Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Bonguereau (ebenda), Studien und Zeich* 
nungen. Korrekt, fad, süßlich. Raphaelersatz 
für die neuen Reichen. 
Charles Morin recte Winston Spencer 
Churchill (Galerie in der Rue Royale). Die 
Sensation. Ein Unbekannter namens Ch. Mo* 
rin, hat vier Ölgemälde »Szenen aus dem Sü 
den« eingeschickt und den Beifall der offiziellen 
Kritik gefunden. Hinterher stellt sich heraus, 
daß Morin nur ein Pseudonym des englischen 
Kriegsministers W. Sp. Churchill ist. Ach wenn 
sich doch alle Kriegsminister aller Staaten bald 
ausschließlich der Malerei widmeten! 
Der französische Staat und die moderne 
Kunst 
Die französische Revue »Les cahiers d'au* 
jourd'hui« veröffentlicht eine aus dem Jahre 1914 
stammende Statistik moderner französischer 
Bilder im deutschen Musealbesitz. Es sind ihrer 
200, die einen ausgezeichneten Überblick über 
die Entwicklung der französischen Malerei seit 
Ingres und Delacroix bieten. 
1914 zählten die französischen Museen kaum 
100 dem deutschen Besitz vergleichbareGemälde. 
Zu diesem Mißverhältnis hat die genannte Revue 
folgendes zu bemerken: 
Es gibt in Frankreich ein Institut mit der Auf 
gabe, den Staat daran zu erinnern, daß nur ein 
bestimmter Grad von Kunst geduldet werden 
darf, es gibt ferner eine Administration der 
Schönen Künste und Museumskomitees, die 
sich hüten, große französische Kunstwerke z. B. 
von Renoir oder Cezanne zu kaufen und manch 
mal zögern, dem Publikum zu zeigen, was man 
ihnen geschenkt hat. 
Es ereignet sich, daß der Staat, irgendeiner 
initiativen Drohung nachgebend, sich entschließt, 
ein Werk eines lebenden Malers zu kaufen. 
Er kauft zu niedrigem Preis, manchmal 10°/o 
unter dem Marktwert, seine Vorliebe für das 
Musee du Luxemburg hervorkehrend. Aber 
um das neue Werk aufzunehmen, müßte er eine 
Malerei zumindesten von Bouguereau, Lefevre, 
Detaille, Roll, Chabas oder was immer es an 
geotischer Berühmtheit gibt, ausstoßen. Die mit 
Rabatt erworbene Leinwand wandert also in 
irgendein Depot. Dort bleibt sie. 
M. Benedite macht keine Anstalten, sie dort 
herauszuziehen. Die Konservatoren der Pro 
vinzmuseen, die vielleicht ausgezeichnete Ge 
lehrte für alte Kunst sind, kennen von zeit 
genössischer Malerei nur die Jämmerlichkeiten 
der zwei offiziellen Salons. Sie hüten sich — 
wie z. B. der Konservator des Museums in 
Bordeaux — die Landschaft von Marquet, die 
ihm geschickt wurde, auszustellen oder von Paris 
die wenigen in den Kellern versteckten Werke 
auszubitten. 
Wenn ich Maler wäre und der Staat kaufte 
mir ein Bild ab, so würde ich seine Vorliebe 
für das Museum in Grenoble, wo M. Farcy 
sich bemüht die Werke der großen lebenden 
Maler zu sammeln, erbitten oder für die Museen 
in Nantes oder Straßburg, wo man scheinbar 
ähnliche Absichten feststellen kann. Oderauch: 
ich würde für meine Gemälde das Museum von 
Bagnols im Departement Gard verlangen. Dort 
wäre es in guter Gesellschaft. Ein Kantonal* 
Museum, gegründet 1860 vom Maler Alegre, 
einem Freund Hippolyte Flandrins, in Bagnol* 
sur*Ceze, das das erste, das beste französische 
Museum für zeitgenössische Kunst geworden ist. 
Sein Konservator ist seit einem Jahre der Maler 
Albert Andre. Er hat die von seinem Vor 
gänger gesammelten geologischen Kuriositäten 
der Gegend, die alten Porträts, die Fayencen 
und ausgestopften Vögel und die gemalten 
Schrecklichkeiten, vom Staat seit 25 Jahren ein* 
geschickt, in eigenen Vitrinen und Sälen unter 
gebracht. Dann hat er die Abteilung für zeit* 
genössische Kunst gegründet. 
Diese bestand seit 15 Jahren aus einer Land* 
schalt, dieDujardin*Beaumetzbei denlinabhän* 
gigen gekauft hatte, einer Ansicht von Saint* 
Tropez von Henri Matisse, welche der Bürger* 
meister von Bagnol übrigens in seine Samm* 
lung aufgenommen hatte. 
Heute finden die Reisenden, die von Orange, 
von Nimes, von Avignon zum Besuch nach 
Bagnols kommen, im Museum die Werke, welche
	        
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