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m ersten und zweiten Abschnitt angedeuteten Forderungen,
Wir hören hier vielerlei konkrete Urteile über Künstler
und Bauten, und sie treffen nach meinem Empfinden meist
den Nagel auf den Kopf, Im allgemeinen sind die Aus»
führungen von gesundem Sinn und einem feinen Urteils»
vermögen geleitet, Sörgel schneidet hier mancherlei der
brennenden Fragen an und versteht, sie mit Ruhe und
ohne Partei»Schlagworte zu beantworten. Besonders
glücklich scheint mir das Kapitel, das sich auch »Architektur
als Gesamtbewußtsein« nennen ließe, — Wer das Buch
mit Aufmerksamkeit und Vertiefung in die aufgerollten
Fragen gelesen hat, wird einen bleibenden Gewinn davon
tragen, Von solchen Köpfen könnte eine Gesundung un
seres Bauwesens kommen, wenn dieses Schmerzenskind
nicht mittlerweile bereits verstorben wäre,
Paul Schultze-Naumburg.
Sturmbilderbücher IV, Kurt Schwitters, Verlag
der Sturm, Berlin 1921,
Die ersten drei Sturmbilderbücher waren noch relativ
vernünftig,- ganzseitige Abbildungen nach Chagall, Ar-
chipenko, Klee, Man konnte sich ja ärgern, wenn man sie
durchblätterte, denn sowas malt man nicht in Krotoschin
oder Schwabing, aber schließlich, die Maler waren verrückt
aber man konnte wenigstens erkennen, daß sie Bilder
malen wollten oder Skulpturen aushauen.
Aber das vierte Sturmbilderbuch, Gott soll schützen!
Da muß der Bürger platzen, da sind ja keine Bilder drin,
oder der Verlag muß ihm das Geld wieder herausrücken.
Merzzeichnungen vonSchwitters ? Merzgedichte vonSchwit-
ters? Von jedem 15 Stück, immer ein Gedicht links und
eine Zeichnung rechts. Und beide sinnlos. Gedruckte
Worte in verschieden langen Zeilen, das sollen Gedichte
sein/ gestempelte Worte kreuz und quer abgedruckt mit
Briefmarkenpapier und kindisch gezeichneten Kaffeemühlen,
Häuschen und Rädern,- das sollen Zeichnungen sein. Da
mag sich der Teufel auskennen. So heißt eins:
Umdumm.
So höre glant Schrein quälte Morea
Mamauer gleiß verlarnte du ich singe
Schrill glutet glant equalk fein
Wie Räderachsen schreien Schrein
Glut quälte leiberheiß verlarnte Schein
Oh höre! E verlarnte quälte Qualen.
Sidu Sibeelee platscht der Mond
o siehe du oh singe mit
Libeelee goldet Glotea
Doch Quaale Traum erdrosselt meine Singe.
Wer mich aber fragt, was das alles bedeuten soll, dem
kann ich nur ebenso ins Gesicht lachen wie der Dichter
und Maler <Kuwitter, vermutlich). Kunst ist nicht zum
»Verstehen« da, Merzgedichte nicht für Philologiepro
fessoren, und Dada, ja Dada ist zum Mitmachen da, zum
Lachen über sich selbst und alle Welt, zum fröhlichen
Deppsein. Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht er
jagen. Daß Einer den Mut zum Ulk in der Kunst hat!
daß er allem Sinnreichen, Gravitätischen eins in die Goschen
pflanzen kann!
Einen schönen Dank an Kurt Schwitters.
Paul F. Schmidt.
Jan van Mehan: Weltgericht. Die Tragödie der
Urlaute A EIO U. Paul Steegemann, Hannover.
»Völker befreit! Hier ist das Erste Drama der Ur-
Kunst: ohne Sätze, ohne Wortenur die primitiven Aus
drucksmittel der Gebärden und der Vokale A E I O U
gestalten die rasende Handlung dieses Dramas, das ein
junger Dichter in die Welt warf. Alle Erdgeborenen: Ihr
Holländer, Chinesen, Franzosen, Australneger, Berliner,
Eskimos/ ihr Heizer, Friseure, Milliardäre', Professoren,
Kommis, kniet in Anbetung vorm Laut, der die Erde noch
einmal dem Anfang entrollt.«
Diesen schlichten, zurückhaltenden Worten des Wasch
zettels haben wir nichts hinzuzufügen, als die Worte des
Dichters über sein eigenes Werk — Worte, zu denen ihm
eine Verulkung seines Dramas in der »Frankfurter Zei
tung« veranlaßt haben: »Da habe ich über die Hasenclever,
Schreyer, Stramm mutig hinaus mein Drama der Vokale ge
schrieben und meiner neuen, einzig noch möglichen Kunst
richtung, meiner Urkunst, die gebührende Fanfare voraus
gesandt. Die Presse ulkt daran herum oder vernichtet in
der »Freien Deutschen Bühne« feierlich mich »armen Nar
ren« im tiefsten »Kretinismus«. Daß die Sache irgendwie
Zeitangelegenheit ist, fällt offenbar auf. Und in der Tat:
die Gefahr, daß einer ernsthaft so etwas macht, konse
quenter als die Silbenstammler nur noch a eu u ie ... dichtet,
ist heute so groß, daß man meiner ernsten Miene vielfach
geglaubt hat, mir mitleidig ernsthaft versichert: »Das eben
geht nicht.« Selbst wenn nach den feierlichen buntbärtigen
Greisen <in meinem Stück) die Staatsanwälte, Herren im
Frack und Bargäste i eu iü io zu miauen beginnen, hat man
noch immer nichts gemerkt. Dabei ist nichts zu lachen. So
stellt man sich heutige Dichter vor. Aber es ist mir
wirklich nicht bloß billiger Ulk. Wenn heute die Staats
anwälte und Bargäste in Ausstellungen von Negerplastiken
und in Sturm-Abende laufen, oder wenn Sturm-Künstler
zu Bargästen werden, sieht da die Welt wohl viel anders
aus, als ich sie malte. O hätte man die Urstimme, diese
verruchte Welt in die Knie zu zwingen: »Ihr Holländer,
Chinesen, Franzosen, Australneger, Berliner, Eskimos —
ihr Heizer, Friseure, Milliardäre, Professoren, Kommis,
kniet in Anbetung vorm reinen Laut, der die Erde noch
einmal dem Anfang entrollt.« Aber das Drucken von ein
paar Vokabeln tuts freilich wohl nicht. Nicht um Urlaute
zu verhöhnen, gab ich diesem Gaule Urlaute, sondern daß
ihm übel werde an sich selber. Aber man lacht nur über
die eigene Grimasse. Und man wills sogar aufführen, zu
nächst in Hannover. Man wird lachen und toben und nicht
wissen warum. Auch ich werde lachen. Und die Sehnsucht
nach dem wahren Urlaut der Seele werde ich weiter in
Schmerzen durch diese Welt tragen. Jan van Mehan.«