Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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weitgehende Vereinfachung. Zurüdeführung der Plastik des menschlichen Körpers auf die aller-* 
dings einer absichtsvollen Deformation unterworfenen Grundformen, Ausschaltung verwirrender 
Reflexe, restlose Ausnutzung des allein dem Ausdruckswillen unterworfenen Lichtes charakteri 
sieren die Malerei der zweiten Periode. Die sorgfältig durchdachte Komposition verrät am deut* 
liebsten eine eingehende Beschäftigung mit den alten Meistern. Hin genau berechnetes Gewebe 
konstituierender Linien gewöhnlich mit einer Diagonalen oder einer stark betonten Vertikalen als 
Dominante bildet die Grundlage des Bildaufbaus und dient als Achse eines Systems korrespon* 
dierender Dreiecke, die ihrerseits die einzelnen Gruppen, wie etwa im Bilde »Die Nacht« um* 
schließen. 
Im Portrait sind die Beziehungen zur äußeren Gestalt des Dargestellten noch weniger an* 
getastet als sonst. Kopf und Hände sind als Träger und Vermittler des inneren Wesens besonders 
hervorgehoben und übersteigert, ohne daß der Künstler sich dadurch der naheliegenden Gefahr 
des Karikaturenhaften ausgeliefert hätte. Die Harmonie der Gesamterscheinung bleibt aller 
Deformation zum Trotz gewahrt. 
Der Kunst Beckmanns fehlt die Freude, es fehlt den aufgedunsenen oder faltigen Gesichtern, 
den schwammigen, ausgemergelten Leibern jede Spur antikischer Schönheit und Wohlgefälligkeit. 
Den Szenen bürgerlichen Elends entsteigt der ungesunde, dumpfverwesliche Hauch von Armen* 
leutequartieren und Versorgungshäusern, der unvergeßlich bleibt. Vieles erinnert an George 
Grosz, dessen fast visionäre Erfassung sozialen Klassenkampfes und bürgerlicher Korruption 
Verwandtes im künstlerischen und menschlichen Empfinden Beckmanns berühren mußte. Der 
Krieg hat auch Beckmann in ungeahnte Tiefen menschlichen Elends geführt, unter der glänzenden 
und trügerischen Oberfläche wurde ihm der verborgene, rastlose Kampf einer neid* und haßerfüllten, 
von Eitelkeit und Gewinnsucht getriebenen Gesellschaft, Irrsinn und Verbrechen in schauerlicher 
Nacktheit offenbar. 
Man hat die Kunst Beckmanns barbarisch genannt,- ich glaube mit Recht. Sie ist barbarisch im 
edelsten Sinne und darum deutsch. Weit entfernt von klassischer Ausgeglichenheit, verkrampft 
sie sich in die Qualen einer blindwütigen und zertretenen Menschheit. Man steht verzweifelt 
und gedrückt, man ist zu tiefst aufgewühlt, aber man bleibt unerlöst und ohne Hoffnung auf Er* 
lösung zurück. <Guido Kaschnitz.) 
Max Bedunann 
Fastnacht (Gemälde)
	        
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