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in einem Chaos von neuen, revoltierenden Klang
gebilden, ein brennender Tetrachord! Das wirkt
epatanter als eine Quintenfolge bei Badi. Das
Scherzo ist von einer grandiosen, ins Meta
physische projizierten Lustigkeit. Als kleine
Überraschung für entsetzte Hörer ein Ballge
spiele und Jonglieren mit zusammenklirrenden
kleinen Sekunden zwischen auf- und nieder
rasenden Ganztonlinien. Martellato das nächste
Stück, mit fatalistisch hämmerndem Synkopen*
Rhythmus. <Hier melden sich die Zusammen*
hänge mit Scrjäbin, dessen typische Quart-
Melodik akut wird.) Der Schluß träumerisch,
fragend, reflexiv, in chromatischen Selbstquäle
reien. In*sich*gebogen. Klang*ge wordene Re
signation.
Und Bartök geht weiter zum »Allegro bar*
baro«, zu seiner letzten, ganz aufs Lineare ein
gestellten Kammermusik. Die Stimmführung
wird immer klarer, sauberer, unbekümmerter.
Es folgt die Musik zum »Hölzernen Prinz«,
eine wilde und seltsam marionettenhafte, ku*
bistische Melodik. Ungarische Tonempfindung,
lange genug von sich selbst über*lisztet, be
ginnt sich zu erheben. Solche Ekstase peitscht
auf, läuft Amok, kennt keine physischen Grenzen
mehr. Das Melodische wird Exzeß. Klang
zerpufft. Bewegung ist Trumpf!
Letzte Steigerung knattert in der »Mandarin«*
Pantomime. Hier leuchtet die Gemeinsamkeit
mit Schönbergs jüngsten Werken. Tonalität
weicht dem Chroma. Das Erlebnis wird eksta*
tisch. Der Ausdruck ins Geistige verlegt. Diese
Musik ist nicht mehr malerisch. Sie steht auf
sich selbst, ist absolute Kunst geworden, ist or*
ganisch, nicht mehr schematisch.
Der Wille zur Vergeistung fängt an sich
durchzusetzen. Gebärde wird exzentrisch. Licht
blendet. Schatten ist namenloses Schwarz*Sein.
Die Melodik beginnt ihre tänzerische Selbst
besinnung zu erschauen. Klangliches versinkt.
Klang ist sekundär, ist Verfall, ist Impotenz!
Horizontalität setzt ein. DieTradition verbrennt.
Bartök ist ewig!
Hans Heinz Stuckenschmidt.
GLOSSEN
Helmud Kolle / Paul Klee
(Zugleich eine Erwiderung auf Hans Kaisers gleichlau*
tenden Aufsatz in seinem »Hohen Ufer« Heftl, II. Jahrg.)
Worin unterscheidet sich ein Leben, das wir
ein großes nennen, von dem des Mittelmaßes?
Worin die Persönlichkeit vom Durchschnitts
menschen?
Danach müssen wir erst mal fragen, wenn
wir in Hans Kaisers »Hohes Ufer« blicken und
seine kurzen verächtlichen Worte über Paul Klee
betroffen lesen.
Wir brauchen im gleichen Hefte nur die gegen*
überliegende Seite — Rudolf Kaßners treffliche
Worte über die »Elemente der menschlichen
Größe« — aufmerksam zu lesen:
»Persönlichkeit heißt ganz entschieden nicht,
daß ein Mensch groß und stark und anders als
die anderen sei, sondern daß der Mensch und
die Welt nicht nur zufällig übereinstimmen und
ineinander greifen, daß sie voneinander das Maß
haben und ineinander zu finden seien.«
DieseW orte, weise auf einen höheren Maßstab
des Wertes deutend, finden wir auf jener Seite.
Und was wollen sie anderes sagen, als, daß
ein Leben erst dann sich erhebt über das Ge*
gebene, wenn wir dessentwillen abstoßen alles,
was zufällig ist — wenn wir diejenige Harmonie
schaffen, die einzig zum Kunstwerk führt: Wenn
wir unser Menschentum mit dem Charakter
formen, wenn wir unsere Empfindungen durch
den Willen abstrahieren.
Denn ist nicht erst das überhaupt Produktion —
einzig bewertbare Arbeit — die überwindet und
daraus schöpft, Neues zu formen?
Nein, Herr Hans Kaiser, nicht ist es Zärt*
lichkeit »literarisch geäußert« <wie Sie schreiben),
die uns Klees Bilder liebenswert erscheinen läßt.
Denn in der Tat ist dieses Zärtlichkeitsbedürfnis
für Mond, Sonne und Sterne, für Herzen und
Blümlein als deutsche Sentimentalität in jedem
Dienstbotenzimmer über Bett und Kommode
dokumentiert zu finden.