Full text: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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bessere Kost und ein Wohnen in gut durch* 
wärmten Räumen von Herzen zu gönnen ge 
wesen, doch konnte man schließlich nur auf die 
jenigen unter ihnen verzichten, deren Gegenwart 
zur Durchführung des geplanten Programms 
unbedingt erforderlich schien. Zu Beginn der 
Spielzeit 1919/20 sollten alle nach Moskau zu 
rückkehren und ihre alte Tätigkeit von neuem, 
aufnehmen. 
Jedoch es sollte anders kommen. Durch das 
Heranrücken der Armee Denikins wurde unsere 
gerade in Charkow gastierende Truppe von 
Moskau gänzlich abgeschnitten. Was sie dort 
an Abenteuern zu überstehen hatte, wie man 
die Reihen der Etappen passierte, nach Grusien 
und endlich bis in slavisches Gebiet vordrang, 
das zu schildern, bleibt einer berufeneren Feder 
Vorbehalten. 
Im Herbst 1919 wurde es jedenfalls klar, daß 
man mit einer Wiederkehr der Gruppe Kats cha* 
low nicht mehr zu rechnen hatte. Nun galt es 
sich mit dem vorhandenen Personal einzurichten 
und den Plan für die bevorstehende Arbeit zu 
entwerfen. In Moskau zurückgeblieben waren 
seinerzeit: K. S. Stanislawski,*) Wl. J. Nemi- 
rowitsch-Dantschenko,**) J. M. Moskwin, W. 
W. Luschski, L. M. Leonidow <der nach zwei 
jähriger Unterbrechung seine schauspielerische 
Tätigkeit erst eben wieder aufgenommen hatte), 
außerdem ein paar ganz junge Kräfte, die bisher 
nur hier und da zu kleineren Rollen verwandt 
worden waren. Auf den Schultern dieser Leute 
lag fortan die ganze Arbeitslast des Kunst 
instituts. Anfang August 1919 wurde eine 
Sitzung der Mitglieder der Gesellschaft »M. 
K. T.« einberufen, die folgende Beschlüsse faßte: 
1. Mehrere Stücke des alten Repertoires, wie 
z. B. »Onkel Wanja« von Tschechow, mit neuer 
Besetzung wieder aufleben zu lassen. 2. Stücke 
der ersten Versuchsbühne, wie »Die Sintflut« 
von Borger und »Was Ihr wollt« von Shake 
speare in den Spielplan aufzunehmen. 3. Das 
Mysterium »Kain« von Byron aufzuführen und 
endlich 4. eine mit dem Künstler*Theater ver 
bundene Übungsbühne für die Komische Oper 
•> Direktor des Moskauer Künstler »Theaters. 
*•> Sohn des bekannten Schriftstellers N. D. 
ins Leben zu rufen, wobei als erstes »DieTodhter 
der Mme. Angöt« von Lecocq in Angriff ge 
nommen werden sollte. 
Was die zwei ersten Punkte anbetrifft, so 
stellten sich ihrer Ausführung wenig Hindernisse 
in den Weg. Die Stücke waren bereits gegeben 
worden, man brauchte sich daher weder um die 
Kostüme noch Perücken zu sorgen, weder um 
Stoffe, Schminke noch sonstige Requisiten zu 
kümmern. Anders verhielt es sich aber mit den 
zwei letzten Punkten. Sowohl »Kain« als »Die 
Tochter der Mme. Angöt« mußten neu inszeniert 
werden, da galt es eben alles erst zu beschaffen. 
Inzwischen hatten sich die Lebensverhältnisse 
derart zugespitzt, daß es übermenschlicher Kräfte 
bedurfte, das nötige Material aufzubringen. 
Entweder existierte es überhaupt nicht oder es 
galt einen wahren Kalvarienweg von Vorstand 
zu Vorstand, von Komitee zu Komitee zurück 
zulegen, ehe man das Gewünschte erhielt. All* 
mählich kam die Sache ja in Fluß, aber der An* 
fang war über alle maßen schwer. Abgesehen 
von den rein technischen Schwierigkeiten, die 
eine Neuinszenierung mit sich brachte, lagen 
solche auf physischem und moralischen Gebiet. 
Immer wieder hatten die Schauspieler unter hef* 
tigen Ausfällen von seiten der Kollegen zu 
leiden. Man warf ihnen vor, daß sie den ihnen 
vom Theater garantierten Verdienst zu ver* 
großem trachteten. Freilich reichte ihre Gage 
auch längst nicht mehr zum Leben aus. Sie 
wohnten in schlecht oder gar nicht geheizten 
Zimmern, konnten sich keine Sommererholung 
leisten u. dergl. m. So boten sie schon an sich 
ein Material, das von vornherein für intensive 
schöpferische Arbeit wenig geeignet war. Ich 
selbst bin zweimal Zeuge gewesen, daß eine 
Probe plötzlich aufgehoben werden mußte, weil 
die Beteiligten sich von der Zwangsidee »was 
werden wir uns für morgen zu Essen schaffen« 
einfach nicht befreien konnten! 
Trotz so zahlreicher erschwerender Umstände 
machte sich Stanislawski mit männlicher Energie 
im August 1919an die Einstudierung des »Kain«. 
Stil, Charakter und Inhalt des Dramas, mit einem 
Wort alles war den Schauspielern und dem 
Theater Tschechows so neu, so ungewohnt, daß
	        
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