Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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stattfinden dürfen. Darauf versuchte es das 
Syndikat mit einem andern Vorschlag: es machte 
sich erbötig, dem Amt kostenlos seine Experten 
zur fachmännischen Schätzung der sequestrierten 
Kunstgegenstände zur Verfügung zu stellen. 
Nachdem man monatelang vergeblich auf Ant= 
wort gewartet hatte, betrieb der Präsident des 
Syndikats eine Audienz beim Minister. Der 
Minister empfing ihn aufs wärmste und versprach 
»daran zu denken.« Wahrscheinlich denkt er 
noch immer daran. Aber unterdessen gehen die 
Verkäufe nach dem alten Modus weiter vor 
sich — zum Schaden der Staatskasse und zum 
Ärger der Patrioten. }. P. 
ITALIEN 
Einige Notizen zur Geschichte der neuen 
Kunstbewegung in Italien 
Es ist ein Irrtum zu glauben, daß in Italien 
der Vorkriegszeit nur der Futurismus die geistige 
und künstlerische Jugend beherrscht hat,- es be 
stand vielmehr damals schon — mindestens theo= 
retisch — eine Bewegung, die gegen den Futu 
rismus gerichtet war und Ideen verfocht, wie sie 
sich heute in der sogenannten metaphysischen 
Malerei in die Tat umgesetzt haben. 
Mailand und Florenz sind als die zwei 
geistig^künstlerischen Zentren der Vorkriegszeit 
bekannt <Rom kam damals so gut wie gar keine 
Bedeutung zu). Mailand - die moderne Industrie- 
Großstadt - war futuristisch orientiert - Florenz 
betonte den Zusammenhang mit der national 
italienischen Tradition. Man findet die litera 
rischen Dokumente dieser Ideenspannung in den 
modernen Revuen der Vorkriegszeit, z.B. in der 
von Ardengo Soffici geleiteten »La voce«, 
einem literarisch^politischen Organ, das vor allem 
auch über die französische Bewegung unter 
richtete, in der »La c e r b a«, einer aktivistisch^pro- 
pagandistischen Revue, deren Interessen zwischen 
Poesie und Politik geteilt waren, und im »Lio- 
nardo«, der von Papini redigierten Zeit^ 
Schrift der Traditionellen. Der eigentliche Kampf 
wurde eingeleitet von einem Aufsatz, den Pa 
pini in der »Lacerba« unter dem Titel »II 
cerchio si chiude« veröffentlicht hat. Hier 
wies Papini, ein philosophisch geschulter Kopf, 
nach, daß die moderne Kunst mit Kubismus und 
Futurismus zum Ursprung der Kunst, d. i. zum 
Naturalismus, zurückgekehrt ist. Boccioni 
erwiderte leidenschaftlich <«I1 cerchio nonsi 
chiude«), wobei er ausführte, daß die Auf 
nahme von Materialien tale quäle in das Künste 
werk mit Naturalismus nichts zu tun habe,- das 
Material sei nicht Endzweck, sondern nur Mittel. 
Papinis Antwort »Cerchi aperti« ver 
teidigte seine erste These und charakterisierte 
Boccioni als einen Gegner, der eine Kontra^ 
verse unmöglich mache. Eine Spaltung der Ju^ 
gend in zwei Lager war die Folge: um Papini 
sammelten sich die »reinen Futuristen«, 
während die »Marinettisten« in Boccioni 
ihren Führer sahen. In diesem Moment brach 
der Krieg aus,- seine Interessen und Pflichten 
brachten den Kampf der Ideen zum Schweigen. 
Die meisten der jungen Revuen stellten ihr 
Erscheinen ein. Die »Lacerba« wurde ganz 
politisch und zwar im interventionistischen Sinne. 
(Während A. Sofficilnterventionistgeblieben ist, 
hat Papini später seine Anschauung geändert.) 
Aber in der Stille bereitete die schweigende 
Arbeit einiger Künstler das Neue, Kommende, 
erst nach dem Kriege in Erscheinung Tretende 
vor. In erster Linie ist hier Giorgio de Chirico 
zu nennen, der lange Zeit in Paris und in 
München gelebt hatte, und erst während des 
Krieges nach Italien zurückkehrte (zuerst nach 
Ferrara). Er ist der eigentliche Initiator der 
neuen »metaphysischen Kunst«. Seine Malerei 
bedeutet die Restauration der alten Mächte 
italienischer Kunst: der Ordnung und der Logik. 
Sein formaler Einfluß auf Carrä ist unleugbar. 
Carrä befand sich, bevor die Lehre Chiricos auf 
ihn eingewirkt hat, in einem Zustande der Un 
sicherheit, in dem er bald bei Rousseau, bald bei 
Derain, bald bei den Primitivisten sein Heil 
suchte. Er schrieb Aufsätze, die in «La voce« 
veröffentlicht wurden. Carrä ist ein großes 
Temperament und trotz des Einflusses Chiricos
	        
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