die Hautpunkte, umreiBt die GroB-
form. Sie schafít ohne Symbole, rein tekto-nisch, neuen Rhythmus,
Innen mit AuBen in Einheit. Will Klarheit in dér Anlage, Rem
iiéit in dér Form, ist einíach, ungemischt, forint, vergeistigt die
Notwendigkeit. Dér Rest ist Weglassen.
Berg ist ein ernst aufs Ganzé Gehender. Eine groBe Tendenz
hat ihm das Kleine, Nurgeiallige, Witzige, Motivische ausge-
brannt. Er hat nichts mehr daniit zu tun. Er ist ernst bis zűr
Humorlosigkeit. Doch kommt dér Eindruck des Düsteren
nirgends auf. Die leichtschwingenden Glieder, die zárté Teilíorm,
die Lichtílut, das Luítige gébén seinen Weriken dinen heiteren
Ernst, eine einíach groBe Melodik, die an Hándel gemahnt.
Weil seine Werke musikalisch schwingen, daruim sírahlen
sie bei allém Ernst Heiterkeit aus.
Er veríallt nie in Altmonumlentalitat, er dimensioiniert nach
dem Matériái, er scheut nicht Dünne, er sucht Leichtigkeit, un-
gebrochene Linie, seine Monumentalitát hasiért mehr auf Kühn-
heit und Luftigkeit als auí Masse. Das gibt seinen Werken das
Schnittige, Ingemeurnahe, die Überwindung dér Schwere, die
Erhebung über das Stoífliche.
Seine Teilíorm ist gothisch zárt, das steigert die GroBform,
schafít MaB, macht Raum und Hülle licht und leicht. Seine Form
wird oft als unsinnlich, nüchtern abgelehnt. Das vollsaítig Sinn-
liche dér Form íehlt. Das ist ihm fremd. Er geht in dér Form
auí Aulflösung, Vergeistigung aus und verlegt das sinnliche Ele
ment in Plastik und Farbe als den geeigneteren Medien hier-
für. Eine Zweiteilung, charakteristisch für die Impulse seines
Schaffens.
Er liebt nicht die Dammerung, er' liebt das Fluten des
Lichts durch die Ráurne, die leuchtende Hellfarbe. Licht ist ihm
tiefstes Bedürfnis. Er ist Orgiastiker des Lichts.
Er liebt nicht die stimmungsvollen Winkel, die traulichen
Ecken, er liebt die Weite, den stützenlosen, íreien Raum. Wenn
schrág die Strahlen durch seine Hallen flieBen, Lichtnebel uen
wéiten Raum in Zartheit, Leichtigkeit schwingen maciién, tritt
das, was Berg wiil, am symbolhaítesten hervor.
Bergs baumeisterlicher Ernst halt sein Werk íréi von allém
Kuinstgewerblichen. Er ist ein reiner Tektone, ein ungebroohener
Kubiker. Gleich weit entfernt von dér altén Romantík, die To.tes
lebendig niachen will, wie von dér neuen, die mit dér Konstruk-
tion kokettiert und die Form zum Ornament macht. Die Haltung
seiner Werke ist so, daB sie jenseits von dem stehen, was mit
einem Koníektionársausdruck modern genannt wiird. Durch die
Echtheit und Zucht ihres Wesens werden sie zwingen und
dauern. Sie können warten.
Breslau hat zwei Seelen, eine norddeutsch-preuiBische und
eine süddeutsch-österreiehische, die eine lebendig in. den goti-
schen Backsteinkirchen, die andere in den Jesuitenbauten. Bergs
Schaífen ist norddeutsch. PreuBisch. Jedoch nicht so boden-
standig, daB seine Bauten nicht auich irgendwo in dér Ebene
oder am Meer, in Holland, Danemark, Schweden, vielleicht sogar
in lEngland oder Amerika stehen könnten. Sie sind national von
Charakter und kosmopolitisch vöm Geist her.
*
Berg geht den Weg dessen, dér keine Kompromiisse macht.
Solche Natúrén habén viele Gegner. Zwei Dinge kann ihm auch
dér scharfste Gegner nicht absprechen. Das ist die Reinheiit seines
Wollens und die GröBe seines Könnens.
Seine Bauten habén Bedeutung, die dauern wird. Es sind
Werke, die für die Loslösung vöm ErStarrten, für gnoiBempfun-
dene Neuíorm, Klarheit, Reinheit, íür Rahmen und Hintergrund
neuen Lebens richtungweisend sind.
Paul Heim
Auszüge aus einem Briefe von
Max Berg an Paul Heim als Er-
ganzung dér Ausführungen von
Heim
Ich bin dér Meinung, daB jeder Mensch seiner Pflicht voll-
kommen genügt, wenn er in seinem Leben und seinem Wirken
die Eigenart seines Wesens, seiner Persönlichkeit so klar, rein
und einíach wie möglich zum Ausdruck bringt, unter Weglassung
alles Fremden, nicht Eigenen, ohne Rücksicht darauf, ob er in
allém Vollendung besitzt, auch ohne Rücksicht darauf, was die
anderen Menschen von ihm erwarten und verlangen. Mán kann
doch nur rein gébén, was mán in sich tragt, soll nicht gébén
wollen, was andere besser gébén können. Dazu ist ja das
schöne Wunder dér Vielgestaltigkeit dér nienschlichen Wesen-
heit, die in unseren besten gothischen Dömén in dér Geistig-
keit dér Architektur, dér Geistigkeit dér Sittlichkeit, dér Plastik
und Maierei so herrlich reiche Symphonien erklingen laBt, wie
sie in einem Menschen alléin garnicht zu erzeugen möglich, und
das gilt nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch
für die einzelnen Künste.
Sie habén so viel von mir erkannt, dafi ich Ihnen zűr Er-
ganzung Ihres Erkennens gern noch etwas, was mir wesentlich
erscheint, mitteilen möchte. (Ich meine natürlich damit nicht,
daB Sie solches noch Ihrem Aufsatz einflechten sollen, sondern
nur Ihres eigenen Erkennens wegen.)
Ich stehe vielleicht deswegen so einseitig auf dem rein
Tektonischen in dér Architektur, weil ich in unserer Zeit überall
(trotz dér oft entgegengesetzten Worte) so sehr den Selbstzweck des
Motivischen, des Formalismus, des Geschmacklichen, des Ge-
falligen, des Witzigen usw. herrschend sehe, daB mir all dieses
zum Ekel geworden ist, weil ich den Verfall empfinde in dieser
Frechheit und Vordringlichkeit dér Form ohne Inhalt, den be-
zeichnenden Ausdruck unserer geist- und inhaltlosen, ober-
flachlichen, dekorativen, verlogenen, rationalistischen, materialis-
tischen und selbstsüchtigen Zeit, weil mir dies Wesen eine
Gefahr für die Menschenentwicklung, den Aufstieg aus dem
Tierischen bedeutet. Formalistisch nenne ich auch den, dér
GrundriB plus AufriB plus Raum nicht in erster Linie nach
Zweckerwagung gestaltet, die Zweckgestaltung dér Form-
gestaltung unterordnet. Es ist in mir ein heiliger Eifer, daB die
Menschheit auf den geistigen Weg, als Zweck ihres Daseins
gebracht wird. Ich bin nicht Asketiker an sich. Ich bin nur für
reinlichste Scheidung des Gehörigen vöm Ungehörigen; nach
meiner festen Überzeugung gehört Nur-Sinnliches nicht zu dem,
was durch Architektur darstellbar, oder vielmehr: es ist unge-
hörig zűr Architektur, wie es ungehörig zűr Mathematik ist.
Für mich. ist höchste Architektur kubistisch, mathematisch im
Grunde (Ágypten, Byzanz, Ravenna, Hochgothik). Sie kann mir
als im Sinnlichen stark empfindsamen und die höchsten An-
sprüche stellenden Menschen Sinnliches nicht übermitteln. Ich
lehne es als ihre Aufgabe ab, wo sie es versucht, habé ich das
Gefühl dér Schwachlichkeit, Unvollkommenheit, ja des Kümmer-
lichen, und ich halté allé Versuche dér Architektur auf diesem