Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Kunstwerken kommen, vielleitfit auch durch Denken, jedoth 
niemals durch Nachdenken. Also wäre derjenige Kritiker 
der beste, der das Aufnahmevermögen des Lesers für Ein 
drücke der Kraft entwickelt, indem er ihn anreizt, sich selber 
zu bemühen und das Kunstwerk auf sich wirken zu lassen. 
Dem kunstliebenden Laien aber rate ich, selbst an seiner 
künstlerischen Fähigkeit zu arbeiten. Er sei kritisch gegen 
Kritiken. Er kontrolliere die Kritik durch Betrachten des 
Werks. Eine gute Kritik muß den Vergleich mit dem 
kritisierten Kunstwerk vertragen können. Und immerhin 
sollte die Anschauung Grundlage für die Kunstbetrach 
tung des Laien sein. Kurt Schwitters. 
DIE JUNGEN ITALIENER UND 
DIE BERLINER PRESSE 
Heute mittag wurde im Kronprinzenpalais die Sonder- 
Ausstellung der italienischen Künstlergruppe »Valori 
Plastici« mit einem Vortrag Theoder Däublers eröffnet. 
Ob sich deswegen die Sonne verfinsterte? Nein! Das 
wäre zuviel Aufwand. 
Stellt sich da so ein kleiner Trabant zwischen uns und 
die Sorjne und ruft: »Seht mich an!« Da sieht man denn 
eine dunkle Scheibe, die die Sonne doch nicht ganz bedeckt 
und der Sehende sieht ringsum feurige Garben hochschießen. 
Auch wird die Erde nicht ganz dunkel. Immer noch leuchtet 
ihr das große Licht. Und bald ist alles vorüber, denn so 
ein kleiner Trabant ist eine flüchtige Erscheinung. 
Die Herren Chirico, Carrä, Francalancia, Morandi und 
die Baltin zur Mühlen, derenWahlheimat Italien ist, werden 
auf ihr Schaffen hin noch näher zu betrachten sein. — Wo 
sie sich vor der Sonne spreizen, erscheinen sie sehr dunkel. 
Aber einige sind schon vorübergezogen und lassen sich 
von ihr bescheinen. Da sieht man schon manches, was recht 
erfreulich anmutet. 
K. H. B. (Deutsche Zeitung 7. IV. 21.) 
Im Kronprinzenschloß, wo Justi im obersten Stockwerk 
eine Art auswärtigen Amtes der Kunst eingerichtet hat, 
tagt gegenwärtig eine Ausstellung junger Italiener. In 
Italien hat die künstlerische Jugend sich mit am wildesten 
gebärdet, und ebendort scheint man nun am ehesten ent 
schlossen zur Rückkehr zu einer wirklichen Kunst. Valori 
plastici nennt sich die Gruppe,- ein körperhaftes Bilden ist 
ihr Bekenntnis, und damit der ausgesprochene Wille zur 
Überwindung der fast körperlos gewordenen Ungefähr» 
malerei. Es steckt in ihren Sachen noch viel Kubismus und 
Frozzelei des Philisters (epater le bourgeois !>,- aber das 
sind gewissermaßen Reservatrechte, die man anstandshalber 
noch eine Zeitlang wahren muß. Hauptsache ist, daß man 
sich wieder zurückgefunden hat zur klaren Aussprache einer 
verständlichen Zeichnung und vor allem zu einem Wohl 
klang der Farbe, der nichts mehr wissen mag von den 
erklügelten Mißklängen unserer malenden Neutöner. Die 
Mitglieder dieser Gruppe scheinen sich viel in den Museen 
aufzuhalten, namentlich in den Sälen des Vierzehnhundert. 
Das ist eine gute Schule, und wenn sie die durchgemacht 
haben, werden sie sich auch wieder zurechtfinden in der 
Natur unmittelbar. 
W. P. (Tägliche Rundschau 7. IV. 21.) 
Die trennenden Schranken, die uns vom europäischen 
Kunstschaffen abschnitten, fallen langsam. Auf die Aus 
stellung der holländischen Künstler im Kronpinzenpalais 
folgt nun der Kreis der Künstler, der sich um die römische 
Kunstzeitschrift (Valori plastici) schließt. Direktor Justi 
eröffnete gestern die Darbietung mit einigen einleitenden 
Worten, an die sich ein einführender Vortrag von Theodor 
Däubler über die jüngste Entwicklung der italienischen 
Malerei seit der Spaltung im futristischen Lager schloß. 
DerLeitsatz »Bildende Werte« dieser römischenKünstler- 
gruppe zeigt sich wohl am stärksten in den Arbeiten des 
Malers Giorgio di Chirico mit ihrer strengen neuen Per 
spektive und der metaphysischen Formenwelt des mecha 
nischen Menschen. Wie einst Ernst Theodor Amadeus 
Hoffmann seinen phantastischen Automaten ersann, so 
werten diese Künstler nun unser mechanisches Zeitalter in 
einer neuen malerischen Romantik zu bizarren Glieder 
puppen von unheimlicher Gelenkigkeit um. Die strenge, 
knappe, geometrische Form klingt durch die satten Farben 
von geheimnisvoller, magischer Leuchtkraft zu einer mysti 
schen Sehnsucht nach dem Zusammenhang der letzten Dinge 
aus. In seinen letzten Schöpfungen, dem Selbstbildnis und 
dem weiblichen Bildnis, steht Chirico auf dem Boden des 
Quattrocento, ohne dabei seine persönliche Note aufzu 
geben,- auch in dem Verlorenen Sohn kommt er zu ge 
schlossener klassizistischer Wirkung. 
Carlo Carra, den wir noch als Futuristen kannten, ist 
heute einKolorist von höchster Empfindsamkeit des farbigen 
Erlebnisses geworden. Seine Palette ist zumeist auf Grau 
gestellt, auch er liebt die mechanische Zerlegung der mensch 
lichen Figur, kommt aber darüber hinaus in einem Balkon 
mit Blumen zu wunderbar vereinfachter Bildwirkung von 
merkwürdigem Farbenklang. Groß gesehen ist der Baum 
am Meer, mit den drei Aststümpfen zwischen einem kahlen 
Haus und einer vereinfachten Felskuppe vor dem blauen 
Meer in seinem tiefen Leuchten. Das ganze bezwingend in 
der monumentalen Vereinfachung der Fläche. 
Giorgio Morandi zeigt in seinem geometrischen Stilleben 
von innerem Leben Pariser Einflüsse, man denkt an Bracque. 
Von großer Zartheit malerischer Empfindung ist die Land 
schaft in Grau und Rosa. Francalancia betont mehr das 
Zeichnerische. Sein Blick auf Assissi zeugt bei feinem Pinsel 
strich von starker farbiger Empfindung. 
Wuchtig sind die Figuren und Gruppen des Bildhauers 
Arturo Martini aus dem Gipsblock heraus gemeißelt. Der 
Künstler erzielt mit dieser selten geübten Technik große 
Formen, die an Barlachs Holzplastiken erinnern. Er war 
mit 18 Jahren Schüler Adolf Hildebrands in München,- auch 
Medardo Rosso hat auf ihn gewirkt. Tiefer Mystizismus 
liegt in seinen emporblickenden beiden Figuren an einem 
Baumstumpf. 
Der russische Bildhauer Ossip Zadkine hat sich ebenfalls 
dieser Gruppe angeschlossen. Seine farbigen Blätter sind
	        
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