fassung erheben sich sofort scharfe Einwände. Es wird nämlich behauptet, daß die Kunst mit der Mathematik nichts zu tun habe und daß Mathematik eine «trockene», unkünstlerische Angelegenheit sei, eine reine Angelegenheit des Denkens, und dieses sei der Kunst abhold. Für die Kunst sei einzig das Gefühl von Wichtigkeit, und das Denken sei schädlich. Weder die eine noch die andere Auffassung stimmt, denn Kunst braucht Gefühl und Denken. Als altes Bei- spiel kann man immer wieder Johann Sebastian Bach anführen, der doch gerade die Materie «Klang» mit mathematischen Mitteln zu vollkommenen Gebilden geformt hat und in dessen Bibliothek sich tatsächlich neben den theologischen auch die mathematischen Schriften befanden; zu einer Zeit also, wo Mathematik noch nicht und nicht mehr dafür in Anspruch genom- men wurde, im Gestaltungsprozeß formend mitzuwirken. Es ist nötig, immer wieder zu betonen, daß eines der wesentlichen Merkmale des Menschen das Denken ist. Das Denken ermöglicht es auch, Gefühlswerte in einer Weise zu ordnen, daß daraus Kunstwerke entstehen. Das Ur-Element jeden Bild-Werks aber ist die Geo-Metrie, die Beziehung der Lagen auf der Fläche oder im Raum. Und so, wie die Mathematik eines der wesentlichen Mittel zu primärem Denken und damit zum Erkennen der Umwelt ist, so ist sie auch in ihren Grundelementen eine Wissenschaft der Verhältnisse, des Verhaltens von Ding zu Ding, von Gruppe zu Gruppe, von Bewegung zu Bewegung. Und weil sie diese grundlegenden Dinge in sich schließt und sie sinnvoll in Beziehung setzt, ist es naheliegend, daß solche Ereignisse auch dargestellt werden, Bild werden. Nun sind solche mathematische Darstellun- gen von alters her bekannt. Es geht von ihnen eine unbestreitbar ästhetische Wirkung aus; so auch von den mathematischen Raummodellen, die beispiels- weise im Mus&e Poincar€ in Paris aufgestellt sind. Diese Grenzfälle, wo Mathematik sich plastisch manifestiert oder als Farbe und Form auf der Fläche erscheint, bedeutete bei der Suche nach neuen künstlerischen Aus- drucksmöglichkeiten vorerst etwa dasselbe wie die Entdeckung der Neger- plastiken durch die Kubisten. Aber sowenig die Negerplastiken in ihrer kul- tischen Eigenart in die europäische Kunst übernommen werden konnten, so- wenig ist es möglich, die mathematischen Modelle in die Kunst zu übernehmen, und ihre Entdeckung durch die Künstler führte vorerst lediglich zu einem