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Dada-Almanach. Nehmen Sie Dada ernst oder
nicht, — es spielt nicht die geringste Rolle. Dada nimmt
Sie ernst Das ist das Tragische. Der Bürger ist ver
wirrt. Das Ich des Bürgers und geistige Rebellionen in
seinem Götzenstaat waren ja schon immer die spaßhaftesten
Kapitel in der Welt. In dieses Banalitätsgerümpel peitscht
heute wiederum Dada ohne irgendein pathetisches Gänse
füßchen. Schimpfen Sie, soviel Sie wollen,- Sie schaden der
Affaire nämlich gar nicht, höchstens Ihrer Person, Ihrer
Laufbahn, der Schiebung christlicher oder jüdischer Macher.
Wer lacht, sich freut, platzt, den Profit einzieht: Dada. Der
große Unbekannte, der bei Ullstein, Goethe oder Rathenau
gleich gerne verkehrt. An allen Erdpolen, in allen Cafes,
in allen Werkstätten, in der nobelsten Pressenotiz, in allen
Laboratorien, in allen Appellen, in allen Reptil-Zentren,
in jeder Zigarettenmarke lauert Dada. Andererseits hat
diese ganze Bewegung nicht den schwächlichsten Ehrgeiz.
Art nouveau <nach dem fixen, talentierten Tristan Tzara,
der Schweizer Kritikern damals ihr »künstlerisches« Hand
werk so unsagbar schwer machte) oder abstrakte Kunst.
Doch das sind sehr alte Sachen, meint Richard Huelsenbeck.
Dieser: Deutscher, Berliner, er geht weiter als die labilen
Manifeste seines romanischen Kollegen, der immerhin in
der rapiden Gleichzeitigkeit seiner kochenden Sensationen
die schöne Geste wahren will. Für die Deutschen ist das
»nur« Simultanität, seit Jahren von Italien her bekannt,
und in nuce undadaistisch. Literatur, Kunst mit reichlicher
Lichtreklame, lediglich bürgerliche Dinge, Flickwerk aus
Hornbrille und feierlichen Gefühlen, eine Lehrbegabung
für modern auffriesierte Idylle. Die deutschen Dadaisten,
die den Wert <ohne Befähigungsnachweis) des Sinnlosen, des
Zwecklosen, der pfuscherischen Korruption, die Müdigkeit
und die kümmerlichen Abwehrreaktionen einer mystisch
ekstatischen Kunst, von ein paar ehrlichen Kerlen Ex
pressionismus genannt, theoretisch und praktisch tiefboh
render erkannt haben, spotten auf das verrottete Halb
dunkel der Romanen,- sie sind radikaler, revolutionärer,
dabei unspekulativ wie einTelephonbuch und ein Aeroplan.
Hinter dem Bluff der Kultur, eines zauberkünstlerischen
Intellektualismus, der Reclambändchen, kirchlicher Exzesse,
philosophischer Terminologie, Stoffwertung, Weltgefühl,
ethischer Notbehelfe, Herzschwärmerei, hinter Dynastien,
Menschenboykott, Bahnverkehr, Arbeiterräten, hinter dem
menschlichen Verbesserungsstreben steht die absolut sach
lich ernsthafte Skepsis des Dadaisten, der jedes Denksystem
als müssig belanglose, private Impulsäußerung ansieht, der
nur die praktische Hingabe an das Leben anerkennt und
es ohne Programm im vollsten Umkreise zu genießen sucht.
Des Dadaisten Philosophie, er wird sich natürlich sträuben
von einer solchen zu reden, gipfelt in einem universalen
Relativismus, in einem gelassenen ursprünglichen Nihi
lismus. Er bietet in seiner dämonischen Ironie der Welt
keine Angriffsflächen, wohl aber die eitle, logische, über
empirische Welt ihm. Richard Huelsenbeck sagt in dem mit
feiner Geistakrobatik zusammengestellten Dada-Almanach
(Erich Reiß Verlag Berlin): »Dada ist kein Axiom, Dada
ist ein Geisteszustand, der unabhängig von Schulen und
Theorien ist, der die Persönlichkeit selbst angeht, ohne sie
zu vergewaltigen. Die Frage: Was ist Dada? ist undada
istisch und schülerhaft in demselben Sinne wie es die Frage
vor einem Kunstwerk oder einem Phänomen des Lebens
wäre.... Dadaist ist man, wenn man lebt. Lebensfrohe
Realität, tänzerische Lebenstüchtigkeit prägt sich gleicher
weise in den weiteren Artikeln des dadabunten Almanachs
aus: bei Francis Picabia, Hans Arp (Künstler übrigens
für deren Imperium andere starke Aufnahmefähigkeit ver
rieten), Walter Mehring, Hans Baumann, Raoul Hausmann
und anderen. Die Großmannssucht und schmutzige Phrase
einer ganzen Weltepoche wird zu Grabe getragen, die
mechanistische, atomistische, dynamische Wirklichkeit, ohne
»schöpferisch erlebten« Durchbruch, ohne Widerstand und
Hemmung wird in der Relativität aller Beziehungen und
Konflikte als nackte, gegebene Manifestation selbstver
ständlich hingenommen. Der Dadaismus ist bei alledem
fabelhaft tolerant. Sie können weiter Fußball spielen, Sie
können weiterhin Antiquitäten beschnüffeln oder buddhi
stische Klöster errichten, Sie können nach wie vor jede Ex
pansion pflegen,- denn Dada haßt den billigen Doktrina
rismus jeder Form. — Nehmen Sie Dada ernst, bevor jeder
Zeitungsschmock und jedes Stubenmädchen ihre humorvolle
Bilanz daraus gezogen haben, dann ist die Sache schon
längst vergessen, und aus der Verwesung heraus wird Sie
der geniale Berliner Zeichner George Groß mißtönerisch
belächeln. Ein kluger, tüchtiger Kopf Otto Flake schrieb
ein seltsames Ideenbuch von enormer Geschwindigkeits
zunahme »Ja und Nein«, Roman, ein Buch der Operationen,
der Bindungen von Straffheit und Erregbarkeit. Ohne Dada
nachzeichnend zu erläutern, wird von Dada in der histo
rischen Physiognomie fortwährend erzählt. Ein ernsthaftes
Werk der Desillusionierung Die Dadaisten be
haupten, unsere Zeit sei dadareif. Man wird ihnen glauben.
Rudolf Utzinger.
Eingelaufene Bücher, die in späteren Heften des »Ararat«
besprochen werden:
E. v. Sydow: Die Kultur der Dekadenz. Sybillenverlag,
Dresden 1921.
Ernst Württenberger: Zeichnung, Holzschnitt und Illu
stration. Benno Schwabe, Basel.
A. Efross u. J.Tugendhold: DieKunst Marc Chagalls.
Kiepenheuer, Potsdam 1921.
F. M. Huebner: Die neue Malerei in Holland. Klink-
hardt SD Biermann, Leipzig.
Junge Kunst, Klinkhardt 'S) Biermann, Leipzig.
5. Serie: Heinrich Campendonk, von G. Biermann,-
Emmy R o e d e r, von A. Kuhn,- Oskar Moll, von
H. Braune Krickau; Maria Uh den, von O. M. Graf,-
George Grosz, von W.Wolfradt,- Marie Laurencin,
von H. v. Wedderkop,- Max Unold, vonW.Hausen-
stein,- Erich Waske, von J. Kirchner.
Oskar Jespers: Bezette Stad. Siengaal, Amsterdam 1921.
Marcello F a b r i: l'inconnu sur les villes, roman des
foules modernes. Povolozky SD Co., Paris 1921.
M. A. Aldanov: Sainte Helene, Petite ile (Traduit d.
manuscrit russe parM. Hirschwald). PovolozkySDCo.,
Paris 1921.