Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Einzig liegt der Wert darin, daß Liebe sich 
hier nicht mit Willkür im Leben verschenkt und 
ungepflegt sich dem Zufall banalen Erlebnisses 
blindlings opfert — sondern ihr Wert erkannt, 
ihre Heiligkeit empfunden, ihre Kraft bemessen 
nach jenem Kosmos verlangt, den der Wille ihr 
ordnend gestaltet. Denn diese Liebe ist nicht 
banaler Wunsch nach Erfüllung, sie ist die große 
schöpferische Sehnsucht nach dem Ewigen. Und 
wenn in diesem Organismus, vom Willen ge* 
schaffen, trotzdem die liebevolle Hand sich der 
Einzelheiten annimmt und ihnen mehr als nur 
ihren Platz im Ganzen: ein gewisses Anrecht 
auf jegliche Existenz und deren Anerkennung 
gibt, so können wir nicht genug bewundern, wie 
maßvoll hier rhythmischer Takt verfährt, der es 
verhindert, daß dies störend wirke. Sehr groß 
erscheint mir sogar der Wille des Malers, auch 
<ler Erscheinung ein Recht zu belassen und sich 
erneute Aufgabe stellen, nun auch diese zu* 
einander in jenes Maß von Abstufung zu bringen, 
die das Kunstwerk verlangt. Denn wir dürfen 
nicht vergessen, daß auch Paul Klee, wie fast 
alle der heutigen Großen, Kräfte schöpfte aus 
<lem Werke des toten Henri Rousseau und in ihm, 
neben dem großen Meister, einen Vater — einen 
Wegbereiter verehrt: den, der als erster wieder 
mit Inbrunst malt und aus Liebe zu den Dingen! 
Auch scheint es mir nicht am Platze, von einem 
deutschen Maler mit Spott zu sagen, er male 
Dinge »literarisch geäußert«. Jedenfalls ist damit 
noch kein »Beweis seiner Niederlage« in der 
Reihe der Kunst erbracht, wie Hans Kaiser 
dieses erstrebt. 
Die Frage liegt nahe, ob deutsche Malerei 
nicht immer mehr auf Stimmung vor der Ge* 
staltung, dem Mitklingen des Lyrischen — unseres 
Gemüts — beruhe? Und betrachten wir bestes 
und wesentliches in deutscher Malergeschichte: 
«inen Schwind, Richter, den frühen Thoma —■ 
so werden wir immer wieder finden, daß der 
Vorgang, der hier zum Kunstwerk führte, eine 
Legende, ein Märchen, eine Stimmung war, in* 
tensiv erlebt und langsam Gestalt annehmend 
von farbenprächtiger Schönheit. 
Aber natürlich ist auch dies allein noch kein 
Wert und verbürgt nicht jene Qualität, die erst 
Paul Klee Bildnis mit Stulpnase (Aquarell) 
das Kunstwerk ausmacht. Audi hier ist es die 
Stärke des Empfindens, die schöpferischen Willen 
entfacht, und wird dieser erst wertvoll durch die 
Kraft der Entsagung, die vereinfacht und formt: 
Gestaltung bringt. Es ist das Erfassen des 
Wesentlichen und der Kampf, der darum ge* 
kämpft wird, unwesentliches abzustoßen. 
Und sicher ist Paul Klee ganz ein Deutscher, 
denn auch er wird beherrscht von Phantasien. 
Seine Empfindung knüpft eng an unsere Tra* 
ditionen an und, wenn Klee heute vieles schon 
abstrahierter erlebt als ein Moritz von Schwind — 
so ist diese Verschiedenheit wohl nur in der Zeit 
zu suchen, in der ein jeder wirkte und stand. 
Nicht ist es bei Klee wie bei Braque, Picasso 
und anderen Romanen sinnliche Schönheit sich 
türmenden Raums — nicht ist es bloßes Erlebnis 
formaler Gestalt, die äußerste Harmonie des 
Alls verkörpert. Vielmehr beseelt Innigkeit und 
Märchenhaftes ihn wie den Dichter. Seine Seele 
ist beschwingt von starkem Empfinden, von ly* 
rischen Klängen, von zarter Musik, wie sie in 
uns Deutschen Vorstellungen wachruft, die hei* 
misch nur in unserem Wald und auf seinen 
Hügeln. Romantik umdämmert ihn. Dennoch 
finden wir auch bei Klee eine schön gegliederte,
	        
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