LA 44 Georges Rouault kam nicht in einem väterlichen Stadtpalast zur Welt. Sein Stück Paris, sein Viertel Belleville, liegt weitab vom reichen und glanzvollen Weichbild, zwischen der Toten- stadt des Pere Lachaise, die früh und spät die Leichenzüge der Menschen schluckt, und der Ansammlung der Schlachthäuser, in denen Tag für Tag Karawanen von Hunderten und Tausenden von Schweinen, Schafen, Kälbern, Rindern, Ochsen getötet und für den Bauch der Weltstadt klein gemacht werden. Sein Ge- burtstag ist der 27. Mai 1871. Da im Verlauf der Auseinander- setzung der französischen Regierungstruppen mit den Resten der Commune ein Artilleriegeschoß die Wohnung traf und die in Wehen liegende Mutter aus der Kammer geflöchnet werden mußte, wurde das Kind im dunklen Keller geboren. Der Vater hatte als Kunsttischler beim Klavierbauer Pleyel Umgang mit kostbaren Hölzern. Er war Bretone. Der Großvater, Vater der Pariser Mutter, soll für Manet und Daumier begeistert gewesen sein und sich seinen Enkel als Maler gewünscht haben. Ein Zeichenlehrer, der durch Selbstmord endete, ermunterte den Primarschüler, Maler zu werden. 1885, mit vierzehn Jahren, tritt Rouault in die Lehre bei einem Glasmaler. Neben der täglichen Arbeit für den Tag sieht er hier Originale der hohen französi- schen Kunst des Mittelalters. Am Abend zeichnet er im Gips- Saal und im Akt-Saal der Kunstgewerbeschule. Die Sonntage verbringt er im Louvre. Nach vier Jahren, 18jährig, tritt er an der Ecole des Beaux- Arts in das Atelier des Historienmalers Jules-Elie Delaunay. Dessen Nachfolger wird 1892 Gustave Moreau. Und nun ent- wickelt und festigt in nur zwei Jahren sich jene im tiefsten menschliche und künstlerische Beziehung zwischen dem hoch- gebildeten und einsichtsvollen Meister und «grand bourgeois>» und dem nahe an 50 Jahre jüngeren, mit weiter nichts als mit Genie beschenkten Sohn der Vorstadt. Noch 1943 schreibt Rouault mit Entrüstung, daß Kollegen eines gewissen akademischen Zirkels von Moreau als einem «Empoisonneur», Giftmischer, gesprochen hätten, von ihm,