23
tem Zustand übernommenen und durch den Kampf erschütterten
Staatsapparates gearbeitet, unabsehbare Kräfte werden aufgesaugt
vom Kampf gegen die offene und versteckte Konterrevolution,
gegen anarchistische, dilettantische und kleinbürgerliche Tenden
zen in den eigenen Reihen, gegen Korruption und Sabotage —
wer wird da an die Künstler denken? Natürlich kein Mensch
außer ihnen selbst. So der eigenen Regsamkeit überlassen wie all
die andern Schichten, die, ökonomisch zwischen den Klassen
schwankend, bisher ein mehr oder minder kleines Dasein führten
und politisch in der Regel passiv blieben, wird die Künstlerschaft
plötzlich gezwungen sein, als sozialer, selbständiger Organismus
aufzutreten.
Gewiß: Wo die Macht ist — ist auch die Legion der Klein
bürger; also werden auch die Künstler „auf dem Boden der ge
gebenen Tatsachen“ der Sowjet - Regierung „zur Verfügung“
stehen, sobald diese sich einigermaßen konsolidiert hat. Sie sind
ja übrigens von jeher daran gewöhnt, mit der herrschenden Klasse
die besten Beziehungen zu pflegen. Aber die proletarische Klasse
ist ganz und gar nicht daran gewöhnt, sich sonderlich mit Künst
lern abzugeben. Sie wird sich zunächst wohl darauf beschränken,
sie wie auch andere Berufe gewerkschaftlich zu organisieren, wird
ihnen Mittel und Vollmachten geben, die den ökonomischen Zu
sammenbruch dieser Schicht verhindern oder wenigstens verhin
dern sollen, und als Gegenleistung verlangen, daß diese Organi
sation die politische Einordnung der Künstler überwacht und sie
zur proletarischen Propaganda heranzieht. Dies wird nur möglich
sein, wenn geeignete, zuverlässige Kräfte an der Spitze der Organi
sationen stehen, die einerseits fähig sind, diese der Diktatur drin
gend bedürftigen Kreise der Sache unterzuordnen, die vor allem
aber einige Klarheit darüber erlangt haben, wie überhaupt die vor
handenen künstlerischen Kräfte im proletarischen Sinne beeinflußt
und nutzbar gemacht werden können.
Als erste Schwierigkeit wird sich folgender, in der „Künstler
natur“ wurzelnder Widerspruch ergeben: Es wird ungemein
schwer sein, die Künstler auch nur ein und derselben Fakultät
(also die Schriftsteller, Maler, Musiker, Architekten) zu gemein
samer organisatorischer Arbeit zu bewegen. Denn es werden die
vielen „Richtungen“ versuchen, möglichst selbständig zu bleiben,
ja sich gegenseitig kalt zu stellen. Kein Expressionist wird die An
ordnungen eines Impressionisten ernst nehmen und umgekehrt,
der Dramatiker wird den Filmschriftsteller, der Feuilletonist den
Lyriker überhaupt nicht als Kollegen anerkennen, genau wie heute.
Hinzu kommt, daß diese Gegensätze, die zunächst lediglich die