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Kunstwerken kommen, vielleitfit auch durch Denken, jedoth
niemals durch Nachdenken. Also wäre derjenige Kritiker
der beste, der das Aufnahmevermögen des Lesers für Ein
drücke der Kraft entwickelt, indem er ihn anreizt, sich selber
zu bemühen und das Kunstwerk auf sich wirken zu lassen.
Dem kunstliebenden Laien aber rate ich, selbst an seiner
künstlerischen Fähigkeit zu arbeiten. Er sei kritisch gegen
Kritiken. Er kontrolliere die Kritik durch Betrachten des
Werks. Eine gute Kritik muß den Vergleich mit dem
kritisierten Kunstwerk vertragen können. Und immerhin
sollte die Anschauung Grundlage für die Kunstbetrach
tung des Laien sein. Kurt Schwitters.
DIE JUNGEN ITALIENER UND
DIE BERLINER PRESSE
Heute mittag wurde im Kronprinzenpalais die Sonder-
Ausstellung der italienischen Künstlergruppe »Valori
Plastici« mit einem Vortrag Theoder Däublers eröffnet.
Ob sich deswegen die Sonne verfinsterte? Nein! Das
wäre zuviel Aufwand.
Stellt sich da so ein kleiner Trabant zwischen uns und
die Sorjne und ruft: »Seht mich an!« Da sieht man denn
eine dunkle Scheibe, die die Sonne doch nicht ganz bedeckt
und der Sehende sieht ringsum feurige Garben hochschießen.
Auch wird die Erde nicht ganz dunkel. Immer noch leuchtet
ihr das große Licht. Und bald ist alles vorüber, denn so
ein kleiner Trabant ist eine flüchtige Erscheinung.
Die Herren Chirico, Carrä, Francalancia, Morandi und
die Baltin zur Mühlen, derenWahlheimat Italien ist, werden
auf ihr Schaffen hin noch näher zu betrachten sein. — Wo
sie sich vor der Sonne spreizen, erscheinen sie sehr dunkel.
Aber einige sind schon vorübergezogen und lassen sich
von ihr bescheinen. Da sieht man schon manches, was recht
erfreulich anmutet.
K. H. B. (Deutsche Zeitung 7. IV. 21.)
Im Kronprinzenschloß, wo Justi im obersten Stockwerk
eine Art auswärtigen Amtes der Kunst eingerichtet hat,
tagt gegenwärtig eine Ausstellung junger Italiener. In
Italien hat die künstlerische Jugend sich mit am wildesten
gebärdet, und ebendort scheint man nun am ehesten ent
schlossen zur Rückkehr zu einer wirklichen Kunst. Valori
plastici nennt sich die Gruppe,- ein körperhaftes Bilden ist
ihr Bekenntnis, und damit der ausgesprochene Wille zur
Überwindung der fast körperlos gewordenen Ungefähr»
malerei. Es steckt in ihren Sachen noch viel Kubismus und
Frozzelei des Philisters (epater le bourgeois !>,- aber das
sind gewissermaßen Reservatrechte, die man anstandshalber
noch eine Zeitlang wahren muß. Hauptsache ist, daß man
sich wieder zurückgefunden hat zur klaren Aussprache einer
verständlichen Zeichnung und vor allem zu einem Wohl
klang der Farbe, der nichts mehr wissen mag von den
erklügelten Mißklängen unserer malenden Neutöner. Die
Mitglieder dieser Gruppe scheinen sich viel in den Museen
aufzuhalten, namentlich in den Sälen des Vierzehnhundert.
Das ist eine gute Schule, und wenn sie die durchgemacht
haben, werden sie sich auch wieder zurechtfinden in der
Natur unmittelbar.
W. P. (Tägliche Rundschau 7. IV. 21.)
Die trennenden Schranken, die uns vom europäischen
Kunstschaffen abschnitten, fallen langsam. Auf die Aus
stellung der holländischen Künstler im Kronpinzenpalais
folgt nun der Kreis der Künstler, der sich um die römische
Kunstzeitschrift (Valori plastici) schließt. Direktor Justi
eröffnete gestern die Darbietung mit einigen einleitenden
Worten, an die sich ein einführender Vortrag von Theodor
Däubler über die jüngste Entwicklung der italienischen
Malerei seit der Spaltung im futristischen Lager schloß.
DerLeitsatz »Bildende Werte« dieser römischenKünstler-
gruppe zeigt sich wohl am stärksten in den Arbeiten des
Malers Giorgio di Chirico mit ihrer strengen neuen Per
spektive und der metaphysischen Formenwelt des mecha
nischen Menschen. Wie einst Ernst Theodor Amadeus
Hoffmann seinen phantastischen Automaten ersann, so
werten diese Künstler nun unser mechanisches Zeitalter in
einer neuen malerischen Romantik zu bizarren Glieder
puppen von unheimlicher Gelenkigkeit um. Die strenge,
knappe, geometrische Form klingt durch die satten Farben
von geheimnisvoller, magischer Leuchtkraft zu einer mysti
schen Sehnsucht nach dem Zusammenhang der letzten Dinge
aus. In seinen letzten Schöpfungen, dem Selbstbildnis und
dem weiblichen Bildnis, steht Chirico auf dem Boden des
Quattrocento, ohne dabei seine persönliche Note aufzu
geben,- auch in dem Verlorenen Sohn kommt er zu ge
schlossener klassizistischer Wirkung.
Carlo Carra, den wir noch als Futuristen kannten, ist
heute einKolorist von höchster Empfindsamkeit des farbigen
Erlebnisses geworden. Seine Palette ist zumeist auf Grau
gestellt, auch er liebt die mechanische Zerlegung der mensch
lichen Figur, kommt aber darüber hinaus in einem Balkon
mit Blumen zu wunderbar vereinfachter Bildwirkung von
merkwürdigem Farbenklang. Groß gesehen ist der Baum
am Meer, mit den drei Aststümpfen zwischen einem kahlen
Haus und einer vereinfachten Felskuppe vor dem blauen
Meer in seinem tiefen Leuchten. Das ganze bezwingend in
der monumentalen Vereinfachung der Fläche.
Giorgio Morandi zeigt in seinem geometrischen Stilleben
von innerem Leben Pariser Einflüsse, man denkt an Bracque.
Von großer Zartheit malerischer Empfindung ist die Land
schaft in Grau und Rosa. Francalancia betont mehr das
Zeichnerische. Sein Blick auf Assissi zeugt bei feinem Pinsel
strich von starker farbiger Empfindung.
Wuchtig sind die Figuren und Gruppen des Bildhauers
Arturo Martini aus dem Gipsblock heraus gemeißelt. Der
Künstler erzielt mit dieser selten geübten Technik große
Formen, die an Barlachs Holzplastiken erinnern. Er war
mit 18 Jahren Schüler Adolf Hildebrands in München,- auch
Medardo Rosso hat auf ihn gewirkt. Tiefer Mystizismus
liegt in seinen emporblickenden beiden Figuren an einem
Baumstumpf.
Der russische Bildhauer Ossip Zadkine hat sich ebenfalls
dieser Gruppe angeschlossen. Seine farbigen Blätter sind