Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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nach Formeln zu suchen, um die Künstler, von denen geredet werden soll, in das Gewebe einer 
billigen Systematik einzuzwängen. 
Es handelt sich um eine Kunst, ältestem Kulturboden entwachsen. Wien besitzt eine der 
frühesten Opernbühnen,- venetianische Tonkünstler haben im Dienste des Hofes Kirchenkonzerte 
und Oratorien gegeben, Neapolitaner ihre leichten Singspiele, Gluck seine Opern. Noch stehen 
die Häuser, in denen Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert gelebt haben. Die älteren dieser 
Generation kannten Brukner und Brahms,- die jüngeren sind mit dem Erlebnis Gustav Mahlers 
aufgewachsen. 
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war, wie in den endlosen Künsten eine Zeit 
äußerer Stagnation, in der sich aber Bedeutsames vorbereitete. Doch es fehlte an einem Halt 
gegen den Widerstand einer bequemen Mittelmäßigkeit, an einer führenden Gestalt. 
Das entscheidende Ereignis, einer neuen, sich allmählich vorbereitenden musikalischen Bewegung 
Form und Führung zu geben, war die Berufung Gustav Mahlers zum Direktor der Wiener Oper 
im Jahre 1897. Nicht daß Mahler selbst als Komponist richtunggebend gewesen wäre,- damals 
hatten nur die wenigsten eine Ahnung von der Bedeutung dieses Musikers, der seine dritte Sinfonie 
beendet hatte, und die große Wandlung der vierten durchlebte — aber seine Art an ein Musik- 
werk heranzugehen, es innerlich sich ganz zu eigen zu machen und mit dem Feuer seiner Leiden 
schaft zu durchglühen, war so neu, [so elementar, daß alle jungen Musiker in ihm ihren Leitstern 
sahen. Er brachte Bewegung in das 
konservative Getriebe der Stadt, er 
interessierte für alles Neue, und 
seine Persönlichkeit hatte etwas so 
Bindendes, daß die verschieden 
artigsten Musiker sich zusammen 
schlossen und die Vereinigung schaf 
fender Tonkünstler gründeten, die 
1904 und 1905 zum erstenmal kon 
sequent für die neue Bewegung 
eintrat. Damals ging noch der Streit 
um Richard Strauß, um Max Reger,- 
begann der Streit um GustavMahler 
und Arnold Schönberg. 
Einem späteren Chronisten wird 
das leidenschaftliche Interesse Mah 
lers für Schönberg bei der völligen 
Disparatheit ihres Stiles kaum ver 
ständlich sein. Es war eben kein 
Gemeinschaftsgefühl, das die beiden 
zu einander führte, sondern das 
Gefühl beider, in dem anderen einer 
starken Persönlichkeit zu begegnen, 
deren Wirken, was immer sie tue, 
geachtet und respektiert werden 
müsse. 
Mahler hatte nie direkte Schüler, 
aber um Alexander von Zemlinsky Egon Schiele Aquarellierte Zeichnung
	        
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