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Sympathie ging für die armen Kreaturen manchesmal schlecht aus, denn mein glühender Wunsch,
sie um jeden Preis in den Händen zu halten, ließ mich öfter die unschuldige Falle mit dem Eisen,
dem Bogen und selbst dem Gewehr vertauschen. Ich habe auch jetzt noch die Vorliebe für
Waffen und Jagd bewahrt und trage den Widerspruch in mir, die Tiere zu lieben und dennoch
einem wilden Instinkt, in Wald und Feld nach ihnen zu schießen, nicht widerstehen zu können.
Vielleicht kommt zur Freude an meiner Geschiddichkeit noch die tolle Leidenschaft Wild zu essen,
Wild, das mir neben Muscheltieren herrlicher als Ambrosia scheint. Mein Gelüsten darnach kam
zum Teil auf die Kosten, als die Ringeltauben im Herbst die Himmel der Wälder bevölkerten.
Einige Freunde meines Vaters ließen uns daran Teil haben, unter anderen der Notar Brunus.
Auch gaben wir uns zu jener Zeit in einem nicht weit von der Landstraße gelegenen Eichenwald,
eifrig der Suche nach Eßpilzen und Blätterschwämmen hin. Wir gingen auf die Pilzsuche in
Gesellschaft des Fräulein Ferrand, der Tochter eines alten Arztes, dem mein Großvater einmal
auf einem Ausfluge unversehens die Perücke vom Kopfe gerissen hatte, als er seinen Sonnen-
schirm öffnete.
So spiegeln sich in mir die Offenbarungen des Herbstes als eine Reihe von Bildern, die die
Anmut des Todesfrühlings haben.
(Bruchstüdce aus der Veröffentlichung in »Le correspondent«, übertragen von Hilde Supan.)
FRANKREICH
Die jüngste französische Musik
ä Florent Fels
Aus dem Chaos der sklavischen Debussy-
Nachfolge beginnen sich langsam und dann hef
tiger einige starke und neuerungsfähige Persön
lichkeiten zu lösen, deren Ziel dem der Jüngsten
und Fortgeschrittensten in Deutschland konform
scheint. Man verschmäht die billige und äußere
liehe Stimmungsmache und setzt an Stelle auf
lösender destruktiver Tendenzen ein Streben zu
klarer oft primitiver Ausdrücklichkeit und straffer
Zeichnung. Das Umgehen des Gesetzlichen
hört auf beherrschend zu sein. Neue innere
Disziplin beginnt. Man findet Möglichkeiten
einer neuen schemafernen Formalität, die oft in
verblüffenderWeise an die herbe Architektonik
der vorklassischen Musik <Jannequin, Schütz,
Buxtehude) mahnt.
Der Führer dieser musikalischen Avantgarde,
Erik Satie, kam von der Programmusik. Sein
Stil ist von vornherein merkwürdig einfach.
Satie verzichtet durchaus aufs Maschinelle. Jeder
Einfall wahrt äußerlich die asketischste Öko-
nomie. Der Schwerpunkt liegt im Melodischen.
Virtuoses fällt weg. In erster Linie schrieb
Satie Klaviermusik. (Descriptions automatiques,
Veritables preludes flasques, Chapitres tournes
en tous sens), außerdem ein symphonisches
Drama »Socrate«. In den frühen Klavierstücken
gibt es seltsame Dinge. Man schildert das allzu
heftige Reden einer Ehefrau, die ihren Gatten
in den Tod schwatzt. Die Muskelspannung
eines Mannes, der schwere Steine schleppt und
endlich fallen läßt. Den Schmerz von Gefan
genen. Und so weiter. Man notiert ohne Takt
striche meist nur eine Stimme auf einem System.
Die Versetzungszeichen <wie gelegentlich bei
Busoni und Schnabel) nur für die folgende Note.
Das tonale Element tritt ganz zurück. Der
Primitivismus dieses Stils wirkt zunächst unbe
holfen und schwach. Man muß diese Musik,
die selbst Schönbergianern unverständlich sein
wird, ganz anders hören als gewöhnliche. Die
Linie an sich, das bewegte Melos als musika
lische Urkraft ist hier am Werk. Alle formalen,
harmonischen, kontrapunktischenBedenken treten
in den Hintergrund. (Immerhin ist dieser Stil
kontrapunktischem Empfinden sehr nahe. Ver
gleichen Sie »celle qui parle trop«!> Eins der
schönsten Stücke ist »l'enfance de Pantagruel«
aus den »Trois petites pieces montees«. (Vier
händig.) Die Harmonisierung ist denkbar pri
mitiv, streckenweis nur reine Dreiklänge. Lange
Quintketten verstärken den archaischen Aus
druck. Ein elementares rhythmisches Baßmotiv
gibt dem Stück ein unerhört mystisches, bei aller