93 das Geistige höher als das rein Naturalistische zu schätzen, ver- mag er durch die Zeichnung leichter die geistige Persönlichkeit auch des naturalistischen Künstlers zu erkennen. Wenn wir uns vergegenwärtigen wollen, wie ein Künstler selbst die Entstehung des Kunstwerkes empfindet, so geben uns die Worte des berühmten Landschafters Caspar David Friedrich einen tiefen Einblick: „Willst Du Dich der Kunst widmen, fühlst Du inneren Beruf, ihr Dein Leben zu weihen, oh! so achte auf die Stimme Deines Inneren, denn sie ist die Kunst in uns... Heilig sollst Du halten jene reine Regung Deines Gemütes, heilig achten jede fromme Ahndung: denn sie ist Kunst in uns. In begeisterter Stunde wird sie zu anschaulicher Form, und diese Form ist Dein Bild! Schließe Dein leibliches Auge, damit Du mit Deinem geistigen Auge zuerst sehest Dein Bild! Dann fördere zu Tage, was Du im Dunkel gesehen, daß es zurück wirke auf andere, von außen nach innen.“ Um einen Blick in das Verhältnis von Geist und Natur, von Idealismus und Naturalismus, auch in früheren Epochen zu gewähren, werden einige ausgezeichnete Beispiele mittelalter- licher Buchmalerei vorgeführt. Aus der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek sind vierundzwanzig illuminierte Hand- schriften vom 8. bis zum Anfange des 16. Jahrhunderts aus- gestellt, ferner Einblattdrucke und Schrotblätter des 15. Jahr- hunderts aus der Albertina. Einige Säle enthalten Werke der österreichischen lebenden Kunst. Es sind dies Kollektionen einerseits von Künstlern, die die schwere Nazizeit im Ausland verlebt haben, wie Kokoschka, Ehrlich, die noch in London leben, uns aber freundlich Werke zur Verfügung gestellt haben, Wotruba, der die Kriegs- jahre über in der Schweiz gearbeitet hat, nun aber wieder nach Wien zurückgekehrt ist und bei dieser Ausstellung eifrig mit- gearbeitet hat, andrerseits von Künstlern, die die brutale Unter- drückung der sogenannten „entarteten Kunst“ in der Heimat