sich so oft ändern, wie die Gesellschaft selbst; so wie man sagt: ‚le
Style C’est l’homme“, so muß man sagen können: die Kunst ıst die
Gesellschaft, und der Künstler ist der Interpret seiner eigenen Natur.“
Wenn Courbet weiter nichts behalten und angenommen hat von dem,
was seine Schule ihm geboten, so steht seine Theorie des Realismus
zum guten Teil auf solchen Sätzen des klerikalen Reaktionärs.
Wo dieser ihm nicht mehr weiterhilft, stellt er sie in den Schutz
des Revolutionärs Pierre-Joseph Proudhon. Wenn dieser schreibt,
die Tugend und das Laster darzustellen sei in gleicher Weise Aufgabe
der Dichtkunst wie der Malerei, je nach der Lehre, die der Künstler
zu erteilen wünsche, erfülle jede schöne oder häßliche Figur diesen
Zweck der Kunst, so stellt sie freilich keine „wirklichen und greifbar
vorhandenen Dinge‘ dar. Auf der gemeinsamen Fahrt übernimmt
Proudhon die Führung und stellt das Steuer auf ein anderes Ziel als
das des Malers. Das Bemühen um eine „Darstellung der modernen
Malerei‘ zeitigt das Buch „Du principe de l’Art et de sa destination
sociale‘. Proudhon erklärt die Kunst als eine durch unsere Vorstellung
bedingte Darstellung der Natur und unser selbst im Hinblick auf die
physische und moralische Vervollkommnung unseres Geschlechtes.
Die Malerei muß zeitgenössisch und sittenfördernd sein. Die Malerei
von Courbet ist zeitgenössisch, und moralisierend ebenfalls, denn
Bilder, wie die Rückkehr vom Markt und die Schlafende Spinnerin,
zeigen das Landleben in der Freigrafschaft und in Frankreich über-
haupt, und seine Ruhe, seine Einfachheit und Ehrenhaftigkeit; mit
der Schilderung eines grotesken Aufwandes im Begräbnis zu Ornans
will der Künstler zu einer würdigen Totenehrung aufrufen, mit der
Darstellung einer fleischig-dicken Badenden warnt er vor der Be-
schränktheit und Bequemlichkeit, die die Frau dazu gebracht haben,
zuviel auf gutes Essen zu halten und sich zu wenig Bewegung zu
geben. So ist die Kunst von Courbet ein Spiegel der Wahrheit, eine
realistische und überdies „kritizistische‘‘ Kunst, die prüft, tadelt oder
lobt, Helferin der Vernunft, Erzieherin, eine Kunst auch der Beob-
achtung, nicht einzig mehr der Inspiration. Die Steinklopfer zeigen
die Versklavung im Elend, einem Elend, das als allgemeiner Dienst
auf alle tauglichen Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden sollte;
die Damen der Seine, auf die Länge schrecklich in ihrer Atmosphäre
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