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Es kann nadi dem Gesagten wohl nicht zweifelhaft sein, wie diese Situation beschaffen ist, und
so erübrigt sich nur, das Bild, dessen unerfreuliche Umrisse wir schon ahnen, modellgetreu im
einzelnen auszuführen.
Sprechen wir vorerst von dem kontrollierbarsten Exponenten der öffentlichen Meinung: von
der bürgerlichen Presse oder genauer: von der Kritik derselben. Wie fast nicht anders zu erwarten,
ist sie der Neuen Kunst von allem Anfang an mit einem geradezu entwaffnenden Unverständnis
begegnet. Von leidenschaftlicher Opposition oder von einer durch traditionelle Kunstanschau*
ungen bedingten Ablehnung kann nicht die Rede sein. Was da auf die Manifestationen der Neuen
Kunst reagierte —' mehr in der Tonart der Verulkung als der Empörung — war die menschliche
Dummheit in Reinkultur, das 100 % Banausentum, die ahnungsloseste Ignoranz. Es scheint,
daß sich die offizielle Kritik anfangs für zu gut hielt, selbst zu den Neuerscheinungen in der Kunst
Stellung zu nehmen. Man erteilte z. B. einem
bajuvarischen Schnurrenerzähler das Wort, als
die »gelbe Kuh« Franz Marcs mit prachtvollem
Ungestüm den Zaun mitbürgerlicher Künste
Vorstellung berannte. Und als die Futuristen
ihren Einzug in München hielten, wurden sie
von dem Kunstkritiker der einflußreichsten Ta*
geszeitung ganz ernsthaft als moralische Saty-
riker des modernen Snobismus begrüßt. Je
länger sich aber der »Unfug« der Neuen Kunst
behauptete, desto gereizter, desto gröber wurden
die kritischen Auslassungen gegen ihn. Zwei
Münchner Kritiker besonders haben sich in
diesem Don Quichotte*Kampf unvergeßlich
hervorgetan: ihre Namen — aber wozu sie
nennen? — Nur die Bedeutung eines Interreg
nums kommt der Tätigkeit Wilhelm Hausen
steins zu, der in den »M. N. N.« eine Zeitlang
vergeblich versuchte, durch eine immerhin von
Verständnis und Verantwortung getragene
Kritik der Sache der Neuen Kunst in München
zu nützen. Er kämpfte auf einem verlorenen Kurt S(llwitt£rs » Das Papi( . rfetzeilbiI<I<; <Me r z bild)
Posten, und als man endlich seine Demission
durchgesetzt hatte, zögerte man keinen Augen
blick, um wieder seinen Vorgänger im Amt, jenen bieder*ahnungslosen Bewunderer des Glas
palastkitsches, das Richtschwert anzuvertrauen. <Die Leser der »Arche« haben schon mehr als
einmal Gelegenheit gehabt, sich an seinen Aussprüchen und Werturteilen zu ergötzen.)
Wer die unzweideutige Stimme des Volkes zur Neuen Kunst vernehmen will, dem sei empfohlen,
jenen Kunsthändler, der seit 1912 die Sache der Neuen Kunst in München verficht, um Einblick
in seine »Der Stumpfsinn« betitelte Mappe zu ersuchen. Sie enthält u. a. eine Reihe von Zuschriften,
die von ihren anonymen Autoren in dem Briefkasten des Kunsthändlers deponiert wurden. Ihr
Inhalt ist von einer Rabelais'schen Derbheit und daher wenig zur Veröffentlichung geeignet. Aus*
drücke wie »Schweine« und »Gauner« zählen zu den mildesten. Drohungen mit Totschlag und
Brandstiftung kehren immer wieder. Harmloser und lustiger sind die parodistischen Imitationen
expressionistischer Gemälde, die sich von Zeit zu Zeit auf der Schwelle der Kunsthandlung ein*
fanden. — Nach einer Statistik desselben Münchner Kunsthändlers gehen kaum 5 Prozent der die