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haupt symptomatisch ist, daß die Kunst ebenso wie andere mensch
liche Liebhabereien und Leidenschaften um so wichtiger und welt
bewegender auftritt und tatsächlich von den Schichten, für die sie
geschahen ist, entsprechend überschätzt wird je enger und exklu
siver ihr Wirkungskreis ist.
Dies gilt auch von der Kunst der Gebildeten, der bewußten
Kulturträger. Sie ist, obwohl nur eine Minderheit der Bevölkerung
sie in sich aufnimmt, tonangebend. Ihre Schöpfer wie ihr Publi
kum wissen von der Existenz obenerwähnter Gattungen wenig,
halten sie für subaltern und belanglos. Die „führenden“ Zeit
schriften, Kritikspalten sind meist gefüllt mit erstklassiger, wahrer
Kunst. Die liegt auch in den Schaufenstern, erzielt entsprechend
ihrem Luxuscharakter riesige Umsätze, erhebt Anspruch auf die
Ewigkeit, auf die diversen Schiller-, Kleist- und Nobelpreise und
darauf, die geistige Achse der Gesellschaft, der Erde, ja des Kosmos
zu sein. Tatsächlich ist sie bedingt und wurde erzeugt von den
Bedürfnissen der kapitalistischen Oberschicht. Diese Schicht liest
natürlich im wesentlichen ebenso gut wie die Ladenmädchen, die
Offiziere und Heiratsvermittlerinnen am liebsten Tovote, Stratz
und Hans Heinz Ewers. Sie weiß aber, daß diese Literatur „leichte
Kost“ ist, die man in Stunden genießen kann, wo es nicht darauf
ankommt seinen Mann zu stehen, sich seines Wertes bewußt zu
sein. Die Kunst aber, die zu kennen oder gar zu fördern einem
Verdienst gleichkommt, die hat bleibende Aufgaben — und wenn
sie auch in sehr vielen Fällen nur im Bücherschrank steht; sie er
füllt auch da diese Aufgaben: Dem Reichen, dem Mächtigen eine
Vorstellung vom Weltgeschehen zu vermitteln, die seine Existenz
rechtfertigt, die ihn schützt vor seinen schlimmsten Feinden, der
Leere, der Ratlosigkeit im eigenen Innern. Diese möglichst in
Batik zu bindende, auf Auktionen zu erwerbende, fast nur in Privat-
Konzerten erlauschbare Kunst muß also sein: Erhaben über
plumpe Tendenzen, geistreich aber nicht klar, exzentrisch und
differenziert aber dabei distanziert und harmonisch. Der Reiche,
trainiert im Genuß, will seltenste Kost, stets neue Reize und vor
allem — Sachen, die viel kosten. Daß er sie fast nie verstellt —
das hebt ihn in den eigenen Augen und in denen seiner Klasse,
darüber läßt sich viel und unkontrollierbar reden, das hebt hinaus
über die banale Wirklichkeit, in der sich doch der Mensch in seinen
reinsten innerlichsten Stunden nicht so recht wohl fühlt (nämlich
wenn er keine Arbeit hat). Tendenz ist unter allen Umständen ab
zulehnen, welcher Richtung auch immer sie ist, denn sie belädt mit
Verantwortung. Der Ausbeuter sieht die Welt lieber wie ein Ge
schenk an, er will ja bloß seine Freude an der Welt haben. Pro-