UtWhuui
Zürcher Juinfthaus.
Süßli-Ausstellung
im
Kilpserstichkabinett
August/September
1910.
Kunsthaus
a3/Z80
1910
08
Zürich
Separatabdruck aus der Neuen Zürcher Zeitung.
^ 2: 8o: /3/ö q?
VHS ÜllMWWjlN im AunsfQous.
(fine Lüszli-Ansstellung.
In den Bibliothekräumen des Kunsthauses hat
sich seit kurzem eine kleine graphische Ausstellung
aufgetan. Damit ist neben den beiden Einrichtungen
der „Ständigen Ausstellung" und der „Samm-
lung" — diese haben freilich einstweilen für einige
Wochen dem „Schweizerischen Salon" Platz machen
müssen — auch das Kupferstichkabinett, als Stätte
intimeren Kunstgenusses, der Oeffentlichkeit er-
schlossen worden.
Eine erste Uebersicht, eine Anzahl Zeichnungen
von verschiedenen Vertretern des Zürcher Künstler-
geschlechtes Füßli, eröffnet die Reihe der regelmä-
ßigen Ausstellungen, die allmählich den ganzen Be-
sitz der Zürcher Kunstgesellschaft an Werken der
Graphik den Kunsthausbesuchern vorführen werden.
Anspruchsloser, schon dem Formate nach, als die
großen „Bilder", und meist aus den einladenden
Reiz der Farbigkeit verzichtend, verlangen diese
Blätter auch eine andere Betrachtungsweise. Ein
Besuch im Kupferstichkabinett ist schon mit dem Ge-
nuß von Kammermusik verglichen worden. Hier wie
dort lebt feines und feinstes künstlerischesGewebe in
bescheidener äußerer Form, strömen die tiefstenWir-
kungen aus intensivster Verdichtung und Verein-
fachung des Stoffes und der Darstellungsweise.
Zeichnungen jeder Art, Holzschnitte, Kupferstiche
und Radierungen, Steindrucke, ob farbig oder nur
in Schwarz-Weiß, auch Aquarell- und Oelskizzeu,
werden heute allgemein dem „Kupferstichkabinett"
zugewiesen und im Kupferstichkabinett gesucht, das
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ursprünglich bloß eine Sammlung von (gestochenen)
Reproduktionen berühmterOriginalwerke sein wollte.
Bedingt bei der Zeichnung (als Studie) und der
Farbenskizze ihr Wesen als Ergebnis rein per-
sönlicher Kunstübung mit keinem andern Zweck als
einer ersten künstlerischen Bewältigung des Stos-
ses die Beschränkung auf das Hauptsächliche, so sind
es bei Holzschnitt, Kupferstich und den verwandten
Techniken die Sprödigkeit und die Besonderheiten
des Materials, die zu Konzentration und Abstrak-
tion zwingen. Was ein Holzschnitt von Menzel oder
Holbein, eine Zeichnung von Watteau oder van
Gogh, eine Radierung von Rembrandt oder Raps
bieten, ist nun freilich nicht von jedem Werk der
gleichen Technik zu erwarten.
In Zürich verbietet sich neben dem glänzend do-
tierten eidgenössischen Kupferstichkabinett im Poly-
technikum für ein zweites öffentliches oder halb-
öffentliches Institut wie die Sammlung der Zür-
cher Kunstgesellschaft von vornherein jeder Ausbau
nach der gleichen Richtung. In neuerer Zeit erwirbt
denn auch die Zürcher Kunstgesellschaft nur noch in
besondern Fällen Holzschnitte, Kupferstiche und an-
dere Graphik im engern Sinne. Wenn immerhin
gewisse Stecher, besonders Zürcher des 18. und 19.
Jahrhunderts, verhältnismäßig gut vertreten sind,
so beruht dies auf früheren Ankäufen oder auf stets
willkommenen Schenkungen von Privatsammleru.
Hingegen mehrt sich ständig der Besitz an Zeichnun-
gen, die vom eidgenössischen Kupferstichkabinett nicht
mehr gesammelt werden. Ungefähr die Hälfte der
eben jetzt aufgelegten Blätter ist im Jahre 1901
angekauft worden.
Sieben Meister, die alle den Namen Füßli tra-
gen, haben gegenwärtig in den Vitrinen der Biblia-
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thekräume BI, BII und Bill das Wort. Man er-
warte nicht, damit alle zeichnenden und malenden
Vertreter dieses Zürcher Künstlergeschlechtes ken-
nen zu lernen. Das vorhandene künstlerische Ma-
terial ist zu lückenhaft; zur Klarlegung der man-
nigfaltigen Familienzusammenhänge wärenStamm-
taseln unerläßlich. Neben zahlreichen, weniger be-
deutenden Vettern fehlt eine der stärksten Persön-
lichkeiten vollständig, der „Engländer" Heinrich
Füßli (1741—1825), der Schöpfer des in Kompo-
sition und Gebärde so theatralisch-pathetisch stilisier-
ten Gemäldes, das ihn selbst zeigt, wie er den Wor-
ten des greisen Bodmer lauscht (Nr. 148 des Samm-
lungskataloges), ebenso der wenig jüngere Land-
schafter Heinrich (1755—1829), dessen einziges in der
Sammlung vorhandenes Blatt zu nichtssagend ist,
um als Aeußerung einer Künstlerpersönlichkeit gel-
ten zu können. Auch von manch einem der ausge-
stellten Blätter wird sich nicht viel mehr sagen las-
sen. Da mag sich der kritische Beschauer daran er-
innern, daß der eine dieser Maler und Zeichner
nebenbei nicht bloß Ratsschreiber, sondern auch sehr
verdienstvoller Historiker gewesen ist, ein anderer
veröffentlichte ein „Magazin für Liebhaber der En-
tomologie" und das „Archiv für Jnsektengeschichte",
ein dritter war Sekretär eines ungarischen Grasen,
Feldmesser, und schließlich Archivar der Kaiserlichen
Akademie der bildenden Künste in Wien. Die Be-
rechtigung der Ausstellung beruht zum guten Teil
aus der Bedeutung, die solche Persönlichkeiten für
die Geschichte des zürcherischen Kunstgeschmackes
und, im besondern, der Zürcher Kunstgesellschaft be-
sitzen. Was von den vorgelegten Zeichnungen unge-
schickt und nüchtern sich darstellt, nehme man als
das, was es ist, als bloß merkwürdig, bloß historisch
interessant. So übel angebracht und unnütz gegen-
über reiner Kunst rein intellektuelle, analytische
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Kritik, so unschädlich ist gegenüber den Versuchen
des Dilettantismus, wo der künstlerische Kern meist
fehlt, die Beschäftigung mit dem „Drum und Dran".
Künstler stehen für sich, über oder außerhalb der
unmittelbaren historischen Umgebung; sie schaffen
das Neue, die Allgemeinheit mag sich dazu stellen,
wie sie eben kann. Die Bemühungen der Dilettanten
geben in ihrer Gesamtheit einen Begriff von Zeit-
geschmack und Mode, von den künstlerischen Allge-
meinbedürfniffen, der künstlerischen Nachfrage.
Ein Dilettant ist nun der erste der im Kupfer-
stichkabinett vertretenen Füßli, Mathias I.
(1598—1665) freilich nicht, wenigstens nicht nach
seinem äußern Lebenslauf und seiner Lebensfüh-
rung. Geboren als Sohn eines Goldschmiedes, soll
er schon in der frühesten Jugend ganz hervorragen-
de künstlerische Talente gezeigt haben bei einem
„cholerischen, ziemlich rohen und ernsthaften Tem-
perament". Nach einer Zürcher Lehrzeit bildete er
sich in Italien weiter und kehrte 1634 als über-
zeugter Anhänger von Tempesta und seiner Schule
in die Heimat zurück. Diese Tradition pflegte er in
Zürich getreulich und mit viel Eifer. Es wird ver-
sichert, er habe stets das Pathetische, Herzrührende
bevorzugt, Stoffe, die Auge und Gemüt mit Bestür-
zung und Schrecken erfüllen. Im Verzeichnis seiner
verschollenen Bilder begegnen uns nur Schlachten,
Feuersbrünste, Seestürme, Plünderungen, nächtliche
Schreckenstaten, Katastrophen aus der biblischen
und der alten Geschichte. Die Vitrinen im Biblio-
thekvorraum (6 l. Schrank II und III) zeigen ein
Dutzend seiner Zeichnungen; Kriegsleute mit
Schlapphut, Stulpenstiefeln und Schärpe; einen
Kantor oder Kapellmeister am Pult, mit einem Ka-
ter, der ihm um die Waden schmeichelt; „Risse" für
Glasgemälde oder andere kunstgewerbliche Verwen-
dung, heraldische und allegorische Vorwürfe. In
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einem solchen, der Darstellung von Geduld und De-
mut in Unbill, zeigt sich Fützli besonders deutlich
als Schüler seines frühesten Lehrers, des Zürcher
Meisters Gotthard Ringgli; auch er erläutert seine
Gleichnisdarstellungen durch etliche lehrhafte Sprü-
che wie Ringgli seinen „Spiegel der Geduld", der
gegenwärtig die Rückwand von Raum BIH ziert.
Die Soldatenfiguren sind wohl Studien zur An-
eignung von „Callotens Manier", in der der Künst-
ler sich erfolgreich betätigt haben soll. An Jacques
Callot erinnern die Umrisse; die Kühnheit der Be-
wegung, all den Glanz und die Grandezza der po-
sierenden und bramarbasierenden Soldaten und
Straßenränder Callots sucht man bei Fützli um-
sonst, seine Figuren sind vom gleichen breitspurig-
gutmütigen Schlag der Bannerträger und Säckel-
meister auf den Schweizer Glasgemälden des 17.
Jahrhunderts. Eine gewisse Derbheit spricht auch
aus dem sehr lebendigen Selbstbildnis des Künst-
lers, mit breiter Nase, struppigem Bart und
Schnurrbart, langem ungelocktem Haupthaar. Zu
diesem Gesicht und dieser wohlgemeinten, aber doch
etwas schwerfälligen Kunst patzt durchaus eine Anek-
dote, wie sie über des Künstlers Arbeitsweise über-
liefert wird: „AIs er auf eine Zeit ein Gemähld in
der Arbeit hatte, wo er in gewissen Figuren die
äußerste Bestürzung, Furcht, Schrecken und Entfei-
zen ausdrücken sollte; und ihm aber seine ersten
Versuche bei Weitem nicht Genüge taten, fiel er
auf eine seltsame Erfindung, um seine Imagination
recht anzufeuern. Er nahm einen großen Schweizer.-
degen von der Wand, zückte ihn und lief mit einer
verstellten rasenden Wut in das Nebenzimmer, wo
seine Schüler, deren er damals eine ziemliche An-
zahl hielt, beieinander über ihrer Arbeit saßen. Er
tummelte sie eine Weile in dem Zimmer herum,
und weil sie nichts anders glaubten, als daß er sie
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alle im Ernst zusammenhauen wollte, so ist leicht
zu erachten, daß sich in ihren Mienen und Geber-
den Bestürzung, Furcht, Angst und Schrecken aus
das lebhafteste werden ausgedrückt haben. In dieser
Situation betrachtete er sie sehr genau, hieß sie her-
nach wieder guten Mut fassen, und entdeckte ihnen
die Absicht dieser verstellten Execution." Dies alles,
um seine offenbar zuweilen nicht ganz leicht arbei-
tende Einbildungskraft „in die erforderliche Wirk-
samkeit und die behörigen Grad des Malerischen
Enthusiasmi zu versetzen".
Johann Melchior Füßli (1677—1736),
ist vorzugsweise Illustrator, ein fleißiger, doch sehr
trockener Kupferstecher. Sein gestochenes Werk wird
gelegentlich in den Vitrinen der Bibliothek zur
Ausstellung gelangen. Gegenwärtig finden sich von
ihm in Schrank a eine barock gestellte „Luna" in
Rötel, ein Epitaph auf einen Bürgermeister Eschec
und eine kleine Vignette in Federzeichnung.
Johann Rudolf Füßli der Jüngere (der
Aeltere, wenn ein nicht direkt verwandter älterer
Hans Rudolf Füßli nicht gezählt wird; (1709 bis
1793) war Schüler des eben genannten Joh. Mel-
chior, bevor er zur Erlernung der Miniaturmalerei
sich nach Paris begab. Aus der Pariser Zeit stammt
die Miniatur „Die Wahrsagerin" (Schrank P, Sei-
tenwand). Die Schulung als Miniatur-, d. h. Bild-
nismaler lassen auch die drei (Schrank b und c)
ausgestellten Bleistiftzeichnungen erkennen, darunter
ein Selbstbildnis, sorgfältig ins einzelne ausgeführt
und schattiert, ein freundlich-munteres Antlitz, viel-
leicht zwanzigjährig, in gepuderter leichter Rokoko-
perücke. Wertvoller als diese Proben eines anmuti-
gen Talentes ist, was Joh. Rudolf Füßli als Histo-
riker geleistet hat. Um die Mitte des Jahrhunderts
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gab er die künstlerische Tätigkeit auf und widmete
sich ganz der Vorbereitung eines „Allgemeinen
Künstlerlexikons", das 1763 als großes, nach wissen-
schaftlichen Grundsätzen angelegtes Werk in ernet
ersten Ausgabe erschien und durch den Verfasser
selbst wie durch seinen Sohn im Laufe der folgenden
Jahre unablässig durch Nachträge und Neubearbei-
tungen ergänzt und verbessert wurde.
Auch Johann Kaspar Fützli der Aelterc
(1706—1782) steht als Künstler nicht so hoch wie
als Kenner und Gelehrter. Er war der Sohn eines
Malers Hans Rudolf Füßli (des ältern, nicht des
erwähnten Verfassers des „Allgemeinen Künstler-
lexikons"), machte auch selbst im Auslande eine rich-
tige Schule als Bildnismaler durch und unterrich-
tete in Zürich. 1756 wurde er Ratschreiber. Zwei
Töchter Anna und Elisabeth, und drei Söhne, Jo-
hann Rudolf (ber jüngste, 1737—1806), Heinrich „der
Engländer" (1741—1825) u. Hans Kaspar (der Jün-
gere, 1743—1786) führten alle Stift und Pinsel. Die
Töchter genossen Ansehen als Blumen- und Jnsek-
tenmalerinnen, unter den Söhnen ist Heinrich ein
wirklich bedeutender Künstler, die beiden andern
sind mit Zeichnungen in der Ausstellung vertreten.
Das„Malerhaus"Fützli war für Zürich ein Mittel-
punkt gesellschaftlichen und künstlerischen Lebens.
Joh.Kaspar unterhielt mannigfacheBeziehungen mit
ausländischen Künstlern und Gelehrten. Die Zu-
sammensetzung der Zürcher Gemäldesammlung steht
damit zum Teil im Zusammenhang. Er war nahe
befreundet mit dem Augsburger Schlachtenmaler
Rugendas und widmete ihm eine Biographie. 1755
veröffentlichte er eine schweizerische Künstlergeschich-
te „Geschichte und Abbildung der besten Mahler :n
der Schweiz" in drei Teilen; eine zweite Ausgabe
mit dem Titel „Geschichte der besten Künstler in der
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Schweiz nebst ihren Bildnissen" umsatzte fünf Bän-
de. Später erschienen „Winckelmanns Briefe an sei-
ne Freunde in der Schweiz" und ein Stecherkatalog
mit Oeuvreverzeichnis. Die graphische Sammlung
besitzt von ihm Kopien nach Zeichnungen und Ge-
mälden anderer und komponierte Landschaften,
Uebungen oder bloße Nachzeichnungen aus Freude
am Gegenstand. Dazu gehören die (Schrank d und
L) ausgestellten Blätter mit der Zeichnung eines
Faunes, die Allegorie auf Habsucht und Tod. In-
teressanter ist die Reihe kleiner Bleistiftzeichnungen,
wenn sie auch für das Können Füßlis keinen glän-
zenden Beweis leisten, anspruchslose Bildchen von
Freunden und Bekannten. Die meisten sind sorgfäl-
tig bezeichnet und datiert; fo das eine:„Jungfer Na-
nete Füßli, jüngere Dochter des Herren Landvogt
von Grhffensee, Aetatis 20 Jahre, gezeichnet nach
dem Leben den 11. August 1766 von Landschreiber
Hans Caspar Füßli en vis.ite zu Grhffensee"; und
der V. O. M. Joh. Jakob Wolf (Schrank L) läßt
uns lateinisch in seinem aufgeschlagenen Buche le-
sen, daß er „zweiundzwanzigjährig am 20. April
1756 im Landgut in der Selnau anläßlich einer der
Freundschaft und der Fröhlichkeit geweihten Abend-
gesellschaft bei Salomon Geßner" verewigt worden.
Das Bild des Malers Joh. Rud. Dälliker, der sich
in der Gemäldesammlung als ehrlich bemühter Por-
trätist vorstellt, scheint als Vorzeichnung zu einem
Kupferstich in Schabmanier oder Aquatinta gedacht
zu sein.
Hans Kaspar Füßli der Jüngere (1743
bis 1786s war Zeichenlehrer am Zürcher Waisen-
haus, später Buchhändler in Winterthur. Als eif-
riger Entomologe stellte er sein Talent ganz in den
Dienst der Naturwissenschaften und fand als In-
sekten- und Pflanzenmaler große Anerkennung.
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Seine beiden ausgestellten Zeichnungen (Schrank
M), die Kopie eines moralisch-allegorischen Tasel-
gemäldes und die Titelzeichnung sür ein Gesell-
schaftsprotokoll, datiert mit 1759 und 1761, sind be-
langlose Jugendarbeiten und nur bezeichnend für
den.Eifer, mit dem im Fützlischen Hause der Kunst
gehuldigt wurde.
Johann Rudolf Fützli der Jüngste (1737
bis 1806) wuchs als ältester Sohn ebenfalls in der
Malersamile des Joh. Kaspar aus und genoß von
frühester Jugend an alle Anregung, die die „künst-
lerische Atmosphäre" des Elternhauses bieten konn-
te. Als Gehilfe seines Vaters radierte er die Bild-
nisse und Vignetten zu dessen Werk über die Schwei-
zer Maler. Noch aus seiner Zürcher Zeit stammt
auch das Oelgemälde „Die Spieler" der Zürcher
Sammlung (Kat.-Nr. 150). 1765 begab er sich zu
weiterer Ausbildung nach Wien. Um sich durchzu-
schlagen, trat er nach einiger Zeit als Sekretär bei
einem ungarischen Grafen zu Pretzburg in Dienst,
später wurde er nach weitern Nöten und Bedräng-
nissen erst gräflicher, dann staatlich-ungarischer
Feldmesser und Steuerkommissär. Ein lang vorbe-
reitetes Werk, ein kritisches Verzeichnis von Kupsec-
stichen nach berühmten Gemälden, trug ihm im Jah-
re 1800 die Stelle eines Archivars an der kaiserli-
chen Kunstakademie in Wien ein. Fützli erhielt da-
mit einen Wirkungskreis, der seinen Anlagen besser
entsprach. 1801 begann er die Herausgabe der „An-
nalen der bildenden Kunst für die österreichischen
Staaten". Die Zürcher Kunstgesellschast besitzt lei-
der keine der gerühmten Volksszenen und Kostüm-
studien aus seiner ungarischen Zeit, sondern nur
einige vorwiegend von akademischen Vorbildern be-
einflußte Entwürfe oder direkte Kopien in wenig
persönlicher Haltung. Unter den ausgestellten Blät-
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lern befinden sich eine Sintflut, ein Herkules mit
Keule und Löwenhaut, Adam und Eva, eine Dar-
stellung der grausamen Marter des Apostels Simon
und eine Federzeichnung, die als Titelblatt zu
einem „Hinkenden Boten" gelten kann. Von zwei
Blättern in Bleistift zeigt das eine allerlei Einfälle,
das zweite ist ein Bildnis von Salomon Landolt,
wahrscheinlich vom Jahre 1771. Füßli befand sich da-
mals zu einem kurzen Aufenthalt in Zürich,Landolt
war 1767 von Metz und Paris zurückgekehrt und
genoß als politische Persönlichkeit wie als Maler
bereits ein gewisses Ansehen. Im Hause seines Va-
ters, wo alles verkehrte, was in Zürich zeichnete und
malte, kann er Joh. Rudolf leicht begegnet sein.
Landolts Geburtsjahr ist 1741. Die Reise nach Metz
hatte er 1764 angetreten. Hätte er Füßli zu dieser
Zeit gesessen, so würden seine Züge doch etwas ju-
gendlicher sein müssen als aus der Zeichnung. Das
glatt rasierte Antlitz unter dem Dreispitz ist das
eines Dreißigjährigen. Zwei andere Bildnisse im
Kunsthaus, das Oelgemälde Reinhards (Kat.-
Nr. 435) wie das Wochersche Aquarell (Kat.-Nr.
492), das in unmittelbarer Nähe der Zeichnung
hängt („Salomon Landolt, ein ächter Schweizer und
Biedermann, geschickt als Künstler, verehrt und ge-
liebt als Freund"), stammen beide aus dem Jahre
1803 und zeigen den ehemaligen Landvogt als be-
standenen älteren Herrn. Die Bleistiftzeichnung
charakterisiert ihn ungleich lebendiger. Scheinbar
kühl und geruhsam blickt das Auge, die Linien um
Mund und Nase verraten aber deutlich genug gei-
stige Beweglichkeit und Energie, allerdings auch die
Bereitschaft zu ironisch-skeptischem Lächeln.
* * *
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Einheitlicher und stärker als die bunte Zusam-
menstellung von Zeichnungen verschiedener Meister
in den vereinzelt stehenden Schränken der Räume
81 und 811 wirkt die ungeteilte Flucht von Aus-
stellungsvitrinen im dritten Bibliotheksaal. Er ent-
hält ausschließlich Werke eines einzigen, aber wirk-
lichen und großen Künstlers. Wilhelm H e i u-
r i ch F ü tz l i (geb. 1830) hat im Jahre 1901 sein
in Oel gemaltes Selbstbildnis der Gemäldesamm-
lung geschenkt (Kat.-Nr. 151), gleichzeitig wurde die
Kreidezeichnung „Luigia" angekauft (Kat.-Nr. 153).
Schon früher war die „Römerin" (Kat.-Nr. 152) in
die Sammlung gelangt. Zu der jüngst verflossenen
Erössnungsausstellung sandte Füßli drei Bildnisse,
darunter den „Cellospieler", die in ihrer vornehmen
Ruhe wohl jedem Besucher mit der Erinnerung
an den Kuppelsaal als Haupteindruck verbunden
bleiben werden. Die jetzige Ausstellung zeigt ihn in
mehr als achtzig Blättern verschiedenen Gewichtes
als Zeichner. Eröffnet wird die Reihe durch einen
äußerst sorgfältigen männlichen Akt aus der Zeit,
da der Sechzehnjährige in Frankfurt am Städel-
schen Kunstinstitut lernte. In den gleichen Jahren,
1846 und 1847, sind neben leichten Reiseskizzen
einige Bildnisstudien, Kinder und pseisenrauchende
Bauern, entstanden. Aus Zürcher Sommerserien
stammt wohl das Blatt mit der Schipfe und dem
stark belaubten Lindenhof in sonniger Mittagsstun-
de. Zeugnisse des ersten Besuches in Italien (1850
von München aus) sind mehrere Architekturbilder
aus Venedig. Hier wie auf Blättern mit Motiven
aus Nordsrankreich, Strand und Landschaft in der
Nähe von Dieppe, mittelalterliche Befestigungen,
und einzelnen Landschaft- und Architekturskizzen
aus Salzburg, werden in einfacher Bleistiftzeich-
nung durchaus malerische Wirkungen erreicht. Von
den zahlreichen humoristischen Blättern ist die
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Mehrzahl ausgesprochen zeichnerisch durchgeführt.
Neben den ruhenden Berchtesgadner Bürgermeister
stellt sich die Jnterieurszene mit Herrn Braun beim
Coiffeur, dann eine große Reihe lustigster Augen-
blicksszenen von allen möglichen Orten, wo die
Menschen zusammenkommen, Kirche, Konzertsaal,
Gasthaus. Neben dem seierlichen Auszug der Münch-
ner Fronleichnamsprozession mit Musik, Erzherzö-
gen und aller hohen Geistlichkeit schildert er uns
die andächtige Versunkenheit der Damen und Her-
ren vom Dienste in der Hoskapelle; aus drei andern
Blättern die Abstusung in Haltung und Gebärden
von Spielern und Publikum der Konzerte im Münch-
ner Odeon, im Cafe Ries und im Oberpollinger.
Die Schilderung des Lebens im Badener Kurgarten
beim Schein der Sterne und Gaslaternen (die Zür-
cher Kunstgesellschaft besitzt das Blatt leider nur
in Photographie) wetteifert mit der „Promenade"
oder dem „Palais Royal" eines Debucourt in der
Mannigfaltigkeit der Handlung und der Gesell-
schaftstypen. Einfacher in der Anlage, aber um so
wirkungsvoller sind die „Malweiber im Ponte
Vecchio". Die Emsigkeit der beiden Damen in der
ruhig-großen Umgebung, die unverhüllte Neugier
der Straßenjugend, das unter fingierter Gleichgil-
tigkeit versteckte Interesse der beiden Bummler, der
monumentale Parallelismus der stattlichen Krino-
linenwölbungen mit den Rundbogen der Uffizien
und den Gewölben der flußaufwärts gelegenen näch-
sten Brücke: alles das zeigt jene Gegensätze, die
in erster Linie den Eindruck des Komischen bedin-
gen. In zahlreichen Skizzen hat Füßli die Lächer-
lichkeiten des gedankenlosen Reisesnobs mit leichter
Unterstreichung notiert, wir stoßen auf unsere alten
Bekannten vom berühmten Aussichtspunkt, aus der
Gemäldegalerie und von der Hoteltasel. Bei den in
größerm Maßstabe und farbig ausgeführten Erin-
Kunsthaus Zürich / Bibliothek
17600037274
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nerungen an die Riviera und an Ragaz scheint es
beinahe, als ob der Künstler für Augenblicke seinen
guten Humor verloren und sich wirklich habe
ärgern lassen.
Die von der Fensterwand gegen die Mitte des
Ausstellungsraumes vorspringende Schrankslucht
enthält gewichtigere Werke, zum Teil Bleistiftzeich-
nungen, wie der ungemein lebendig erfaßte
„Junge Mann mit Zigarre", und der Appen-
zeller Maler Sebastian Buss in ganzer Figur;
daneben Zeichnungen in Kreide und Kohle als
Vorarbeiten zu Gemälden. Diese Blätter weisen
uns wieder aus das eigentliche Schassensgebiet Füß-
lis, in dem er mit seiner hohen stillen Kunst
anerkannte Meisterschaft sich errungen hat, zum
Bildnis.
W. Wn.