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der junge Kokoschka zuerst die Löwenpranke enthüllt,- er hat die individuellen Erscheinungen
mit grausamer Schärfe abgeschliffen, bis ein Wesenskern übrig blieb, der der Typus des Betref
fenden, gewissermaßen seine Idee heißen konnte. Dieses visionäre durch die Maske Sehen übt er
auch heute, aber weiter und menschlicher, weniger zugespitzt und unerbittlich,- er schält nun aus
der gesamten Erscheinung viel behutsamer jenes Zentrum heraus, das er einst mit dem Griff eines
Operateurs herausriß. Seine Zeichnungenmappe »Variationen über ein Thema« ist eine Art
Programm,- zehnmal ist derselbe Frauenkopf gegeben, zehnmal hat das gleiche Modell den Künstler
angeregt. Aber es liegt ihm nichts daran, die Veränderlichkeit der optischen Erscheinung festzu
halten, was ihn reizt, ist das viel wunderbarere Phänomen der seelischen Lebendigkeit,- die Wand®
lungen der äußeren Erscheinungen unter dem Einfluß von Licht und farbiger Umgebung zu
studieren, hatte die impressionistische Generation gelockt, Kokoschka erscheint dieses Lichterspiel
auf der Maske nebensächlich gegenüber den Reflexen der Beseeltheit, die ihm das Antlitz bietet.
Die Frage der trivialen Ähnlichkeit tritt völlig zurück,- frei schaffend sucht der Künstler in gleitenden
Zügen den göttlichen Funken wiederzugeben, der sie beherrscht. Wie in den Bildern der imitative
Naturalismus völlig abgestreift erscheint, so ist in den Zeichnungen die Frage der Interpretation
einer bestimmten Persönlichkeit ganz ins Geistige übersetzt Konsequenter aber in seinen trotzigen
Jugendwerken sucht Kokoschka in seinen heutigen Werken die Welt als ein Mysterium des Geistes
zu erfassen.
ZUR ÖSTERREICHISCHEN MALEREI
Von BRUNO GRIMSCHITZ
Österreichs moderne Malerei beginnt mit Klimt. Sein Werk war selbst Beginn und war mehr:
Grundlage. Grundlage durch die Macht einer ausgeprägten Persönlichkeit. Das vor allem darf
nicht vergessen werden: daß über Klimts malerische Dokumente hinaus seine menschliche Er®
scheinung zu ungleich weiterer Bedeutung in dem Werden der letzten künstlerischen Bewegungen
auf dem Boden Österreichs wuchs. Besonders für den Blick von fernher darf dieser Dualismus
der menschlichen und künstlerischen Stellung Klimts nicht vergessen werden. Er nur erklärt den
Wirkungsumkreis seiner Individualität. Die historische Situation war eigenartig: Klimts künst®
lerische Tat fiel in eine Zeit ohne jede künstlerische Initiative. Sie stand in der Malerei allein. In
anderen Künsten liefen ihr Begabungen parallel: Wagner und Hoffmann in der Architektur,
Hoffmannsthal auf dem Boden des Literarischen. Und alle band sie der gemeinsame Zug groß®
städtischer Formung. Das Gemeinsame einer kulturbeladenen Großstadtatmosphäre. Ihre Schöp®
fungen waren durchaus Endprodukt, letzte Verfeinerung im formalen Raffinement. Waren Wagner
und Hoffmann in Vielem zweckbetonte und intellektualisierte Paraphrasen des Empire, Hoffmanns®
thal neue Sensibilität eines epigonenhaften Formalismus, so stieg in Klimt das Dekorative der
österreichischen Malerei zu absoluter Verselbständigung. Klimt bedeutete das Nurdekorative,
weiteste Entwicklung des dekorativen Grundzuges der österreichischen Malerei. Die andere Kom®
ponente verdorrte: der in das Landschaftliche gewendete Realismus. Es gab überhaupt keinen
Impressionismus im absoluten Sinn auf dem österreichischen Boden, wie es in absoluter Geltung
das Dekorative im Werke Klimts gab. Noch Makarts dekoratives Pathos hatte in Canons Vitalität
der Anschauung ein Gegengewicht. Klimts auf die äußerste Subjektivität gestellter Schöpfung
standen nur die Werke weniger feiner, aber kaum stärker sich zeichnender Persönlichkeiten gegen®
über: letzte Wellen impressionistischer Auffassung, gebunden durch ein gefühlsbetontes Ver®
hältnis lyrischer Heimatseligkeit und einer alle voraussetzungslose Sachlichkeit ablehnenden süd®
liehen Katholizität. Klimts Weg begann in dieser Niederung und führte hinauf. Erklärbar, daß