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Bonguereau (ebenda), Studien und Zeich*
nungen. Korrekt, fad, süßlich. Raphaelersatz
für die neuen Reichen.
Charles Morin recte Winston Spencer
Churchill (Galerie in der Rue Royale). Die
Sensation. Ein Unbekannter namens Ch. Mo*
rin, hat vier Ölgemälde »Szenen aus dem Sü
den« eingeschickt und den Beifall der offiziellen
Kritik gefunden. Hinterher stellt sich heraus,
daß Morin nur ein Pseudonym des englischen
Kriegsministers W. Sp. Churchill ist. Ach wenn
sich doch alle Kriegsminister aller Staaten bald
ausschließlich der Malerei widmeten!
Der französische Staat und die moderne
Kunst
Die französische Revue »Les cahiers d'au*
jourd'hui« veröffentlicht eine aus dem Jahre 1914
stammende Statistik moderner französischer
Bilder im deutschen Musealbesitz. Es sind ihrer
200, die einen ausgezeichneten Überblick über
die Entwicklung der französischen Malerei seit
Ingres und Delacroix bieten.
1914 zählten die französischen Museen kaum
100 dem deutschen Besitz vergleichbareGemälde.
Zu diesem Mißverhältnis hat die genannte Revue
folgendes zu bemerken:
Es gibt in Frankreich ein Institut mit der Auf
gabe, den Staat daran zu erinnern, daß nur ein
bestimmter Grad von Kunst geduldet werden
darf, es gibt ferner eine Administration der
Schönen Künste und Museumskomitees, die
sich hüten, große französische Kunstwerke z. B.
von Renoir oder Cezanne zu kaufen und manch
mal zögern, dem Publikum zu zeigen, was man
ihnen geschenkt hat.
Es ereignet sich, daß der Staat, irgendeiner
initiativen Drohung nachgebend, sich entschließt,
ein Werk eines lebenden Malers zu kaufen.
Er kauft zu niedrigem Preis, manchmal 10°/o
unter dem Marktwert, seine Vorliebe für das
Musee du Luxemburg hervorkehrend. Aber
um das neue Werk aufzunehmen, müßte er eine
Malerei zumindesten von Bouguereau, Lefevre,
Detaille, Roll, Chabas oder was immer es an
geotischer Berühmtheit gibt, ausstoßen. Die mit
Rabatt erworbene Leinwand wandert also in
irgendein Depot. Dort bleibt sie.
M. Benedite macht keine Anstalten, sie dort
herauszuziehen. Die Konservatoren der Pro
vinzmuseen, die vielleicht ausgezeichnete Ge
lehrte für alte Kunst sind, kennen von zeit
genössischer Malerei nur die Jämmerlichkeiten
der zwei offiziellen Salons. Sie hüten sich —
wie z. B. der Konservator des Museums in
Bordeaux — die Landschaft von Marquet, die
ihm geschickt wurde, auszustellen oder von Paris
die wenigen in den Kellern versteckten Werke
auszubitten.
Wenn ich Maler wäre und der Staat kaufte
mir ein Bild ab, so würde ich seine Vorliebe
für das Museum in Grenoble, wo M. Farcy
sich bemüht die Werke der großen lebenden
Maler zu sammeln, erbitten oder für die Museen
in Nantes oder Straßburg, wo man scheinbar
ähnliche Absichten feststellen kann. Oderauch:
ich würde für meine Gemälde das Museum von
Bagnols im Departement Gard verlangen. Dort
wäre es in guter Gesellschaft. Ein Kantonal*
Museum, gegründet 1860 vom Maler Alegre,
einem Freund Hippolyte Flandrins, in Bagnol*
sur*Ceze, das das erste, das beste französische
Museum für zeitgenössische Kunst geworden ist.
Sein Konservator ist seit einem Jahre der Maler
Albert Andre. Er hat die von seinem Vor
gänger gesammelten geologischen Kuriositäten
der Gegend, die alten Porträts, die Fayencen
und ausgestopften Vögel und die gemalten
Schrecklichkeiten, vom Staat seit 25 Jahren ein*
geschickt, in eigenen Vitrinen und Sälen unter
gebracht. Dann hat er die Abteilung für zeit*
genössische Kunst gegründet.
Diese bestand seit 15 Jahren aus einer Land*
schalt, dieDujardin*Beaumetzbei denlinabhän*
gigen gekauft hatte, einer Ansicht von Saint*
Tropez von Henri Matisse, welche der Bürger*
meister von Bagnol übrigens in seine Samm*
lung aufgenommen hatte.
Heute finden die Reisenden, die von Orange,
von Nimes, von Avignon zum Besuch nach
Bagnols kommen, im Museum die Werke, welche