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HOLLAND
Zur gegenwärtig in Deutschland weilenden
Ausstellung junger holländischer Kunst
Der treibende Gedanke, der in der holländi=
sehen Kunst seit 1890 mächtig ist und zur Hervor
bringung von Werken geführt hat, die sich von
denen des vorangehenden impressionistischen
Zeitalters im Stil, in der Gesinnung, im Zwedc,
kurzum in allem Wesentlichen aufs nachdrück**
lichste unterscheiden, dieser treibende Gedanke,
der gleichlaufend auch das dichterische, baukünst
lerische, musikalische und philosophische Schaffen
in Holland ergriffen und gründlichst verändert
hat, bedeutet nicht ein rein örtliches Ereignis,
sondern eine über den gesamten europäischen
Erdteil hinziehende Welle der Erhebung und
des Umsturzes. Er bedeutet das Einläuten einer
neu anfangenden Wirklichkeit, nachdem die bis
herige und alte durch das blinde, gutheißende
Zutrauen, durch die unwürdige, verantwortungs**
scheue Geduld der Zeitgenossen aus ihrem
Gleichgewichte geraten war. Er bedeutet die
Rückverlegung des irdischen Angelpunktes von
den Außenerscheinungen zurück in die letzte und
einzige Gewißheit des lebendigen Menschenichs.
Er bedeutet die Besinnung darauf, daß die Welt
der Traumkraft der Seele bedarf, und daß es
dieses Idealisierungsvermögen der Seele ist, das
die Menschenperson instand setzt, sich gegen
den Anschwall der umgebendenTatsächlichkeiten
aufrecht zu erhalten.
Auch in Holland bedeutet darum das Auf**
kommen der neuen Kunst nicht den Anbeginn
der Entartung. Nein, im Wirrsal schnurrte das
Geschehen durcheinander, da die grauen Ge
meinplätze der „positiven" Wissenschaften in
Europa ihre Herrschenszeit hatten. Die neue
Kunst stellt die Genesungsanstrengungen der
Seele dar, die verständlicherweise unter der
Form des Fiebers verlaufen, denn die heilenden
Kräfte können nur aufblühen, wenn wie Ackere
erde das Menschentum bis in seine tiefen Unter
gründe aufgebrochen und umgeworfen wird. Wie
reich an frischen, von der Wirklichkeitszivilisie-
rung noch nicht angetasteten, nicht ausgelaugten
Kräften die holländische Geistigkeit ist, zeigt das
Ereignis Vincent van Gogh und das Auftreten
der vielköpfigen Reihe der nach ihm Kommenden.
Mit ihnen nimmt es Holland vor, bei sich selber
zur Umkehr und Erneuerung aufzurufen, bei
sich selber das totenhafte Gerüste der Wirklich
keit von gestern vollends niederzulegen, mit
ihnen aber schließt Holland sich zugleich den in
allen Ländern Europas, hier erst schwächer, dort
schon stärker, tätigen Umwälzungsmaßnahmen
an, derart aufs innigste bezeugend, daß dieses
Erteils geistiges Schicksal ein einziges und ge
meinsames ist.
Denn die Kunst ist ein Erlebnisring, der ober**
halb und jenseits der Nationen kreist und der,
selbst wenn der Künstler in seiner eigenen kleinen
Person sich dagegen sträuben sollte, das Emp**
finden der Abermillionen hienieden zur Mitte
und zur Einheit lenkt. Nationale Färbungen
vermehren die Fülle der Erscheinungen,- sie ver**
mögen nicht Scheidewände aufzurichten, nicht
einander in Widerspruch zu setzen. Die Sehn
sucht des menschlichen Bewußtseins will in ein
leidenschaftliches Einsgefühl zusammenwachsen,
damit sich die Ichkraft aller immer erneut zu un**
erhörten, träumeträchtigen Willensaufschwün^
gen vereinigen kann. Die Kunst leuchtet den
neuen Traummöglichkeiten als erste voran,- sie
ist die letzte leuchtende Fußspur, die von ver
gangenen Traummöglichkeiten übrigbleibt.
Die sittlich erzieherische Sendung der Kunst
innerhalb des Menschendaseins, an die seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts erst einzelne,
dann immer zahlreichere Stimmen erinnert haben,
dringt auch in Holland wieder mit aller Macht
zur Erkenntnis. Sie leben wohl in ihrem eigenen
Reich, die schönen Leinenwände, Gedichte und
Standbilder, aber dieses Reich ist nicht das der
Nippsachen und beiseite gestellten Andenken
stücke in der Sonntagsstube, die während der
übrigen sechs Werktage verschlossen bleibt, oder
ein Reich von genäschigen Gehirnausschweifun
gen, die zu nichts verpflichten, sondern dieses
Reich übt eine heischende und aufrüttelnde Ge
walt aus: Es ist die geistige Wirklichkeit gegen
über der natürlichen Wirklichkeit, es ist das