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Gelegenheit, um den Futuristen ihre »diabolische« Auf
fassung von der Liebe vorzuwerfen, was von jenen mit
dem Zuruf »Kastraten« beantwortet wurde. Die Mani
festation, der eine große historische Bedeutung beigemessen
wird, erstrechte sich über mehrere Abende, an denen auch
musikalische Darbietungen moderner Komponisten statt
fanden und klang zum Schluß in die gebieterische Forde
rung »Nieder mit den Priestern« aus, worauf der Gegenruf
»Nieder mit den Hitzköpfen« erscholl. Die Futuristen, die
viel Anklang fanden, beabsichtigen mit dieser Manifestation
einen neuen Feldzug einzuleiten.
England. Wie einer unserer Leser aus London meldet,
besteht die Vereinigung Englischer moderner Künstler, die
unter dem Titel »Blast« kurz vor Ausbruch des Krieges
<Juni 1914) ein umfangreiches Werk herausgab, unter dem
Namen »Coterie« weiter. Sie läßt gleichfalls ein zeitschrift
artiges Blatt erscheinen, das zwar einige Reproduktionen
aufweist, in der Hauptsache jedoch literarisch ist. Der Kubist
Wyndham Lewis, der geistige Urheber von »The Caliph's
Design«, worin u. a. die Architekten zu einer radikalen
Vernichtung des Alten angestachelt werden <»Architects!
Where is your Vortex?«), ist ein Mitglied obengenannter
Gruppe.
Es scheint leider, daß der nationalistisch-einseitige Indi
vidualismus der Engländer eine starke ästhetische Aktivität
nie aufkommen lassen wird. Der Besuch, den Douglas
Goldring unserer Redaktion zum Zweck eines engeren
Anschlusses zwischen England und Holland abgestattet,
hat unsere Hoffnung auf eine mehr der gemeinsamen Ent
wicklung dienende Tätigkeit stark enttäuscht. Doch dies
gilt nicht allein von England Der hochgepriesene
Internationalismus besteht — wir sprechen hier aus Er
fahrung — immer nur noch in Worten. <Abgesehen von
der Familie Dada.) Die internationale revolutionäre Kunst
politik — wie wir sie mal benennen wollen —, verharrt
nach wie vor in ihrem ersten Stadium und der Gemeinplatz
»international« dient meist als Deckmantel, um nationale
Vorteile erlangen zu können.
Mitteilungen des Kunstvereins Hamburg. Im
Kunstverein in Hamburg sind gegenwärtig umfangreiche
Gemäldesammlungen von Alexander Kanoldt,
München und Erich Waske, Berlin zur Ausstellung
gelangt. Mit dieser Veranstaltung, die bis Anfang Juli
dauert, schließt der Kunstverein auf längere Zeit seine
monatlichen Ausstellungen. — Im Obergeschoß der alten
Kunsthalle wird, beginnend am 14. August, auf Einladung
und unter der geschäftlichen Leitung des Kunstvereins, die
diesjährige Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes
stattfinden. Die Beschickung dieser Ausstellung ist jedem
deutschen Künstler gestattet. Die eingelieferten Werke
unterstehen einer Jury. Die Ausstellungsbedingungen und
Anmelde-Formulare sind durch die Geschäftsstelle des
Kunstvereins erhältlich. Der Eingang zu den Räumen des
Kunstvereins befindet sich in der Haupthalle der neuen
Kunsthalle und zwar rechts neben der Treppe, die zum
Bertramsaal hinaufführt.
Jakob Böhme-Bund. In Görlitz hat ein Zusammen
schluß fortschrittlich gerichteterKünstler stattgefunden unter
dem Namen Jakob Böhme-Bund. Wesen des Bundes ist,
die Beziehungen zwischen Kunst und Mystik zu finden und
den Geist des Metaphysikers Jakob Böhme in die heutige
Kunst zu projizieren. Der Bund macht es sich zur Auf
gabe, für wesentliche neue Kunst zu kämpfen. Seine erste
Tat war eine Ausstellung mit radikalen Werken, unter
denen die von Josef Schneiderfranken und Fritz Neumann-
Hegenberg <dem Vorsitzenden des Bundes) besonders her
vorragten. Im Rahmen der Ausstellung fanden zwei Vor
träge statt: einer von Neumann-Hegenberg über »Neue
Malerei« und einer von H. H. Stuckenschmidt über »Das
Problem der neuen Musik«. Geplant sind ferner
literarische Vorlesungen und Konzerte.
Die neue Ausstellung »Porzellan und
Majolika« in Mannheim. Neben der Ausstellung
»Der Genius im Kinde«, die alle lebendigen, dem Menschen
von der Natur gegebenen Kräfte aufzeigt, ist in der Mann
heimer Kunsthalle eine zweite Schau eröffnet, »Porzellan
und Majolika«. Sie zeigt eben wiederum dieses Leben,
wirksam geworden und herausgestellt als Werk zweier
Künstlerpersönlichkeiten, Hans Poelzig und Max Läuger,
unterstützt von der Tüchtigkeit deutscher Industrie und
eigener handwerklicher Meisterschaft.
Am lautesten tönen diese lebendigen Kräfte uns aus
den beiden ersten, Hans Poelzig und seinen neuen Ent
würfen gewidmeten Räumen entgegen. Der »Ältesten
Volkstedter Porzellan-Manufaktur« gebührt der Ruhm,
mit alter Tradition brechend, die Ausformung von Stücken
so ungeheuerlicher, für die Porzellanerzeugung nie dage
wesener Ausmessung kühn gewagt zu haben. Das spröde
Material hat einem Schöpferwillen gehorcht. Kandelaber
winden sich wie Riesenbäume empor, türmen sich zu
Wellen, emporgetragen von einer unbekannten Macht
oder verspritzen in Strudeln.
Das Problem der verborgenen Lichtquellen, für das Poel
zig immer neue Lösungen sucht, wir denken hier an die
phantastischen Wirkungen im Berliner Großen Schauspiel
haus, scheint wundervoll gelöst in den Wolkenleuchtern,
die als schwere Trauben an der Decke hängen und in deren
dichten Wolkenmassen das Licht nur verborgen schimmert,
um durch die sich herauslösenden Wölkchen golden hin
durchzufluten.
Träume des Rokoko sind Gestalt geworden, und wie
wegweisend mischen sich indo-chinesische Elemente hinein.
Wie ein Wunder erscheint es auch, daß eine Persönlich
keit das Schaffen des gesamten Künstlerstabes des Werkes
bestimmt hat. Unter dem Einfluß entstanden die grotesken
Fabeltiere, ursprünglich für porzellanverkleidete Nischen
bestimmt, wie ja alles, Kandelaber, Wandleuchter, Kon
solen und Kronleuchter Teile eines Ganzen sind, eines
Wolkensaales mit Wolkenkuppel, wo das Material höchste
Triumphe feiern sollte, geplant für das Porzellan-Palais
der Leipziger Messe.