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Widerstand. Angriffe im Parlament und in der Presse
blieben nicht aus. Aber alle Einschüchterungsversudie
waren vergeblich, und als die Erstresultate der jungen
Kriegskünstler — des Nevinson und des Paul Nash —
in London ausgestellt wurden, zeigte es sich, daß das
Publikum erstaunlich gereift war und den neuen Aus-
drucksmittein mit Verständnis und Sympathie ent
gegen kam.
Die beiseite geschobene Royal Academy, um ein
Weniges des gesunkenen Prestiges zu retten, öffnete
ihre Säle zuerst der großen Sammlung der für Canada
hergestellten Gemälde, dann den Werken für das
englische Kriegsmuseum. Und so zogen die Erzfeinde
der Akademie, ein Augustusjohn, einWynd-
ham Lewis, ein Nevinson und die ganze Schaar
der Unabhängigen triumphierend in Burlington
House ein — und das Publikum jubelte ihnen zu.
Privatsammler folgten dem Beispiele des Staates.
Erst in der Panik der Geldentwertung und über
mäßigen Besteuerung, dann im Siegesräusche und
schließlich in dem enormen obgleich kurzdauerigen
Industrieaufschwung nach dem Kriege, wetteiferte das
Publikum in liberalem Kunstgönnertum. Und zwar
waren es gerade die Arbeiten der Künstler moderner
Tendenz, der Expressionisten, die man am meisten
schätzte, während die langweiligen Machwerke der
früher so beliebten akademischen Maler alle An
ziehungskraft verloren hatten. Man hatte aufgehört
über John, Wyndham, Lewis und Nevinson sich
lustig zu machen. Die verpönten Kunstnihilisten
wurden auf hoheThrone gesetzt und die Neue Kunst
feierte ihren glänzenden Triumph. Doch heute ist
diese Glanzperiode zu Ende und die Not ist in die
Malerateliers eingezogen. Daß einige Modeporträt
maler noch glänzende »Geschäfte« machen, ändert
nichts an der Tatsache. Momentan ist das Kunst
interesse beinahe ausgestorben und die Künstler
sehen trüben Zeiten entgegen.
Die imposanteste Erscheinung unter den Modernen
ist und bleibt Augustus John, Schon während
seiner Lehrjahre in der Slade School erfreute er sich
in Kunstkreisen des Rufes der genialste Zeichner
seiner Generation zu sein. Dann machte er sich als
unoffizieller Führer der Rebellen fühlbar. Er stellte
nie in der Akademie aus. Sein Streben nach inten
sivem Ausdruck, seine Vorliebe für wilde, zigeuner
hafte Typen wurden von einem traditionell erzogenen
Publikum für beabsichtigte Verherrlichung der »Häß
lichkeit« ausgelegt. Heute wird John vom Publikum
vergöttert. Was früher als Häßlichkeit mißverstanden
wurde, findet heute als eine neue Schönheit Aner
kennung. Und John, der Erzrebell, ist heute Mit
glied der Royal Academy! Dort gehört er auch ei
gentlich hin, denn seine ganze Kunst ist auf die edelste
Überlieferung des Leonardo da Vinci und des Sig»
norelli gegründet. Mit dem Stilgefühl der italienischen
Renaissance verbindet er etwas von der wuchtigen
Kraft eines Hodler. John hat in England Schule ge
macht. Seine Nachahmer zählen zu Dutzenden. Sie
beschränken sich aber im allgemeinen auf die Imi
tation seiner oberflächlichen Eigentümlichkeiten und
leisten nur Unbedeutendes.
Für die junge Schule ist John bereits ein über
wundener Standpunkt. Cezanne, Gauguin, Matisse
und Picasso, und selbst die italienischen Futuristen
finden da ihre Verehrer und Nachahmer. Auf Ce-
zannes Richtung ist die ganze Gruppe der um Roger
Frey versammelten jungen Künstler orientiert. Die
Meisten von ihnen sind herzlich langweilig. Dieselbe
Formel wird in unendlichen Variationen wiederholt.
Neues hat keiner zu sagen, mit der einzigen Aus
nahme des Duncan Grant, der in den letzten
Jahren einen außerordentlich üppigen Farbensinn ent
wickelt hat und für den Wert der Malmaterie per se
ein Verständnis zeigt, das den andern Mitgliedern
dieser Gruppe fehlt.
Wyndham Lewis ist unzweifelhaft der ori
ginellste Künstler des jungen England. Er ist beim
Kubismus zur Schule gegangen und hat daraus und
aus eigener Kraft den Vorticismus geschaffen. Er
nimmt vieles geometrisch Formelles aus dem Kubis
mus, vermeidet aber die Disintegration und Zer
stückelung des Kubismus. Seine Bilder und Zeich
nungen haben eine ungeheure Spannkraft und Be
wegungsmöglichkeit. Es ist, als ob er die menschliche
Figur in ihre Bestandteile zerlegt und dann als stäh
lernen Organismus wieder zusammensetzt. Er schöpft
eine neue Welt aus Stahl und Eisen, starr und un
beweglich, bei der man fühlt, daß durch Drehen einer
Schraube oder durch Druck auf einen Knopf alles in
unwiderstehliche Bewegung gesetzt werden könnte.
Ihm stilverwandt ist William Roberts. Auch er
geometrisiert. Doch haftet ihm etwas von der lohern-
den, stürmischen Bewegung und von dem flammen
artigen vertikal anstrebenden Rhythmus des Greco
an. E. Wadsworth gehört zu derselben Gruppe.
Sein Hauptwerk ist eine Serie von Zeichnungen und
Aquarellen des als »Black Country« bekannten In
dustriedistriktes — öde, finstere Landschaften von
Schlackehügeln, Fabrikschornsteinen, Eisenbahn
schienen u. dergl., alles hartkantig und scharf und von
komplizierter aber doch klar organisierter Struktur.