Volltext: Der Ararat (1 (1920), 7)

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Urteilen gehört auch die Stimme IliaRjepins, 
dessen jüngsten Brief wir hier veröffentlichen. 
<Vgl. die Berliner russische Zeitung „Wremja" 
vom 22. II. 1920.) Die Ausführungen von Rjepin 
besitzen zwar keinen Informationswert und ver 
nachlässigen Tatsachen <Rjepin gibt sogar zu, daß 
er „die proletarische Kunst nicht kennt und nie 
mals gesehen hat"* *), sind aber von einem großen 
Interesse für jeden, der den Namen Ilia Rjepins 
mit einer gewissen Stilstufe der russischen Kunst 
identifizieren kann, auch für denjenigen, der den 
Aufbau der Proletkulte als eine aktuelle Kultur 
aufgabe betrachtet. Nicht nur als eine Stimme aus 
dem „weißen" Lager, sondern auch als ein Bei 
trag zur Charakteristik Rjepins Persönlichkeit 
ist dieser Brief sehr amüsant. 
Iliajefimowitz Rjepin ist bekanntlich derFührer 
der russischen naturalistischen Schule. Sein Schaf 
fen bestimmt die Entwicklung der russischen 
Kunst von den 80er Jahren und bis zur Schwelle 
des 20. Jahrhunderts. Sein Name bedeutet noch 
heute für jeden russischen Künstler und Kunst 
freund etwas bereits historisch Festgesetztes und 
ist Autorität und ideale Möglichkeit für die 
heutigen Epigonen jener Künstler <wie z. B. 
Kramskoj, Jaroschenko, Makowski, Ssurikow, 
Lebedew, Bogdanow-Bjelskij, Boljenow u. a.>, 
die in ihrem „Vereine für Wanderausstellungen" 
seit 1871 vergeblich gegen die andringenden 
jugendlichen Kräfte kämpften, aber auch eine 
revolutionäreRolleinderGeschichtederrussischen 
Kunst <der Kampf mit den klassizistischen Aka 
demien) gespielt haben. Nach wie vor steht heute 
Rjepin an der Spitze.dieser Gruppe und noch 1919 
konnte man in der„PetersburgerStaatlichenKunst- 
schau i9i9"<im Winterpalais) eine neue Variante 
seiner berühmten „Schiffszieher an der Wolga" 
sehen, die 1873 wegen ihres tiefen sozialen Vor 
wurfes und der rein malerischen Vorzüge für das 
Hauptwerk der zeitgenössischen russischen Ma 
lerei erklärt wurden. Das Interesse Rjepins für 
dieEntwicklungderneuenKunstundseinefreund- 
schaftlichen Beziehungen zu den jungen Peters- 
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* Rjepin befindet sieb seit dem Ausbruch der Revo 
lution in Kuokala (Finnland), wo er in seiner berühmten 
Villa „Penaten" wohnt, also die russischen Ereignisse 
nur nach Gerüchten kennt. 
burger Malern ist in Rußland bekannt, und wir 
bemerkten mit Erstaunen in Rjepins Briefen eine 
etwas brummige und nicht begründete Kritik des 
„Kubismus". 
Was die proletarische Kunst betrifft, die für 
den 76jährigen Rjepin eine Vandalisierung der 
Kunst bedeutet, so ist den temperamentvollen 
<aber durchaus nicht objektiven) Ausführungen 
Rjepins noch folgendes beizufügen. 
Die Idee der proletarischen Kultur beruht 
bekanntlich auf der Überzeugung, daß in der 
Arbeiterklasse jungfräuliche schöpferische Kräfte 
schlummern, welche, durch eine revolutionäre 
Aktion erweckt, in überraschenden, vom Rhyth 
mus der Fabrik- und Maschinenwelt belebten 
Offenbarungen des proletarischen Geistes zutage 
treten würden. Das Kollektiv- und Organi 
sationsgefühl, die Harmonie, die rhythmische 
Regelmäßigkeit und Bündigkeit seien die Grund 
lagen dieser proletarischen Kunst. Der Proletarier 
müsse aber auch „von den in der Vergangenheit 
entstandenen Schätzen der Kunst Besitz nehmen 
und alles Große und Herrliche in ihnen sich zu 
eigen machen, ohne dabei dem in ihnen abge 
prägten Geist der feudalen oder bürgerlichen Ge 
sellschaftsordnung zu unterliegen" <Bogdanow: 
„Die Kunst und das Proletariat")durch eine 
kritische Umarbeitung dieser großen Erbschaft 
vom kollektivwerktätigen Standpunkte aus werde 
der proletarische Künstler an Stelle der verwesen 
den bürgerlichen Kultur seine neue Kultur und 
Kunst setzen. Wir wollen uns hüten, über die 
praktischen Experimente der „Proletkulte" ein 
erledigendes Urteil zu fällen, wenn wir uns auch 
der Hoffnung hingeben, daß die echten prole 
tarischen Begabungen, nachdem ihnen eine freie 
Entwicklung ermöglicht wurde, zum gesamten 
künstlerischen Fortschritt und zur Gesundung des 
modernen Kunstorganismus beitragen werden. 
Es muß aber betont werden, daß die heutige 
Arbeit des Proletkults sich noch in der Phase 
einer Auseinandersetzung mit der historischen 
Erbschaft befindet, und daß die jungen Arbeiter 
künstler noch nicht schöpferische Werte erzeugen 
können , um so mehr, dasie, ohne die elementarsten 
Stadien der technischen Ausbildung überschritten 
zu haben, sich bereits ihrer unreifen Errungen
	        
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