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stattfinden dürfen. Darauf versuchte es das
Syndikat mit einem andern Vorschlag: es machte
sich erbötig, dem Amt kostenlos seine Experten
zur fachmännischen Schätzung der sequestrierten
Kunstgegenstände zur Verfügung zu stellen.
Nachdem man monatelang vergeblich auf Ant=
wort gewartet hatte, betrieb der Präsident des
Syndikats eine Audienz beim Minister. Der
Minister empfing ihn aufs wärmste und versprach
»daran zu denken.« Wahrscheinlich denkt er
noch immer daran. Aber unterdessen gehen die
Verkäufe nach dem alten Modus weiter vor
sich — zum Schaden der Staatskasse und zum
Ärger der Patrioten. }. P.
ITALIEN
Einige Notizen zur Geschichte der neuen
Kunstbewegung in Italien
Es ist ein Irrtum zu glauben, daß in Italien
der Vorkriegszeit nur der Futurismus die geistige
und künstlerische Jugend beherrscht hat,- es be
stand vielmehr damals schon — mindestens theo=
retisch — eine Bewegung, die gegen den Futu
rismus gerichtet war und Ideen verfocht, wie sie
sich heute in der sogenannten metaphysischen
Malerei in die Tat umgesetzt haben.
Mailand und Florenz sind als die zwei
geistig^künstlerischen Zentren der Vorkriegszeit
bekannt <Rom kam damals so gut wie gar keine
Bedeutung zu). Mailand - die moderne Industrie-
Großstadt - war futuristisch orientiert - Florenz
betonte den Zusammenhang mit der national
italienischen Tradition. Man findet die litera
rischen Dokumente dieser Ideenspannung in den
modernen Revuen der Vorkriegszeit, z.B. in der
von Ardengo Soffici geleiteten »La voce«,
einem literarisch^politischen Organ, das vor allem
auch über die französische Bewegung unter
richtete, in der »La c e r b a«, einer aktivistisch^pro-
pagandistischen Revue, deren Interessen zwischen
Poesie und Politik geteilt waren, und im »Lio-
nardo«, der von Papini redigierten Zeit^
Schrift der Traditionellen. Der eigentliche Kampf
wurde eingeleitet von einem Aufsatz, den Pa
pini in der »Lacerba« unter dem Titel »II
cerchio si chiude« veröffentlicht hat. Hier
wies Papini, ein philosophisch geschulter Kopf,
nach, daß die moderne Kunst mit Kubismus und
Futurismus zum Ursprung der Kunst, d. i. zum
Naturalismus, zurückgekehrt ist. Boccioni
erwiderte leidenschaftlich <«I1 cerchio nonsi
chiude«), wobei er ausführte, daß die Auf
nahme von Materialien tale quäle in das Künste
werk mit Naturalismus nichts zu tun habe,- das
Material sei nicht Endzweck, sondern nur Mittel.
Papinis Antwort »Cerchi aperti« ver
teidigte seine erste These und charakterisierte
Boccioni als einen Gegner, der eine Kontra^
verse unmöglich mache. Eine Spaltung der Ju^
gend in zwei Lager war die Folge: um Papini
sammelten sich die »reinen Futuristen«,
während die »Marinettisten« in Boccioni
ihren Führer sahen. In diesem Moment brach
der Krieg aus,- seine Interessen und Pflichten
brachten den Kampf der Ideen zum Schweigen.
Die meisten der jungen Revuen stellten ihr
Erscheinen ein. Die »Lacerba« wurde ganz
politisch und zwar im interventionistischen Sinne.
(Während A. Sofficilnterventionistgeblieben ist,
hat Papini später seine Anschauung geändert.)
Aber in der Stille bereitete die schweigende
Arbeit einiger Künstler das Neue, Kommende,
erst nach dem Kriege in Erscheinung Tretende
vor. In erster Linie ist hier Giorgio de Chirico
zu nennen, der lange Zeit in Paris und in
München gelebt hatte, und erst während des
Krieges nach Italien zurückkehrte (zuerst nach
Ferrara). Er ist der eigentliche Initiator der
neuen »metaphysischen Kunst«. Seine Malerei
bedeutet die Restauration der alten Mächte
italienischer Kunst: der Ordnung und der Logik.
Sein formaler Einfluß auf Carrä ist unleugbar.
Carrä befand sich, bevor die Lehre Chiricos auf
ihn eingewirkt hat, in einem Zustande der Un
sicherheit, in dem er bald bei Rousseau, bald bei
Derain, bald bei den Primitivisten sein Heil
suchte. Er schrieb Aufsätze, die in «La voce«
veröffentlicht wurden. Carrä ist ein großes
Temperament und trotz des Einflusses Chiricos